Hartz-IV-Aufwendungen für sozialversichert Beschäftigte

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Hartz-IV-Aufwendungen für sozialversichert Beschäftigte
Dr. Wilhelm Adamy
Hartz-IV-Aufwendungen für sozialversichert Beschäftigte
Die Armut von Beschäftigten kommt die Steuerzahler teuer zu stehen. Allein für Beschäftigte mit sozialversichertem Job mussten Bund und Kommunen in 2012 rd. 3,9 Mrd. € aufwenden, um Geringverdienern
und -verdienerinnen mit sozialversichertem Job das gesellschaftliche Existenzminimum zu garantieren.
Nach DGB-Berechnungen mussten allein für die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Haushalte mit mindestens einer sozialversichert beschäftigten Person 2,25 Mrd. € im Jahr aufgewendet werden, die großteils von Städten und Gemeinden finanziert werden müssen. Insbesondere die Großstädte mit vielen
Hartz-IV-Beziehern geraten durch den Niedriglohnsektor in finanzielle Schieflage. Niedrige Löhne und
steigende Mieten führen insbesondere hier dazu, dass Erwerbstätige zu Hartz-IV-Aufstockern werden.
1. Sozialversichert Beschäftigte mit ergänzendem Hartz-IV-Bezug
Nach den letzten zur Verfügung stehenden Zahlen wurden im Juli 2013 gut 586.000 sozialversichert
Beschäftigte gezählt, die von ihrer eigenen Arbeit allein nicht leben konnten. Dies ist knapp die Hälfte
aller erwerbstätigen Hartz-IV-Aufstocker. Hinzu kommen rund 625.000 Mini-Jobber, die per Definition
icht mehr als 450 € im Monat verdienen können und so Bedürftigkeit allein durch Erwerbsarbeit nicht
vermeiden können. Dies gilt teils aber auch für Haushaltsgemeinschaften mit nur einer – stundenmäßig
– relativ niedrigen Teilzeitbeschäftigung. Durch neue Tarifabschlüsse konnten die Gewerkschaften in den
vergangenen Jahren eine deutliche Verbesserung der Tarifsituation im Niedriglohnbereich erreichen.
Trotz der steigenden Zahl allgemeinverbindlicher Tarifverträge mit Mindestlohnregelung ist die Zahl der
Aufstocker mit sozialversichertem Job in den letzten Jahren relativ konstant. Gut ein Achtel aller HartzIV-Empfänger/innen hat einen sozialversicherten Job. Niedriglohn führt aber nicht immer zur Hilfebedürftigkeit, sondern erst dann, wenn das Gesamteinkommen eines Haushalts nicht ausreicht, um das gesellschaftliche Existenzminimum der Bedarfsgemeinschaft insgesamt zu sichern. Neben der Größe des Haushalts haben auch die regional unterschiedlichen Wohnkosten einen Einfluss darauf sowie die Zahl der
Erwerbstätigen bzw. Jobs innerhalb eines Haushalts. Nicht nur Stundenlöhne unter 8,50 € können folglich
zur Bedürftigkeit führen. Viele verzichten aber auch aus Scham oder Unsicherheit auf eine staatliche Aufstockung eines niedrigen Erwerbseinkommens oder erhalten Kinderzuschlag. Nach Schätzung des IAB
realisieren bis zu 44 Prozent aller Berechtigten ihren Hartz-IV-Anspruch nicht.
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Es überrascht daher nicht, dass Paare mit Kindern die größere Gruppe der Aufstocker mit sozialversichertem Job stellen. Mit der Haushaltsgröße steigt der Fürsorgebedarf insgesamt, so dass Hartz IV weit seltener allein durch Erwerbstätigkeit überwunden werden kann. Für Alleinstehende ist die Armutsschwelle
hingegen weit niedriger, so dass bei einem Niedriglohn Hartz IV eher überwunden werden kann. Dennoch
stellen sie – nach den Paaren mit Kindern – die zweitgrößte Gruppe der Aufstocker. Mehr als ein Viertel
aller Aufstocker mit sozialversichertem Job ist ein Single-Haushalt, während knapp ein Viertel auf die
Alleinerziehenden bzw. Paare ohne Kinder entfallen.
In einzelnen Wirtschaftszweigen ist das Armutsrisiko von Beschäftigten besonders hoch. Dies sind Sektoren, die meist nicht dem internationalen Wettbewerb unterliegen, sondern eher auf die Binnenwirtschaft
ausgerichtet sind.
