Schulentwicklung als Motor

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Schulentwicklung als Motor
Schulentwicklung als Motor neuen
schulischen Handelns
von Michael Gutownig
Klagenfurt und Münster, Jänner 2009
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Schulentwicklung als Motor neuen
schulischen Handelns
von Michael Gutownig
Einleitung
Ein Lehrauftrag an der Fachhochschule Münster zum Thema
„Schulentwicklung und Qualitätssicherung an Schulen“ hat den Anstoß
dazu gegeben, meine Praxiserfahrung als Schulentwicklungsberater und
Schulmanagementtrainer im Feld der österreichischen Bildungslandschaft
etwas näher zu erörtern. Die Studenten und Studentinnen zeigten derart
reges Interesse an dieser Thematik, dass wir es gemeinsam mit dem
Institutsvorstand Prof. Dr. Thilo Harth als sinnvoll erachteten, einen kurzen
wissenschaftlichen Text über das Seminarthema zu verfassen. So soll diese
Abhandlung einen klaren Einblick in die allgemeine Schulentwicklung
gewähren, darüber hinaus sich aber auch klar mit Zukunftsperspektiven
und Sichtweisen führender Fachleute im Fachbereich Schulentwicklung
beschäftigen. Frei nach Rolff und Schley, zwei bekannten Schulentwicklern,
soll die Devise heißen: „Fasse das ganze in den Blick, wenn du einen Teil
erfolgreich bewältigen willst.“ (zit. Rolff/Schley 1997, S. 14).
Was ist Schulentwicklung?
Guter Unterricht ist eingebettet in Schulentwicklung. Die Qualität von
Lernen und Lehren ist wesentlich mitbestimmt von der Teamarbeit der
einzelnen Lehrerinnen und Lehrer und von den Möglichkeiten, die eine
schulische Organisation bietet. Wenn da und dort an Schulen Neues
entsteht, heißt das noch nicht, dass gezielte Schulentwicklung passiert.
Schulen verändern sich ständig, sie haben ihre eigenen Lerngeschichten, die
aus Zufällen, Vorlieben und Traditionen entstehen. Schulentwicklung ist
jedoch nicht einfach die Summe einzelner individuell verantworteter
Veränderungen. Schulentwicklung wird als ein kollektiver Prozess definiert,
der systematisch und absichtsvoll betrieben wird. Schulentwicklung setzt
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bewusste Steuerung voraus und zielt darauf ab, pädagogische Ziele
wirksamer zu erreichen.
Schulentwicklung orientiert sich am Konzept der Lernenden
Organisation (vgl. Senge 2001), einem verantwortungsbewusst geleiteten
Wechselspiel an Selbst- und Fremdsteuerung. Die Selbstregulation und
Selbstorganisation ist dabei ein wesentliches Prinzip, da mit dieser Methode
Beteiligte zu Verantwortlichen gemacht werden. Wesentliche Elemente dabei
sind die gemeinsame Standortbestimmung, Zielvereinbarungen,
Implementierungsstrategien und Reflexion.
Die Umsetzung dieser Ansprüche in der Schulwirklichkeit ist
allerdings nicht so einfach. Wie kommt gemeinsame Reflexion und das
zielgerichtet kontrollierte Handeln eines Kollektivs zustande? Woran
orientiert man sich? Wer gibt den Weg vor? Wer entscheidet, steuert und
führt? Wie werden Chancen erkannt und Systemwiderstände überwunden?
Möglichst breite Qualitätsdiskussionen am Schulstandort sollen in ein
Schulprogramm mit konkreten Entwicklungszielen und -maßnahmen
münden. Dabei gilt die Prämisse, dass gute Schulprogramme nicht von
heute auf morgen und nicht hinter verschlossenen Türen entstehen, da sie
sonst ohne Akzeptanz und damit ohne Wirkung bleiben. Es ist daher
zweckmäßig, zunächst einen Diskurs über Qualität zu beginnen, in den
möglichst viele Beteiligte am Schulstandort eingebunden werden. Dabei gilt
es, die Qualitätsvorstellungen und -ansprüche der einzelnen Schule zu
konkretisieren und vor dem Hintergrund der jeweiligen Rahmenbedingungen
und Herausforderungen auszuformulieren.
