"Cyberbullying" - kann der Senat nur hilflos

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"Cyberbullying" - kann der Senat nur hilflos
Drucksache 16 / 13
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Kleine Anfrage
16. Wahlperiode
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Clara Herrmann (Bündnis 90/ Die Grünen)
vom 16. November 2009 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. November 2009) und Antwort
"Happy-slapping" und "Cyberbullying" - kann der Senat nur hilflos zuschauen?
Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre
Kleine Anfrage wie folgt:
1. Wie schätzt der Senat die Verbreitung von "Happy-slapping" (bzw. "Bitch-Slapping") und "Cyberbullying" in Berlin ein, im Rahmen dessen Jugendliche und
zunehmend immer jüngere Kinder, ihre Quälereien an
anderen mit Handykameras aufnehmen und diese Clips
anschließend unter einander versenden und im Internet
veröffentlichen bzw. Personen mittels Nutzung neuer Informations- und Kommunikationsmethoden verletzten
und belästigen? Wie ordnet der Senat den Anteil von
"Happy slapping" und "Cyberbullying" innerhalb der Gewaltbereitschaft und Gewalttaten von Kindern und Jugendlichen ein?
Zu 1.: Aus polizeilicher Sicht ist kein Trend bei der
Verübung von Straftaten durch Kinder und Jugendliche
zu „Happy-slapping“ und „Cyberbullying“ erkennbar.
Nachdem im Jahr 2006 eine begrenzte Anzahl von Taten
dieses Phänomens die Aufmerksamkeit erregte, liegt die
berlinweite Anzahl entsprechender Anzeigen anhand einer Einschätzung der Leiter der sechs Kommissariate für
Jugendgruppengewalt in Berlin bei ca. 20 jährlich. Eine
entsprechende Recherche in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ist wegen nicht vorhandener Schlüsselzahlen nicht möglich.
In den Jahren 2005/06 waren Vorfälle von „Happyslapping“ an Schulen verstärkt beobachtet worden.
Daraufhin wurden die „Notfallpläne für die Berliner
Schulen“ im März 2006 um die Themenblätter gewaltdarstellende Medien- „Happy-slapping“ und „Snuff-Movies“
erweitert. Diese klären auf und geben Lehrkräften Handlungsanweisungen. Statistische Daten zum Vorkommen
wurden und werden nicht erhoben.
2. Welche Angaben liegen dem Senat über die Fallzahlen und zur Altersstruktur derer vor, die an "Happyslapping" und "Cyberbullying" als Täter/innen oder Opfer
beteiligt sind? Wir bitten um eine detaillierte Darlegung
der Ergebnisse unter Angabe der Gewalttaten und Folgen
für die Opfer, aufgeschlüsselt nach Bezirken der Jahre
2007 und 2008, so wie der drei ersten Quartale 2009. In
wie vielen Fällen wurde Strafanzeige gegen die Täter/innen erhoben? In wie vielen Fällen erfolgte eine ambulante oder stationäre medizinische Behandlung der
Opfer? Wie ist das Geschlechterverhältnis bei Täter/innen
und Opfern? Sollten dem Senat bislang keine konkreten
Angaben vorliegen, welche Schritte sind in welchem Zeitraum geplant, um diese Daten zu ermitteln?
Zu 2.: Im Rahmen von Schule erfolgten bis Juli 2009
keine Erhebungen zum Vorkommen von „Happy-slapping“ und „Cyberbullying“. Dies ist insoweit auch
schwierig, da die Gewalttaten meist außerhalb der Schule
erfolgen. Eine Offenlegung ist von der Information der
Schule durch Betroffene oder „Entdecker“ abhängig.
Seit 07.08.2009 gilt das „Informationsschreiben zum
Umgang mit Gewalt- und Notfallsituationen an Berliner
Schulen“, das direkt mit den „Notfallplänen für die Berliner Schulen“ verknüpft ist. Daraus ergibt sich eine Pflicht
der Schule zur Aufarbeitung bei Fällen, die gewaltdarstellende Medien nutzen. Dies beinhaltet die Arbeit mit
Tätern und Opfern als auch die Pflicht zur Meldung.
Aktuell liegen noch keine Daten vor. Eine Auswertung im
Schuljahr 2009/10 wird erfolgen.
Da weder „Happy-slapping“ noch „Cyberbullying“
eigenständige Straftatbestände sind, liegen hierüber in der
PKS und bei der Justiz keine statistischen Daten vor. Eine
Erhebung ist derzeit nicht geplant.
3. Wie setzt sich der Senat dafür ein, dass die Opfer
von "Happy-slapping" und "Cyberbullying" nach einer
medizinischen Erstversorgung psychisch betreut werden?
