§§ 86, 87c SGB VIII - die Leuchttürme der örtlichen Zuständigkeit

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§§ 86, 87c SGB VIII - die Leuchttürme der örtlichen Zuständigkeit
§§ 86, 87c SGB VIII - die Leuchttürme der örtlichen Zuständigkeit
A. Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen nach § 86 SGB VIII
1
Gliederung
Grundnorm für die örtliche Zuständigkeit
2
Begriffserläuterungen
2.1 „Leistungen nach diesem Buch“
2.2 „Beginn der Leistung“
2.3 „Unterbrechung der Leistung“
2.4 „Eltern“
2.5 „Gewöhnlicher Aufenthalt“
2.6 „Örtlicher Träger“
3
Anknüpfungsmerkmale vor Leistungsbeginn
3.1 Regelfall: Gemeinsamer g.A. der Eltern (Abs. 1)
3.1.1 g.A. der Eltern unabhängig von Personensorge (Satz 1)
3.1.2 Kind ohne rechtlichen Vater: g.A. der Mutter (Satz 2)
3.1.3 Elternteil lebt nicht mehr: g.A. des anderen (Satz 3)
3.2 Verschiedene g.A. der Eltern mit Personensorge (Abs. 2)
3.2.1 Personensorge bei einem Elternteil:
dessen g.A. (Satz 1)
3.2.2 Gemeinsame Personensorge und
3.2.2.1 g.A. des Kindes bei einem Elternteil:
dessen g.A (Satz 2)
3.2.2.2 g.A. des Kindes bei beiden Elternteilen: g.A.
des Elternteils, bei dem Kind t.A. hatte (Satz 3)
3.2.2.3 g.A. des Kindes bei keinem Elternteil: g.A.
des Kindes (Satz 4 Hs. 1) oder sein t.A.
(Satz 4 Hs. 2)
3.3 Verschiedene g.A. der Eltern ohne Personensorge (Abs. 3) und
3.3.1 g.A. des Kindes bei einem Elternteil: dessen g.A. (i.V.m.
Abs. 2 S. 2)
3.3.2 g.A. des Kindes bei keinem Elternteil: g.A. des Kindes
(i.V.m. Abs. 2 S. 4 Hs. 1) oder sein t.A. (i.V.m. Abs. 2
S. 4 Hs. 2)
3.3.3 g.A. des Kindes bei beiden Elternteilen? Lücke des Gesetzes
3.4 Kein (feststellbarer) g.A. der Eltern/des Elternteils im Inland oder
Tod der Eltern ( Abs. 4)
3.4.1 aber g.A. des Kindes: dessen g.A. (Satz 1)
3.4.2 ohne g.A. des Kindes: dessen t.A. (Satz 2)
4
Tatsächliche Veränderung eines Anknüpfungsmerkmals nach
Leistungsbeginn ( Abs. 5)
4.1 Prinzip der „dynamischen“ Zuständigkeit
4.2 „Dynamische“ oder „statische“ Zuständigkeit (Satz 1)
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2
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.2.4
Begründung verschiedener g.A. der Eltern (Satz 1) und
4.2.1.1 Personensorge bei einem Elternteil:
dessen g.A. (Satz 1)
4.2.1.2 Personensorge bei keinem: unveränderte
Zuständigkeit (Satz 2)
4.2.1.3 Personensorge bei beiden: unveränderte
Zuständigkeit (Satz 2)
Begründung zweier neuer g.A.? Lücke des Gesetzes
Verlust des (feststellbaren) g.A. der Eltern/des Elternteils
im Inland oder Tod beider Elternteile (Satz 3)
4.2.3.1 aber g.A. des Kindes im Inland: dessen g.A.
(i.V.m. Abs. 4 S. 1)
4.2.3.2 ohne g.A. des Kindes im Inland: dessen t.A.
(i.V.m. Abs. 4 S. 2)
Begründung eines gemeinsamen g.A. der Eltern?
Lücke des Gesetzes
5
Gesetzliche Veränderung des Anknüpfungsmerkmals bei Familienpflege
(Abs. 6)
5.1 Voraussetzungen (Satz 1)
5.1.1 Zweijähriger Aufenthalt (Satz 1)
5.1.2 Prognose zum weiteren Verbleib (Satz 1)
5.2 Folge: Anknüpfung an g.A. der Pflegeperson (Satz 1)
5.3 Unterrichtungspflicht (Satz 2)
5.4 Ende der Zuständigkeit (Satz 3)
6
Sonderregelung für Leistungen an Asylsuchende (Abs. 7)
6.1 Anknüpfung der Erstzuständigkeit für Leistungen
6.1.1 außerhalb eines Verteilungsverfahrens (Satz 1)
6.1.1.1 an den tatsächlichen Aufenthalt (Halbs. 1)
6.1.1.2 an die vorausgegangene Zuständigkeit
bei Inobhutnahme (Halbs. 2)
6.1.2 innerhalb eines Verteilungsverfahrens (Satz 2)
6.1.2.1 ab Zuweisungsentscheidung (Halbs. 1)
6.1.2.2 bis zur Zuweisungsentscheidung (Halbs. 2)
6.2 Kein Zuständigkeitswechsel trotz Abschluss des Asylverfahrens (Satz 3)
6.3 Kein Wechsel der Zuständigkeit bei Unterbrechung der Leistung (Satz 4)
6.4 Zuständigkeitskonkurrenzen
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Konsequenzen aus der Zuständigkeitsregelung
7.1 Kostenerstattung als Zuständigkeitsregulativ
7.2 Fortdauernde Leistungsverpflichtung
7.3 Mitteilungspflichten aus strafrechtlicher Garantenstellung
7.4 Rechtswidrigkeit der Hilfegewährung
7.5 Kein Ausschluss der Kostenerstattung bei Verletzung von § 86
7.6 Vorrang vor SGB I und X
Anhang: Schaubild zur Zuständigkeitsprüfung
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1 Grundnorm für die örtliche Zuständigkeit
Im Allgemeinen ist Voraussetzung für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit, dass
die sachliche Zuständigkeit geprüft ist; diese würde sich nach § 85 bestimmen. Dies ist
hier aber entbehrlich, da § 86 die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers voraussetzt. § 86 ist die Grundnorm zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit für Leistungen. §§ 86a und 86b enthalten für die dort genannten Leistungen Sonderregelungen,
die als leges speciales der allgemeinen Grundnorm vorgehen. §§ 86c und 86d
SGB VIII sowie § 2 SGB X enthalten begleitende Regelungen der örtlichen Zuständigkeit. §§ 87 bis 87e regeln die örtliche Zuständigkeit für die sog. anderen Aufgaben
gem. § 2 Abs. 3. § 88 enthält eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit bei Aufenthalt
im Ausland.
Während § 11 JWG noch mit einer Zuständigkeitsregelung in zwei Sätzen auskam, ist
die geltende Zuständigkeitsregelung so unübersichtlich geworden wie die Familienstrukturen, an die sie anknüpft („Patchwork-Zuständigkeit“). Teilweise knüpft sie an
den g.A. der Eltern, teilweise an den des Kindes an; in Einzelfällen ist auch deren tatsächlicher Aufenthalt maßgeblich. Die inhaltlich widersinnige Unterscheidung zwi schen Leistungen und anderen Aufgaben in § 2 zerklüftet die Zuständigkeitsregelung
noch zusätzlich, indem sie an diese Unterscheidung anknüpft. § 86 ist das Musterbeispiel einer kasuistischen Regelung, die – notwendigerweise - dazu führt, dass Fallgestaltungen ungeregelt bleiben, also Lücken des Gesetzes auftreten. Wegen ihrer
Schutzfunktion für den Bürger sind die Regelungen über die Zuständigkeit unabdingbar, d.h. Vereinbarungen der Jugendhilfeträger sind in diesem Bereich unzulässig
(ebenso Schellhorn (Hrsg.),SGB VIII/KJHG, 2. Aufl. 2000, § 86 Rz. 6).
Der Zuständigkeitsbestimmung kommt besondere Bedeutung zu, da sie unmittelbar
zur finanziellen Belastung der kommunalen Gebietskörperschaft führt, die die Jugendhilfe als Selbstverwaltungsaufgabe ausführt (vgl. Anh. Verfahren RN 63)∗ . Eine ungerechtfertigte Kostenbelastung wird nac hträglich durch Kostenerstattung reguliert (vgl.
RN 70).
2 Begriffserläuterungen
2.1 „Leistungen nach diesem Buch“
„Leistungen nach diesem Buch“ sind nur die in § 2 Abs. 2 legal definierten Leistungen; dies gilt auch dann, wenn der Katalog der sog. anderen Aufgaben inhaltlich ebenfalls Leistungen enthält wie z.B. die Beistandschaft (vgl. Vor §§ 1712 f.
RN 1). Nicht erfasst sind auch Leistungen, die im SGB I geregelt sind (z.B. §§ 13
bis 15). Sonderregelungen bestehen aber in den §§ 86a und 86b für Leistungen an
junge Volljährige und für Leistungen in gemeinsamen Wohnformen.
Als Leistungsberechtigte nennt das Gesetz Kinder und ihre Eltern, wobei der
familienrechtliche Begriff des Kindes jugendhilferechtlich korrekt, nämlich § 7
entsprechend je nach Alter des Kindes differenziert gebraucht wird (ab 14 Jahre:
∗
Die Randnummern (RN) beziehen sich auf die Kommentierung in Kunkel (Hrsg.), LPK-SGB VIII, 2. Aufl.
2001.
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Jugendlicher). Dies führt dazu, dass für ein und dieselbe Leistung verschiedene
Zuständigkeitsvorschriften gelten, je nachdem ob sie Jugendlichen oder jungen
Volljährigen gewährt wird (z.B. eine Leistung nach §§ 11, 13, 14, 16). Leistungsadressat ist bei allen Leistungen der Jugendhilfe, ebenso wie bei der Erfüllung der
sog. anderen Auf gaben, das Kind im familienrechtlichen Sinne, auch wenn
leistungsberechtigt in der Regel die Eltern sind (vgl. § 8 RN 8b).
Wegen der systematischen Auslegung des Begriffs der „Leistung“ aus § 2 Abs. 2
kommt es auf Art oder Form der Hilfeleistung nicht an, sondern nur auf die in § 2
Abs. 2 jeweils bezeichnete Rechtsgrundlage. Wechselt also z.B. ein Kind von der
Pflegefamilie in ein Heim, bleibt die Rechtsgrundlage und damit die Leistung der
Hilfe dieselbe (nämlich § 27 oder § 35a), auch wenn die Art der Hilfe wechselt
(ebenso - dem Sinn, wenn auch nicht dem Begriff nach - Wiesner, SGB VIII, 2.
Aufl. 2000, § 86 Rdnr. 2). Ein Wechsel der Hilfeart ist also keine Unterbrechung
der Leistung (ebenso VGH BW FEVS 48, 131).
2.2. „Beginn der Leistung“
Der Begriff „Beginn der Leistung“ ist nicht einheitlich auszulegen, sondern abhängig vom Regelungszusammenhang, in dem er vorkommt. „Nach Beginn der
Leistung“ (z.B. in Absatz 5) meint den Zeitpunkt nach Gewährung der Leistung.
„Vor Beginn der Leistung“ ist dagegen ein Zeitraum, innerhalb dessen der maßgebliche Zeitpunkt bestimmt werden muss. Aus dem Sinn des Regelungszusammenhangs ergibt sich, dass dies der Zeitpunkt sein muss, in dem die örtliche
Zuständigkeit geprüft werden muss. Diese Prüfung muss vor der Gewährung einer
Hilfe erfolgen und zwar in dem Zeitpunkt, in dem Anlass für eine derartige Prüfung besteht. Dieser Zeitpunkt ist also identisch mit dem Zeitpunkt des Beginns
eines Verwaltungsverfahrens i.S.d. § 18 SGB X (vgl. Anh. Verfahren RN 15).
