Also ein Windelkindmensch bist du?

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Also ein Windelkindmensch bist du?
Also ein Windelkindmensch bist du?
Jetzt Äberrasche ich mich schon selbst.
Ich lese ein Buch und du Kleines liegst da neben mir und hast im Schlaf einen Laut von dir gegeben, und ganz
unbewuÅt fasse ich zu dir hinÄber und fÄhle, ob deine Bettdecke nicht verrutscht ist und alles in Ordnung ist, und
wundere mich Äber mich selbst.
Weil mir erst im Nachhinein auffÇllt, daÅ ich so reagiert habe. Ich lese im Lampenlicht ein Taschenbuch, wÇhrend du
schon schlÇfst, und bin gerade bei folgender Stelle:
Sati nickte. Das Kleid hÄllte ihren knabenhaften KÉrper locker ein.
"Mich erstaunt, daÅ der Pfarrer trotz der offensichtlichen Niederlage an seiner Ñberzeugung
festgehalten hat", sagte ich.
"Das hat er nicht."
"Glaubst du, daÅ er wiederkommen wird, um dich reden zu hÉren?"
"Nein."
"Angenommen, er hÇtte den Nagel tatsÇchlich in deine Hand geschlagen. Es hÇtte dir entsetzlich weh tun mÄssen!"
Sie schaute mich groÅ an. "In deinen Augen bin ich eine junge Frau in einem jungen KÉrper.
NatÄrlich kann der KÉrper leiden. Aber du muÅt begreifen, daÅ ich mehr als dieser KÉrper bin.
Ich leide niemals."
"Aber trotzdem kann man dir Schaden zufÄgen. Zumindest ÇuÅerlich."
"Nein."
"Sati, ich habe dich das gleiche schon gestern gefragt: SchlÇfst du eigentlich?"
"Du hast noch immer eine falsche Vorstellung von mir. Ich bin jenseits von Wachen, TrÇumen
und Schlafen. Deshalb verlange ich auch nicht von dir, mir zu glauben. Selbst wenn du glaubst,
daÅ ich Gott bin, verschwindet dieser Glaube doch, sobald du schlÇfst. Ihr alle seid Atheisten,
wenn ihr schlaft. Siehst du nicht, wie unendlich zerbrechlich der Glaube ist, solange etwas so
Simples wie Schlaf ihn einfach ausradieren kann? Erst, wenn ihr mich wirklich gefunden habt,
kann auch der Schlaf mich nicht mehr wegwischen. Erst wenn ich i n einem Menschen existiere,
ist der Glaube wahr."
Ich muÅ dich anschauen, kleines Menschenkindwesen. Dies ist unsere erste Nacht, und auch du schlÇfst jetzt so
neben mir; ich spÄre deine leisen AtemzÄge, und manchmal drehst du dich auf die andere Seite, und du weiÅt es gar
nicht.
Mir fÇllt auf: sprichst du jetzt Äber das gleiche wie der Gedanke in diesem Buch?
Meine Hauptliebe sind Spiele in Gummi und intensive psychologische Spiele, und so hatte ich auf die Anzeige von
diesem Erwachsenenbaby geantwortet, ich hatte zuvor schon zweimal etwas mit ihrereins erlebt.
Aber diesmal mit dir war es anders, das begann nicht so, Gummihose und Windel aus dem Schrank zu nehmen. "Das
alles, Gummihosen und Windeln, Babysachen und FlÇschchen, sind alles nur einzelne Noten, doch es geht mir um
das MusikstÄck, in dem sie gespielt werden" hast du mir gesagt, und daÅ du dies auch Éfter in Mailwechsel schreibst,
doch selten VerstÇndnis dafÄr erhÇltst.
MusikstÄck.
