automobil entwicklung 4/99 - neue
Transcription
automobil entwicklung 4/99 - neue
Simultaneous Engineering Entwickler-Portrait IVM Diskrete Tüftler Mit rund 2 000 Mitarbeitern in elf Ländern gehört IVM zu den dynamischen Global Playern im Engineering-Geschäft. Die jüngste Expansion der Münchner Übernahme der Fahrzeugbausparte der Stuttgarter Karl Baur Karosseriefabrik. Das Kompetenzspektrum verbreitert und vertieft sich laufend: Im Autobau verfügt IVM bereits über Erfahrung: Mit der Eigenentwicklung ›C 12‹ ging das Unternehmen unter die Autobauer. Allerdings stand bei diesem Sportwagen-Projekt die Zielsetzung im Vordergrund, die Leistungen des Engineering-Unternehmens ›faßbar‹ werden zu lassen. Nun ging IVM aber noch einen Schritt weiter. »Durch die Übernahme der Baur GmbH forcieren wir wesentlich die Schlagkraft in einem Markt, zu dem namhafte Firmen wie Karmann, Steyr-Daimler-Puch und Bertone gehören«, begründet Arpad Kiss, Geschäftsführender Gesellschafter der IVM-Gruppe, die Übernahme. Josef Freistetter, Vorsitzender der Sparte Automotive bei IVM, formuliert den Aufbruch zu neuen Ufern so: »Die Übernahme der Karosserie Baur GmbH zählt als weiterer strategisch wichtiger Schritt, die Prozeßfähigkeit im Rahmen von Engineering-Großprojekten sicherzustellen und den Nutzen für die Kunden zu erhöhen.« IVM übernimmt mit der Karosserie Baur GmbH knapp 100 Mitarbei- ter und ein Umsatzvolumen von rund 30 Millionen Mark im Automobilgeschäft. Zu den bisherigen Baur-Kunden gehören Audi, BMW, Daimler-Chrysler, Porsche, VW und Opel sowie Zulieferer wie Webasto, Nothelfer, Allgaier und Läpple. Bislang galt IVM als klassischer Engineering-Partner im Hintergrund. Freistetter aber sieht nun neue Positionen: »In den nächsten fünf Jahren erwarten wir einen absoluten Wachstumsmarkt, da die verschiedenen Varianten-Programme bei den Herstellern noch nicht abgeschlossen wurden.« Freistetter weiß, was hinter den verschlossenen Türen der Entwicklungsabteilungen abläuft – erzählt es aber natürlich nicht. Diskretion gilt als oberstes Gebot im EngineeringBusiness. 75 Prozent des Umsatzes im Automotivebereich Doch Vermutungen gibt es allenthalben: VW liegt auf Kurs, mit Bugatti und Bentley ins Luxussegment einzusteigen. Bei Daimler-Chrysler laufen nach der Fusion neue Programme an. BMW schlug mit Rover einen neuen Kurs ein. Zu den Hauptkunden des Entwicklers zählen BMW, DaimlerChrysler, VW und General Motors. 80 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet IVM mit diesen vier Konzernen. Seit Anfang des Jahres gehört IVM auch zu den Q1-Suppliern bei Ford. 75 Prozent des Gesamtumsatzes erzielt die IVM-Gruppe im Automotive-Bereich. Die zurückliegenden fünf Jahre verliefen rasant: 1994 zählte der Entwickler gerade mal 550 Mitarbeiter und erzielte 110 Millionen Mark Umsatz. Drei Jahre später hatten sich Mitarbeiterzahl und Umsatz verdoppelt. Für 1999 plant IVM einen Umsatz von 400 Millionen Mark mit Breites Kompetenzspektrum: Das IVMAngebot reicht vom Design über Konstruktion und Erprobung bis zur Betriebsmittel-Konstruktion und Fabrikund Anlagenplanung. Bilder: IVM 30 Automobil-Entwicklung · Juli 1999 Simultaneous Engineering Entwickler-Portrait IVM 2 000 Mitarbeitern – das Vierfache von 1994. »Wir konzentrieren uns strategisch auf die OEMs – mit dem Ziel, langfristige Partnerschaften aufzubauen«, erläutert Freistetter. Eine Zusammenarbeit mit Zulieferern, vorrangig Systemlieferanten der Hersteller, erfolgt meist nur in Folge eines Herstellerauftrags oder auf Grund einer bestimmten fachlichen Qualifizierung. Beispiele: Elektronik oder Leichtbau. Dort steht IVM in engem Kontakt mit führenden Automobilelektronik- und Aluminiumunternehmen. ternativer Antriebe, für bereits vorhandene Fahrzeugkonzepte sowie die Entwicklung im Bereich Sicherheitstechnik. Dazu gehören etwa Kopfairbag, Spezial- und Konzeptfahrzeuge. IVM bietet – salopp gesagt – alles: Vom