Für Muss-Leistungen ist dies die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen, die in der Regel, aber nicht notwendigerweise, durch Eingang eines
Antrages vermittelt wird. Weder für die HzE noch für die Eingliederungshilfe ist
ein solcher Antrag erforderlich (vgl. § 36 RN 11). Ändern sich die für die Gewährung einer Hilfe maßgeblichen Umstände bis zur Entscheidung über die Hilfegewährung, kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung an. In Literatur und
Rechtsprechung wird diese Unterscheidung nach dem Sinn des Regelungszusammenhangs nicht immer getroffen, sondern es werden - teilweise willkürlich anmutende - Zeitpunkte genannt (Kraushaar/Ziegler in Fieseler/Schleicher, GKSGB VIII, § 86 Rz. 13: „Datum der Entscheidung der Erziehungskonferenz“;
Wiesner, § 86 Rdnr. 18: „Aufnahme von Hilfeplangesprächen“; ebenso VGH BW
FEVS 48, 131; Gutachten DV NDV 1998, 153; ähnlich Schellhorn, § 86 Rz. 34
und BayVGH FEVS 51, 370; Elzholz, DAVorm 1994/314 stellt demgegenüber auf
den tatsächlichen Leistungsbeginn ab; die ZSpr. EuG 51, 252 sieht als maßgeblich
den Tag an, an dem die Eltern über die Teamentscheidung unterrichtet werden;
ebenso DIV-Gutachten,
DAVorm 2000/51;
im
Ergebnis
wie
hier
Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, § 86 Rn. 11, 16;
Krug/Grüner/Dalichau, SGB VIII, § 86 Erl. V 2a; Mrozynski, SGB VIII, § 86 Rz
7). Bei einer selbstbeschafften Leistung (vgl. zu deren Zulässigkeit § 36 RN 1a)
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ist eine Zuständigkeitsprüfung nicht vorausgegangen. Sie setzt aber nachträglich
ein - zusammen mit der Prüfung der materiellen Voraussetzungen - mit der Folge,
dass es auf den Zeitpunkt ankommt, in dem die Hilfe gewährt worden wäre (ex
post-Betrachtung; a.A. Kraushaar/Ziegler/GK, § 86 Rz. 14, die auf das Datum der
Entscheidung des Jugendhilfeträgers abstellen). Es kommt also darauf an, welcher
Jugendhilfeträger im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung örtlich zuständig gewesen
wäre. Haben die Eltern danach ihren g.A. gewechselt, ist ein Zuständigkeitswechsel eingetreten. Haben sie verschiedene g.A. begründet, richtet sich die Zuständigkeit nach Absatz 5.
2.3 „Unterbrechung der Leistung“
Den Begriff der Unterbrechung der Leistungsgewährung verwenden §§ 86 Abs. 7
S. 4, 86a Abs. 4 S. 2, 86b Abs. 3 S. 2 und 95 Abs. 3. Eine Unterbrechung liegt
dann vor, wenn eine Leistung, die zuvor nicht gewährt worden war, gewährt wird,
dann für einen gewissen Zeitraum ausgesetzt und danach wieder aufgenommen
wird (ähnlich VGH BW FEVS 48, 131). Ist eine Leistung zuvor schon gewährt,
aber beendet worden (entweder förmlich oder durch bloße Einstellung), ohne dass
eine konkretisierte Wiederaufnahmeperspektive vorlag, handelt es sich um einen
neuen Leistungsbeginn, für den die örtliche Zuständigkeit neu bestimmt werden
muss. Ein bloßer Wechsel der Hilfeart ohne Wechsel der Rechtsgrundlage ist
weder Unterbrechung noch neue Leistung. Eine inhaltlich gleiche Leistung (z.B. in
einem Heim) ist dann eine neue Leistung, wenn sie auf einer anderen Rechtsgrundlage erfolgt, z.B. zunächst als HzE, später als Hilfe für junge Volljährige
oder als Eingliederungshilfe oder als So zialhilfe oder umgekehrt. Ebenso liegt eine
neue Leistung vor, wenn innerhalb einer Maßnahmenkette jeweils verschiedene
Rechtsgrundlagen für die einzelne Maßnahme einschlägig sind (z.B. HzE in einer
Pflegestelle nach Inobhutnahme in Bereitschaftspflege).
2.4 „Eltern“
Eltern sind Vater und Mutter eines Kindes. Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB); Vater ist, wer zur Zeit der Geburt des Kindes mit der
Mutter verheiratet ist oder die Vaterschaft anerkannt hat oder wessen Vaterschaft
gerichtlich festgestellt ist (§ 1592 BGB). Sind die Eltern nicht miteinander verheiratet, ist aber bis zur Anerkennung bzw. Feststellung der Vaterschaft für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der g.A. der Mutter maßgeblich. Ohne Bedeutung ist, ob Vater und Mutter das Personensorgerecht für das Kind haben.
Auch Adoptiveltern sind mit Rechtskraft der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts Eltern. Keine Eltern in diesem Sinne sind Pflegeeltern, Stiefeltern und
Vormünder (ebenso Jans/Happe/Saurbier, §86 Rn. 8 und nunmehr auch Hauck,
SGB VIII, § 86 Rz 4).
2.5 „Gewöhnlicher Aufenthalt“
Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird in §30 Abs. 3 S. 2 SGB I definiert. Diese Legaldefinition gilt einheitlich für den gesamten Sozialleistungsbe2001-03.doc
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reich, also auch für die Jugendhilfe. Bereichsspezifische Abweichungen sind aber
möglich, da § 37 S. 2 SGB I die vorbehaltslose Anwendung des SGB nicht auf
§ 30 SGB I erstreckt. Seinen g.A. hat jemand dort, wo er sich unter Umständen
aufhält, die erkennen lassen, dass er hier nicht nur vorübergehend verweilt. Für die
Jugendhilfe bedeutet dies, dass er im Zuständigkeitsbereich des jeweils örtlichen
oder überörtlichen Trägers seinen Lebensmittelpunkt haben muss. Das Abstellen
auf den Lebensmittelpunkt schließt begrifflich aus, dass eine Person zwei g.A. hat.
Die Legaldefinition des § 30 würde dies zwar zulassen, da sie nicht auf den
Lebensmittelpunkt abstellt. Die Aus legung des g.A.-Begriffs ist aber durch eine
langjährige Entscheidungspraxis der Spruchstellen für Fürsorgestreitigkeiten geprägt, in der auf den Lebensmittelpunkt abgestellt wird. Diese Abweichung
gegenüber der Legaldefinition ist wegen § 37 S. 1 SGB I auch zulässig. Damit unvereinbar erscheint aber die Regelung des § 86 Abs. 2 S. 3, wonach ein Kind bei
beiden Elternteilen seinen g.A. haben kann. Auch wenn dies mit der „Lebensmittelpunkt-Auslegung“ unvereinbar ist, lässt es die Legaldefinition des § 30
SGB I doch zu (vgl. zu dieser Schwierigkeit auch Schellhorn, § 86 Rz. 26, 35 und
Krug/Grüner/Dalichau, § 86 Erl. V 2b). Die Begründung eines g.A. hängt (subjektiv) vom Willen einer Person ab, hier den Lebensmittelpunkt zu wählen und
(objektiv) davon, ob der Ausführung dieses Willens keine Hinderungsgründe entgegenstehen. Im Regelfall werden beide Faktoren mit der Begründung eines
Wohnsitzes vorliegen. Identisch ist aber der Begriff des Wohnsitzes nicht mit dem
des g.A., da der Wohnsitz in § 7 BGB anders definiert ist, an mehreren Orten
bestehen kann und seine Begründung einen rechtsgeschäftlichen Willen voraussetzt (§ 8 BGB). Im Unterschied zur Wohnsitzbegründung kommt es ferner nicht
darauf an, ob an dem gewählten Lebensmittelpunkt eine Unterkunft vorhanden ist.
Auch muss der Wille nicht ausdrücklich erklärt werden, vielmehr genügen konkludente Handlungen (Spruchstelle Kassel EuG 51, 226).
Ein g.A. kann auch in einer Einrichtung begründet werden, wenn die o.g. Voraussetzungen vorliegen. Der Schutz der Einrichtungsorte wird dann über Zuständigkeits- und Kostenerstattungsregelungen gewährleistet (vgl. Herigslack, ZfF 1993,
49).
Die Begründung des g.A. ist unabhängig von einer bestimmten Zeitdauer (ZSpr.
EuG 46, 281); sie muss aber einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum umfassen.
Bloß vorübergehend ist ein Aufenthalt, der von Anfang an nur für kurze Zeit
geplant war, z.B. ein Besuchs- oder Zwischenaufenthalt (vgl. hierzu Reisch,
DAVorm 1991/881); sog. tatsächlicher Aufenthalt. Nicht nur vorübergehend ist
ein Aufenthalt, der bis auf Weiteres besteht, also nicht auf Beendigung angelegt,
sondern zukunftsoffen ist (ebenso BayVGH DAVorm 2000/417 und BSG v.
9.5.1995, 8 RKn 2/94, unveröffentlicht). Ob ein neuntägiger Aufenthalt einer
Tochter bei ihrem Vater einen g.A. begründet, hängt daher nicht von der Zeitdauer
ab, sondern von der Zeitplanung (ohne diese Unterscheidung aber gegen die
Annahme eines g.A. in diesem Fall DIV-Gutachten, DAVorm 1999/279).
Auch Minderjährige können einen eigenen g.A. begründen, da es zu dessen
Begründung nicht auf den rechtsgeschäftlichen, sondern bloß auf den tatsächlichen
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Willen ankommt. Bei einem Widerstreit zwischen dem Willen des Minderjährigen
und dem seiner Eltern (bzw. des aufenthaltsbestimmungsberechtigten Vormunds
oder Pflegers) ist der Wille der Eltern (bzw. des Vormunds oder Pflegers) ausschlaggebend, da sie als Inhaber des Personensorgerechts auch den Aufenthalt
bestimmen (§ 1631 Abs. 1 BGB). Im Regelfall haben deshalb Minderjährige ihren
g.A. an dem ihrer Eltern. Diesen g.A. behalten sie auch bei, wenn sie sich tatsächlich an einem anderen Ort (Heim, Pflegestelle) aufhalten, weil die Rückkehr in die
Familie grundsätzlich Ziel des Hilfeplans ist (§ 37). Nur wenn keine Rückkehrperspektive besteht, begründet der Minderjährige im Heim oder in der Pflegestelle
einen g.A. (ZSpr. EuG 51, 22; Reisch, DAVorm 1991/881; allgemein zum g.A.
von Minderjährigen BVerwG FEVS 35, 397; OVG NRW NDV 1989, 357; OVG
Koblenz FEVS 39, 330). Ferner begründet der Minderjährige dann einen eigenen
g.A., wenn er seinen von dem der Eltern abweichenden Willen gegen diese faktisch durchsetzt (ebenso Mrozynski, § 86 Rz 3; Kraushaar/Ziegler/GK, § 86 Rz 5).
2.6 „Örtlicher Träger“
Örtlicher Träger ist der nach § 85 sachlich zuständige örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Wer örtlicher Träger ist, ergibt sich aus § 69 Abs. 1 S. 2 und
Abs. 2 S. 1 i.V.m. dem Landesrecht. Danach sind örtliche Träger die Kreise und
die kreisfreien Städte, bei landesrechtlicher Zulassung auch kreisangehörige
Gemeinden mit eigenem JA. Für kreisangehörige Gemeinden, die Aufgaben der
Jugendhilfe wahrnehmen, ohne ein eigenes JA zu haben (§ 69 Abs. 5), fehlt eine
Zuständigkeitsregelung, wenn sie nicht durch Landesrecht vorgenommen worden
ist (§ 69 Abs. 5 S. 4). Eine solche ist aber auch entbehrlich, da mit der Wahrnehmung einer einzelnen Jugendhilfeaufgabe durch die kreisangehörige Gemeinde
sich an der Verantwortlichkeit des Landkreises als örtlichem Träger nichts ändert.
Für die Einlösung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz beispielsweise
ist daher der Landkreis sachlich zuständig, auch wenn er sich zur Leistungserbringung des Kindergartens einer kreisangehörigen Gemeinde bedient (vgl. § 79
RN 1). Lediglich im „Innenverhältnis“ kann er die (interne) Zuständigkeit der
Gemeinde durch Vereinbarung regeln.
