Punk Jews! Ein Film über das neu erwachte

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Punk Jews! Ein Film über das neu erwachte
№ 5 November 2014 JÜDISCHE RUNDSCHAU
JUDEN UND JUDENTUM
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Platz ist in der kleinsten Hütte
Wahre Liebe gedeiht auch auf kleinstem
Raum. Das gilt nicht nur im Judentum,
aber ganz bestimmt fürs Jüdische Museum
der Schweiz.
Von Armin H. Flesch
»Können Sie uns sagen, wie wir zum Jüdischen Museum kommen?« Wer sich in
Basel auf die Suche nach dem Jüdischen
Museum – immerhin dem einzigen in der
Schweiz – macht, sollte keinen repräsentativen Bau erwarten wie in Berlin oder
Frankfurt am Main. Die Schweiz ist ein
bescheidenes Land. Und so hat das Jüdische Museum in Basel weniger Platz zur
Verfügung als manches moderne, gutverdienende Liebespaar. Wenn dann 130
geladene Gäste zur Vernissage kommen,
ist es entschieden zu klein, um alle aufzunehmen. So fand die Eröffnung der neuen
Ausstellung »Gesucht ... Gefunden, Partnerschaft und Liebe im Judentum« im
»Cercle« statt, einem Saal schräg vis-à-vis.
»Partnerschaft und Liebe – kann man
das ausstellen? Und welches der beiden
Stichworte ist das wichtigere?«, fragt
Gaby Knoch-Mund, Leiterin des Jüdischen Museums der Schweiz, in ihrer
Begrüßung. Was vorderhand nur die im-
materielle Beziehung zweier Menschen
zueinander bezeichnet, verdinglicht sich
gleichwohl in vielerlei Weise. Im jüdischen Kontext kommen noch ein paar
besondere Dinge hinzu, und all das kann
man natürlich ausstellen.
Ob handgeschriebene und reichverzierte Eheverträge, filigrane oder kunstvoll aufgetürmte Hochzeitsringe oder die
Chuppa, der Traubaldachin, unter dem
eine jüdische Ehe geschlossen wird, alles
ist dabei. Aber die Partnerschaft beginnt
nicht erst mit der Hochzeit, und fragt
man sich, »was mit der Liebe sei«, welche Formen der Liebe es nach jüdischer
Vorstellung gebe und welche Rolle die Sexualität im Judentum spielt, so geben die
Exponate und der von zahlreichen Autoren lehr- und abwechslungsreich verfasste
Katalog auch hierüber Auskunft. Die vielleicht jüdischste aller jüdischen Besonderheiten zum Thema ist die Vermittlung der
künftigen Partner durch den Schadchan,
einen professionellen jüdischen Heiratsvermittler. Der Schidduch wird nicht nur
im streng orthodoxen Judentum praktiziert und darf natürlich nicht fehlen. Mit
Simantov International ist die älteste jüdische Partnervermittlung Europas Teil
der Ausstellung.
Weil der Raum im Innern des Museums höchst begrenzt ist und deshalb der
Innenhof – wetterunabhängig – ebenfalls
genutzt werden sollte, fand Kuratorin
Claudia Glass im »urban gardening« eine
kongeniale Ausdrucksform für eines der
ältesten und bezauberndsten Beispiele
jüdischer Liebeslyrik: Schir ha-Schirim.
»Sie haben mich zur Hüterin der Wein-
berge gesetzt.« In ihrer charmanten und
launigen Eröffnungsrede zitiert Glass das
Hohelied der Liebe nicht ohne Selbstbezug und erklärt, wie ihr urbaner Garten
der Liebe das Hohelied zum Blühen bringen und den transitorischen Besucher
zum lustvollen Verweilen einladen soll:
»Du bist gewachsen wie ein Lustgarten
von Granatäpfeln, mit edlen Früchten,
Zyperblumen mit Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Weihrauchsträuchern, Myrrhe und Aloe mit allen feinen Gewürzen. Ein Gartenbrunnen
bist Du ...« So lebendig und vielgestaltig
wie die Liebe (nicht nur) im Judentum.
»Können Sie uns sagen, wie wir zum
Jüdischen Museum kommen?« Als wir
am Tag der Vernissage den erstbesten
Passanten nach dem Weg fragen, haben
wir Glück. Er kennt den von außen wenig
eindrucksvollen Ort und führt uns bis zur
Ecke Kornhausgasse. Hier nehmen uns
Mitarbeiter des Museums am Eingang
des Cercle in Empfang und die Dinge
ihren Lauf. Gesucht … Gefunden. Bis
Ende 2015 soll die Ausstellung offen sein,
»bis der Tag kühl wird und die Schatten
schwinden.« Es wäre ihr zu wünschen,
dass noch viele sie suchten ... und fänden.
Punk Jews! Ein Film
über das neu erwachte Jüdisch-Sein
Von Clemens Heni
Seit einigen Jahren gibt es eine verstärkte
Hinwendung von Juden in Amerika zu
ihrem Jude-Sein, ein bewussteres Leben
als Jude. Das ist die Message des Independent-Films Punk Jews von 2012, der
seit Ende Oktober 2014 frei im Internet
zugänglich ist. Einer der Producer, Evan
Kleinman, ist auf Facebook und dort
kann man sich über dieses Filmprojekt
informieren. Jetzt gibt es den Streifen im
Internet.