Das MusikstÄck, in dem du leben mÉchtest, heiÅt Kindheit. Sie ist etwas, das einfach da ist und alles ergibt sich von
selbst. DaÅ ich dich abrubble mit dem Handtuch, und du stehst in der Badewanne, kringelst mit deinen Fingern in
meinen Haaren, und ich streiche dir versonnen Äber die RÄckenfurche. Und dabei diskutieren wir trotzdem angeregt
Äber Paralleluniversen. Es gibt keine dummen EinschrÇnkungen. Bei einem interessanten Film kÉnnen wir
nebeneinander liegen und Knabberzeugs knabbern, und du hast deine Beine angewinkelt und lÉcherst mich mit
tausend Fragen. Das ist einfach so. Du bist immer das gleiche Mannkind - tags sprichst du offen, klug, neugierig und
intelligent mit mir - doch nachts brauche ich nur versehentlich mit meiner Brust an deinen Mund zu geraten, und
schon fÇngst du unterbewuÅt zu saugen an... das habe ich dir noch nichtmal erzÇhlt... Doch bei dir ist das alles das
Gleiche und paÅt unbeschreibbar zusammen.
Ñber all das haben wir viel in unseren Mails geredet und uns gegenseitig neue Blickwinkel gegeben. Und auch heute
auf dem Sofa haben wir viel miteinander gesprochen Äber Stimmlagen.
Du bist diese kindliche Menschenkindseele und fragst mich zugleich nach ihr: Gibt es ein Kindsein, das sie mal
anziehen und wieder ausziehen kann, weil Babyspiele auf dem Stundenplan stehen? ...heiÅt das dann nicht, daÅ sie
ihre Kindlichkeit nur schauspielert, und es letztlich nur bis zu einer bestimmten Tiefe, bis zu einer bestimmten Schicht
hinunter geht? Ist es aber nicht eins der zentralsten Merkmale von Kindern, daÅ sie noch keine Rolle spielen und
einfach mit sich selbst eins sind? Braucht man nicht nur ein Kleinkind anschauen, wie es so unschuldig vÉllig vertieft
mit seinen Weihnachtsgeschenken spielt und ganz Äbersieht, daÅ es sich eingemacht hat, um zu begreifen, wie sehr
das stimmt? Ja, es ist so, daÅ ein wirkliches Kind ja auch einfach immer ein Kind ist. Und Wasser ist naÅ, und Kreise
sind rund.
Dort liegt eine Mitte, die du nicht verlieren darfst. Ein "als ob" Spiel als Kind hilft nicht.
Stimmt, solange es noch durch etwas so Simples wie Schlaf weggewischt werden kann, ist es noch nicht richtig.
Einmal hast du in der Badewanne ein Buch gelesen, daÅ es fÄr jeden Mensch etwas Eigentlichstes gibt, wie sind als
Menschen gemeint sind. Nicht das Einzigste, aber doch das Unverwechselbare, Eigentliche. Du muÅtest damals in
der Badewanne einige SalzwassertrÉpfchen hinzufÄgen und hast dich selbst befragt - und es war doch immer und
immer wieder das Eine.
Deine innere MÇrchengeschichte hast du mir anvertraut: "Und sie ist es: diese kleine blaue Fee, die zu mir flÄstert,
mich lockt, verlockt, mich umspinnt, umschmeichelt und hinzieht und dabei kichert. Die in ihrem Leben und ihren
Augenblicken badet, und mir das zeigt. Das ist Kindlichkeit. Ich kann es nicht erklÇren, ich kann mich diesem Auftrag
nicht entziehen, ihr und ihrer Stimme muÅ ich am meisten treu bleiben, ich darf diese Lebensmelodie nicht verfehlen,
denn sonst bin ich falsch. Denn natÄrlich ist sie niemand anderes als ich, oder meine verlockende verspielte
Vorahnung von mir. Ich habe sie getroffen in Filmen, in Bildern, in manchen Liedern, und ich kann nicht wiedergeben,
warum es das in mir auslÉst. Aber es geht hier um Kindlichkeit, die ich Äberallhin mitnehmen kann. Eine Stimmung,
die Äber eine Windelbeziehung noch weit hinausgeht. Es ist nicht immer einfach, sich auf dieses Einfachste
einzulassen und sich nicht ablenken zu lassen, deshalb will ich aufpassen, daÅ ich hier nichts falsch mache."