Stylingstudio und Konzeption, CAD-Konstruktion, Simulation und Berechnung, Muster- und Prototypenbau, Erprobung, Betriebsmittel und Produktionsplanung bis hin zur technischen Dokumentation. Das IVM-Spektrum könnte mit den richtigen Partnern bis zur schlüsselfertigen Übergabe einer Fabrik reichen. Das führte IVM bislang zerne, die sich in parallelen Organisationsebenen ebenfalls mit den Themen, die uns gestellt werden, befassen«, erklärt er weiter. Die Koordination mit den – zum Teil an mehreren Standorten operierenden – Hersteller-Fachbereichen, die Projektorganisation, Abstimmung der Abläufe und Prozesse und die Einbindung der Systemlieferanten zählen laut Freistetter zu den »managementorientierten Aufgaben, die von den Herstellern immer stärker gefordert werden«. Noch umfasse, so Kiss, der Aufgabenbereich ›Prozeßorganisation‹ nur einen kleinen Prozentsatz des Geschäftsvolumens, »aber das wird sich ausweiten.« Multinationale Modellprojekte, etwa Mercedes M-Klasse oder Plattformstrategien wie bei VW, werden zunehmen. Als Engineering-Partner sitzt IVM bei solchen Projekten an mehreren Standorten mit im Team – als Engineering-Dienstleister, aber zunehmend auch als Integrator und Koordinator zwischen den Schnittstellen beim Kunden und zwischen Kunde, Lieferant und Entwickler IVM. Solche SE-Projekte sollen aufgrund der Zeitverschiebungen 24 Stunden am Tag laufen. Plattformkompetenz als Schwerpunkt Konkrete Beispiele für IVM-Arbeiten läßt sich Freistetter nicht entlocken, nur die generelle Marschrichtung: »Unser Volumengeschäft sehe ich in der Karosserieentwicklung mit dafür typischen Derivatoder sogenannten ›Hut‹-Programmen. Wir erarbeiten für bestehende Plattformen Derivate, etwa Kombis, Coupés oder Roadster, wobei wir zum Beispiel die komplette Karosseriezelle entwickeln.« Eine Nischenproduktion solcher Derivate – oder zumindest wesentlicher Baugruppen dafür – kann durch die Baur-Übernahme künftig nun ebenfalls angepeilt werden. Weiterer Schwerpunkte bei IVM: die ›Plattformkompetenz‹, also die Entwicklung von Fahrwerk, Antrieb, Integration neuer Motoren, auch al- im Automobilgeschäft aber nur ein Mal bei der Errichtung einer BusFertigung in Minsk durch. Als ganz wesentliches Thema neben den rein technischen Aufgabenstellungen zählt für Freistetter »die Beherrschung der Prozesse«. Kundenprojekte werden zunehmend komplexer, die Aufgaben und Anforderungen vielschichtiger. »Wir arbeiten in den Netzwerken großer Kon- Leistung zum Anfassen 440 PS stark, über 300 Kilometer pro Stunde schnell und 300 000 Mark teuer – der C12, ein Sportwagen, der aber nicht nur zum Fahren entwickelt wurde. Der Bolide, eine Schöpfung von IVM Engineering, geschaffen, »um unserer Arbeit, unsere Stärken und Fähigkei- ten an konkreten Entwicklungsleistungen zu zeigen«, so IVMChef Arpad Kiss. In enger Zusammenarbeit mit dem US-Partner Callaway Cars und GM (unter anderem als Lieferant für den Basismotor) sowie 35 Partnern in der Zulieferindustrie entwickelten die IVM-Spezialisten das Fahrzeug. Eine der C12-Besonderheiten: die Karosserie aus dem Hybridmaterial CFK/GFK/Kevlar. Ein weiteres Ziel, das IVM mit dem C 12 erreichen will: Mitarbeiter ließen sich leichter gewinnen, wenn die Arbeit anschaulich dargestellt werden könne. Sportwagen C 12: Mit der Neuentwicklung will IVM seine Leistungsfähigkeit ›erfahrbar‹ darstellen. Bild: IVM Automobil-Entwicklung · Juli 1999 ➔ 31 Simultaneous Engineering Entwickler-Portrait IVM Auch im Ausland fordern die Kunden lokale Präsenz. Globalisierung bedeutet daher für Kiss ein »Muß«. »Wir suchten schon vor Jahren weltweit Kooperationspartner oder gründeten eigene Geschäftsstellen«, erläutert der Firmenchef weiter. Von den rund 2 000 IVM-Mitarbeitern weltweit arbeiten etwa 500 im Ausland – an 26 Standorten in elf Ländern, darunter Österreich, Schweiz, England, Rußland, USA, Brasilien und China. Zwölf regionale Centers unterhält IVM in Deutschland. Seit gut fünf Jahren besitzt der Entwickler zudem ein eigenes Styling-Studio mit 20 Mitarbeitern in Barcelona. Josef Freistetter, Leiter der Sparte Automotive: »In den USA wird ›German Engineering‹ mit deutschen Mitarbeiter erwartet.