Psychogener Husten - Alpenklinik Santa Maria

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Psychogener Husten - Alpenklinik Santa Maria
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Husten
Psychogener Husten
J. Rosenecker
Alpenklinik Santa Maria, Fachklinik für Kinder und Jugendliche, Bad Hindelang/Oberjoch
Schlüsselwörter
Keywords
Chronischer Husten, psychogener Husten,
Husten-Tic
Chronic cough, psychogenic cough, cough tic
Zusammenfassung
Summary
Der psychogene Husten als Ursache des chronischen Hustens im Kindes- und Jugendalter
wird mit einer Häufigkeit von 1–4 % angegeben, mit einem Altersgipfel zwischen 6 und
14 Jahren. Die Hustenanfälle sind eruptiv und
unproduktiv. Die Patienten selber leiden
durch den Husten, im Gegensatz zu ihrer Umwelt, wenig. Für die Diagnosestellung ist entscheidend, dass Kinder mit psychogenem
Husten im Schlaf nicht husten. Körperliche
Untersuchung und Lungenfunktion bzw.
Röntgen-Thorax erbringen keinen pathologischen Befund. Therapeutisch gilt es zunächst,
die Eltern darüber zu informieren, dass dem
Geschehen keine organische Ursache zugrunde liegt. Die Prognose des psychogenen
Hustens ist in den allermeisten Fällen immer
exzellent. Gewöhnlich endet die Symptomatik, nachdem den Eltern mitgeteilt wurde,
dass es sich um eine Angewohnheit oder einen Tic handelt. Selten muss das Kind in psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung.
The prevalence of psychogenic cough in
childhood and adolescence is around 1–4 %,
with a peak between 6 and 14 years. Psychogenic cough is harsh and explosive, very disturbing and never occurs during sleep. The
child is usually not particularly worried about
the symptom. Physical and radiographic examinations of the respiratory tract and
microbiological investigations are normal.
The long term outcome is almost always excellent for the patient with a psychogenic
cough. Usually the cough will resolve after
the parents are reassured that there is no
underlying disease and that it is simply a
habit. Rarely, referral for psychiatric consultation has to be considered.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Joseph Rosenecker
Alpenklinik Santa Maria
Fachklinik für Kinder und Jugendliche
Riedlesweg 9, 87541 Bad Hindelang/Oberjoch
Tel.: 08324 78–121, Fax: –128
E-Mail: [email protected]
Psychogenic cough
Kinder- und Jugendmedizin 2013; 13: ■–■
Eingereicht am: 26. Juni 2013;
angenommen am: 3. Juli 2013
Einleitung
Der psychogene Husten als Ursache des
chronischen Hustens im Kindesalter wird
mit einer Häufigkeit von 1–4 % angegeben.
In einer jüngst erschienenen Arbeit aus
China, in der 111 Kinder mit chronischem
Husten untersucht wurden, wurde die Diagnose psychogener Husten nur bei einem
© Schattauer 2013
Patienten gestellt (4). In einer Arbeit aus
Frankreich wurde bei 4 % der untersuchten
Kinder mit chronischem Husten ein psychogener Husten diagnostiziert (1). Der
psychogene Husten tritt typischerweise im
Schulalter auf, mit einem Altersgipfel zwischen 6–14 Jahren (3). Nicht selten handelt
es sich dabei um Kinder und Jugendliche,
die aus Mittelschichtfamilien kommen und
einem relativ hohen schulischen Leistungsdruck ausgesetzt sind. Beim Versuch diesem auch gerecht zu werden, kommt es zu
Konfliktsituationen, die zu seelischen Problemen führen. Aber auch andere Belastungen, wie die Trennung der Eltern, können auslösend für das Auftreten des psychogenen Hustens sein. Die eigene Erfahrung des Autors zeigt, dass ein relativer
Häufigkeitsgipfel im Auftreten dieser Beeinträchtigung gerade vor anstehenden
Festtagen zu beobachten ist. Die internationale Klassifikation psychischer Störungen
ordnet den psychogenen Husten und die
psychogene Hyperventilation den somatoformen autonomen Funktionsstörungen zu
(ICD 10 V, 45–33).
Klinik des psychogenen
Hustens
Die Hustenanfälle bei psychogenem Husten sind eruptiv und unproduktiv. In der
Regel ist der Husten sehr laut. In der Arztpraxis ist das Husten häufig durch die Wartezimmertür zu hören. Mitwartende Kinder und Eltern sind dadurch nicht selten irritiert. Im angloamerikanischen Schrifttum
wird der Klangcharakter dieses Hustens
meist mit dem Schreien kanadischer Graugänse verglichen, wodurch der aggressive
und warnende Klang dieses Hustens betont
wird. Der Patient ist gewöhnlich wegen seiner Beschwerden nicht sehr irritiert, im
Gegensatz zu seinen Eltern, Lehrern und
Freunden, die sehr unter dieser Symptomatik leiden. Im Schulunterricht ist das dauernde Husten so störend, dass die Kinder
vorübergehend, manchmal für Monate (!)
aus der Schule genommen werden müssen.
