«Big Brother»-Pläne abgesagt

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«Big Brother»-Pläne abgesagt
«Big Brother»-Pläne abgesagt
Nach heftigen Protesten muss die französische Regierung ein geplantes
Polizeiregister fallenlassen. Präsident Nicolas Sarkozy erleidet damit seinen
ersten grösseren Rückschlag.
Paris. – Datenschutz ist nicht mehr im Trend. Das Internet und die Terrorbekämpfung seit
dem 11. September 2001 haben ihm schwer zugesetzt. Umso erstaunlicher war in den letzten
Wochen die Reaktion der französischen Öffentlichkeit, als die Regierung ganz diskret eine
neue Polizeidatenbank in Betrieb nehmen wollte. Auslöser für den Plan war das Aufgehen der
seit Napoleon bestehenden politischen Polizei Renseignements Généraux (RG) in einer neuen
Struktur namens DCRI in diesem Sommer. Damals stellte sich die Frage, was mit den RGUnterlagen geschehen sollte. Innenministerin Michèle Alliot-Marie und ihr Vorgänger, der
heutige Staatschef Nicolas Sarkozy, wollten diese Fichen nicht nur behalten, sondern
ausweiten. Künftig sollten nicht mehr nur mögliche Unruhestifter und Missetäter, sondern de
facto alle Franzosen ab 13 Jahren registriert werden können. Im Visier waren Politiker,
Gewerkschafter, religiöse Würdenträger sowie Vereinsmitglieder – und in Frankreich ist jeder
bessere Bürger in zumindest einem Verein.
Empörung rechts und links
Das neue Register heisst unverbindlich «Exploitation documentaire et valorisation de
l’information générale » und wird kurz Edvige genannt. Das klingt ähnlich nett wie das
französische Anti-Terror-Register Cristina. Doch die Franzosen liessen sich dadurch nicht
einlullen. Trotz Sommerpause formierte sich im ganzen Land Protest, und gegen Edvige
wurden 180 000 Unterschriften gesammelt. Nicht nur Gewerkschafter, Bürgervereine,
Freimaurer und Linksparteien, sondern auch Vertreter der Regierungspartei UMP liefen
dagegen Sturm, da die Vorlage als blosses Dekret etikettiert worden war und damit nicht
einmal vor das Parlament kam. Sarkozy schickte schon vor zehn Tagen seine Innenministerin
an die Front, um sich aus der Schusslinie zu nehmen. Diesen Donnerstagabend nun legte sie
den Rückwärtsgang ein und zog die umstrittensten Punkte zurück. Die Polizei darf keine
Angaben über den Gesundheitszustand der Bürger, ihre «sexuelle Orientierung »oder die
«rassische Herkunft» enthalten. Nur noch Zivilstand, Beruf, Vereinszweck, Adresse und
Telefonnummer sollen laut Alliot-Marie gespeichert werden. Minderjährige erhalten ein
«Recht auf Vergessen», was wohl heisst, dass ihre Daten bei Erreichen der Volljährigkeit
gelöscht werden sollen. Nicht registriert werden auch «Personen, die ein Mandat ausüben
oder eine bedeutende institutionelle, wirtschaftliche, soziale oder religiöse Rolle spielen».