Qualitätsdiskussionen im Lehrkörper oder gar zwischen Lehrkörper
und Schülern haben keine allzu lange Tradition. Es ist ein Bereich des
Schulalltags der mit einem neuen Rollenverständnis aller Beteiligten wie
auch mit einem Öffnen verschlossener Türen einher geht. Wie sensibel dieser
Bereich ist, zeigt sich in unzähligen Abwehrhaltungen in
Schulentwicklungsprozessen. Stellt sich dann ein gewisses
Vertrauensverhältnis untereinander ein, so kann man zu den eigentlichen
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Inhalten kommen, die sich mit folgenden dynamischen Themenbereichen
beschäftigen sollen:
(vgl. BMUKK: QIS S.9ff 2008)
Implementation
Implementation, die Umsetzung von Zielen oder Strukturvorgaben in
einem differenzierten und sich entwickelnden sozialen System, ist stets in
Verbindung mit den dafür vorgesehenen Rahmenbedingungen zu sehen.
Möglichkeiten zur Verbesserung der Bildungsqualität gibt es grundsätzlich
auf allen Ebenen des Systems. Was den Themenbereich der
Schulentwicklung betrifft kann man folgend subsumieren:
•
Die bildungspolitische Strukturebene
•
Schule als pädagogische Handlungseinheit
•
Mikroebene des Lehrerhandelns
(vgl. Oelkers/Reusser 2008, S.46ff)
Die bildungspolitische Strukturebene ist in Österreich stark vom
politischen Denken und Handeln der zwei Großparteien bestimmt. Logische
und nachhaltige Erneuerungen werden nicht selten aus politischem Kalkül
nicht umgesetzt. So gibt es innerhalb der verschiedenen Schultypen
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unterschiedliche Modelle der Schul- und Qualitätsentwicklung. QIS (Qualität
in Schulen) steht oft in innerer Konkurrenz zu QIBB (Qualität in
Berufsbildenden Schulen) oder den Bildungsstandards, obwohl eigentlich
der Qualitätsbegriff für alle österreichischen Schulen kompatibel sein sollte.
Wesentliche Ausgangspunkte der gesamten Schulentwicklung hin zur
Ergebnisorientierung
waren
auf
höchster
Ebene
internationale
Leistungsstudien. Erst unbefriedigende Ergebnisse bei PISA oder TIMMS
lösten ministeriellen Bedarf nach Reaktionen und bewusst geplante
Schulentwicklung aus. „Diese Studien haben innerhalb des Bildungswesens
nicht nur aufgrund der inhaltlichen Ergebnisse zum Nachdenken über und
zum Vollzug von Veränderungen geführt, sondern vor allem auch deswegen,
weil mit diesen Studien die Möglichkeiten und Chancen einer verstärkten
Evidenzbasierung sichtbar geworden sind.“ (zit. Specht 2008, S. 43).
Die
Pädagogischen
Hochschulen
in
Österreich
stellen
solche
SchulentwicklungsberaterInnen zur Verfügung, wobei es unterschiedliche
Modalitäten
und
Strukturen
innerhalb
der
Bundesländer
gibt.
Die
Pädagogische Hochschule Kärnten kann auf eine lange Tradition der
Schulentwicklungsberatung verweisen, was sich auch auf der Homepage der
SchulentwicklungsberaterInnen Kärntens (www.seb-kaernten.at) sichtbar
wird. Jährlich nehmen circa zehn Prozent aller Schulen professionelle
Schulentwicklungsberatung in Anspruch.
Die Mikroebene des Lehrerhandelns wird einerseits durch die individuelle
Fortbildungsplanung
Lehrerinnen
Mediation
gesteuert
anderseits
Unterstützungssysteme
zur
Verfügung.
Hier
wie
obliegt
stehen
Lehrern
und
Coaching,
Supervision
oder
es
der
meist
den
strategischen
Personalentwicklung und Motivation durch die Schulleitung, um ein
Schulprofil auch nach Außen sichtbar machen zu können.