3 Anknüpfungsmerkmale vor Leistungsbeginn
3.1 Regelfall: gemeinsamer g.A. der Eltern (Abs. 1)
3.1.1 G.A. der Eltern (Satz 1)
Im Regelfall werden Eltern mit ihren Kindern in einem gemeinsamen Haushalt
leben. Zuständig ist dann der Jugendhilfeträger, in dessen Bereich sich dieser
Haushalt befindet. Dessen Zuständigkeit ist aber auch dann gegeben, wenn die
Eltern keinen gemeinsamen, sondern einen getrennten Haushalt führen, wobei
dieser nicht einmal in dem selben Ort, sondern auch an verschiedenen Orten
bestehen kann, wenn diese Orte nur im gleichen Zuständigkeitsbereich des
örtlichen Trägers liegen (ebenso Schellhorn, § 86 Rz. 24; ZSpr. EuG 52, 186;
Kraushaar/Ziegler/GK, § 86 Rz. 3). Unmaßgeblich ist, wo das Kind seinen
g.A. hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Eltern das Personensorgerecht haben oder nicht (ebenso ZSpr. EuG 50, 429).
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3.1.2
Kind ohne rechtlichen Vater (Satz 2)
Bis zur Anerkennung der Vaterschaft (§ 1594 BGB) oder bis zu deren gerichtlicher Feststellung (§ 1600d) hat das Kind keinen rechtlichen Vater, wenn
Vater und Mutter des Kindes im Zeitpunkt seiner Geburt nicht miteinander
verheiratet sind (früher: „nichteheliches Kind“). Daher richtet sich die örtliche
Zuständigkeit in diesem Fall nach dem g.A. der Mutter. Ab dem Zeitpunkt der
(wirksamen) Anerkennung oder Feststellung ist die Zuständigkeit neu zu
bestimmen, wobei bei gleichem g.A. Absatz 1, bei verschiedenem g.A.
Absatz 2 oder Absatz 5 in Betracht kommt, je nachdem, ob die verschiedenen
g.A. erst nach Beginn der Leistung begründet wurden (dann Absatz 5) oder
schon vorher bestanden (dann Absatz 2). Ist Absatz 2 einschlägig, sind bei
gemeinsamer Sorgeerklärung (§ 1626 a Abs. 1 Nr. 2 BGB; Abdruck bei § 7)
die verschiedenen Varianten von Satz 2 bis Satz 4 maßgeblich. Werden dagegen erst nach Beginn der Leistung verschiedene g.A. begründet (Absatz 5),
kommt es darauf an, wem die Personensorge in diesem Zeitpunkt zusteht.
3.1.3
Elternteil lebt nicht mehr (Satz 3)
Lebt nur ein Elternteil, ist – natürlich - dessen g.A. maßgebend. Stirbt er nach
Prüfung der örtlichen Zuständigkeit, aber vor einer Entscheidung über die
Gewährung, ist ebenfalls Satz 3 einschlägig. Stirbt er nach Beginn der Leistung und hatten beide im gleichen Jugendamtsbereich einen g.A., wechselt die
Anknüpfung der Zuständigkeit von Satz 1 zu Satz 3, ohne dass sich die
Zuständigkeit im Ergebnis ändert (ebenso im Ergebnis Reisch, ZfJ 1991, 297
und ZSpr. EuG 50, 321). Stirbt ein Elternteil bei verschiedenen g.A., ist ebenfalls Satz 3 maßgebend. Wurden die verschiedenen g.A. aber erst nach Beginn
der Hilfe begründet und stirbt danach ein Elternteil, gilt bis zum Tod des
Elternteils Absatz 5. Nach dem Tod richtet sich die Zuständi gkeit nach
Absatz 1 Satz 3.
Stirbt eine Mutter, die mit dem Vater des Kindes nicht verheiratet war, und ist
dessen Vaterschaft weder anerkannt noch gerichtlich festgestellt, ist Satz 3
nicht einschlägig. Eine ausdrückliche andere gesetzliche Regelung fehlt. Da
diese Lücke wohl nicht beabsichtigt, also planwidrig ist, muss sie durch
analoge Anwendung einer bestehenden gesetzlichen Regelung geschlossen
werden. Hierfür kommt Absatz 4 in Betracht, der ausdrücklich nur gilt, wenn
beide Eltern verstorben sind. Da aber in diesem Fall auf den g.A. eines anderen Elternteils nicht zugegriffen werden kann, ist die Interessenlage in beiden
Fällen die gleiche, so dass eine analoge Anwendung von Absatz 4 gerechtfertigt ist. Dies gilt auch dann, wenn die verstorbene Mutter und der (noch nicht
festgestellte oder anerkennende) Vater einen g.A. im gleichen Jugendamtsbezirk hatten. Dann ist Absatz 5 gleichsam „doppelt analog“ anzuwenden.
Eine weitere Gesetzeslücke liegt vor, wenn der g.A. eines Elternteils nicht
feststellbar oder im Ausland festgestellt ist. Absatz 4 ist dann nicht einschlä2001-03.doc
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gig, weil er die Anwendbarkeit der Absätze 2 oder 3 voraussetzt, also das
Vorliegen verschiedener g.A. Diese (ungeregelten) Fallkonstellationen sind
mit der des Absatzes 1 Satz 3 vergleichbar, so dass auch hier eine analoge
Anwendung geboten ist (so Schellhorn, § 86 Rz. 31).
3.2 Verschiedene g.A. der Eltern mit Personensorge (Abs. 2)
3.2.1 Personensorge bei einem Elternteil (Satz 1)
Voraussetzung für die Anwendung des Absatzes 2 ist, dass verschiedene g.A.
bestehen, also jeder Elternteil seinen g.A. im Bereich eines anderen JA hat.
Weitere Voraussetzung ist, dass beide oder einer von beiden die Personensorge haben (zum Personensorgerecht vgl. § 7 RN 2 mit Abdruck der §§ 1626,
1626a BGB). Hat nur ein Elternteil die Personensorge, ist Satz 1 maßgebend
mit der Folge, dass die örtliche Zuständigkeit an dessen g.A. anknüpft. Für die
Anknüpfung genügt, dass diesem Elternteil wenigstens ein Rest der Personensorge verblieben ist, beispielsweise nach einer Entziehung im Rahmen des
§ 1666 BGB oder nach Übertragung auf die Pflegefamilie gem. § 1630 Abs. 3
BGB. selbst wenn ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht (§ 1631 Abs. 1
BGB) entzogen worden ist (ebenso Mrozynski, § 86 Rz 5; DIV-Gutachten,
DAVorm 1995/337). Ohne Bedeutung ist, wer tatsächlich das Personensorgerecht ausübt (ebenso ZSpr. EuG 50, 372).
Verliert auch dieser Elternteil die gesamte Personensorge (auf die Vermögenssorge kommt es nicht an), wechselt die Anknüpfung für die örtliche Zuständigkeit von Absatz 2 nach Absatz 3. Begründen die Eltern (wieder) einen g.A.
im gleichen Jugendamtsbereich, wechselt die Anknüpfung von Absatz 2 zu
Absatz 1 Satz 1. Wird die Personensorge dem anderen Elternteil übertragen,
ist dessen g.A. maßgebend (Abs. 2 S. 1).
3.2.2 Gemeinsame Personensorge
3.2.2.1 ... und g.A. des Kindes bei einem Elternteil (Satz 2)
Haben die Elternteile verschiedene g.A., aber gemeinsame Sorge (nach Trennung oder Scheidung gem. § 1687 BGB oder aufgrund gemeinsamer Sorgeerklärungen gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB), und hat das Kind seinen g.A. bei
einem Elternteil, ist Satz 2 maßgebend mit der Folge, dass die örtliche Zuständigkeit an den g.A. dieses Elternteils anknüpft. Für die Feststellung, ob das
Kind seinen g.A. bei diesem Elternteil hat, kommt es auf den Zeitpunkt der
Entscheidung des JA über die Gewährung der Leistung, also den Leistungsbescheid an (a.A. Kraushaar/Ziegler/GK, § 83 Rz. 13: Entscheidung der Erziehungskonferenz). Zum Begriff „Beginn der Leistung“ vgl. oben 2.2.
3.2.2.2 ... und g.A. des Kindes bei beiden Elternteilen (Satz 3)
Haben die Elternteile verschiedene g.A., aber gemeinsame Personensorge, und
hat das Kind seinen g.A. bei beiden Elternteilen, knüpft die örtliche Zuständigkeit an den g.A. des Elternteils an, bei dem das Kind im Zeitpunkt des
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Leistungsbescheids seinen tat sächlichen Aufenthalt hatte. Dass ein Kind bei
beiden Elternteilen seinen g.A. haben kann, ist begrifflich nicht ausgeschlossen (vgl. oben 2.5). Im Unterschied zum g.A. genügt für den tatsächlichen
Aufenthalt die - auch nur vorübergehende - Anwesenheit bei dem Elternteil
(z.B. besuchsweise). Dagegen erscheint es aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen, dass ein Kind bei beiden Elternteilen auch seinen tatsächlichen
Aufenthalt im selben Zeitpunkt haben kann (a.A. J/H/S, § 86 Rn. 36). Hatte
der Elternteil, bei dem das Kind zuletzt seinen tatsächlichen Aufenthalt hatte,
keinen g.A., ist Absatz 4 maßgebend.
3.2.2.3 ... und g.A. des Kindes bei keinem Elternteil (Satz 4)
Voraussetzung für die Anwendung von Satz 4 ist, dass die Eltern verschiedene
g.A., aber gemeinsame Personensorge haben, und dass das Kind bei keinem
von beiden in den 6 Monaten vor dem Leistungsbescheid einen g.A. hatte.
Hatte das Kind aber im Zeitpunkt des Leistungsbescheids einen eigenen g.A.,
gilt Abs. 2 S. 4 Hs. 1 mit der Folge, dass die örtliche Zuständigkeit an den
g.A. des Kindes anknüpft. Satz 4 ist also nur dann anwendbar, wenn das Kind
in den 6 Monaten vor Erlass des Leistungs bescheides bei keinem Elternteil
einen g.A. hatte. Zur Begründung eines eigenen g.A. des Kindes vgl. oben
RN 13.
Hatte das Kind im 6-Monats-Zeitraum vor Erlass des Leistungsbescheides
aber keinen eigenen g.A., ist Abs 2 S. 4 Hs. 2 maßgebend mit der Folge, dass
die örtliche Zuständigkeit an den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes vor Erlass des Leistungsbescheides anknüpft.
Für die Feststellung des g.A. oder des t.A. des Kindes genügt also eine
„Momentaufnahme“ im Zeitpunkt des Erlasses des Leistungsbescheides; auf
den überwiegenden Aufenthalt in diesem Zeitraum kommt es dagegen nicht
an.
3.3 Verschiedene g.A. der Eltern ohne Personensorge (Abs. 3)
3.3.1 ... und g.A. des Kindes bei einem Elternteil
Voraussetzung für die Anwendung des Abs. 3 ist, dass verschiedene g.A. der
Eltern bestehen und - im Unterschied zu Abs. 2 - kein Elternteil die Personensorge hat, sondern ein Pfleger (§ 1909 BGB). Hatte das Kind vor Erlass des
Leistungsbescheides seinen g.A. bei einem Elternteil, ist Abs. 2 S. 2 entsprechend anwendbar mit der Folge, dass die örtliche Zuständigkeit an den g.A.
dieses Elternteils anknüpft. In welchem Zeitraum vor Erlass des Leistungs bescheides das Kind seinen g.A. bei einem Elternteil hatte, ist unerheblich; es
kommt nur darauf an, wo der g.A. des Kindes vor Erlass des Leistungsbescheides zuletzt bestand.