Seltsam, du bist der innerlich kindlichste Mensch, den ich kennengelernt habe. Immer bist du Kind. Doch
paradoxerweise kannst du genauso immer ganz und gar der GefÇhrte, mein erwachsener GesprÇchspartner und
GegenÄber sein. Vielleicht, weil du gerade nicht etwas extra kindisch spielen muÅt. Nichts fehlt an dir, nicht der
aufmerksame GesprÇchspartner und nicht der GegenÄber, obwohl doch Kindsein fÄr dich immer da ist und nicht nur
"als ob" sein kann. Jetzt sehe ich dich hier vor mir und du hast mir von deinem untrÄglichen GefÄhl erzÇhlt, daÅ das
funktionieren wÄrde: dich aus dem Besten deines Erwachsenseins und deiner inneren Kindlichkeit zusammenzumischen, daÅ das komischerweise Äberhaupt keinen Widerspruch ergeben wÄrde. Dabei kommt hÉchste Wachheit
heraus. Diese volle Kindlichkeit und Offenheit und Erreichbarkeit im Augenblick, hat fÄr dich nichts mit Lebensalter
oder Erwachsensein zu tun. Stimmt. Es macht mir SpaÅ, dir bei dir zuzusehen.
Bei dir weiÅ ich noch nicht mal, worauf ich als nÇchstes gefaÅt sein soll, MannspielkindgefÇhrte. Heute nachmittag
wollte ich dich in die Badewanne setzen, doch ehe ich es mich versah, hattest du andere blaue SpielfÇden geflochten
und saÅ ich selbst in der Badewanne im Schaum, und der Schwamm mit deinen leisen schlanken HÇnden war da.
Stumm hast du mich Frau minutenlang nur angeschaut, wie mein Haar fÇllt, wenn du es mir hinters Ohr streichst, wie
mein Hals aussieht mit und ohne Bernsteinsilberkette, wie sich meine Brust hebt und senkt beim Atmen, wie der
Wassertropfen hinunterrinnt, den du mir auf die Stirn getupft hast... Seit langem bin ich nicht mehr so intensiv erlebt
worden...
Ich in der Badewanne, im Schaum vor dir, und du ziehst mich leise zu dir: "laÅ mich auch das fÄr dich sein, auch das
sind du und ich, ist das gleiche Spiel zwischen uns... es zieht mich, ich muÅ sehen, wie deine Fraulichkeit sich biegt,
warm ist, gesteigert ist, klingt, sich wohlfÄhlt und du dich selbst genieÅt... Mittefrau... dein gewÉlbter Schatten im
Halbdunkel der Nacht ist so wichtig fÄr mich ...sei dir nie sicher, daÅ ich nicht oft nachts mit dem Finger dein
Schamdreieck berÄhren werde, ganz langsam auf und ab, sacht (und du bewegst dich leicht), doch vorsichtig,
vorsichtig, einen Millimeter unter deiner BewuÅtseinsschwelle, so daÅ du Frau nicht davon aufwachst, sondern am
Morgen mit halbverschlafenen Augen fragen muÅt, ob du nur wunderschÉn getrÇumt hast, oder..."
Mannspielkind, du bittest mich, auch das fÄr mich sein zu dÄrfen, auch diese Pinselstriche malen zu dÄrfen. Und
tatsÇchlich will ich nicht mehr fragen, was aus MÇnnlichkeit, was aus Kindlichkeit kommen kann, sondern dich einfach
malen lassen. So kannst du alles sein. Kind. Mann. Begierdige Saite an meiner Seite. Eingeringeltes KÇtzchen auf
meinem SchoÅ. Einmal hast du gesagt, daÅ du mir das Bild eines blauschimmernden Zauberwesens auch schenkst,
damit es mir leichter fÇllt, dich mit gar nichts zu vergleichen und auch nicht zu versuchen, irgendworin etwas
Falsches zu sehen, und dich einfach als dich zu sehen. Aus diesem seltsamen Gemisch entspinnen sich Geschichten,
die vielleicht so klingen, sie sagt: "Mein kleiner Liebling, jetzt hast du mich den ganzen Sonntagvormittag
gestreichelt, mich mit Öl massiert und darauf geachtet, daÅ meine FrauenwÉlbungen sich wohl fÄhlen - und du warst
so hundertprozentig darauf fokussiert, daÅ es mir gut geht, daÅ du dabei ganz Äbersehen hast, daÅ du dir selbst
dabei eingemacht hast, stimmts? Aber so sind kleine Zauberkinder, mittlerweile weiÅ ich, daÅ du so bist." Die Frau
weiÅ, daÅ nur sie dieses unverwechselbare Zauberwesen ganz fÄr sich hat, und daÅ es so fÄr sie zaubern kann, weil
es vÉllig unschuldig kindhaft gewindelt bei ihr leben darf und sich ausschlieÅlich auf das Zaubern fÄr sie
konzentrieren darf, und offen vor ihr ist...