Im Reinigungsgewerbe ist das Hartz-IV-Risiko etwa sechsmal größer als allgemein, wobei Aufstocker hier
relativ häufig eine sozialversicherte Teilzeittätigkeit ausüben. Ein Achtel der sozialversichert Beschäftigten
erhält hier ergänzend Hartz-IV-Leistungen. Es folgen das Gastgewerbe sowie der Arbeitnehmerverleih. In
diesen beiden Branchen liegt der Anteil der Aufstocker bei rd. acht Prozent. Auch in diesen Wirtschaftszweigen ist das Hartz-IV-Risiko etwa dreimal höher als in der Wirtschaft insgesamt. Diese Konzentration
auf einige Branchen zeigt, dass das Verarmungsrisiko nicht nur von der Haushaltsgröße beeinflusst wird,
sondern in starkem Maße auch von Wirtschaftszweigen mit niedrigem Lohnniveau.
Erstmals werden hier die Daten der Aufstocker differenziert für Großstädte und eher ländliche Regionen
ermittelt.
 Dabei zeigt sich die überdurchschnittliche Betroffenheit der Großstädte in Ost und West. In den ländlichen Regionen ist ein deutlich niedrigerer Anteil der Beschäftigten auf Hartz IV angewiesen.
 In den westlichen und südlichen Städten der alten Länder mit mehr als 100.000 Einwohnern ist das
Armutsrisiko Beschäftigter fast doppelt so hoch wie in den eher kleinstädtischen oder ländlichen Regionen. Einen großen Einfluss hierauf dürfte das höhere Mietniveau in den Großstädten haben, was
die Hartz-IV-Schwelle ansteigen und die eigenständige Existenzsicherung für Geringverdiener z. T.
schwieriger macht.
 Im Osten ist das Stadt-Land-Gefälle bei den beschäftigten Aufstockern etwas niedriger als im Westen,
liegt aber in allen Regionen höher als in vergleichbaren westdeutschen Städten und Kreisen. Auch in
den ländlichen Regionen der neuen Bundesländer sind – aufgrund des insgesamt niedrigeren Lohnniveaus im Osten – relativ mehr Menschen mit sozialversichertem Job auf Hartz IV angewiesen.
 In den ostdeutschen Großstädten ist der Anteil der Aufstocker mit sozialversicherter Beschäftigung im
Schnitt doppelt so hoch wie in den Großstädten der alten Bundesländer. In einzelnen Städten wie
Bremerhaven oder Offenbach ist das Verarmungsrisiko sozialversichert Beschäftigter aber gleich hoch
wie beispielsweise in Leipzig oder Magdeburg.
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Anteil der beschäftigten Aufstocker an allen sozialversichert Beschäftigten, in Prozent
4,9
3,5
2,4
1,3
Großstädte
1,2
kleinere und mittlere ländliche Kreise mit
Städte
Verdichtungsansätzen
beschäftigte Aufstocker in westdeutschen Regionen
3,4
3,2
1,2
dünn besiedelte
ländliche Kreise
beschäftigte Aufstocker in den ostdeutschen Regionen
Quelle: DGB-Sonderauswertung der Statistik der BA: „Grundsicherung für Arbeitsuchende“
2. Hartz-IV-Aufwendungen für sozialversichert Beschäftigte
Für sozialversichert Beschäftigte mussten in 2012 insgesamt rd. 3,9 Mrd. € an ergänzenden Hartz IVLeistungen gezahlt werden. Knapp die Hälfte dieses Aufstockungsbetrages entfällt auf Haushalte mit
mindestens einem Vollzeitbeschäftigten und 2,1 Mrd. € auf Bedarfsgemeinschaften mit Teilzeitbeschäftigung. Diese Aufwendungen bewegen sich weitgehend auf dem Niveau der Vorjahre. Bei einer Differenzierung zwischen Ost und West zeigt sich allerdings, dass die aufstockenden Leistungen in den neuen
Ländern nahezu kontinuierlich – gegenüber 2007 um knapp 200 Mio. – abgenommen haben, während
sie in den alten Ländern noch um 170 Mio. darüber liegen.