Wie startet man Schulentwicklung?
Schulentwicklung zu starten ist per se eigentlich unmöglich, da sich ja
jede Schule bereits in ihrer ganz individuellen Entwicklungsphase befindet.
Daher ist es wichtig immer von der Prämisse auszugehen, dass man keine
Schule zwei Mal betritt. Jede Schule hat ihren eigenen „Fingerabdruck“ und
jeder Tag beginnt mit neuen Herausforderungen. Viele neigen dazu, Schule
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nach ihren harten Kriterien, wie zum Beispiel Klassengröße, Ressourcenplan
oder PC – Ausstattung zu beurteilen. Solche Daten helfen zwar dabei, sich
ein grobes Bild über die Schule zu machen, will man aber mehr wissen, so
muss man in den See der "weichen" Qualitätskriterien eintauchen. Kriterien,
die eher "atmosphärischen" Charakter haben und wesentlich vom Klima an
der Schule geprägt werden (vgl. Posch/Altrichter 1997).
In Anlehnung an die Spirale der Selbstevaluation von Prof. Peter Posch
haben wir SchulentwicklungsberaterInnen Kärntens ein geeignetes
Instrument entwickelt, das die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie man
sich an Schulentwicklung heranwagen kann, deutlich macht. Dieses Modell
sieht drei unterschiedliche Strategien vor, die in Bedacht auf den
Grundtypus des Lehrerkollegiums (vgl. Riemann 1961), auf unterschiedliche
Akzeptanz stößt.
Spirale der Schulentwicklung
Aktionen
Schulprogramm
Vorhaben
Überprüfung der
Auswirkungen/
Neue Ansprüche
Ansprüche
und Ziele
Interpretation
Welche Vorhaben
nehmen wir in Angriff?
Was ist unser
Anspruch?
Präzisierung
der Ansprüche
Erhebung der
Situation
Wie gut erfüllen
wir ihn?
Copyright: Gutownig 2008
Wichtig bei diesem Modell ist es, dass unabhängig von der Wahl des
Einstiegsszenarios, immer alle Stationen von allen durchgemacht werden
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müssen. Es ist lediglich die immens wichtige Erstmotivation und der „ERSTE
EINDRUCK“ im Kontakt mit Schulentwicklung, der den Unterschied
ausmacht. Die symbolische Form der Spirale ist der Ausdruck dafür, dass
Schulentwicklung niemals endet, vielmehr ständig in Bewegung ist. Das
langfristige Ziel, durch alle drei Farben gekennzeichnet, ist ein dynamisches,
sich ständig evaluierendes und weiter entwickelndes Schulprogramm.
Der eher „theoriegeleitete“ Lehrkörper (blaue Kästchen) startet seine
Schulentwicklung indem die Ziele und Ansprüche grob definiert werden und
diese in einer nächsten Sitzung genauer definiert werden. Alle weiteren
Stationen ergeben sich aus der Grafik. Die „analytischen Denker“ wollen
zuerst wissen, was an der Schule bisher eigentlich los war. Sie erheben die
Ist-Situation und interpretieren die gewonnenen Daten. Erst auf Basis dieser
Erkenntnisse überlegen sie sich weiteren Vorhaben. Auch diese Gruppe
steht somit mitten in der Spirale der Schulentwicklung.
Elemente eines Schulprogramms
Wie aus der Spirale der Schulentwicklung farblich ersichtlich, entsteht
das Schulprogramm aus unterschiedlichen Produkten, welche in Zeitraum
einer oder mehrerer Windungen der Spirale entstanden sind. Ein
Schulprogramm enthält drei wesentliche Teile: das Schulprofil, das
Schulleitbild und den Entwicklungsplan.