Und welche Buchstaben werden sich ab morgen in unser gemeinsames Buch schreiben? Ich streiche dir durchs Haar
und weiÅ es noch nicht.
Vielleicht ein Kleines, das zapplig und unruhig in der TÄr steht... zu dem ich sage "Mensch, du kleines Wesen, du bist
ja ganz unruhig! Moment, du, mir scheint beinah, du hast Fieber?" und ich streiche meinem GefÇhrtenkind das
schneenasse Haar aus dem Gesicht und sage "Jetzt kommst du mit und ich packe dich warm ein und stecke dich ins
Bett, damit du dich endlich beruhigst". Und das Kleine nickt erschÉpft und dankbar. Und ich sage "Und dann mache
ich dir gleich eine Tasse warmen Honigtee, damit es dir besser geht" und dann schaue ich mich noch einmal um und
sage "Nein. Keine Tasse."
Ich bin froh. So einfach also? Es wird mich ebenfalls zutiefst verÇndern. In gewisser Weise ist ein Menschenkind wie
du einzig dazu da, damit ich Sonne sein und du um mich kreisen kannst. Ich sehe auf dich neben mir, da bist du also,
die kleine Menschenkindseele. Irgendwann ist ihre AnfangsÇngstlichkeit weggeblasen, und sie krabbelt in ihren
Windelstrumpfhosen ganz unschuldig zu Mama und zeigt ihr aufgeregt ein Spielzeug, das sie gerade beschÇftigt, und
blickt dann hoch zu Mama, die Äber ihr Kleines lÇchelt, und fragt "worÄber lÇchelst denn du?" Mama streichelt ihr
den Kopf "Ach nichts. SchÉn, daÅ du angekommen bist." ErzÇhl mir nichts von Angekommensein - davon, daÅ du
einfach nur nacktunschuldig auf dem Bauch im Bett daliegst und Fieber gemessen bekommst im Po und dabei fragst
"...und dann Mama, was machen die ErkÇltungsmÇnnchen dann, wenn der andere sie rÄbergehustet hat?"
Du hast mir genug erzÇhlt, mein KÇtzchen. Gestern haben
wir lange auf dem Sofa gesessen und geredet.
Du hast auch viel darauf Wert gelegt, daÅ Austausch Äber
Gott und die Welt, FlohmÇrkte und StraÅencafes, gemeinsames LachenkÉnnen Äber einen anspruchsvollen Film und
eine reichhaltige Beziehung fÄr dich sehr wichtig und unverzichtbar sind. Weil dir ansonsten viel zu viel davon fehlen
wÄrde, was die Welt und das DenkenkÉnnen spannend
macht. Ja, ich habe dich gesehen, wie du auf dem Sofa gesessen und viel darÄber gesprochen hast. Aber, als ich dich
vom Bahnhof abholte und dein Blick im Vorbeigehen einen
Augenblick zu lange auf dem Zooplakat verweilte, da hattest du eigentlich schon verloren. Der Rotwein hat dich mÄde
gemacht. Morgen frÄh beim Aufwachen wirst du vielleicht Äberrascht sein, weil du in eine Windel gesteckt aufwachst,
ohne daÅ wir das explizit angesprochen hatten. Du wirst vielleicht ein biÅchen unglÇubig schauen.
Aber ein einziger Blick auf dich, wie du jetzt eingeringelt in weichen Windeln daliegst, sagt eigentlich alles.
Ü 2005 by beebee

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