Na klar, es geht los mit einem ehemals
ultraorthodoxen und auf seine Weise immer noch ultraorthodoxen Punkmusiker,
Yishai Romanoff, der über den Dächern
von New York (bevorzugt in Brooklyn)
locker »500.000 mal« sein »Schma Jisrael« als eine Art Liebeserklärung an das
Judentum hinausbrüllt, und das jeden
Morgen, dann fühlt sich der Tag erst so
richtig gut an für ihn. Er ist Leadsänger der
Punkband Moshiach Oi, die Jüdisch-Sein
und Punk auf recht individuelle Art und
Weise verbindet. So etwas konnte nur in
der Stadt des Punk entstehen, New York,
der Stadt der Ramones. Der Film Punk
Jews ist jedoch weit mehr als nur eine Art
weiteres Kapitel von Steven Lee Beebers
geheimer Geschichte des jüdischen Punk,
die 2006 erstmals in Englisch erschien. Es
ist mehr, weil Evan Kleinman und seine
Kollegen den Begriff »Punk« viel weiter
fassen. Für sie ist Punk-Sein ein Ausdruck
von Rebellion, Kritik, Nicht-Einverstanden-Sein, von Dissens und nicht Konsens,
und hat mit dem Musik-Geschmack nur
sekundär etwas zu tun. Yishai Romanoff
preist G’tt, »Baruch Hashem: Praise
God« heißt es in einem seiner Songs.
»Tora Harcore« ist ein Motto der Band.
Isaac Schonfeld ist der Gründer von
»Cholent«, einer wöchentlichen Versammlung von Juden aller Richtungen,
orthodox, ultraorthodox, weltlich, arm,
reich, links, rechts, gläubig, ungläubig
und sicher auch solchen Leute, die »ausbrechen« wollen aus dem Herkömmlichen. Es ist ein Ort, wo super religiöse mit
total areligiösen Juden nebeneinander
beim Konzert stehen und eventuell ins
Gespräch kommen. Etwas Einzigartiges
selbst für New Yorker Verhältnisse, wie
einige Protagonisten im Film betonen.
Beim Dreh hatten manche Panik, dass sie
zu sehen sein würden und sie dann von
ihren Familien mächtig Ärger bekämen
bis hin zum Verstoßenwerden. Auch hier
geht es um eine Art Punk-Rock-Musik mit
Klezmer-Einschlag, um einen nur durch
Mundpropaganda bekannten Treffpunkt
einer Art Gemeinde, wo Juden aller Generationen Spaß haben können, singen,
tanzen, diskutieren, trinken, abhängen
oder entspannen. Sehr underground, sehr
New York City. »Cholent«, wie ein Gericht heißt, das immer donnerstagabends
serviert wird, als Aufhänger für krasse
Events.
Amy Yoga Yenta, eine vielleicht 65-jährige, Jiddisch-sprechende Yoga-Enthusiastin, tritt auf verschiedenen Events auf
und macht unglaubliche Yoga-Übungen,
die nicht gerade gesund oder bequem aussehen. Aber das ist auch nicht das Motto,
es geht um Punk Jews. Dann gibt es die
tatsächlich weder in Europa noch den
USA wirklich bekannte Geschichte der
schwarzen Juden. Ca. 400.000 Juden in
USA sind Schwarze, was auch viele nichtschwarze Juden in USA kaum wissen.
Viele weiße Juden fragen mitunter nach:
»Wann wurdest du denn Jude, also wann
gab es eine Konversion«? Darauf schütteln die schwarzen Juden nur den Kopf.
Sie sind genauso seit Jahrhunderten Juden
wie andere Juden, wie es im Film heißt.
Neben Punk-Rock-Musikern kommen
somit im Film auch nicht weniger geniale
HipHop-Musiker wie Y-Love vor.
Eine sehr nachdenkliche, dramatische
und erschütternde Version von Punk Jews
kommt gleich als zweite Geschichte in
dem Film: Es geht um das Aufdecken von
sexuellem Missbrauch in der ultraorthodoxen Gemeinschaft von New Square,
40 Autominuten von New York entfernt.
Eine extrem religiöse Gemeinschaft, wo
Frauen und Männer getrennte Bürgersteige benutzen müssen. Doch vor Jahren
wagte ein junger Mann den Ausbruch:
Kal Holczler, der Gründer der »Voices
of Dignity« («Stimme der Würde«). Er
wurde als Junge von einem ultraorthodoxen männlichen jüdischen Bewohner der
abgeschlossenen Gemeinde sexuell missbraucht. Auch eine Verwandte von Kal
wurde jahrelang als Kind missbraucht.
Sie wollen das aufdecken, ohne sich selbst
komplett vom Judentum loszusagen, so
jedenfalls Kal. Die sexuelle Gewalt muss
aufhören, ebenso wie die völlig grotesken
geschlechtsgetrennten Bürgersteige etc.
Am Ende wird in Punk Jews eine jiddische Theatergruppe porträtiert, die »Sukkos Mob«, die Straßentheater spielen, wie
auf dem beliebten Union Square mitten in
Manhattan. Sie wollen ihr Jüdisch-Sein
mit Jiddisch in Verbindung bringen und
diese Sprache, die durch die Ermordung
von Millionen Jiddisch sprechender Juden
in der Shoah so gut wie ausgestorben ist,
ein ganz klein wenig am Leben erhalten
bzw. reaktivieren. Selbst Nicht-Juden sind
an diesem Projekt in New York beteiligt.
Doch der allzu beliebte Klezmer-Kitsch
stellt sich hier kaum ein, da das Theater zu
absurd oder komisch ist und wir es immer
mit Punk Jews zu tun haben.
Ein Independent-Film, der faszinierende Einblicke in das heutige Leben von
unangepassten Juden in New York und
Amerika bietet. Punk Jews spricht dabei
nicht nur traditionelle Punk-Rocker an!
http://www.punkjews.com