Typische Symptomatik
•
•
•
•
kein Husten im Schlaf
trockener Husten
ungewöhnlich lauter, „explosionsartiger“ Husten
Husten auf Aufforderung
Kinder- und Jugendmedizin 5/2013
J. Rosenecker: Psychogener Husten
Tab. 1
Ursachen des chronischen Hustens in Abhängigkeit vom Alter (nach Häufigkeit gelistet)
Häufigkeit
Säugling
• Hyperreaktivität nach
Virusinfektion (RSV)
Kleinkind
• Hyperreaktivität nach
Virusinfektion (RSV)
• passive Inhalation von • passive Inhalation von
Zigarettenrauch
abnehmend
2
• GÖR
• allergische Diathese
• Pertussis
• BPD
• Fremdkörperaspiration
• Rauchen der Mutter in
der Schwangerschaft
• CF
• Tuberkulose
• Ziliendyskinesie
• interstitielle Lungenkrankheit
• Tracheomalazie z. B.
•
•
•
•
Zigarettenrauch
• Asthma bronchiale
• Fremdkörperaspiration
• Pertussis
• BPD
• CF
• Tuberkulose
• IgG-Subklassen-Defekt
• interstitielle Lungen•
•
•
krankheit
Tracheomalazie
Fehlbildungen
Immundefekt
Schulkind
• Asthma bronchiale
• Mykoplasmeninfektion
• bronchiale Hyperreagibilität
• passive Inhalation von
Zigarettenrauch
• aktives Zigarettenrauchen
• psychogener Husten
• Keuchhusten
• Mukoviszidose (CF)
• Tuberkulose
• Ziliendyskinesie
• Fremdkörperaspiration
• IgG-Subklassen-Defekt
• Bronchiektasen
nach operativem Eingriff einer kongenitalen
Ösophagusatresie
Fehlbildungen, z. B.
bronchogene Zyste
Immundefekt
Patient ist durch Husten wenig irritiert.
Auf Ansprache endet die Hustenepisode häufig spontan.
Diagnostik
Die Diagnose des psychogenen Hustens gelingt trotz der oben genannten Auffälligkeiten oft nicht frühzeitig genug. So haben
die Eltern auf der Suche nach medizinischer Hilfe meist eine Odyssee hinter sich,
die sie in verschiedene Arztpraxen und Kliniken geführt hat. Die Kinder werden häufig mehrfach unnötigerweise geröntgt.
Frustrane Therapieversuche mit inhalativen oder teilweise auch oral verabreichten
Steroiden schließen sich an. Symphatomimetika werden regelhaft verordnet. Dies alles führt zu keiner Besserung der Symptomatik.
Für die Diagnosestellung ist entscheidend,
dass Kinder mit psychogenem Husten nicht
im Schlaf husten!
Der Verdacht auf das Vorliegen eines psychogenen Hustens sollte weiters geweckt
Kinder- und Jugendmedizin 5/2013
•
•
Bronchitis und
Mukoviszidose.
Rein statistisch gesehen sind in der Bundesrepublik Deutschland noch etwa 1000
Kinder, Jugendliche oder Erwachsene mit
Mukoviszidose nicht diagnostiziert. Deshalb ist die CF bei chronischem Husten,
auch bei einem normalen Gedeihen, eine
wichtige Differenzialdiagnose. Eine passive
Rauchbelastung muss eruiert werden. Jugendliche müssen nach aktivem Zigarettenkonsum befragt werden. (▶ Tab. 1)
Basisdiagnostik
•
•
•
•
ausführliche Anamnese
körperliche Untersuchung mit Bestimmung der Atemfrequenz
Lungenfunktionstest mit Broncholyse
Pulsoxymetrie
Fazit für die Praxis
werden durch den sehr ungewöhnlichen
Klangcharakter dieses Hustens. Die Diagnose des psychogenen Hustens ist somit eine „Hördiagnose“ in Analogie zur „Blickdiagnose“.
Anamnestisch findet sich häufig ein banaler Infekt, der dem Geschehen vorausging, bevor dann die Syptomatik einen
chronischen Verlauf nahm. Offensichtlich
eröffnet sich den Patienten dadurch die
Möglichkeit, über diese Beschwerden einen
sekundären Krankheitsgewinn zu erzielen.
Organische Ursachen müssen differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
An erster Stelle ist hier das Asthma bronchiale zu nennen. Asthma bronchiale kann
sich gerade im Kindesalter mit chronischem Husten, ohne Giemen oder Atemnot präsentieren. Ein Lungenfunktionstest
mit Broncholyse, bez. ein Laufbelastungstest, um eine bronchiale Hyperreagibilität
auszuschließen, ist sicher gerechtfertigt.