Elemente des Schulprogramms
Leitbild
Schulprofil
Entwicklungsplan
Copyright: Gutownig 2008
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Das Leitbild ist der „weiche“ Teil des Schulprogramms. Kurze,
einprägsame Formulierungen, die einen Einblick in zentrale längerfristige
Prinzipien vermitteln und die auf grundsätzlich überprüfbare Weise im
schulischen Alltag zum Ausdruck kommen. (vgl. Posch 2002, S. 28). Es soll
nicht besonders lang sein. Fünf bis maximal zehn prägnante Sätze, die vom
gesamten Lehrkörper mitgetragen werden, sind ausreichend. Das Leitbild ist
das Herz der Schule, einerseits ist es der Impulsgeber und Motivator und
andererseits drückt es innere Haltungen und „Herzangelegenheiten“ aus.
Das Schulprofil ist der starre datenorientierte Block im
Schulprogramm. Hier finden sich sämtliche Informationen wie Lage der
Schule, Größe der Schule, Lehrkörper und das gesamte Angebot der Schule
samt Nachmittagsbetreuung etc.. Das Schulprofil muss nicht eigens
entwickelt werden, es ist vielmehr eine Sammlung aller relevanten Daten.
Der Entwicklungsplan ist der Blick der Schule nach vorne. Er ist das
zentrale Element des Schulprogramms. In diesem werden Bereiche
angeführt, in denen die Schule eine Entwicklungschance sieht und bietet
zunächst eine Übersicht über die Themen und Gründe, weshalb sich die
Schule gerade für diese spezifischen Themen entschieden hat. So unterteilt
sich der Entwicklungsplan in einzelne Entwicklungsziele, die dann aus dem
Rückblick, dem Vorausblick und dem Aktionsplan bestehen. (vgl. Posch
2002, S. 28f). Insgesamt ist wichtig festzuhalten, dass der Entwicklungsplan
nicht eine Abschrift alter Probleme ist sondern die Visionen und
Zukunftschancen der Schule in systematischer Art und Weise abbildet.
Das Schulprogramm ist kein Produkt, das einmal fertig gestellt, für
immer Gültigkeit hat, sondern ein Abbild des ständigen Weiterentwickelns in
der Spirale der Schulentwicklung. Zu stetiges Abändern und ständiges
Austauschen zentraler Elemente des Schulprogramms bringt jedoch eher
Unruhe als Zuverlässigkeit.
Evaluation als Instrument der Qualitätssicherung
Die eigenverantwortliche Schule muss ihre Qualitätsentwicklung und
Qualitätssicherung planvoll steuern. Eine systematische Form der
Bestandsaufnahme, Analyse und Bewertung ist unabdingbar. Im Kontext
von Schule geht es um eine Bewertung pädagogischer Ergebnisse und
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Prozesse. Evaluation kann sich auf einzelne Unterrichtseinheiten oder auf
längere Lehr- und Lernprozesse, auf Fachleistungsergebnisse oder komplexe
Teilbereiche der Schulentwicklung, wie das Schulklima oder das
Schulleitbild beziehen. Evaluation ist dabei eine systematische Form der
Bewertung. (vgl. Reißmann 2007, S.64ff).
Die Spirale der Schulentwicklung sieht unter dem Teilschritt
„Überprüfung der Auswirkungen“ die Aufgaben der Evaluation. Bereits im
Planungsstadium soll stets die Überlegung mitgedacht werden, wie einzelne
Teilschritte und letztlich das Gesamtergebnis gemessen werden können.
Evaluation ist jener Teilbereich, der geleisteter Arbeit einen Wert gibt. Erst
wenn man Vorhaben und Aktionen auch kritisch hinterfragt, bekommt man
den Beweis für erreichte Ziele geliefert. Nicht zuletzt geben aber gerade die
Ergebnisse von Evaluationen schon früh die Chance, eventuelle
Fehltendenzen zu erkennen und rechtzeitig Kurskorrekturen zu veranlassen.
Dabei ist bei Schulen oft eine Scheu vor Evaluationen zu erkennen. Dies
lässt sich dadurch erklären, dass Lehrerinnen und Schulleiterinnen ihre
Arbeitszeit vornehmlich dem Unterricht widmen und der Fokus weniger auf
die Metaebene gerichtet ist, weiters ergibt sich diese Scheu aus der
Annahme, dass Evaluationen immer „Riesenprojekte“ sein müssen, die meist
nur Universitäten oder Pädagogische Hochschulen leisten können. In beiden
Fällen gilt es bei allen Beteiligten, die Berührungsängste abzubauen und
Vertrauen in ein individuell entwickeltes Rückmeldeverfahren zu gewinnen.
