Champion Arik Ünsal zu Gast (MZ, 27.01.2012)
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Champion Arik Ünsal zu Gast (MZ, 27.01.2012)
Respekt: So boxte sich einer von unten nach oben LEBENSERFAHRUNG Einst Bru- der Leichtfuß, heute moralisches Schwergewicht: BoxChampion Arik Ünsal sprach mit Teenagern über seinen Aufstieg. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON REINHOLD WILLFURTH, MZ ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● „Und wenn sie meinen, du stehst nie wieder auf, dann lass sie reden, Junge, zeig ihnen, das ist dein Traum, du wirst ihn leben“: Der Refrain aus dem Rap „Alles wird gut“ von Bushido ist Lebensmotto und Aufbruchsignal zugleich für Arik Ünsal. Immer wenn er die selbst gewählte „Einmarschmusik“ in der Einsamkeit seiner Kabine hört, „dann fange ich an zu schwitzen“. Wenn er dann aber in den Boxring steigt und der Gong ertönt, „sehe und höre ich nur noch meinen Gegner“. Dann hat es Ünsal hinter sich, „das Schlimmste, was es gibt“: die Anspannung vor dem Kampf. Gebannt hören die Jugendlichen der Klasse 3.2 der Wirtschaftsschule Breitschaft zu, als Arik Ünsal von seinen Erfahrungen in- und außerhalb des Boxrings erzählt. Der türkischstämmige Oberpfälzer ist für zwei Lektionen in seine alte Schule zurückgekehrt. Er hat einen überdimensionalen Gürtel mitgebracht, geschmückt mit Glitzersteinen und vergoldeten Ornamenten. Das sind die Insignien eines „International Champions“ der World Boxing Federation (WBF). Noch in diesem Jahr will Ünsal für den Titel des „Intercontintental Champions“ in den Ring steigen. Wenn er gewinnt, steht dem Kampf um die Krone im Supermittelgewicht nichts mehr im Wege. Und die Region darf sich auf den ersten Boxweltmeister aus der Oberpfalz freuen. Der gebürtige Parsberger hat auf dem Weg nach oben eine harte Schule durchgemacht, und damit ist nicht sein Aufenthalt an der Regensburger Wirtschaftsschule gemeint. Auch um den jungen Leuten hier manch beschwerlichen Umweg zu ersparen, ist er heute noch einmal an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. Ünsal findet mit seiner offenen Art, seinem Witz, seiner deutlichen Wortwahl und einer großen Portion Selbstironie sofort einen Draht zu den 14- bis 15Jährigen. In der folgenden Stunde erfahren die Jugendlichen, wie es sich anfühlt, wenn man ganz unten ist und sich daraus herauskämpft – mit Glauben an sich selbst und mit fairen Mitteln. Die Schüler lernen auch, dass nur Sieger werden kann, wer Niederlagen annimmt und daraus lernt. REGENSBURG. „Ohne Disziplin und Glauben an mich wäre ich nicht hier“: Der Oberpfälzer Boxchampion Arik Ünsal sprach mit Schülern der Wirtschaftsschule Breitschaft, seiner alten Schule, über seinen turbulenten Lebensweg voller Tiefschläge und (nicht nur sportlicher) Erfolge. Fotos: Willfurth/privat Verletzung stoppte Fußballkarriere „Respekt“ ist das Schlüsselwort in Arik Ünsals Vortrag. „Respekt in der Arbeit, in der Familie, in der Liebe“ sei das Wichtigste. Zunächst aber gelte: „Wer keinen Respekt vor sich selber hat, der wird es nicht schaffen.“ Vor rund 15 Jahren musste auch Arik Ünsal seine Lektionen lernen – auf die harte Tour. Mit einer Art Vollkaskomentalität besuchte er die Wirtschaftsschule. Den Unterricht nahm er locker, die Schulpflicht auch, wie sich Deutschlehrer Rudolf Mörtl erinnert. „Schule war mir scheißegal“, bringt es Ünsal in aller Offenheit auf den Punkt. Die wohlhabenden Eltern zahlten Kleider, Miete und Schulgeld, er widmete sich den angenehmen Seiten des Lebens. Viermal saß er im Jugendarrest, weil er Konflikte mit den Fäusten lösen wollte. Mit 16 ließ er die Finger von Alkohol und Zigaretten, es ging aufwärts. Dann kam der große Schock: Der begabte Fußballer war auf dem Sprung zu einer vielversprechenden Karriere beim türkischen Kultklub Fehnerbace Istanbul, als ein Schien- und Wadenbeinbruch seinen Träumen ein Ende setzte. „Das hing mir jahrelang nach“, räumt Ünsal ein. Schlüsselerlebnis Nummer eins kam dann, als Ünsal mit 27 Jahren an einer Regensburger Boxschule vorbeispazierte. Er probierte es aus, fand Gefallen daran und über- Arik Ünsal (links) beim Titelkampf für den WBF International Champion in Belgrad Die deutsche und die türkische Fahne zieren die Boxerhose des Champions aus der Oberpfalz. Er kennt sogar den Rapper Kay One persönlich! Nicht nur der offizielle, reich verzierte Gürtel für den International Champion der World Boxing Federation beeindruckte die jungen Zuhörer bei Ünsals Vortrag. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● AUF DEM SPRUNG ZUM KAMPF UM DEN WELTMEISTERTITEL ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ➤ Mit einem vorzeitigen Sieg in der dritten Runde durch technisches K. o. gegen den Österreicher Thomas Hengstberger gewann Arik Ünsal Mitte Oktober in Obertraubling den Titel eines internationalen deutschen Meisters. ➤ Vorangegangen waren zahlreiche Profikämpfe – davon allein vier im September letzten Jahres. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ➤ Drei davon absolvierte Ünsal in der ghanaischen Hauptstadt Accra. Er gewann alle drei. In wenigen Wochen kehrt der „Schrecken von Accra“ für einen weiteren Kampf nach Ghana zurück. ➤ Es ging seitdem weiter aufwärts: In Belgrad holte er sich den Titel des Internationalen Meisters der World Boxing Federation im Supermittelgewicht. ● zeugte seine Trainer. „Boxen hat mich von den schlechten Dingen weggebracht“, sagt er heute. Damals musste er noch viel lernen – zum Beispiel, nach einem Niederschlag aufzustehen: „Bei meinem ersten Kampf als Profi ging ich nach zehn Sekunden k.o. Meine Freunde und Bekannten haben mich am nächsten Tag ausgelacht. Ich aber bin um sechs Uhr aufgestanden und bin meine zehn Kilometer gerannt“. Die Trainer glaubten weiter an ihn und schickten zu drei Kämpfen nach Ghana. „Afrika war die Wende“, sagt Ünsal. Er gewann alle drei Kämpfe und verließ das Land mit dem Ehrentitel „Der Schrecken von Accra“ im ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ➤ Noch in diesem Jahr will er die Vorstufe zum Kampf um die Weltmeisterschaft bewältigen, den Titel eines „Intercontinental Champions“. ➤ Von zwölf Kämpfen als Profi hat Ünsal nur einen verloren – seinen allerersten. Der gebürtige Parsberger war in diesem Jahr für die Wahl zum Regensburger „Sportler des Jahres“ nominiert. ● ● Gepäck. Trotzdem ging es nicht so recht vorwärts mit der Boxkarriere von der bayerischen Provinz aus. Dann kam Schlüsselerlebnis Nummer zwei: Die Geburt seiner Tochter vor drei Jahren. „Da lernt man Verantwortung“, sagt der 31-Jährige. Um vorwärtszukommen, wagt Ünsal den Sprung in die Boxmetropole Berlin – ohne einen Cent in der Tasche kommt er dort an und übernachtete zunächst unter Junkies in U-Bahn-Stationen. In der Massagepraxis eines Bekannten aus Parsberg kann er dann ein Jahr lang übernachten. „In Berlin habe ich gelernt, Vorurteile abzubauen“, erzählt Ünsal. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● MORGEN IN DER MZ DIE TÄGLICHE REPORTAGE Schieders Familiensaga Der Gründer des Abendgymnasium, Bürgermeister Elmar Schieder, ist unvergessen. Seine Tochter Juliane veranstaltet Reisen nach Bali. Sie führen in die Schönheit,die Kraft und die Lebensfreude. ● „Setzt euch ein Ziel und ordnet dem alles andere unter“, rät der Champion den immer andächtiger lauschenden Schülern der Klasse 3.2. Zur Befriedigung von Lehrer Mörtl zählt Ünsal auch die Sekundärtugend der Disziplin zu den unentbehrlichen Zutaten für den Erfolg. Schmalhans ist des Boxers Koch Am schlimmsten sie diese übrigens beim Essen einzuhalten. Auszug aus dem Speiseplan eines Profiboxers: Morgens fast nichts, mittags eine Portion nackter Reis, abends Reis mit Thunfisch, nach dem Training nur Thunfisch. Und das bei sechs Stunden täglich in der Halle. „Du musst auf vieles verzichten, wenn du ein Ziel hast“, sagt der Champion. Am Schluss gibt es Autogramme und Fotos mit Arik. Die Schlange vor dem Lehrerschreibtisch ist sehr lang, zumal auch Widmungen für boxbegeisterte Väter und Brüder geschrieben werden müssen. Ünsal würde seine Erfahrungen gerne an mehr junge Leute seiner Heimatstadt weitergeben, vor allem an solche, denen ein Rat zur rechten Zeit helfen könnte, sie auf einen anderen Weg zu bringen. Er habe die Regensburger Schulen und die Stadt deswegen angeschrieben, sagt er. Bis heute habe er keine Antwort erhalten.