An wen können sich betroffene Kinder und Jugendliche
bzw. deren Erziehungsberechtigte, Lehrer/innen und
Freund/innen wenden? Gibt es anwendbare Strategien
zum Schutz vor "Happy-slapping" und "Cyberbullying"
und wenn ja welche und wie und wo werden sie verbreitet?
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Zu 3.: Die psychologische Erstbetreuung von Opfern
im Rahmen von Schule erfolgt durch die Schulpsychologie, speziell durch die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen für Gewaltprävention und Krisenintervention. Diese beraten auch deren Erziehungsberechtigte,
Lehrkräfte und Freunde/innen.
Die Vermittlung von Toleranz und Respekt untereinander und die gegenseitige Achtsamkeit in der Gleichaltrigengruppe ist Teil der Programme zum „Sozialen
Lernen“ in der Schule und beinhaltet auch die Aufklärung
über die Gefahr und die Folgen des Missbrauchs von
Internet und Handys.
Öffentlichkeitsarbeit zur Sensibilisierung von Kindern,
Jugendlichen, Pädagoginnen und Pädagogen und Eltern
zu den Gefahren von „Handy-slapping“ und „Cybermobbing“. In diesem Jahr fand die Auftaktveranstaltung
dafür gemeinsam mit der Initiative klicksafe.de zum Safer
Internet Day 2009 am John-Lennon-Gymnasium statt.
Neben Informationsveranstaltungen für Pädagoginnen
und Pädagogen, Workshops mit Schülerinnen und Schülern wurde gemeinsam mit weiteren Partnern ein Elternabend zu diesem Thema organisiert.
In Medienkompetenzzentren und an Schulen wurden
ebenfalls Workshops und Informationsveranstaltungen zu
diesen Themen organisiert. Gemeinsam mit der FriedrichEbert-Stiftung und der Fachhochschule Köln wurde eine
Tagung zum Thema ‚Jugendliche in sozialen Netzwerken’
im September 2009 organisiert und die Themen Cybermobbing (Cyberbullying) und Datenschutz standen dabei
ebenfalls im Mittelpunkt der Diskussion, besonders mit
Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften. Dabei zeigte
sich ein großer Beratungs- und Diskussionsbedarf.
4. Welche kurz- und langfristigen Konsequenzen hat
die nachweisliche Beteiligung an "Happy-slapping" und
"Cyberbullying" a) für Minderjährige und b) für Volljährige?
Zu 4.: Entsprechend dem jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder, Jugendlichen oder Heranwachsenden
können einzelfallbezogen unterstützende Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) - Hilfen zur Erziehung - in Anspruch genommen werden; dies gilt für
die Täter/innen, Opfer und Eltern bzw. andere Erziehungsberechtigte.
Gemeinsam mit dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wurde durch das Landesprogramm „jugendnetz-berlin“ ein Booklet für Jugendliche herausgegeben mit Tipps und Empfehlungen zum
sicheren Umgang mit persönlichen Daten. Dieses Booklet
wurde Bezirksämtern, Jugendeinrichtungen und Schulen
zur Verfügung gestellt.
Durch ‚jugendnetz-berlin’ werden in Kooperation mit
der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und klicksafe.de
Veranstaltungen für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte
und Eltern zu den Themen Datenschutz und Cybermobbing für das Jahr 2010 vorbereitet, die durch das Berliner
Qualifizierungsprogramm BITS 21 organisiert werden.
Auftakt soll der Safer Internet Day 2010 sein, an dem in
den Medienkompetenzzentren in allen Berliner Bezirken
thematische Veranstaltungen stattfinden sollen. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit wurde mit SchülerVZ und
StudiVZ entwickelt und es werden ebenfalls gemeinsame
Veranstaltungen durchgeführt.
Aktuelle Informationen und Unterlagen werden auf
dem Berliner Jugendportal www.jugendnetz-berlin.de
veröffentlicht.
Im Rahmen der Schule kommen Erziehungs- und
Ordnungsmaßnahmen nach §§ 62, 63 Schulgesetz zur
Anwendung. Neben dem Aspekt der Grenzsetzung und
schnellen Sanktionierung der Tat steht die Aufarbeitung
und Erarbeitung von Maßnahmen zur Wiedergutmachung
im Mittelpunkt. Unabhängig von der Altersgruppe wird
dieser Prozess bei Bedarf begleitet durch die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, oft auch in Kooperation mit der Polizei.
Sofern nachweislich Straftaten vorliegen, werden diese im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften verfolgt und
geahndet. Je nach Alter des Täters/der Täterin finden die
Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes bzw. des Strafgesetzbuches Anwendung.