Serena, eine sechzehnjährige Schülerin, ist die Hauptdarstellerin eines
Buches, das sich intensiv mit den unterschiedlichen Perspektiven der
Schulentwicklung beschäftigt. (vgl. Schratz 2002). Geht man von der
Prämisse aus, dass das Kind oder später die Jugendlichen im Schnittpunkt
aller pädagogischen Konzepte stehen sollen, so ist es gerade was die
Evaluation betrifft unumgänglich, diese Personen auch im Evaluationsplan
entsprechend abzubilden. Bei Evaluationen mit unterschiedlichsten
Schultypen, von der Volksschule bis zum Gymnasium, war es stets mein
Bemühen, die Schülerinnen und Schüler im Bewertungsverfahren
einzubauen. So machten wir mit Achtjährigen aussagekräftige
Fotodokumentationen und SWOT-Analysen, wie es externe
Wirtschaftsprüfungsunternehmen nur selten schaffen. So ist es in dem oben
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genannten Buch auch die junge Serena, die es schafft scheinbar gordische
Knoten zu lösen.
Evaluationen sind aber nicht nur für pädagogische Prozesse
notwendig, es gilt auch die beteiligten Personen durch Rückmeldungen zu
stärken. Mit Individualfeedback wird das Bemühen bezeichnet, sich
Rückmeldungen über die Auswirkungen des eigenen Handelns zu besorgen,
um daraus Schlüsse für die weitere Gestaltung der Zukunft zu ziehen. Das
Einholen und Verwerten von Individualfeedback muss nicht unbedingt
aufwändig sein, sondern kann in die alltäglichen Aktivitäten eingefügt
werden. Reflexionsprozesse, die für verantwortungsbewusste PraktikerInnen
ohnehin eine Selbstverständlichkeit sind, werden systematisch in den
Unterricht eingebaut. (vgl. Posch 2001). Die gegenseitige Wertschätzung und
das Prinzip der kleinen Schritte sind ein guter Nährboden für erfolgreiche
Evaluationen und Feedbacks.
Stolpersteine in Schulentwicklungsprozessen
Ein Schulentwicklungsprozess kommt erst so richtig ins „Rollen“,
wenn sich die beteiligten Akteure für ihre eigene Arbeit und die daraus
resultierenden Konsequenzen verantwortlich fühlen. Manche Lehrerinnen
und Lehrer erleben Schule als aktiv handelnde Organisation andere
wiederum sehen sich lieber als Objekte externer Anforderungen. Erstere sind
bereit, angesichts Veränderungen der Umwelt, selbst initiativ zu werden.
Österreich hat eine lange Tradition der Standesvertretungen. Waren
dies noch vor wenigen Jahrzehnten Organisationen, die für die Rechte der
Arbeiter und Angestellten unter schwierigsten Bedingungen kämpften, sind
es heutzutage leider oft Vertreter, die sich gegen Erneuerungen stellen, um
Altes zu bewahren. Als man den Lehrplan 99 für Hauptschulen einführen
wollte, war es konkret geplant, das Schulprogramm verpflichtend für
Schulen in Österreich einzuführen. Ich gehörte der Generation von
Schulentwicklungsberatern an, die eigens dafür ausgebildet wurden,
Schulen bei der Implementation dieses Lehrplans und dem damit
verbundenen Schulprogramm zu unterstützen. Wenige Momente bevor das
Gesetz zum Lehrplan erlassen wurde, fiel das verpflichtende Schulprogramm
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nach massiven Interventionen seitens der Gewerkschaft wieder aus dem
Gesetzesvorschlag heraus. Wir Schulentwicklungsberater waren damals sehr
enttäuscht, hinterfragten die Sinnhaftigkeit unserer Ausbildung und
suchten nach neuen Herausforderungen. Schon bald erkannten wir die
positive Seite dieser Entscheidung. Schulentwicklungsberater wurden und
werden bis heute, denn das Schulprogramm ist in Österreich immer noch
nicht gesetzlich verpflichtend, nur von Schulen eingeladen, die eine
intrinsische Motivation zur Schulentwicklung aufwiesen, und nicht von
solchen, die sich lediglich dem Gesetzgeber verpflichtet fühlten.