2001-03.doc
11
3.3.2
... und g.A. des Kindes bei keinem Elternteil
Haben die Elternteile verschiedene g.A. und hat kein Elternteil die Personensorge, und hat das Kind bei keinem der Elternteile seinen g.A., ist Abs. 2 S. 4
entsprechend anwendbar mit der Folge, dass die örtliche Zuständigkeit an den
g.A. des Kindes anknüpft; hatte das Kind in den letzten 6 Monaten vor Leistungsgewährung keinen g.A., knüpft die Zuständigkeit an seinen tatsächlichen
Aufenthalt an.
Ist ein Kind in einer Entbindungsanstalt geboren worden, ist ebenfalls Abs. 3
einschlägig. Vor der Geburt kann ein Kind keinen g.A. begründen, weil ein
nasciturus zwar bereits einzelne Rechte hat, aber noch keine Person ist. Auch
mit der Geburt hat das Kind keinen g.A. bei der Mutter erwo rben. Eine
„Rückwirkung“ ist durch § 86 Abs. 2 S. 4 ausgeschlossen. Für die Feststellung
des g.A. bei Säuglingen kommt es auf den Willen des Aufenthaltsbestimmungsberechtigten an, soweit der Ausführung dieses Willens nicht die objektiven Verhältnisse entgegenstehen (Spruchstelle Kassel EuG 50, 229).
3.3.3
... und g.A. des Kindes bei beiden Elternteilen
Es ist denkbar, dass Elternteile verschiedene g.A. haben, die Personensorge
keinem von beiden zusteht, und das Kind bei beiden Elternteilen einen g.A.
hat (so der praktische Fall in DIJuF-Gutachten, DAVorm 2000/666). Für
diesen Fall fehlt eine gesetzliche Regelung, da Abs. 3 ausdrücklich nur die
entsprechende Anwendung von Abs. 2 S. 2 und 4, aber nicht von S. 3 regelt.
Da Anhaltspunkte aus der Gesetzesbegründung für eine geplante Lücke
fehlen, muss eine planwidrige Lücke angenommen werden, die durch analoge
Anwendung geschlossen werden kann. Dies bedeutet, dass Abs. 2 S. 2 analog
entsprechend (nicht „doppelt analog“ wie DIJuF-Gutachten a.a.O.) anzuwenden ist (für analoge Anwendung J/H/S, § 86 Rn. 47 und ZSpr. v. 2.10.1986,
Az. B 186/95, nicht veröffentlicht).
3.4 Kein (feststellbarer) g.A. der Eltern/des Elternteils im Inland oder Tod der
Eltern (Abs. 4)
3.4.1 ... aber g.A. des Kindes (Satz 1)
Absatz 4 ist (erstens) dann einschlägig, wenn die Eltern keinen g.A. im
Inland haben. Dies ist der Fall, wenn sie entweder in Deutschland keinen g.A.
haben, sondern im Ausland oder dann, wenn sie weder im Inland noch im
Ausland einen g.A. haben. (Zweitens) gilt Abs. 4 dann, wenn ein g.A. der
Eltern im Inland nicht feststellbar ist. Diese Voraussetzung liegt erst dann
vor, wenn das in Betracht kommende JA seine Pflicht zur Amtsermittlung
(§ 20 SGB X) gründlich erfüllt hat. Dazu müssen alle nach §21 SGB X in
Betracht kommenden Beweismittel erfolglos benutzt worden sein. Ins besondere müssen alle Auskunftswege erschöpft sein (z.B. bei anderen Sozialleistungsträgern, Meldebehörden oder dem Ausländerzentralregister). Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit für derartige Anfragen ergibt sich aus § 62
2001-03.doc
12
Abs. 3 Nr. 2a (vgl. § 62 RN 11 und 12). (Drittens) gilt Abs. 4 dann, wenn die
Eltern verstorben sind.
Die ersten beiden Varianten gelten auch für einen Elternteil, der im Inland
keinen g.A. hat oder bei dem ein solcher nicht feststellbar ist. Dies gilt aber
nur, wenn es sich um einen nach den Abs. 1 bis 3 maßgeblichen Elternteil
handelt. Im Fall des Abs. 1 gilt dies für die nach S. 2 maßgebliche Mutter.
Dagegen erscheint der Verweis auf die Abs. 2 und 3 widersprüchlich, da zwar
in beiden Absätzen vorausgesetzt wird, dass jeder Elternteil einen g.A. hat.
Dieser muss auch im Inland liegen, da er sich nur dann im Zuständigkeitsbereich eines örtlichen Trägers befindet. Dem Sinn des Absatzes 4 entsprechend
muss es sich also bei dem maßgeblichen Elternteil nach Abs. 2 und 3 um einen
solchen handeln, an dessen g.A. die örtliche Zuständigkeit anknüpfen würde,
wenn er einen g.A. hätte. Da er aber keinen hat oder dieser nicht feststellbar
ist, knüpft die Zuständigkeit an den g.A. des Ki ndes vor Leistungsgewährung
an (Satz 1). Dies gilt für die Fälle des Abs. 2 S. 1, 2 und 3 sowie für Abs. 3
i.V.m. Abs. 2 S. 2 entsprechend, S. 3 analog entsprechend.
Die dritte Variante (die Eltern sind verstorben) kann sich sprachlich auch auf
das Versterben des nach Abs. 1 bis 3 maßgeblichen Elternteils beziehen. Aus
dem Regelungszusammenhang ergibt sich aber, dass der Tod beider Elternteile
gemeint ist, weil beim Tod nur eines Elternteils die örtliche Zuständigkeit
schon in Abs. 1 S. 3 geregelt ist. Für eine Anwendung auch des Abs. 2 beim
Versterben nur eines Elternteils ist dagegen kein Raum (a.A. Schellhorn, § 86
Rz. 45).
3.4.2
... ohne g.A. des Kindes (Satz 2)
Haben die Eltern oder die maßgeblichen Elternteile keinen g.A. oder ist dieser
nicht feststellbar oder sind beide Eltern tot und hatte das Kind keinen g.A., ist
Satz 2 maß gebend mit der Folge, dass die örtliche Zuständigkeit an den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes anknüpft. Dabei ist zu prüfen, ob das Kind
irgendwann während der letzten 6 Monate vor Leistungsgewährung einen g.A.
hatte; wenn ja, ist Satz 1 einschlägig, wenn nein, gilt Satz 2. Dann ist zu prüfen, wo sich das Kind vor Leistungsgewährung zuletzt tatsächlich aufgehalten
hat. Auch wenn die Formulierung „zuletzt tatsächlich aufgehalten hat“ in
Satz 2 fehlt (im Unterschied zu Abs. 2 S. 3), folgt aus dem Sinn des Abs. 4,
dass der örtliche Träger zuständig sein soll, in dessen Bereich sich der
Jugendliche zuletzt tatsächlich aufgehalten hat. Nur dann ist eine eindeutige
Zuständigkeitsbestimmung möglich.
4
Tatsächliche Veränderung eines Anknüpfungsmerkmals nach Leistungsbeginn (Abs. 5)
4.1 Prinzip der „dynamischen“ Zuständigkeit
Ändert sich nach Leistungsbeginn ein Anknüpfungsmerkmal für die örtliche Zuständigkeit, ändert sich damit im Regelfall auch die Zuständigkeit selbst
2001-03.doc
13
(„wandernde“ Zuständigkeit). So beispielsweise dann, wenn die Eltern ihren
gemeinsamen g.A. von einem Jugendamtsbereich in einen anderen verlagern
(Abs. 1 S. 1). Ebenso wenn der nach Abs. 2 und 3 maßgebliche Elternteil seinen
g.A. von einem Jugendamtsbereich in einen anderen verlegt.
Dies gilt auch, wenn sich das Anknüpfungsmerkmal des Personensorgerechts
ändert (a.A. Wiesner, §86 Rdnr. 32a; DIV-Gutachten, DAVorm 1999/233). Im
Fall des Absatzes 1 ist das Personensorgerecht kein Anknüpfungsmerkmal, da es
dort nur auf den gemeinsamen g.A. ankommt. Anders im Fall des Absatzes 2, also
bei verschiedenen g.A. Wird bei verschiedenen g.A. beispielsweise das Personensorgerecht von einem auf den anderen übertragen, erfordert es der Sinn der
Anknüpfung an das Personensorgerecht, dass nunmehr der Träger zuständig wird,
in dessen Bereich der Personensorgeberechtigte seinen g.A. hat (a.A. Wiesner
a.a.O.: kein Grund für eine Zuständigkeitsänderung). Bei anderen Sorgerechtsänderungen im Fall des Absatzes 2 muss deshalb die Zuständigkeit neu geprüft
werden, ohne dass dies notwendigerweise zu einem Wechsel der Zuständigkeit
führen muss. Der Begriff der „wandernden“ Zuständigkeit ist deshalb ungenau und
sollte besser durch den der „dynamischen“ Zuständigkeit ersetzt werden, da damit
besser zum Ausdruck gebracht wird, dass bei Veränderung des Anknüpfungsmerkmals die Zuständigkeit neu geprüft, aber nicht notwendig verändert werden
muss.
Der Wechsel des tatsächlichen oder gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes oder
Jugendlichen bewirkt dagegen keine Veränderung der Zuständigkeit, da es auf
diesen Aufenthalt immer nur vor Beginn der Leistung ankommt, also keine neue
Anknüpfung erfolgen kann (ebenso Wiesner, § 86 Rdnr. 28).
4.2 „Dynamische“ oder „statische“ Zuständigkeit (Satz 1)
4.2.1 Begründung verschiedener g.A. der Eltern (Satz 1)
4.2.1.1 Personensorgerecht bei einem Elternteil
Haben die Eltern vor Beginn der Leistung (vgl. zu diesem Begriff oben 2.2)
verschiedene g.A., ist Abs. 2 maßgebend. Begründen sie erst nach Beginn der
Leistung verschiedene g.A., wechselt die Zuständigkeitsbestimmung nicht
etwa von Abs. 1 S. 1 nach Abs. 2 S. 1; vielmehr wird die Zuständigkeit durch
die Sonderregelung des Abs. 5 bestimmt. Die Anwendung dieser Sonderregelung führt allerdings zu keinem anderen Ergebnis als dem, das sich auch bei
Anwendung des allgemeinen Prinzips der dynamischen Zuständigkeit aus
Abs. 2 S. 1 ergeben hätte. Die örtliche Zuständigkeit knüpft dann nämlich an
den g.A. des personensorgeberechtigten Elternteils an (Abs. 5 S. 1). Dies kann
zu einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit führen, wenn der personensorgeberechtigte Elternteil seinen g.A. gewechselt hat. Hat er ihn aber beibehalten, ändert sich an der Zuständigkeit nichts.
Zu beachten ist, dass allein die Trennung der Eltern nach Beginn der Leistung
nicht zur Anwendbarkeit des Abs. 5 führt, wenn beide Elternteile verschiedene
Wohnungen im Bereich desselben Trägers beziehen, da der Begriff des g.A.
2001-03.doc
14
sich nach dem Zuständigkeitsbereich des örtlichen Trägers bestimmt (vgl.
oben 3.3.1; RN 15; ebenso ZSpr. EuG 53, 98).
4.2.1.2 Personensorge bei keinem Elternteil (Satz 2)
Solange die Personensorge nach Begründung verschiedener g.A. noch nicht
einem Elternteil übertragen worden ist, es also bei der gemeinsamen Personensorge beider Elternteile bleibt, bleibt auch die bisherige Zuständigkeit
bestehen („statische“ Zuständigkeit). Bestand vor Beginn der Leistung Alleinsorge eines Elternteils, und begründen die Eltern nach Beginn der Leistung
verschiedene g.A., aber gemeinsame Sorge, bleibt ebenfalls die bisherige Zuständigkeit erhalten.
4.2.1.3 Personensorge bei beiden Elternteilen (Satz 2)
Werden nach Beginn der Leistung verschiedene g.A. begründet und steht die
Personensorge keinem Elternteil zu, bleibt es bei der bisherigen nach Abs. 1
S. 1 begründeten örtlichen Zuständigkeit. Bestand vor Beginn der Leistung
alleinige oder gemeinsame elterliche Sorge, und werden nach Beginn der
Leistung verschiedene g.A. begründet und steht die elterliche Sorge keinem
Elternteil mehr zu, bleibt ebenfalls die bisherige Zuständigkeit erhalten.
