automobil entwicklung 4/00 - neue
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automobil entwicklung 4/00 - neue
Technology Werkstoffe Drei Monate bis zur fertigen Karosse Engineering-Dienstleister IVM Automotive entwickelte für seinen Supersportwagen C12 die weltweit erste Außenhaut in eingefärbtem Sicht-Carbon. Die Manager Dieter G. Bulling und Eberhard Walz erläutern den komplexen Weg bis zum Fertigprodukt. Herr Bulling, seit zwei Jahren bietet IVM Automotive die Eigenentwicklung C12 mit einer Karosserie in Verbund-Bauweise Carbon/Kevlar an. Warum nun eine weitere Version mit Sicht-Carbon? In erster Linie wollen wir unsere Entwicklungs-Kompetenz auf diesem Gebiet demonstrieren. Der Einsatz von üblichen Carbon-Fasern im Automobil an sich stellt ja keine umwerfende Neuheit dar, neu ist nunmehr die weltweit erstmalige Anwendung von SichtCarbon bei der kompletten Karosserie. Wir wollen sozusagen den Werkstoff einmal pur zeigen. Zur ›weiteren Version‹: Es war eigentlich nicht daran gedacht, das Fahrzeug in dieser Variante für den Markt zu fertigen. Auf Bestellung hin würden wir aber liefern. Anfragen gab es bereits. Fest steht jedenfalls, dass es nicht bei diesem einzelnen für die Straße zugelassenen Fahrzeug bleiben wird. Was genau bedeutet ›Sicht-Carbon‹? Auf einen kurzen Nenner gebracht: in unserem Fall blau eingefärbte, exakt und ohne Bruchkanten gelegte Carbon-Gewebematten, die mit einer Klarlackschicht versehen werden. Welche Besonderheiten mussten bei Ihrer Entwicklung beachtet werden? Man benötigt ganz spezifische Kenntnisse zur Verarbeitung von Sicht-Carbon. Verlangt werden äußerste Präzision bei gleichzeitig hohem Aufwand. Tauchen Kotflügel in Sicht-Carbon: Der optische Effekt ergibt sich aus dem Gewebemuster der blau eingefärbten Carbonfasern plus darüber liegender Klarlack-Deckschicht. Bild: IVM Automotive 42 Automobil-Entwicklung · Juli 2000 Dieter G. Bulling, Geschäftsführer IVM Automotive, Bad Friedrichshall: »Von der Entscheidung, in SichtCarbon zu bauen, bis zur fertigen Außenhaut vergingen nur drei Monate.« Personenbilder: AE/sk Eberhard Walz, Fachabteilungsleiter Konstruktion Ausstattung, IVM Automotive, Bad Friedrichshall: »Mit jeder weiteren SichtCarbon-Komponente, die wir fertigten, wurden die Teile reproduzierbarer.« beispielsweise bei herkömmlicher Lackierung Fehler auf, so lassen sich diese relativ einfach mittels Spachteltechnik korrigieren. Bei Sicht-Carbon lässt sich nichts korrigieren. Herr Walz, können Sie weitere Einzelheiten nennen? Die in Harz getränkten Carbon-Fasern werden mit etwa 0,95 bar Unterdruck in Form gesaugt. Während dieses Vorganges muss verhindert werden, dass sich die Fasern verformen und ›schief‹ laufen. Der kleinste derartige Fehler hätte katastrophale Auswirkungen auf die Optik. Zudem muss der Faserverlauf symmetrisch so abgestimmt werden, dass sich über das gesamte Fahrzeug ein stimmiges Fischgrätmuster ergibt. Und: Es existieren nur wenige Verfahren, Carbon einzufärben. Zu unserer Eigenentwicklung auf diesem Gebiet möchte ich nur sagen, dass aus bestimmten Gründen nicht alle Farben geeignet sind. Konnten Sie auf die vorhandenen Formen zurückgreifen? Nein, denn durch die Verwendung von Sicht-Carbon wird die Freiheit bei der Gestaltung eingeschränkt, anders als bei üblichen Carbon-Fasern. Deswegen änderten wir die vorhandenen Formen in Richtung Berücksichtigung des optisch gewünschten Faserverlaufs – mit entsprechenden Radien, ohne Kanten, ohne Brechung. Diese ›neuen‹ Formen setzen wir im Übrigen nun auch bei der Basis-Variante des C12 ein. Insofern brachte die Entscheidung zum Bau der Sicht-Carbon-Version eine Optimierung für das ursprüngliche Modell mit sich. Setzen Sie die Außenhaut aus Komponenten zusammen? Bulling: Inklusive der Innenradhäuser verwenden wir 15 einzelne Komponenten, die zum Teil mit Aluminium-Schrauben verschraubt, zum Teil aber auch miteinander verklebt werden. Technology Werkstoffe gung, was den Menschen betrifft. Die Erfahrung