Viele Lehrerinnen und Lehrer hegen immer noch stark
belastungsorientierte Einstellungen gegenüber ihren vorgesetzten
Dienstbehörden. Sie zeigen eine gespaltene Haltung, die zwischen
wahrgenommenem Oktroy und dem Gefühl, im Stich gelassen zu werden,
oszillieren. ( vgl. Altrichter 1994, S. 337). Für externe
Schulentwicklungsberater ist es daher das oberste Prinzip, einen autonomen
und der Verschwiegenheit verpflichteten Standpunkt innerhalb der
Schullandschaft einzunehmen. Laufen sie Gefahr, „Boten“ der Schulaufsicht
oder des Ministeriums zu sein, wird keine Schule mehr freiwillig auf deren
Unterstützung zurückzugreifen
In Schulentwicklungsprozessen spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Der
Aufbau einer Qualitätssicherungsinitiative benötigt viel Zeit und oft werden
Zeitvorgaben, wie sie ursprünglich gemacht wurden, um ein Vielfaches
verlängert. Unterschiedliche Vorstellungen über das zu wählende Tempo der
Innovationsinitiative können einen zusätzlichen Stressfaktor darstellen. (vgl.
Altrichter/Posch 1992, S. 232f). Für einige geht es viel zu langsam, sie
wollen schnell ein fertiges Produkt, andere wiederum ziehen ein
entschleunigtes Tempo vor und sehen den Sinn im Prozess selbst. Immer
wieder habe ich als Schulentwicklungsberater die von mir äußerst positiv
bewertete Rückmeldung von Lehrerinnen und Lehrern erhalten, dass sie
erstmals in ihrer langen Berufslaufbahn sich mit dem eigenen Berufsbild
und mit der „eigenen Schule“ beschäftigt haben. Auch bei Lehraufträgen mit
Studenten und Studentinnen fällt mir stets auf, wie wenig sie sich im
Rahmen unterschiedlicher Curricula mit ihrem eigenen Rollenbild
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beschäftigen. Ein System funktioniert umso besser, je stärker sich alle
Beteiligten ihrer eigenen Rolle bewusst sind.
Schulentwicklung in Österreich – quo vadis?
Die Pädagogischen Hochschule Kärnten – Viktor Frankl Hochschule
hat dem Themenbereich Schulentwicklung in seiner Organisationsstruktur
eine zentrale Position gewidmet. Ein eigens dafür gestaltetes Institut ist
äußeres Zeichen innerer Wertschätzung. Für den Themenbereich
Schulentwicklung ist Frau MMag. Dr. Andrea Stückler zuständig. Selbst
Schulentwicklungsberaterin ist sie mit der Materie seit langem sehr vertraut.
Es ist daher naheliegend gerade sie über die Situation der Schulentwicklung
zu befragen.
Welchen Beitrag hat „Schulentwicklung“ im letzten Jahrzehnt im
österreichischen Schulwesen geleistet?
Stückler: Schulentwicklung und Qualitätsentwicklung sind in Österreich
zentrale Themen der Schullandschaft. Inhalte der Schulentwicklung stellen
einen wesentlichen Bestandteil der Schulleiterausbildung dar. DirektorInnen
erarbeiten vielfach gemeinsam mit Schulentwicklungsberatern der
Pädagogischen Hochschulen in schulinternen Lehrerfortbildungen Konzepte
zur standortbezogenen Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung. Im Zuge
dieses unterstützenden flächendeckenden Angebots an SchulentwicklungsberaterInnen der Pädagogischen Hochschulen finden sich mittlerweile an den
meisten Schulen Leitbilder, Schulprofile und Schulprogramme. An einigen
Schulen erfolgt die Qualitätssicherung durch regelmäßige, zum Teil sehr
aufwändig angelegte Evaluationsstudien. Gemeinsam mit der Direktion
erarbeiten Kolleginnen und Kollegen autonome Konzepte für guten Unterricht
an ihren Schulen. Teamarbeit und gemeinsame Entwicklung der Lehrerinnen
und Lehrer garantieren systematische Qualitätsverbesserung der Schulen.