Die nach Abs. 5 begründete Zuständigkeit muss neu bestimmt werden, wenn
sich die Anknüpfungsmerkmale ändern. Wechselt beispielsweise der personensorgeberechtigte Elternteil seinen g.A., knüpft die örtliche Zuständigkeit
am neuen g.A. des personensorgeberechtigten Elternteils an. Dies folgt aus
dem Zweck dieser Anknüpfung, die Zuständigkeit am g.A. des Personensorgeberechtigten zu begründen (a.A. ZSpr. v. 13.2.1997, Az.: B 49/96 - bisher
nicht veröffentlicht: die zuletzt gegebene Zuständigkeit bleibt bestehen). Wird
das Personensorgerecht dem anderen Elternteil übertragen, wechselt die Zuständigkeit an dessen g.A. Wird aus dem alleinigen Sorgerecht später ein gemeinsames Sorgerecht, bleibt die bisherige Zuständigkeit erhalten. Wird das
alleinige Sorgerecht entzogen und nicht dem anderen Elternteil übertragen,
bleibt ebenfalls die bisherige Zuständigkeit erhalten. Bei Verlust des alleinigen
Sorgerechts geht auch das Anknüpfungsmerkmal für die örtliche Zuständigkeit
verloren. Die bisherige Zuständigkeit i.S.v. Abs. 5 S. 2 ist in einem solchen
Fall nicht die frühere Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 S. 1, sondern die bis
dahin zuletzt bestandene Zuständigkeit nach § 86 Abs. 5 S. 1 (ebenso ZSpr.
a.a.O.). Dies hat für die gemeinsame Sorge seinen Sinn, für einen Elternteil
ohne Personensorge aber nicht. Sinnvoller wäre es, die örtliche Zuständigkeit
in diesem Fall am g.A. des Kindes anzuknüpfen. De lege lata muss man aber
die bisherige Zuständigkeit akzeptieren.
4.2.2
Begründung zweier neuer g.A.
Die Regelung des Abs. 5 ist dann sinnvoll, wenn verschiedene g.A. in der
Weise begründet werden, dass ein Elternteil seinen bisherigen g.A. beibehält.
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15
Begründen aber beide Elternteile zwei neue g.A., führt die Regelung des
Abs. 5 S. 2 dazu, dass die bisherige Zuständigkeit bei einem Träger erhalten
bleibt, in dessen Bereich sich kein personensorgeberechtigter Elternteil mehr
aufhält. Die Anwendung des Satzes 2 auch in diesem Fall missachtet den
Zweck der Anknüpfungsregelung. De lege ferenda sollte die örtliche Zuständigkeit bei gemeinsamer elterlicher Sorge am g.A. eines Elternteils, bei
Verlust der Personensorge beider Elternteile am g.A. des Kindes anknüpfen.
4.2.3
Verlust des (feststellbaren) g.A. der Eltern/des Elternteils im Inland oder
Tod der Eltern (Satz 3)
4.2.3.1 ... aber g.A. des Kindes im Inland (i.V.m. Abs. 4 S. 1)
Absatz 5 Satz 3 transformiert die Regelung des Absatzes 4 auf die zeitliche
Ebene des Absatzes 5, also auf die Zeit nach Leistungsbeginn. Liegen die in
Abs. 4 genannten Anknüpfungsmerkmale vor Leistungsbeginn (zum Begriff
vgl. oben 2.2) vor, gilt Abs. 4 direkt; treten sie erst nach Leistungsbeginn ein,
gilt Abs. 4 entsprechend, d.h. unter Berücksichtigung der zeitlichen Besonderheit des Abs. 5, nämlich dem Wegfall des g.A. erst nach Leistungsbeginn.
Haben also die Eltern erst nach Leistungsbeginn ihren g.A. im Inland aufgegeben oder ist er nicht feststellbar oder sind sie verstorben, hat aber das Kind
einen g.A. im Inland, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nunmehr nach dem
jetzt bestehenden g.A. des Kindes (Abs. 4 S. 1 entsprechend).
4.2.3.2 ... ohne g.A. des Kindes im Inland (i.V.m. Abs. 4 S. 2)
Haben die Eltern nach Leistungsbeginn ihren g.A. im Inland aufgegeben oder
ist er nicht feststellbar oder sind sie verstorben, und hatte das Kind in dem
Zeitraum der 6 Monate vor dem Zeitpunkt dieser Veränderung nie einen g.A.,
wird nunmehr der Träger zuständig, in dessen Bereich das Kind sich im Zeitpunkt der Veränderung (a.A. Wiesner, §86 Rdnr. 32: vor Beginn der Leistung) tatsächlich aufhält (Abs. 5 S. 3 i.V.m. Abs. 4 S. 2 entsprechend).
Verliert nach Beginn der Leistung nur ein Elternteil seinen g.A. im Inland oder
ist er nicht mehr feststellbar, kommt es darauf an, ob dieser Elternteil maßgeblich war für die Zuständigkeitsbestimmung. Im Fall des Absatzes 2 hängt
dies von der Regelung des Personensorgerechts ab.
Sind beide Eltern nach Beginn der Leistung verstorben, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem g.A. des Kindes im Versterbenszeitpunkt (Abs. 5
S. 3 i.V.m. Abs. 4 S. 1 entsprechend). Hatte das Kind in den 6 Monaten vor
dem Tod der Eltern keinen g.A., richtet sich die örtliche Zuständigkeit danach,
wo sich das Kind im Todeszeitpunkt der Eltern tatsächlich aufhält (Abs. 5 S. 3
i.V.m. Abs. 4 S. 2 entsprechend). Stirbt nach Beginn der Leistung nur ein
Elternteil, gilt §86 Abs. 1 S. 3, wenn im Zeitpunkt des Todes ein gemeinsamer g.A. bestand. Hatten die Elternteile in diesem Zeitpunkt verschiedene
g.A., kommt es nicht darauf an, ob die verschiedenen g.A. vor (Fall des
Abs. 2) oder nach Leistungsbeginn (Fall des Abs. 5) begründet wurden; viel2001-03.doc
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mehr gilt in beiden Fällen ebenfalls Abs. 1 S. 3 (Prinzip der dynamischen
Zuständigkeit), ohne dass es auf die Regelung der Personensorge ankommt.
4.2.4
Begründung eines gemeinsamen g.A. der Eltern
Hatten die Eltern vor Beginn der Leistung verschiedene g.A., begründen sie
aber nach Leistungsbeginn einen gemeinsamen g.A., fehlt eine ausdrückliche
gesetzliche Rege lung. Die Lücke kann auch nicht durch Anwendung des Prinzips der „dynamischen“ Zuständigkeit (vgl. oben 4.1) geschlossen werden, da
dieses Prinzip voraussetzt, dass sich innerhalb einer bestehenden Zuständigkeitsregelung lediglich die Anknüpfungsmerkmale für die örtliche Zuständigkeit ändern. Bei fehlendem Zuständigkeitsrahmen muss die (planwidrige)
Lücke durch analoge Anwendung des § 86 Abs. 1 S. 1 geschlossen werden.
Ändern die Eltern im Verlauf ihres Hilfeprozesses abermals ihre Entscheidung
und begründen wieder verschiedene g.A., gilt § 86 Abs. 5 und zwar ebenfalls
analog, da er eine Regelung nur für den Fall trifft, dass unmittelbar nach
Leistungsbeginn verschiedene g.A. begründet werden.
5
Gesetzliche Veränderung der Anknüpfungsmerkmale bei Familienpflege
(Abs. 6)
5.1 Voraussetzungen (Satz 1)
5.1.1 Zweijähriger Aufenthalt bei Pflegeperson (Satz 1)
Im Falle des Abs. 6 tritt eine Veränderung nach Leistungsbeginn ein, die aber
nicht - wie bei Abs. 5 - die tatsächliche Veränderung von Anknüpfungsmerkmalen berücksichtigt, sondern eine rechtliche Veränderung des Anknüpfungsmerkmals selbst ist. Es gelten nicht mehr die Anknüpfungsmerkmale nach den Abs. 1 bis 5, sondern es wird als neues Anknüpfungsmerkmal
der Aufenthalt bei einer Pflegeperson normiert. Die Zuständigkeit wechselt
von dem nach den Abs. 1 bis 5 bisher zuständigen Träger zu dem Träger, in
dessen Bereich die Pflegeperson ihren g.A. hat. Voraussetzung ist, dass sich
das Kind mindestens zwei Jahre bei der Pflegeperson aufgehalten hat. Der
Begriff der „Pflegeperson“ ist nicht als Gattungsbegriff zu verstehen, sondern
meint die indi viduelle Pflegeperson, wie sich aus der Formulierung „bei dieser
Pflegeperson“ ergibt. Pflegeperson ist die Person, die ein Kind außerhalb des
Elternhauses in ihrer Familie regelmäßig betreut oder ihm Unterkunft gewährt
(§ 44 Abs. 1). Gleichgültig ist, ob eine Pflegeerlaubnis notwendig war oder
erteilt wurde (ebenso Wiesner, § 86 Rdnr. 35; J/H/S, § 86 Rn. 70; Schellhorn,
§ 86 Rz. 50; Kraushaar/Ziegler/GK, § 86 Rz. 38). Auch kommt es nicht darauf
an, auf welcher Rechtsgrundlage der Aufenthalt des Kindes bei der Pflegeperson beruht. HzE nach § 27 kommt ebenso in Betracht wie Eingliederungshilfe
nach § 35a, Tagespflege nach §23, Adoptionspflege nach § 1744 BGB, die
Betreuung durch einen Vormund oder einen Verwandten; auch Eingliederungshilfe für ein körperlich oder geistig behindertes Kind nach § 39, 40
BSHG kommt in Betracht. Lebte das Kind schon vor Beginn der Jugendhilfeleistung zwei Jahre bei der Pflegeperson, tritt die örtliche Zuständigkeit des
Jugendhilfeträgers unmittelbar mit Beginn der Jugendhilfeleistung ein, ohne
2001-03.doc
17
dass es zu einem Wechsel der Zuständigkeit für diese Jugendhilfeleistung
kommen kann.
Bei einem Wechsel der Pflegestelle läuft die 2-Jahres-Frist ab Aufnahme in
die neue Pflegestelle von vorne. Gleiches gilt für eine Unterbrechung der
Betreuung in der Pflegestelle, etwa bei kurzfristiger Leistung der HzE in einer
Einrichtung. Krankenhausaufenthalte führen dagegen nicht zu einer Unterbrechung, da während dieser Zeit die Unterbringung in der Pflegestelle fortbesteht. Zur Unterbrechung der Leistung vgl. RN 8.
5.1.2
Prognose zum weiteren Verbleib (Satz 1)
Zur Rückschau auf die vergangenen zwei Jahre muss eine Vorausschau hinzutreten. Dabei ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Aufenthalt bei
dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist. Dabei handelt es sich um einen
unbestimmten Rechtsbegriff, der auszulegen ist, wobei es keinen Beurteilungsspielraum gibt, also volle gerichtliche Kontrolle besteht. Ermessen besteht ohnehin nicht, da der Begriff sich nicht auf der Rechtsfolgeseite einer
Norm befindet. Der Verbleib auf Dauer ist dann zu erwarten, wenn eine Rückkehr bis auf Weiteres ausgeschlossen ist und die Pflegeperson bereit (subjektiv) und in der Lage (objektiv) ist, das Kind zukunftsoffen zu betreuen. Die
Bereitschaft einer dauerhaften Betreuung kann an den objektiven Faktoren
(Alter oder Gesundheitszustand der Pflegeperson) scheitern. Die Perspektive
des Aufenthalts wird im Hilfeplan und dessen Fortschreibung verbindlich
festgelegt (vgl. § 36 RN 27). Muss die Prognose bei einer Fortschreibung des
Hilfeplans korrigiert werden, entfällt die Voraussetzung für die Anwendung
des Abs. 6; die Zuständigkeit richtet sich dann nach den Abs. 1 bis 5 (ebenso
Kraushaar/Ziegler/GK, § 86 Rz. 39).