5. Hat der Senat Maßnahmen eingeleitet, die Öffentlichkeit und insbesondere Jugendliche und Kinder für die
Gefahren von "Happy-slapping" und "Cyberbulling" zu
sensibilisieren und wenn ja, welche? Wird "Happyslapping" und "Cyberbullying" innerhalb der Programme
zur Gewaltprävention behandelt und wenn ja, wie und
welche Erfahrungen liegen dem Senat dazu vor? Welche
Art von Aufklärungsarbeit erfolgt in und außerhalb des
Unterrichts an den Schulen und wie werden Lehrer/innen
und Eltern in die Arbeit einbezogen und diesbezüglich
über die Gefahr zur Verletzung ihrer Fürsorge- oder Erziehungspflicht nach § 171 StGB informiert?
Innerhalb des Programms der Polizeilichen Kriminalprävention (ProPK) gibt es abgestimmte bundesweite
Maßnahmen und Medien, um Kindern und Jugendlichen
Medienkompetenz zu vermitteln und sie vor Gefahren im
Internet zu warnen. Die Broschüre Klicks-Momente
richtet sich an Schülerinnen und Schüler und Eltern.
In das Medienpaket „Abseits“ wurde das Thema Handygewalt/Opferschutz in Kooperation mit dem Informationszentrum Mobilfunk e. V. im Jahr 2008 aufgenommen. Es richtet sich an die Zielgruppe Schülerinnen und
Schüler, Lehrkräfte und Eltern und zeigt die Konsequenzen von „Happy-slapping“ für Täter und Opfer auf.
Unter Berücksichtigung des Mehrebenenansatzes wird auf
die Förderung der Empathiefähigkeit bei Tätern, den
Opferschutz, die Entwicklung von Handlungsoptionen bei
Opfern und die Aktivierung des Zeugen- und Helferver-
Zu 5.: Der Senat fördert die Medienbildung von Kindern und Jugendlichen in der außerschulischen Jugendarbeit, die Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern und in Informationsveranstaltungen für Eltern mit
dem Berliner Landesprogramm ‚jugendnetz-berlin.de’. Im
Rahmen dieses Programms fördert der Senat eine breite
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Helferverhaltens abgezielt. Das Medienpaket wurde an
die Berliner Schulen verteilt und stieß auf reges Interesse.
Unabhängig davon finden regelmäßig durch die Präventionsbeauftragten der Polizeiabschnitte Anti-GewaltVeranstaltungen in Berliner Schulen statt. Durch die
Zentralstelle für Prävention werden in speziellen Lehrkräftefortbildungen die oben angeführten Phänomene behandelt.
6. In welchem Austausch steht der Senat bundesweit
zur Bekämpfung der Verbreitung von selbstinszenierter
medialer Gewalt unter Kindern und Jugendlichen und
welche Maßnahmen konnten bisher auf Landesebene umgesetzt werden?
Zu 6.: Das Berliner Landesprogramm „jugendnetzberlin“ ist Kooperationspartner von ‚klicksafe.de’, einer
Initiative, die seit 2004 im Auftrag der Europäischen
Kommission Internetnutzern den kompetenten und kritischen Umgang mit neuen Medien vermittelt (Schulungen,
Materialien, Veranstaltungen). Gemeinsam mit dieser Initiative finden jährlich in Berlin Veranstaltungen zum
Safer Internet Day, Aktionen auf der Jugendmesse und
der Funkausstellung und zu Fachtagungen statt.
Das Berliner Landesprogramm ‚jugendnetz-berlin’ ist
ebenfalls Partner der Kampagne „watch your web“ des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zum verantwortungsvollen Umgang mit persönlichen Daten durch junge Menschen. Kinder und Jugendliche sollen über ihre Rechte zur informellen Selbstbestimmung aufgeklärt und darüber informiert werden, wie
sie sich und ihre Daten schützen können.
Die Angebote des bundesweiten Fachkräfteportals der
Kinder- und Jugendhilfe werden mitgestaltet und genutzt.
Weitere Partnerschaften bestehen mit den bundesweiten Initiativen „D 21“ und „Deutschland sicher im
Netz“.
Die Berliner Polizei steht im Austausch mit einer
zentralen Koordinierungsstelle für Internetrecherchen
beim Bundeskriminalamt. Beim Landeskriminalamt wurde eine Fachdienststelle für anlassabhängige Internetrecherchen eingerichtet.
Berlin, den 18. Dezember 2009
In Vertretung
Claudia Zinke
Senatsverwaltung für Bildung,
Wissenschaft und Forschung
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Januar 2010)
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