In vielen europäischen Ländern ist Schulentwicklung obligatorisch, nicht so
in Österreich. Würden Sie sich auch für Österreich eine Verpflichtung
Schulentwicklung (Schulprogramm, Evaluationen,...) wünschen?
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Stückler: Diskussionen um Freiwilligkeit oder Verpflichtung zur
Schulentwicklung werden immer wieder geführt, pro und contra werden
häufig diskutiert.
LehrerInnen fühlen sich in der heutigen Zeit von vielen Seiten angegriffen und
glauben ständig, sich rechtfertigen zu müssen. Eine Verpflichtung zu
Schulentwicklung würde wahrscheinlich massive Abwehrreaktionen
hervorrufen: "Unsere Schule ist eine gute Schule." "Wir tun was wir können,
was sollen wir noch alles machen?"
Haben Schulen die Möglichkeit, ihre Schule auf freiwilliger Basis gezielt zu
entwickeln, ist dies für LehrerInnen eine andere Ausgangsbasis. Ich muss
nicht - ich opfere meine kostbare Zeit, weil ich an der Qualitätsverbesserung
unserer Schule mitarbeiten will. Diese Freiwilligkeit führt zu einer positiven
Ausgangsbasis im Lehrerkollegium und die LehrerInnen werden durch ihre
Bereitschaft aufgewertet. Etwas, das man freiwillig und gerne macht ist
sicherlich Erfolg versprechender als etwas, dem man abwehrend und
ablehnend gegenübersteht.
In Österreich finden sich an fast allen Schulen zielgerichtete
Schulentwicklungsinitiativen. Demnach würde ich die Freiwilligkeit zu
zielgerichteter Schulentwicklung beibehalten.
Was wären die nächsten logischen Schritte der Schulentwicklung in der
österreichischen Bildungslandschaft?
Stückler: Schulprogramme und qualitätssichernde Maßnahmen sind
Standard an österreichischen Schulen. Die Qualität des Unterrichts rückt
immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Im Zuge der Einführung der
Neuen Mittelschule sind neue Formen des Unterrichts gefordert.
Unterrichtsentwicklung im Sinne von Individualisierung, Differenzierung und
neuen Lerntechniken müssen in den Unterricht implementiert werden. In
einigen österreichischen Bundesländern können Schulen qualifizierte
TrainerInnen für Unterrichtsentwicklung als Hilfe zur Selbsthilfe einladen.
Gemeinsam mit interessierten LehrerInnen werden vor Ort neue Konzepte für
Unterricht geplant und durchgeführt. In Kärnten qualifiziert sich eine Gruppe
von Schulentwicklungsberatern zu“ Trainern für Systematische
Unterrichtsentwicklung“. Die Pädagogische Hochschule Kärnten bietet
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aufgrund der Nachfrage zukünftig Schulentwicklung und
Unterrichtsentwicklung in Kombination an.
Um langfristig die Qualität der Schulen zu verbessern, ist es unumgänglich,
Schülerinnen und Schüler sowie auch Eltern, vermehrt in
Entwicklungsprozesse einzubeziehen. Gemeinsam von allen Schulpartnern
entwickelte Konzepte scheinen mir Erfolg versprechend. Miteinander neue,
gemeinsame Wege gehen, sehe ich als Slogan für eine bessere Zukunft
unserer Schulen!
Der abschließende Blick nach Vorne
Schulentwicklung hat das österreichische Schulsystem im letzten
Jahrzehnt entscheidend mitgesteuert. Fast alle Schulen haben ein
entwickeltes Leitbild, können auf ein Schulprogramm verweisen und sind
mitten im Prozess der Qualitätsentwicklung. Der Qualitätsgedanke ist in den
Köpfen der Lehrerinnen und Lehrer wie auch der Schulleitungen fest
verankert. Die Nichtverankerung des Schulprogramms im Gesetz hat sich
als unproblematisch erwiesen. Schulen haben sich über formale
Erfordernisse hinweggesetzt und sich selbst gesteuert Qualität verordnet.