5.2 Folge: Anknüpfung an den g.A. der Pflegeperson (Satz 1)
Bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers nach dem g.A. der Pflegeperson (zum Begriff des
g.A. vgl. oben 2.5). Hat ein Ehepaar, das ein Kind betreut, verschiedene g.A.,
kommt es auf den Pflegeelternteil an, der die überwiegende Versorgung des
Kindes übernommen hat. Wo er sich überwiegend und auf Dauer aufhält, ist sein
g.A. anzunehmen. Wohnt die Pflegeperson im Ausland, ist eine Jugendhilfeleistung nur unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 möglich. Für die Gewährung
dieser Leistung ist dann aber der überörtliche Träger gem. § 85 Abs. 2 Nr. 9 sachlich und gem. § 88 Abs. 1 örtlich zuständig. Nur unter den Voraussetzungen des
§ 88 Abs. 2 stellt sich dann die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit des örtlichen Trägers (insoweit missverständlich Wiesner, § 86 Rdnr. 33).
5.3 Unterrichtungspflicht (Satz 2)
Bei einem Zuständigkeitswechsel hat der neu zuständige Träger (a.A. Schellhorn,
§ 86 Rz. 52: der bisherige Träger) eine Unterrichtungspflicht. Adressat dieser
2001-03.doc
18
Pflicht sind immer die Eltern; zusätzlich auch der PSB, wenn den Eltern nicht die
volle Personensorge zusteht. Inhalt der Pflicht ist die Mitteilung über den Wechsel
der Zuständigkeit. Die Adresse des neu zuständigen JA ergibt sich bei schriftlicher
Unterrichtung bereits aus dem Briefkopf, bei mündlicher Unterrichtung muss sie
genannt werden. Auf die Unterrichtung haben die Adressaten einen Rechtsanspruch; bei Verletzung der Pflicht liegt eine Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB)
vor.
Keine Unterrichtungspflicht besteht, wenn kein Wechsel der Zuständigkeit eingetreten ist, weil die Zuständigkeit unmittelbar mit Leistungsbeginn eintritt (vgl.
5.1.1; ebenso Wiesner, § 86 Rdnr. 38). Ebenso wenig tritt ein Zuständigkeitswechsel ein, wenn der Jugendhilfeträger A beispielsweise 2 Jahre lang Eingliederungshilfe gem. § 35a in einer Pflegefamilie im Bereich des Trägers B geleistet hat.
Wird nunmehr statt dessen HzE gem. § 27 geleistet, ist für diese der Jugendhilfeträger B erstmalig zuständig, weil diese Leistung bisher nicht erbracht worden ist;
eine Unterrichtungspflicht besteht nicht. Wird aber nach 2 Jahren zusätzlich zur
Eingliederungshilfe HzE gewährt, tritt ein Zuständigkeitswechsel nur für die Eingliederungshilfe ein, nicht aber für die HzE; eine Unterrichtungspflicht besteht nur
hinsichtlich der Eingliederungshilfe.
Neben die „Elternunterrichtung“ tritt die „Amtsunterrichtung“ gem. § 86c S. 2
(vgl. dort RN 5), die jeden der beteiligten Träger trifft. Bei einem Zuständigkeitswechsel dauert die Leistungspflicht fort (vgl. § 86c RN 1).
5.4 Ende der Zuständigkeit (Satz 3)
Endet der Aufenthalt des Kindes bei der Pflegeperson, ist das Anknüpfungsmerkmal für die örtliche Zuständigkeit nach Abs. 6 entfallen. Die örtliche Zuständigkeit
ergibt sich dann wieder aus den Abs. 1 bis 5. Damit gilt auch die Zuständigkeitsregelung nach Abs. 5 S. 2 mit der Folge, dass die Zuständigkeit am Pflegeort erhalten bleibt, obwohl sich dort weder Eltern noch Kind aufhalten. Eine derartige
„Zuständigkeitsruine“ entspricht nicht dem Zweck der Regelung des Abs. 5 S. 2.
Zu einem weiteren Fall der „Zuständigkeitsruine“ vgl. oben 4.2.2. Eine teleologische Auslegung führt deshalb zur Zuständigkeitsbestimmung aus Abs. 2 S. 2 bis 4
(ebenso Wiesner, § 86 Rdnr. 39).
6 Sonderregelung für Leistungen an Asylsuchende (Abs. 7)
6.1 Anknüpfung der Erstzuständigkeit für Leistungen
6.1.1 außerhalb eines Verteilungsverfahrens (Satz 1)
6.1.1.1 ... an den tatsächlichen Aufenthalt (Halbs. 1)
Nur wenn es um Leistungen i.S.v. § 2 Abs. 2 geht, ist § 86 einschlägig; für
die sog. anderen Aufgaben i.S.v. § 2 Abs. 3 ist die örtliche Zuständigkeit nach
den §§ 87 bis 87e zu bestimmen.
Leistungen an Kinder oder Jugendliche (zum Begriff vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und
2) werden erbracht, wenn das Kind Leistungsadressat ist; gleichgültig ist, ob
es auch Leistungsberechtigter ist (zu diesen Begriffen vgl. § 8 RN 8b). Bei2001-03.doc
19
spielswe ise ist bei einer HzE nach § 27 Leistungsadressat das Kind,
Leistungsberechtigter der PSB (Eltern oder Vormund). Die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit setzt voraus, dass eine Leistungs berechtigung überhaupt
besteht; dies richtet sich nach § 6 Abs. 2 und 4.
Weitere Voraussetzung ist Asylsuche. Diese liegt vor, wenn ein förmlicher,
rechtswirksamer Asylantrag gem. § 13 AsylVfG gestellt worden ist, aber auch
schon dann, wenn lediglich tatsächlich ein Asylbegehren vorgebracht wurde.
Einen Asylantrag kann ein Jugendlicher schon mit 16 Jahren stellen (§ 12
AsylVfG); es bedarf also hierfür keines gesetzlichen Vertreters. Bis 16 Jahre
kann der minderjährige Ausländer selbst den Tatbestand der Asylsuche erfüllen, weil sein tatsächliches Vorbringen genügt. Damit schafft Satz 1 eine
Zuständigkeitsregelung auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter
16 Jahren, die keinem Verteilungsverfahren gem. § 44 AsylVfG unterliegen
und somit auch nicht von einer Zuweisungsentscheidung der zuständigen
Landesbehörde erfasst werden.
Nicht erfasst von der Zuständigkeitsregelung des Absatzes 7 sind Kinder und
Jugendliche, die sich in Deutschland ohne Asylsuche aufhalten. Dies sind
beispielsweise Bürgerkriegsflüchtlinge (mit oder ohne Aufenthaltsbefugnis
nach §§ 32, 32a AuslG) und andere Personen, die nach den Flüchtlingsaufnahmegesetzen der Länder (z.B. § 1 FlüAG B.-W.) außerhalb eines Asylverfahrens aufzunehmen sind. Für Leistungen an sie wird die örtliche Zuständigkeit nach den Absätzen 1 bis 6 bestimmt.
Die Asylsuche endet mit der Anerkennung als Asylberechtigter oder mit der
Ablehnung der Anerkennung; außerdem mit Rücknahme des Antrags oder
anderweitiger Erledigung. Bis zum Abschluss des Asylverfahrens erhalten die
Asylbewerber eine Aufenthaltsgestattung gem. § 55 AsylVfG. Mit dem
Abschluss des Asylverfahrens ist die Zuständigkeit nach Satz 3 zu bestimmen.
Liegen diese Voraussetzungen vor, knüpft die örtliche Zuständigkeit an den
tatsächlichen Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen an (zum Begriff des
tatsächlichen Aufenthalts vgl. oben 2.5). Es kommt auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Aufent halts vor Beginn der Leistung an (zu diesem Begriff vgl.
oben 2.2). Zur Vermeidung der (umständlichen) Formulierung „Kinder oder
Jugendliche“ wurde der Begriff „die Person“ gewählt. Damit ist aber nicht
gemeint, dass es auf den tatsächlichen Aufenthalt (auch) des PSB ankommen
könne (so aber Wiesner, §86 Rdnr. 45). Dies folgt aus der systematischen
Stellung des Begriffs im Gefüge des Satzes 1 und der Anschlussformulierung
in Satz 2, aber auch aus dem Zweck der Regelung, die örtliche Zuständigkeit
für eine Leistung an den Aufenthalt des Kindes anknüpfen zu können. Die
(bloße) Anknüpfung an den tatsächlichen Aufenthalt des Minderjährigen darf
nicht die Illusion wecken, damit bestünde auch eine Leistungsberechtigung.
Diese ergibt sich vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 und
4, wobei sowohl der Absatz 2 als auch der Absatz 4 (i.V.m. dem MSA;) einen
gewöhnlichen Aufenthalt fordern (vgl. § 6 RN 19 und 39). Allein die Existenz
2001-03.doc
20
der Regelung des § 86 Abs. 7 erweist aber, dass die Annahme eines g.A. für
Asylsuchende nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, da die
Zuständigkeitsregelung für Leistungen an Asylsuchende sonst ins Leere ginge
(vgl. Kunkel, ZfJ 1994, 386).
6.1.1.2 ... an die vorausgegangene Zuständigkeit bei Inobhutnahme (Halbs. 2)
Nach Ankunft eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings in Deutschland
hat der Jugendhilfeträger gem. § 42 Abs. 2 oder 3 die Pflicht, den Minderjährigen in Obhut zu nehmen. §6 Abs. 1 S. 2 ebenso wie Abs. 4 i.V.m. Art. 1
MSA öffnet den Anwendungsbereich des §42 auch minderjährigen Flüchtlingen. Die örtliche Zuständigkeit für die Inobhutnahme ergibt sich aus § 87.
§ 86 Abs. 7 S. 1 Hs. 2 fixiert die dadurch begründete Zuständigkeit auch für
eine daraufhin erfolgende Leistungsgewährung. Da HzE dem PSB geleistet
wird, ist es notwendig, für den ohne Eltern eingereisten Minderjährigen einen
Vormund zu bestellen. Unmittelbar nach der Inobhutnahme muss das JA daher
die Bestellung beim VormG beantragen. Die Frist hierfür beträgt regelmäßig
nur wenige Tage (BVerwG FEVS 51, 152).
6.1.2 innerhalb eines Verteilungsverfahrens (Satz 2)
6.1.2.1 ... ab Zuweisungsentscheidung (Halbs. 1)
Satz 2 regelt die örtliche Zuständigkeit für Leistungen an minderjährige Asylsuchende, die einem Verteilungsverfahren gem. §§ 44 bis 54 AsylVfG
unterliegen. Diesem Verfahren unterliegt ein 16-jähriger Asylsuchender, wenn
er einen Asylantrag gestellt hat, aber auch jeder Minderjährige unabhängig
von seinem Alter und unabhängig davon, ob er selbst einen Asylantrag gestellt
hat, wenn er mit seinen Eltern eingereist ist und diese einen Asylantrag gestellt
haben. Das Verteilungsverfahren ist an die Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, gekoppelt (§ 47 Abs. 1 und 2 AsylVfG). Von dort weist die
zuständige Landesbehörde den Minderjährigen einem Landkreis oder einer
Gemeinde zu (§ 50 Abs. 3 AsylVfG i.V.m. einer landesrechtlichen Zuständigkeits-VO). Örtlich zuständig für Leistungen ist dann der Jugendhilfeträger, in
dessen Bereich der Minderjährige zugewiesen wurde.
6.1.2.2 ... bis zur Zuweisungsentscheidung (Halbs. 2)
Die nach § 50 Abs. 4, 5 AsylVfG zu erlassende Zuweisungsentscheidung wird
mit ihrer Bekanntgabe wirksam (z.B. § 43 Abs. 1 LVwVfG BW); mit diesem
Zeitpunkt erlangt sie auch Rechtswirkung. Die Rechtswirkung kann nicht
durch Widerspruch aufgeschoben werden, da ein Widerspruch nicht zulässig
ist (§ 11 AsylVfG; insoweit unrichtig Kraushaar/Ziegler/GK, § 86 Rz. 58).
