Predigt Hörfunkgottesdienst aus der Kapelle der JVA Bielefeld

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Predigt Hörfunkgottesdienst aus der Kapelle der JVA Bielefeld
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Predigt Hörfunkgottesdienst
aus der Kapelle der JVA Bielefeld-Brackwede
Fronleichnam
26. Mail 2016
Dekan Monsignore Wilhelm-Friedrich Schulte
Liebe Hörerinnen, liebe Hörer, liebe Gemeinde hier in der Anstaltskirche.
Katholische Christen feiern heute weltweit Fronleichnam. In vielen Orten ist dieses Fest ein Gottesdienst auf
Straßen und Plätzen. Eine Demonstration ist diese Feier, ein Anlass für die Menschenfreundlichkeit Gottes
auf die Straßen zu gehen. Fronleichnam ist auch eine Einladung zum Anteilnehmen und zum Teilen, einmal
persönlich und politisch, damit weltweit geteilt wird und alle satt werden. Es gehört in unserer Zeit Mut dazu,
für Gott auf die Straßen zu gehen und wie hier in der Justizvollzugsanstaltskirche dem Erklärbaren, den
Fakten dieser unserer sichtbaren Welt, das Unerklärbare, die Wunder Gottes, in dieser Welt
entgegenzustellen. Jesus Christus mutet uns diese Schritte zu. Und das, was er uns zumutet, hörten wir im
Evangelium. Da waren die vielen Menschen, die langsam Hunger bekamen an jenem Abend, nachdem sie
Jesus gefolgt waren und ihm aufmerksam zugehört hatten. Jedoch die Jünger wollten mit Jesus allein sein.
Endlich eine kleine gemütlich, überschaubare Gruppe im vertrauten Kreis und nicht diese Menschenmasse.
Das wollten die Jünger, denn dafür reichten ihre Vorräte. Für die vielen aber nicht. Da kam denn ein Problem
auf sie zu, eine große Herausforderung, die sie lieber vermeiden wollten und der sie sich nicht gewachsen
fühlten.-- Schick sie weg!--Damit dadurch ein Problem gelöst werden könnte, indem man es einfach aus dem
Auge aus dem Sinn schaffte.
Viele kennen das. Und es hat bis in unserer Zeit Methode.
Schick sie alle weg: die Ausländer, dann haben wir alle wieder Arbeit! Schick sie weg, oder besser noch,
sperrt sie weg: die psychisch Kranken, die Behinderten, die Straftäter.
Schick sie weg, oder besser noch, lasst sie erst gar nicht in unser Land herein: die Asylsuchenden und
Flüchtlinge. Schafft sie weg aus unseren Orten: die zur Last fallen.
Schick sie weg! Viele wollen genannte Personengruppen nicht mehr sehen. Dann sind sie auch ihre
Verantwortung los.
Aber, was ist mit denen, die erst gar nicht hierher kommen können? Was ist mit denen, die dort, wo sie
leben, nicht einmal das Nötigste haben, um zu überleben? Was ist mit denen, deren Leben in Gefahr ist, weil
sie verfolgt oder misshandelt werden. Aus dem Auge, aus dem Sinn.
Schickt alles weg, was vielen zur Last werden könnte oder auch zu einer Herausforderung, der man nicht
gewachsen sein könnte.
Die Versuchung der Jünger im heutigen Evangelium ist wohl auch für viele in unserer Gesellschaft, eine
Versuchung, die bis in unseren Knastalltag hineinreicht. Sperrt sie weg: die Junkies, die Querulanten, die
Unbequemen und die Spinner.
Hier und dort, immer wieder das Gleiche: Statt Zuwendung--Gewalt, Reaktionen auf Symptome statt konsequente und kreative Arbeit an den Wurzeln.
Ich befürchte, dass zu schnell und unüberlegt: schick sie weg und sperrt sie weg gesprochen wird!
In unserem Evangelium erfahren die Verdrängungsprozesse eine überraschende Wende. Wie hieß es da?