Neben dem Bund werden die Kommunen durch die Aufwendungen für erwerbstätige Arme in besonderer
Weise belastet. Denn sie müssen die Kosten der Unterkunft für die erwerbstätigen Aufstocker weitgehend
finanzieren. Vorrangig wird das erzielte Erwerbseinkommen auf die vom Bund zu finanzierende Hilfe zum
Lebensunterhalt angerechnet. Erst ein darüber hinausgehendes Erwerbseinkommen wird – in einem zweiten Schritt – auf die Kosten der Unterkunft angerechnet. Erst wenn die Bundeshilfen durch das anrechenbare Einkommen voll gedeckt sind und der Bund finanziell nicht mehr einspringen muss, wird verbleibendes Einkommen auf die Mietzahlungen angerechnet. Das erzielte Erwerbseinkommen entlastet daher
vorrangig den Bund, während die Kommunen so lange in der finanziellen Verantwortung bleiben, bis
Hartz-IV voll überwunden werden kann und keine aufstockenden Fürsorgeleistungen mehr für Beschäftigte gezahlt werden müssen.
Mit gut 2,2 Mrd. € entfällt mehr als die Hälfte der Hartz-IV-Aufwendungen nur für Aufstocker mit sozialversichertem Job auf die Übernahme der Mietkosten. Da der Bund neben den Regelleistungen für den
Lebensunterhalt noch etwa 30 Prozent der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung übernimmt, wird
der Bund etwas stärker belastet als die Kommunen. Die Kommunen müssen aber immer noch etwa 1,8
Mrd. € allein an Mietkosten für sozialversichert Beschäftigte übernehmen, die von ihrer Arbeit nicht leben
können. Gerade dort, wo Arbeitslosigkeit sowie Armut trotz Arbeit am größten sind, sind die Belastungen
der Kommunen hoch, die finanziellen Handlungsspielräume von Städten und Gemeinden oftmals aber
recht ungünstig. Insbesondere in den Großstädten haben die Hartz-IV-Aufwendungen infolge von Niedriglöhnen einen großen Einfluss. Allein in den Großstädten belaufen sich die Hartz-IV-Aufwendungen für
sozialversichert Beschäftigte nach DGB-Berechnungen insgesamt auf rd. 1,7 Mrd. € und die Kosten der
Unterkunft auf gut eine Milliarde Euro im Jahr.
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Tabelle 1:
Hartz-IV-Aufwendungen für Haushalte mit mindestens einem sozialversichert
Beschäftigten 2012, in Mrd. €
insgesamt
West
Ost
Hartz-IV-Aufwendungen in Großstädten insgesamt
1,698
1,058
0,640

davon Kosten für Unterkunft in Großstädten
1,023
0,647
0,375

Hartz-IV-Aufwendungen insgesamt
3,888
2,581
1,307

davon für Kosten für die Unterkunft insgesamt
2,248
1,514
0,734
Quelle: eigene Berechnungen nach: „Sonderauswertung der BA-Statistik – Zahlungsanspruch von Bedarfsgemeinschaften mit mindestens
einem sozialversichert Beschäftigten
Eine Differenzierung nach Wirtschaftsbereichen zeigt, dass einzelne Branchen über Hartz VI indirekt in
besonderer Weise subventioniert werden. So sind die Hartz-IV-Aufwendungen für sozialversichert Beschäftigte im Handel und Gastgewerbe mehr als doppelt so hoch wie – gemessen an der Beschäftigtenzahl – im viel größeren Verarbeitenden Gewerbe. So mussten allein für die sozialversichert Beschäftigten
im Gastgewerbe 537 Mio. Euro gezahlt werden, in dem nur gut 3 Prozent aller Beschäftigten tätig sind.
Im Verarbeitenden Gewerbe hingegeben arbeiten gut ein Viertel aller Beschäftigten und mussten aufstockende Leistungen von 232 Mio. Euro gezahlt werden. Auf das Verleihgewerbe entfallen mit 296 Mio.
Euro gleichfalls deutlich höhere Hartz-IV-Aufwendungen für Beschäftigte als im Verarbeitenden Gewerbe,
obwohl dort nur etwa ein Neuntel der Beschäftigten des Verarbeitenden Gewerbes tätig ist. Überdurchschnittlich hoch sind die aufstockenden Hartz-IV-Leistungen gleichfalls bei Reinigungsdiensten (414 Mio.
Euro) sowie dem Gesundheits- und Sozialwesen (449 Mio. Euro).