Eine Klage hat keine aufschiebende Wirkung (§ 75 AsylVfG). Die Entscheidung wird nach Ablauf der Klagefrist von 2 Wochen (§ 74 Abs. 1 AsylVfG)
bestandskräftig. Sollen einem Minderjährigen, der dem Verteilungsverfahren
unterliegt, bereits vor der Zuweisungsentscheidung Leistungen gewährt
werden, ist dafür der örtliche Träger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich
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21
der Minderjährige vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält. Ist eine Inobhutnahme vorausgegangen, bleibt der dafür zuständige Träger auch für die
Leistung zuständig. Diese Zuständigkeitsregelung setzt voraus, dass selbst
nach dieser kur zen Zeit des Aufenthalts in Deutschland schon ein g.A. des
Minderjährigen begründet werden kann; denn ohne dessen Begründung wäre
eine Leistungsgewährung nicht möglich (§ 6 Abs. 2 und 4). Wird der Minderjährige in den Bereich eines anderen Trägers zugewiesen als dem, der bis zur
Zuweisungsentscheidung die Leistung erbracht hat, erfolgt ein Zuständigkeitswechsel.
6.2 Kein Zuständigkeitswechsel trotz Abschluss des Asylverfahrens (Satz 3)
Die innerhalb (Satz 2) oder außerhalb (Satz 1) eines Verteilungsverfahrens
begründete örtliche Zuständigkeit bleibt auch bestehen, wenn das Asylverfahren
abgeschlossen ist (Fortsetzungszuständigkeit). Zu diesem Zeitpunkt vgl. oben
6.1.1.1. Das Asylverfahren ist auch abgeschlossen, wenn die Anerkennung als
Asylberechtigter abgelehnt wurde, die Ausreisepflicht aber nicht durch Ausweisung vollstreckt werden kann, da der Aus reise Hindernisse entgegenstehen (§ 56
AuslG), die zu einer Duldung verpflichten. Dies kann dazu führen, dass die am Ort
der Einreise begründete örtliche Zuständigkeit (außerhalb eines Verteilungsverfahrens) bestehen bleibt, obwohl der Minderjährige sich schon lange an einem anderen Ort aufhält. Selbst dann, wenn der Minderjährige an diesem Ort einen g.A. begründet, bleibt die Erstzuständigkeit erhalten. Dies gilt nicht nur für die Fortsetzung einer Leistung, sondern auch für die Gewährung einer neuen Leistung innerhalb eines 3-Monats-Zeitraums, wie aus Satz 4 folgt. Erst dann kann sich der von
Anfang an zuständige Träger von der Zuständigkeitslast befreien, wenn nach
Abschluss des Asylverfahrens ein g.A. im Bereich eines anderen Trägers als dem,
der die Erstzuständigkeit hatte, begründet wird. Wird vor Abschluss des Asylverfahrens ein g.A. bei einem anderen Träger begründet, ändert dies nichts an der
fortbestehenden Erstzuständigkeit. Konsequenterweise besteht der Kostenerstattungs anspruch des Trägers gegen das Land nach § 89d Abs. 1 Nr. 2 für denselben Zeitraum, also bis zur Begründung eines g.A. im Bereich eines anderen
Trägers nach Abschluss des Asylverfahrens. Zur Begründung des g.A. ist auf die
Person abzustellen, die die Anknüpfungsmerkmale nach den Absätzen 1 bis 6
aufweist (Kind, Eltern, Pflege person).
6.3 Kein Wechsel der Zuständigkeit bei Unterbrechung der Leistung (Satz 4)
Wird eine Leistung kürzer als 3 Monate unterbrochen (vgl. zu diesem Begriff 2.3),
ändert sich die nach Satz 1 bis 3 bestehende Zuständigkeit nicht. Vielmehr ist der
danach zuständige Träger weiterhin zuständig, auch wenn eine neue Leistung gewährt wird. Erst wenn der Leistungsbezug länger als 3 Monate unterbrochen war,
bricht auch die Zuständigkeit ab. Sie ist dann neu, nämlich nach den Absätzen 1
bis 6 zu bestimmen. Die Unterbrechensregel führt aber nicht dazu, dass die nach
Satz 3 mit Begründung eines g.A. beendete Fortsetzungszuständigkeit wieder auflebt, wenn innerhalb von 3 Monaten nach g.A.-Begründung eine Leistung gewährt
werden soll (ebenso Wiesner, § 86 Rdnr. 49).
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22
6.4 Zuständigkeitskonkurrenzen
Liegen sowohl die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach den
Absätzen 1 bis 6 als auch nach Absatz 7 vor, ist Absatz 7 lex specialis. Dies kann
beispielsweise der Fall sein, wenn Eltern nach ihrem Kind einreisen und im Bereich eines anderen Trägers einen g.A. begründen (ebenso Kraushaar/Ziegler/GK,
§ 86 Rz. 63).
Mit Zustellung der Zuweisungsentscheidung (vgl. 6.1.2.2) ist der Träger, in dessen
Bereich der Zuweisungsort liegt, ab dem Zuweisungszeitpunkt örtlich zuständig
(Satz 2 Halbs. 1). Bis dahin gilt Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. Satz 1. Ist mit der Zuweisungs entscheidung ein Zuständigkeitswechsel verbunden, ist gem. § 86c die Leistung vom bisher zuständigen Träger weiter zu gewähren, bis der neu zuständige
Träger die Leistung fortsetzt (im Ergebnis ebenso Kraushaar/Ziegler/GK, § 86
Rz. 57).
7 Konsequenzen aus der Zuständigkeitsregelung
7.1 Kostenerstattung als Zuständigkeitsregulativ
Im Fall des Abs. 7 besteht ein Kostenerstattungsanspruch des örtlichen Trägers
gegen das Land gem. § 89d.
Bei Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit an den tatsächlichen Aufenthalt des
Kindes (§ 86 Abs. 2 S. 4 Hs. 2, Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 4 Hs. 2, Abs. 4 S. 2), besteht Kostenerstattungspflicht des überörtlichen Trägers gem. § 89.
Begründen die nach Absätzen 1 bis 5 für die Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit maßgeblichen Personen (Kind oder Eltern) ihren g.A. in einer Einrichtung
(vgl. 2.5), besteht Kostenerstattungspflicht des örtlichen Trägers gem. § 89e
Abs. 1 oder des überörtlichen Trägers gem. § 89e Abs. 2.
Im Fall des Abs. 6 ergibt sich eine Erstattungspflicht nach § 89a.
7.2 Fortdauernde Leistungsverpflichtung
Bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nach Beginn der Leistung (§ 86
Abs. 5 und 6 oder nach dem Prinzip der „dynamische n“ Zuständigkeit; vgl. 4.1)
bleibt trotz des Wechsels der bisher zuständige örtliche Träger weiterhin zur
Leistung verpflichtet, bis der neue Träger die Leistungsgewährung übernommen
hat („Leistungs stafette“ gem. § 86c S. 1). Außerdem besteht eine Unterrichtungspflicht über die Wechselumstände (§ 86c S. 2).
7.3 Mitteilungspflichten aus strafrechtlicher Garantenstellung
Besteht eine strafrechtliche Garantenpflicht (vgl. hierzu § 1 RN 13a; § 27 RN 7a;
§ 79 RN 18), endet die sich daraus ergebende Schutzpflicht nicht mit dem Wegzug
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des Kindes aus dem Zuständigkeitsbereich des Trägers. Vielmehr muss das „alte“
JA die Voraussetzungen für eine lückenlose und sachgerechte Fortführung der
Betreuung durch das „neue“ JA schaffen. Dazu ist es notwendig, das „neue “ JA
umfassend zu informieren, sei es durch Aktenübersendung oder durch einen ausführlichen Bericht (so LG Stuttgart v. 17.9.1999, bisher unveröffentlicht).
7.4 Rechtswidrigkeit der Hilfegewährung
Wird die Zuständigkeitsbestimmung verletzt, ist die Hilfegewährung (formell)
rechtswidrig. Eine Heilung des Fehlers gem. § 41 SGB X ist ausgeschlossen; er ist
aber möglicherweise unbeachtlich gem. §42 S. 1 SGB X (vgl. Anh. Verfahren
RN 8).
7.5 Kein Ausschluss der Kostenerstattung bei Verletzung von § 86
Wird die Zuständigkeitsbestimmung des § 86 nicht beachtet, ist die Hilfegewährung (formell) rechtswidrig. Für rechtswidrig gewährte Hilfe kann zwar Kostenerstattung grundsätzlich nicht verlangt werden, dies gilt aber nicht bei –
kostenerstattungs-rechtlich – unbeachtlicher Rechtswidrigkeit, wie sie bei Verletzung der örtlichen Zuständigkeit vorliegt (vgl. § 89f RN 3).
7.6 Vorrang vor SGB I und X
Die Regelungen des § 2 SGB X und des § 43 SGB I stehen unter dem Vorbehalt
des § 37 S. 1 SGB I. Daher sind §§ 86, 86c, 86d vorrangig (vgl. BayVGH FEVS
46, 277 und BVerwG NDV 1993, 314 und § 86c RN 9).
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24
Schema für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 SGB VIII für Leistungen
an Minderjährige bzw. ihre Eltern
I
Eltern haben gleichen g.A. (Abs. 1)
a) Eltern leben (zus. bzw. getrennt)
im gleichen JA-Bereich (Satz 1)
b) Vaterschaft nicht festgestellt
(Satz 2)
ö.Z. = g.A. d. Eltern in ____________
II
c) 1 Elternteil verstorben
(Satz 3)
ö.Z. = g.A. d. Mutter in ________
ö.Z.= g.A. d. überleb.Elternteils in _______
b) beiden Elternteilen (Satz 2)
c) keinem Elternteil (Abs. 3)
Eltern haben verschiedene g.A.
1 .vor Beginn der Leistung (Abs. 2) und
Sorgerecht bei
a) einem Elternteil (Satz 1)
g.A. des Mj bei Elternteil i.d.
letzten 6 Mte.
vor Leist.Beginn:
oja
o nein
ö.Z. = g.A. d. sorgeberechtigten
Elternteils in ______________
ö.Z. = g.A. d. Elternteils, bei dem Mj in
den letzten 6 Mte. vor Leistungsbeginn
g.A. zuletzt hatte
o
nur bei M in _________________
o
nur bei V in __________________
o
bei beiden (Satz 3)
= g.A. des Elternteils, bei dem Mj
tats. A. zuletzt hatte
o
bei M in _____________________
o
bei V in ______________________
o
bei keinem Elternteil hatte Mj in den
letzten 6 Mte. vor Leistungsbeginn g.A. (Satz 4)
ö.Z. = g.A. d. Mj in den letzten 6 Mte. vor
Leistungsbeginn in __________________
Wenn Mj ohne g.A.:
= tats. A. d. Mj in ______________
2.
nach Beginn der Leistung (Abs. 5) und
Sorgerecht bei
a) einem Elternteil (Satz 1)
b) beiden Elternteilen (Satz 2)
ö.Z. = g.A. d. sorgeberechtigten
Elternteils in _______________
III
c) keinem Elternteil (Satz 2)
ö.Z. = wie bisher in _____________
ö.Z. = wie bisher in _________
Eltern/maßgebender Elternteil ohne g.A. - oder g.A. nicht feststellbar oder beide verstorben - (Abs. 4)
a)
g.A. d. Mj in den letzten 6 Monaten
b)
g.A. d. Mj in den letzten 6 Monten vor
vor Leistungsbeginn vorhanden (Satz 1)
Leistungsbeginn nicht vorhanden (Satz 2)
o ja = ö.Z. = g.A. d. Mj in ___________
= ö.Z. = tats. A. d. Mj vor Leistungsbeginn in ________________
o nein __________________________
IV
Sonderfall: Mj lebt über zwei Jahre - voraussichtlich auf Dauer - bei Pflegeperson (Abs. 6)
ö.Z. = g.A. der Pflegeperson (bis zur Beendigung des Aufenthalts bei der Pflegeperson) in _______________________
V
Sonderfall: Mj asylsuchend (Abs. 7)
a) Grundsatz (Satz 1 HS 1)
b) Leistung folgt Inobhutnahme
(Satz 1 HS 2)
ö.Z. = tats.A. d. Mj vor
Leistungsbeginn in
ö.Z. = die nach § 87 begründete
Zuständigkeit bleibt bestehen
in
c) ab Zuweisungsentsch.