„Gebt ihr ihnen zu essen!“
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Nichts mit Wegschicken und/ oder Loswerden. So einfach zog Jesus sich nicht aus der Affäre.-“Gebt ihr
ihnen zu essen!“ Die Jünger standen da wie begossene Pudel. Erst wollten sie die vielen Menschen
loswerden, dann aber standen sie mitten drin. Sie hatten ja etwas Proviant mitgenommen, das reichte eben
nur für sie. Fünf Brote und zwei Fische. Das mussten sie hergeben.
Ich denke, wie nahe diese Situation uns und unserer Gesellschaft ist. „Das Boot ist voll.“ Es reicht für uns,
aber nicht für mehr. Sollen die anderen selbst zusehen, wie sie klar kommen.
Die Jünger erlebten etwas, das sie völlig aus den Socken warf, etwas, das ich schwer beschreiben und noch
schwerer erklären kann: das Wunder des Teilens. Das, was sie hergeben mussten, reicht auf einmal für die
vielen. Das Beispiel des Teilens machte Schule. Wahrscheinlich hatten alle, die etwas dabei hatten-ihre
Vorräte – aus den Taschen genommen und mit denen geteilt, die nichts dabei hatten. Alle aßen und alle
wurden satt.
Vorher sprach Jesus ein Segensgebet über die Brote und Fische. Ich möchte das nicht als magische
Beschwörung verstehen.
Es geschah viel mehr: da wurden Lebensmittel in den Bereich Gottes hinein genommen. Aber nicht so, dass
Naturgesetze durchbrochen wurden. Mit einem im Grunde tief materialistischen Denken, das dort eine
explosionsartige Vermehrung von Nahrungsmitteln am Werk sah, werden wir Gott nicht auf die Spur
kommen.
Das Wunder bestand wohl eher darin, dass der Teufelskreis des Behalten- und Besitzen- Wollens
aufgebrochen, dass die Mauern des für sich sein wollen gebrochen wurden. Der Funke sprang über.
Gottes Sympathie, sein Mitfühlen und Mitleiden mit Mensch und Natur, sein lebensschaffender Geist
verschaffte sich Raum bei den Handelnden.
Und auf einmal erfuhren die Jünger, erfuhr jeder, der sich ergreifen lies, wie das Brot mehr wurde, weil die
Hände und Herzen sich öffnen ließen.
Das Wunder, das Geheimnis der Vermehrung: es liegt wohl im Wahrnehmen des Anderen, im Loslassen und
im Weitergeben von dem, was ich, und nur ich, beitragen kann zur Lösung eines Problems, zum Bestehen
der Herausforderung.
Ob wir das auch erfahren/ erleben können, wenn wir-um im Bild zu bleiben- unsere Brote und Fische teilen,
nämlich unsere Aufmerksamkeit und Zeit?
Ob wir das auch erfahren, wenn wir unsere Talente und Begabungen füreinander in Dienst stellen, wenn wir
unsere Ideen und Kräfte, unsere Gedanken und Gefühle fruchtbar machen für das Lösen der Probleme und
zum Bestehen der Herausforderungen, denen Menschen hier im Knast und draußen in der Freiheit
begegnen?
Ich glaube: Dass das, was wir haben und teilen, kann uns selbst mit guten Erfahrungen beschenken. Das gilt
im Großen der Welt und der Politik. Das gilt auch im Kleinen, im Alltag jedes Inhaftierten oder Bediensteten
hier in der JVA.
Im Grunde ist reichlich für alle da- an Arbeit und Lebensmitteln, an Anerkennung, Wertschätzung und Liebe.
Unser Fronleichnams-Evangelium hat Recht: es ist ein Verteilungsproblem. Bei der Lösung der
Verteilungsprobleme hängt vieles davon ab, wie wir uns positionieren- als Einzelne und als Gesellschaft.
Liebe Hörerinnen, liebe Hörer liebe Gemeinde hier in der Anstaltskirche.
Das Wunder des Teilens steht über dieses Fronleichnamfest 2016.
Ich wünsche ihnen diese Erfahrungen: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Amen
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