des Einzelnen spielt eine enorm wichtige Rolle. Aus diesem Grunde wäre eine Massenfertigung unserer Sicht-Carbon-Karosserie auch kaum denkbar. Worin liegt das eigentliche Fertigungs-Geheimnis? Eigenentwicklung C12 Carbon: IVM Automotive baut das weltweit erste Auto mit Sicht-Carbon für die Außenhaut. Bild: IVM Automotive Wie lange dauerte die Entwicklung? Von der Entscheidung, dass wir in Sicht-Carbon bauen wollten, bis zur ersten fertigen Karosserie drei Monate. Die Methode, eine Kohlefaser-Karosserie herzustellen, gilt als Stand der Technik. Entscheidend vielmehr ist die Beherrschung des gewünschten Faser-Verlaufes. Und das wiederum hängt von der Fähigkeit ab, entsprechende Werkzeuge herzustellen. Mit der Beachtung nicht zu kleiner oder zu großer Radien, um keine Knick-Effekte zu bekommen. Und dann natürlich die Oberflächentechnik. Etwa wie sich das Carbon sichtbar darstellen lässt bei gleichzeitig angestrebter Top-Oberfläche. Da fließen viele Dinge ein: unterschiedliche Harze, die Dicke der Harzschicht, oder unterschiedliche Einfärbmethoden. Führten Sie Crash-Versuche durch? Wie viele Prototypen mussten geopfert werden? Je nach Komponente unterschiedlich. Manche Teile erwiesen sich beim ersten Schuss als i.O., andere beim zweiten, und lediglich bei einer Komponente klappte es wegen des Kantenverlaufs erst beim dritten Mal. Lassen sich die Ergebnisse reproduzieren? Walz: Mit jeder weiteren Komponente, die Sie bauen, werden derartige Teile reproduzierbarer. Dennoch bleibt ein gewisser Unsicherheitsfaktor. Wenn die Fertigung eines Teiles beispielsweise beim zweiten Mal klappte, bedeutet das nicht, das das so bleiben muss. Ich möchte es eher so ausdrücken: Wenn etwa zunächst vier Teile zweimal gefertigt werden mussten, sind es beim nächsten Mal eben nur noch drei. Das klingt nach relativ geringem Ausschuss? Ausschuss im eigentlichen Sinn fällt bei uns nicht an. Die ausgesonderten Komponenten weisen beispielsweise keine strukturellen Mängel auf, sie genügen aus optischen Gründen nur nicht unseren Ansprüchen, den wir an Sicht-Carbon stellen. Diese Teile können im ›Basis‹-C12, der bekanntlich konventionell lackiert wird, verbaut werden. Dennoch, wie lässt sich die ›Bandbreite‹ erklären? Bulling: Es liegt einfach ein sehr individueller Prozess vor. Anders ausgedrückt, es gibt nur wenig Flexibilität in der Ferti- 44 Automobil-Entwicklung · Juli 2000 Nicht mit der kompletten Außenhaut. Das wäre dann doch zu kostspielig gewesen. Mit einzelnen, für SichtCarbon tauglichen Komponenten aber schon. Herr Bulling, IVM Automotive brachte 1998 das C12 Coupé in Carbon/Kevlar-Bauweise heraus, 1999 folgte das Cabrio, im Jahr 2000 der Sicht-Carbon C12. Welche Überraschungen planen Sie für die kommenden Jahre? Sicht-Carbon beherrschen wir jetzt. Insofern sei einmal dahingestellt, ob es diese Bauweise unbedingt weiter sein muss. Ich sehe eigentlich mehr das Thema Composit-Materialien insgesamt. Oder auch das der nachwachsenden Rohstoffe. Da könnte ich mir durchaus etwas Interessantes vorstellen. Kurzdaten: IVM Automotive IVM Automotive, München, (vormals Geschäftsfeld AutomobilEntwicklung der IVM Engineering Gruppe, München) fungiert nach einer Neuorganisation seit dem vergangenen Jahr als unabhängige Sparte der Gruppe. Standorte: Engineering Center, Fachcenter: Bad Friedrichshall Automobil-Elektronik: Stuttgart Erprobung, Techn. Berechnung: München Außenstellen: Stuttgart, Rüsselsheim, Ingolstadt, München, Sindelfingen, Wolfsburg, Berlin, Hamburg, Chemnitz Umsatz: 330 Millionen Mark (1999), 370 Millionen Mark* (2000); Gesamte Gruppe: 440 Millionen Mark (1999), 470 Millionen Mark* (2000) Mitarbeiter: 1 750 (international); Gesamte Gruppe 2 200 (1999), 2 500 (in 2000 geplant) Dienstleistungen: Gesamtfahrzeug-Entwicklung vom Konzept bis zur Serienfertigung in den Geschäftsfeldern Pkw, Nfz, Zweirad Produkt: Supersportwagen C12 Coupé, C12 Cabrio, C12 Carbon Kunden: U.a. Audi, BMW, VW, Daimler-Chrysler, General Motors * AE-Schätzung