« Kiss. Er kennt seine Kunden: sie wollen ihre Partner in ihrer Nähe – und zwar je näher desto besser. »20 Kilometer Entfernung können schon zuviel sein«, weiß Kiss aus eigener Erfahrung. Auch auf der Suche nach Engineering-Ressourcen scheut IVM keine weiten Wege. Qualifizierte Fachleute gibt es in Europa mittlerweile höchst selten. In Indien, Osteuropa oder auch Großbritannien sieht die Situation besser aus. Daher spielt Kiss mit dem Gedanken, »vielleicht ein Dienstleistungszentrum ›Fahrzeugentwicklung‹ mit entsprechendem Ingenieur-Pool beispielsweise in Indien aufzubauen«. Vielleicht sogar in Kooperation mit 25 Prozent des Umsatzes bereits im Ausland 25 Prozent des IVM-Umsatzes werden derzeit im Ausland erwirtschaftet – Tendenz steigend. »Unsere Kunden gehen diesen Schritt und wir gehen mit«, so Kiss. Vor dem Hintergrund der Daimler-Chrysler-Fusion und der neuen Rollenverteilung in der BMW-RoverEhe rechnet der IVM-Chef mit verstärktem Engagement in Großbritannien und den USA. Ferner laufen Planungen für ein China-Projekt. Und Brasilien? »Da bewegt sich jetzt auch wieder mehr...« »Überall dort, wo unsere KeyOne-Clients agieren, erscheinen wir mit lokalen Büros vor Ort«, erklärt 32 Automobil-Entwicklung · Juli 1999 einem der IVM-Kunden. Das zentrale Engineering-Center mit 320 Mitarbeitern steht heute in Bad Friedrichshall. Dort, vor der Haustür des Audi-Kompetenz-Centers Aluminium im Audi-Werk Neckarsulm, werden unter anderem auch die Aluminium-Aktivitäten des Entwicklers konzentriert. Zwischen 80 und 250 Mitarbeiter zählt jedes Regional Center. »Die Nähe zu unseren Kunden ist eine unserer Stärken – auch gegenüber dem Wettbewerb«, bekräftigt Kiss und das solle auch so bleiben. Auch daher wurde zum 1. Januar diesen Jahres eine Neuordnung der Steckbrief: IVM Engineering Gegründet 1968 von Julius Kiss als ›Ingenieurdienstleistung für Verfahrenstechnik und Maschinenbau‹ Geschäftsführender Gesellschafter: Arpad Kiss Mitarbeiter: 1 700 Planung für Ende 1999: 2 000 davon IVM Automotive: 1 500 davon Engineering-Center: Bad Friedrichshall: 320 davon Ausland: 500 Umsatz 1998: 340 Mio. Mark Prognose 1999: 400 Mio. Mark Umsatzanteil Automotive: 75 % Umsatzanteil Ausland: 25 % Standorte: Hauptverwaltung: München; 26 Regional Center in elf Ländern; 13 Niederlassungen in Deutschland Hauptkunden: BMW, Daimler-Chrysler, General Motors, VW Wettbewerber: Gesamtfahrzeug: Steyr, Porsche; Karosserie: EDAG, Karmann; Aggregate: AVL, IAV ➔ Arpad Kiss, Geschäftsführender Gesellschafter IVM Engineering: »Wir konzentrieren uns strategisch auf die OEMs.« IVM in fünf Sparten realisiert: Automotive, Railsystems, Productionsystems, Schulung/Training und IT Business Solutions. Ziel der ›Flurbereinigung‹, so Kiss, sei die konsequente Bündelung des Know-hows. »Die spezifischen Fähigkeiten der Standorte sollen übergreifend zum Einsatz gelangen. Gleichzeitig wurden jetzt Verantwortlichkeiten noch klarer definiert und Handlungsspielräume deutlicher abgesteckt.« ›Entwicklungen im interdisziplinären Netzwerk‹ – lautet die Parole. Die Regional Center besitzen für ihre tägliche Arbeit Autonomie. Die engere Vernetzung der Standorte und damit die Optimierung des Know-how-Austausches soll darüber hinaus zu einer besseren Nutzung des verfügbaren Wissens innerhalb der Sparten, aber auch spartenübergreifend führen. Kurz, es soll ein EngineeringNetzwerk entstehen, an das alle IVM-Standorte angeschlossen sind – im ersten Schritt in Deutschland, mittelfristig weltweit. Rund 50 Millionen Mark wird IVM noch in diesem Jahr in neue, leistungsfähigere elektronische Medien und Informationstechnologien für die deutschen Standorte investieren.