3. Was ist zu tun?
Hartz IV ist nicht nur ein Sicherungssystem für Erwerbslose, sondern in relativ hohem Maße auch für
erwerbstätige Niedriglohnempfänger. Die Zahl der Aufstocker mit sozialversichertem Job ist aber nur die
Spitze des Eisbergs, denn viele müssen mit einem Einkommen knapp oberhalb der Armutsschwelle leben
und retten sich mit Zweit- oder Drittjobs über die Runden bzw. verzichten ganz auf die ihnen zustehenden
Fürsorgeleistungen.
Aufs Jahr gerechnet erzielen die Hartz-IV-Aufstocker etwa sieben Milliarden Euro Erwerbseinkommen im
Jahr und tragen so in beachtlichem Umfang zur Reduzierung ihrer Fürsorgeleistungen bei. Entlastet wird
so vorrangig der Bund und erst nachrangig Städte und Gemeinden. Mit dem jetzt angestrebten gesetzlichen Mindestlohn können die staatlichen Hartz-IV-Ausgaben deutlich reduziert und Mehreinnahmen bei
Steuern und Sozialbeiträgen erzielt werden. Davon würden keinesfalls nur Hartz-IV-Aufstocker profitieren,
sondern auch Millionen Beschäftigte, die ein über oder an der Hartz-Schwelle liegendes Erwerbseinkom-
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men erzielen. Doch die Entlastungen der öffentlichen Hand durch Mehreinnahmen bei der Einkommenssteuer und den Sozialbeiträgen sind noch höher. So verdienen Mini-Jobber bisher überdurchschnittlich
weniger als 8,50 € die Stunde. Die Zahl der Niedriglohnempfänger geht weit über Hartz IV-Aufstocker
hinaus. Der gesetzliche Mindestlohn darf nicht durch eine Reihe von Ausnahmen zu einem „Schweizer
Käse“ werden, der am Ende kaum Wirkung mehr entfalten kann, weil er ständig systematisch unterlaufen
wird. Es darf deshalb keine Rolle spielen, in welcher Lebenslage die Menschen arbeiten gehen, solange
sie den Status von Arbeitnehmern haben.
Besonders hoch ist das Verarmungsrisiko allerdings für Bedarfsgemeinschaften mit Kindern und nur einem
Erwerbseinkommen sowie in großstädtischen Regionen mit meist höherem Mietniveau. Ein gesetzlicher
Mindestlohn allein wird hier nicht generell dazu führen, dass Hartz IV vollständig überwunden werden
kann. Um Armut und Hartz-IV-Bedürftigkeit auch für diese Personengruppen möglichst zu verhindern,
sollten über flächendeckende Mindestlöhne hinaus zugleich der Kinderzuschlag sowie das Wohngeld insbesondere für Familien mit Erwerbseinkommen ausgebaut werden. Diese Hartz IV vorgelagerten Sozialsysteme setzen zielgenau bei jenen Beschäftigungsgruppen an, die in Regionen mit überdurchschnittlichem Mietniveau leben bzw. zwar die eigene Existenz durch Arbeit sichern können, bisher aber durch die
Kinder hilfebedürftig werden. Haushalte mit Kindern, deren Erwerbseinkommen nur wegen der Kinder
auf Hartz IV angewiesen sind, können zu ihrem Einkommen Wohngeld und Kinderzuschlag beantragen,
um möglichst nicht mehr auf Hartz IV angewiesen zu sein. Bisher ist der Kinderzuschlag aber zu niedrig
und die Anspruchsvoraussetzungen so restriktiv, dass Armut von Beschäftigten mit Kindern oftmals noch
nicht verhindert werden kann. Vor allem in Großstädten kommt die Miete als zentraler Faktor hinzu, der
mit darüber entscheidet, wie viel Geld für andere Lebensbereiche verbleibt. Ein flächendeckender Mindestlohn sollte daher eine Reform des Kinderzuschlags sowie des Wohngeldes für einkommensschwache
Haushalte ergänzt werden. Zielgenau könnten so erwerbstätige Niedriglohnempfänger – und unter Berücksichtigung von Kinderzahl und regionalem Mietniveau – aus Hartz IV herausgeführt und insbesondere
großstädtische Regionen nachhaltig finanziell entlastet werden. Gelingen wird dies allerdings nur dann,
wenn der gesetzliche Mindestlohn nicht „löchrig wie ein Schweizer Käse“ wird, der viele Beschäftigte
von existenzsichernden Löhnen ausschließt.
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