Ebenso ist bei unklaren Fällen eine Röntgen-Torax-Aufnahme gerechtfertigt. Andere Erkrankungen, die differenzialdiagnostisch in Betracht kommen, sind:
• Keuchhusten,
• Fremdkörperaspiration,
Ein „aggressiv“ wirkender, „explosionsartiger“ Husten im typischen Alter (Schulalter)
kann auf einen psychogenen Husten hinweisen. Dieser kann diagnostische Schwierigkeiten bereiten. Für die Diagnosestellung
ist entscheidend, dass Kinder mit psychogenem Husten im Schlaf nicht husten. Somit
kann die Diagnose mit relativ großer Sicherheit anamnestisch gestellt werden. Der
Klangcharakter des psychogenen Hustens
ist in der Regel sehr charakteristisch. Im
angloamerikanischen Schrifttum wird er
meist mit dem Schreien kanadischer Graugänse verglichen. Der psychogene Husten
tritt typischerweise im Schulalter auf. Der
Schulunterricht kann durch diesen sehr lauten Husten so gestört werden, dass die Kinder vorübergehend aus dem Unterricht entfernt werden müssen. Leider wird die Diagnose oft verspätet gestellt, sodass Patienten
mit psychogenem Husten unnötigen Untersuchungen, z. B. Röntgen-Thorax, ausgesetzt werden, oder eine Vielzahl von wirkungslosen medikamentösen Behandlungsversuchen unternommen wird, bis die Diagnose gestellt werden kann. Für den therapeutischen Ansatz ist zunächst entscheidend, den Eltern gegenüber zu erklären,
dass dem Geschehen in den allermeisten
Fällen keine organische Ursache zugrunde
liegt.
© Schattauer 2013
J. Rosenecker: Psychogener Husten
Weitergehende Diagnostik bei
unklaren Fällen
•
•
•
Röntgen-Thorax-Aufnahme
Laufbelastungstest
Blutgasanalyse
Therapie
Antitussiva sind wirkungslos, ebenso inhalative oder systemisch verabreichte Steroide. Therapieversuche mit inhlativen Beta-2-Sympathomimetika sind ebenfalls ohne Einfluss auf den klinischen Verlauf.
Therapeutisch gilt es zunächst, die Eltern darüber zu informieren, dass dem Geschehen keine organische Ursache zugrunde liegt. Die Prognose des psychogenen
Hustens ist in den allermeisten Fällen immer exzellent. Gewöhnlich endet die
Symptomatik nachdem den Eltern mitgeteilt wurde, dass es sich bei dieser Symptomatik um eine Angewohnheit oder einen
Tic handelt. Selten muss das Kind in psychotherapeutische Behandlung. In den
USA wurde in den 80er-Jahren des vorigen
Jahrhunderts recht erfolgreich eine „rein-
© Schattauer 2013
forced suggestion technique“ angewendet.
Bei diesem Prozedere wird dem Kind oder
Jugendlichen zunächst mitgeteilt, dass der
Brustkorb durch das dauernde Husten geschwächt sei und deshalb zur Stabilisierung
ein Bettlaken um den Thorax gewickelt
werden müsse. Den Eltern muss vorab in
einem separaten Gespräch ohne den Patienten mitgeteilt werden, dass es sich bei
diesem Verfahren um eine Art Autosuggestion handelt. Nach Angaben aus der Literatur ist dieses Verfahren bei den meisten Patienten recht erfolgreich (2).
Fallbeispiel
Im Tagdienst einer großen Klinik erscheint
am späten Nachmittag ein Vater mit seinem 14-jährigen Sohn. Bereits vor Eintreten in das Untersuchungszimmer ist dem
diensthabenden Arzt ein ungewöhnlich
klingender Husten im Wartebereich aufgefallen. Der Vater entleert zu Beginn des
Anamnesegesprächs eine mitgebrachte
Plastiktüte, in der mehr als 20 verschiedene
Hustensäfte und Dosieraerosole enthalten
sind, die von den aufgesuchten Ärzten der
verschiedensten Fachrichtungen für den
Jungen verordnet wurden. Unterbrochen
wird das Gespräch durch einen sehr lauten,
fast schreiend wirkenden Husten des Jungen. Der Untersuchungsbefund bei dem
schüchtern wirkenden Jungen ist völlig unauffällig. Bei Nachfragen wird Husten im
Schlaf verneint. Die Diagnose eines psychogenen Hustens wird gestellt und eine
Therapie eingeleitet, die im Wesentlichen
darauf basiert, dass es sich bei dem psychogenen Husten um eine Verhaltensauffälligkeit handelt.
Literatur
1. Brémont F, Micheau P, Le Roux P et al. Etiology of
chronic cough in children: analysis of 100 cases.
Fayon M Arch Pediatr 2001; 8 (Suppl 3): 645–649.
2. Cohlan S, Stone SM. The cough and the bed sheet.
Pediatrics 1984; 74: 11–15.
3. Milner AD. Psychogenic cough in childhood. Br
Med J 1985 (Clin Res Ed) 290 (6485): 1847–1848.
4. Zhang XB, Nong GM. Zhongguo Dang Dai Er Ke
Za Zhi. Causes of chronic cough in children: an
analysis of 111 cases. Zhongguo Dang Dai Er Ke
Za Zhi 2011; 13: 131–134.
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