Da die ersten Schritte in Richtung Leitbild, Schulprofil und
Schulprogramm jetzt erfolgreich bestritten wurden, öffnen sich für die
Schulentwicklung neue Wege. Unterrichtsentwicklung rückt ins Zentrum der
Schulentwicklung. Musste man sich bis jetzt darum bemühen, den Blick auf
das Ganze zu richten so kann man es sich nun vermehrt erlauben, wieder
intensiver in die einzelnen Klassen zu schauen. Wohl bemerkt mit der
Prämisse der offenen Klassentüren....
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Literatur
Altrichter, H.: Kritische Punkte in Schulentwicklungsprozessen. In: Bundesministerium für
Unterricht und Kunst (BMUK) (HRSG.): Bildungsforschung, BD.6. Wien 1994
Altrichter, H. u. P. Posch: Wege zur Schulqualität. Wien 1999
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur(BMUKK): Qualität in Schulen. Wien
2008. siehe: http://www.qis.at - bm:bwk
Riemann, F.: Grundformen der Angst, München Basel 1961
Schratz, M. u.a.: Serena, oder: Wie Menschen ihre Schule verändern – Schulentwicklung und
Selbstevaluation in Europa. Innsbruck-Wien – München – Bozen 2002
Senge, P. M. : Die fünfte Disziplin, 8. Auflage, New York 2001
Oelkers Jürgen und Kurt Reusser: Qualität entwickeln – Standards sichern – mit Differenz
umgehen. Bonn, Berlin 2008
Posch, P.: Das Schulprogramm. In: Krainz- Dürr, Marlies, Peter Posch und Franz Rauch:
Schulprogramme entwickeln. Innsbruck 2002
Posch., P.: Schulprogramme – Die Chance für Schulen, sich etwas Gutes zu tun. In:
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur - BMBWK (Hrsg.): Wir sind
mitten im Schulprogramm. Wien 2001
Posch, P./Altrichter, H.: Möglichkeiten und Grenzen der Qualitätsevaluation und
-entwicklung im Schulwesen. StudienVerlag: Innsbruck 1997
Reißmann, j.. Es geht nicht ohne: Evaluation. In: Busemann, B., J. Oelkers u. H.S.
Rosenbusch: Eigenverantwortliche Schule – ein Leitfaden. Köln 2007
Rolff, H.G. u. W. Schley: Am Anfang muss man bereits auf´s Ganze gehen. Zur Gestaltung
der Anfangssituationen in Schulentwicklungsprozessen. In: Journal für Schulentwicklung
1/1997.
Specht, Werner: Nationaler Bildungsbericht – ein Schritt in Richtung evidenzbasierter Politik
in Österreich. In: Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg u.a. (Hrsg.):
Bildzungsmonitoring, Vergleichsstudien und Innovation. Berlin 2008.
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Zur Person
Michael Gutownig
Prof. Mag. Dr.
Geboren am 9. Mai 1970, verheiratet mit Mag. Katarina Gutownig Fürst, Kinder Luka und
Jakob
Derzeit Institutsleiter am Institut für Pädagogische Grundwissenschaften, Schulentwicklung
und Beratung
an der Pädagogischen Hochschule Kärnten Viktor Frankl Hochschule.
Independent Academic Expert für Bildungsfragen EU in Brüssel, Schulmanagementtrainer
und Schulentwicklungsberater
Von 1992 bis 1997 zweisprachiger Volksschullehrer, von 1997 bis 2007 Professor am
Pädagogischen Institut des Bundes in Kärnten
Gutownig, Michael: Schulentwicklung als Motor neuen schulischen Handelns.
Klagenfurt und Münster im Jänner 2009.
Veröffentlichung:: www.fh-muenster.de
Alle Rechte vorbehalten.
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