(Satz 2 HS 1)
ö.Z. = Zuweisungsort
in
d) nach Abschluss des
Asylverfahrens (S. 3)
ö.Z. = bis zur Begründung eines g.A.
bei anderem Träger
gilt bish. Zust. in
(Nach Vorlage SJB Karlsruhe)
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25
B. Die örtliche Zuständigkeit für die Kernaufgaben des Vormundschaftswesens
nach § 87c SGB VIII
Gliederung (zugleich Prüfschema)
1
Gesetzliche AV (Abs. 1 und 2)
1.1 Begründung der AV ( Abs. 1)
1.1.1 Nichtehelichkeit der Mutter zur Zeit der Geburt:
Zuständigkeit nach deren g.A. bei Geburt (Satz 1)
1.1.2 Nichtehelichkeit der Mutter infolge Anfechtung:
Zuständigkeit nach g.A. der Mutter bei Entscheidung (Satz 2)
1.1.3 G.A. der Mutter nicht feststellbar: Zuständigkeit nach
tatsächlichem Aufenthalt der Mutter (Satz 3)
1.2 Übergang der AV ( Abs. 2)
1.2.1 Antrag auf Weiterführung (Satz 1)
1.2.2 Übergangserklärung (Satz 2)
1.2.3 Mitteilung des Übergangs (Satz 3)
1.2.4 Anrufung des Vormundschaftsgerichts (Satz 4)
2
Bestellte AP/AV ( Abs. 3 Satz 1 bis 3)
2.1 Zuständigkeit nach g.A. des Kindes/Jugendlichen (Satz 1)
2.2 Ersatzweise: Tatsächlicher Aufenthalt (Satz 2)
2.3 Zuständigkeitswechsel nach Entlassungsantrag (Satz 3)
3
Gegenvormundschaft ( Abs. 3 S. 4)
4
Adoptionsvormundschaft ( Abs. 4): Zuständigkeit nach g.A.
des Annehmenden
5
Persönliche Hilfe nach § 52a und Beistandschaft (Abs. 5)
5.1 Zuständigkeit wie bei gesetzlicher AV (Satz 1)
5.2 Zuständigkeitswechsel bei Beistandschaft nach Antrag (Satz 2 Halbs. 1)
5.3 Übergang der Beistandschaft (Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2)
5.4 Fortsetzung der Beistandschaft trotz Wechsels der Zuständigkeit
(Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 86c)
6
Auskunft über die Nichtabgabe von Sorgeerklärungen und Mitteilung
über deren Abgabe (Abs. 6)
6.1 Auskunft an die Mutter über die Nichtabgabe von Sorgeerklärungen
(Satz 1 i.V.m. Abs. 1)
6.2 Mitteilung an das Geburts-JA über die Erteilung von Sorgeerklärungen
(Satz 2)
6.3 Mitteilung an das Auskunfts-JA über die Erteilung von
Sorgeerklärungen (Satz 3)
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26
1 Gesetzliche AV (Abs . 1 und 2)
1.1 Begründung der AV (Abs. 1)
1.1.1 Nichtehelichkeit der Mutter zur Zeit der Geburt (Satz 1)
Während der Begriff des „nichtehelichen Kindes“ gesetzlich getilgt ist, gibt es
die „nichteheliche Mutter“ nach wie vor (vgl. § 18 RN 8). Mit der Geburt des
Kindes ist für die dadurch eintretende gesetzliche AV das JA zuständig (zur
organisationsrechtlichen Zulässigkeit vgl. § 87b RN 13), in dessen Bereich die
Mutter ihren g.A. hat (zum Begriff vgl. § 86 2.5).
1.1.2
Nichtehelichkeit der Mutter infolge Anfechtung (Satz 2)
Bei einer gem. §§ 1600 bis 1600b BGB möglichen Anfechtung der nach
§ 1592 Nr. 1 oder 2 BGB bestehenden Vaterschaft (vgl. §52a RN 19) stellt
sich erst später heraus, dass die Mutterschaft nichtehelich ist. Dann kommt es
für die örtliche Zuständigkeit auf den g.A. der Mutter zum Zeitpunkt der
rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts an.
1.1.3
G.A. der Mutter nicht feststellbar (Satz 3)
Ist der g.A. der Mutter in den Fällen der Sätze 1 und 2 nicht feststellbar oder
nicht vorhanden (zu den Anforderungen vgl. § 86 RN 31), richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt der Mutter (vgl. zum
Begriff § 86 2.5).
1.2 Übergang der AV (Abs. 2)
1.2.1 Antrag auf Weiterführung (Satz 1)
Die örtliche Zuständigkeit wechselt nicht etwa (wie bei § 86) mit dem Wechsel des g.A. als Anknüpfungsmerkmal für die örtliche Zuständigkeit nach
Absatz 1. Vielmehr tritt ein Zuständigkeitswechsel erst dann ein, wenn die
Erstzuständigkeit durch Abgabe an ein anderes JA rechtsgültig ihr Ende
gefunden hat (vgl. ausführlich Kunkel in Oberloskamp, Vormundschaft, § 16
Fn. 33 bis 51).
Wechselt der g.A. der Mutter, hat das JA die Weiterführung bei dem anderen
JA zu beantragen - unabhängig vom Kindeswohl (ebenso OLG
Frankfurt/Main DAVorm 1996/211; widersprüchlich Schellhorn, §87c Rz. 4
einerseits Rz. 7 andererseits). Gründe des Kindeswohls können dagegen zur
Ablehnung der Übernahme führen (so LG Stuttgart DAVorm 1992/884). Das
abgebende JA kann aber ohne dass ein g.A.-Wechsel der Mutter vorliegt die
Übernahme beantragen, wenn das Kindeswohl dies gebietet. Bei der Antragstellung hat es Ermessen (a.A. Fieseler/Ziegler/GK, §86c Rz. 12: „Beurteilungsspielraum“), bei der dieser Entscheidung vorausgehenden Aus legung des
Kindeswohlsbegriffs aber weder Ermessen noch Beurteilungsspielraum. Zu
den Gründen des Kindeswohls im Einzelnen vgl. Brüggemann/Kunkel in
Oberloskamp, Vormundschaft, §16 Fn. 40. Das Auseinanderfallen der Auf2001-03.doc
27
enthaltsorte von Mutter und Kind in verschiedene Jugendamtsbereiche ist für
sich allein kein Grund vom Übergang abzusehen (ebenso AG Lüneburg
DAVorm 1996/309; Elzholz, DAVorm 1994/334).
Gründe des Kindeswohls sind es auch, die es rechtfertigen, dass der Weiterführungs antrag auch von dem anderen JA gestellt werden kann, ebenso von
jedem Elternteil oder vom Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahres (entsprechend §§ 50b Abs. 2, 59 FGG) sowie jeder anderen Person, die ein
berechtigtes Interesse des Kindes (z.B. eine Pflegeperson) geltend machen
kann. Das Interesse kann auch rein tatsächlicher (z.B. wirtschaftlicher) Art
sein; immer aber muss es ein Interesse des Kindes und nicht etwa des
Antragstellers sein (ebenso Krug/Grüner/Dalichau, § 87c Erl. V 3).
Den Weiterführungsantrag muss das bisher zuständige JA beim JA des neuen
g.A. der Mutter stellen; die anderen Antragsberechtigten müssen den Antrag
beim bisher zuständigen JA stellen. Unterbleibt ein Weiterführungsantrag
trotz Aufenthaltswechsels, weil beide beteiligte JA den Wechsel der Zuständigkeit als dem Kindeswohl nicht dienlich erachten und werden auch Dritte
nicht initiativ, bleibt das bisherige JA weiterhin zuständig.
Strittig ist, ob der Antrag von dem einzelnen Beamten oder Angestellten, dem
die AV übertragen worden ist („Realvormund“), gestellt werden muss oder
vom JA als „Legalvormund“. Zum Streitstand vgl. ausführlich
Brügge mann/Kunkel in Oberloskamp, Vormundschaft, § 16 Fn. 132, 133. Da
der Antrag die Beendigung des Amtes als solches betrifft, kann der Antrag
nicht durch den Realvormund als Beauftragten gestellt we rden, weil der
Beauftragte nicht über die Rechtsgrundlage seiner Beauftragung verfügen
kann. Außerdem ist der Beauftragte gesetzlicher Vertreter des Kindes, nicht
dagegen gesetzlicher Vertreter des JA, welches von seinem Amt entbunden
werden will. Den Antrag muss deshalb das JA als solches stellen (a.A.
Klinkhardt, § 87c Rdnr. 6; Krug/Grüner/Dalichau, § 87c Erl. V 3 für das abgebende JA).
1.2.2
Übergangserklärung (Satz 2)
Bei einverständlicher Übernahme ist der Übergang mit der Erklärung des
anderen JA perfekt. Einer Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts bedarf es
dann nicht (ebenso LG Saarbrücken DAVorm 1998/250). Das Gericht wird
lediglich vom Übergang der AV verständigt (Satz 3).
Eine „feindliche Übernahme“ ist ausgeschlossen, da ohne Mitwirkung des
erstzuständigen JA keine Übernahme erfolgen kann. Entweder muss es den
Weiterführungsantrag stellen oder einem Weiterführungsantrag des anderen
JA (oder eines Dritten) zustimmen. Dies folgt aus dem Begriff des Antrags,
der als Rechtsfolge eine zustimmende oder ablehnende Erklärung des
Antragsgegners voraussetzt.
2001-03.doc
28
Ebenso wenig ist eine „feindliche Übergabe“ möglich, da das andere JA eine
Einverständniserklärung abgeben muss. Dabei hat das andere JA einen
Ermessensspielraum, wobei es aber nur dann ermessensfehlerfrei handelt,
wenn besondere Gründe des Kindeswohls seine Entscheidung rechtfertigen
(ebenso Schellhorn, § 87c Rz. 9; Binschus, ZfF 1990, 254; Elzholz, DAVorm
1994/333; Mrozynski, SGB VIII, 3. Aufl. 1998, Rz 3; 3; LG Augsburg
DAVorm 1995/1013). Einfache Gründe des Kindeswohls sind deshalb nicht
ausreichend, weil – anders als bei Abs. 3 – bei g.A.-Wechsel grundsätzlich ein
Zuständigkeitswechsel erfolgen soll (ebenso LG Stuttgart DAVorm
1994/797). Außerdem stellt Abs. 3 S. 3 auf den g.A. des Kindes und nicht den
der Mutter ab. Die Rechtsprechung zu den Gründen des Kindeswohls in
Abs. 3 ist nicht ohne weiteres auf Abs. 2 übertragbar (dies geschieht aber bei
Schellhorn, §86c Rz. 9 und Fieseler/Ziegler/GK, § 87c Rz. 13). Ermessensfehlerhaft wäre deshalb die Ablehnung des Antrags wegen mangelnder
„Abgabereife“ (ebenso DIV-Gutachten, DAVorm 1998/427; weniger eindeutig aber DIV-Gutachten, DAVorm 1994/709). Kein Grund ist deshalb auch
Arbeitsbelastung (ebenso DIV-Gutachten, DAVorm 1994/1013). Auch die
Rüge, der Unterhaltsanspruch sei nicht nach neuestem Stand tituliert, rechtfertigt die Ablehnung nicht (ebenso LG Stuttgart DAVorm 1992/884).
Ermessensfehlerfrei wäre dagegen die Ablehnung eines Antrags, wenn ein
Ende der AV unmittelbar bevorsteht, weil die Mutter volljährig wird, so dass
ein persönlicher Kontakt zwischen dem neuen JA und der Mutter nicht mehr
zu erwarten ist (so BayObLG DAVorm 1993/1117) oder nur kurzzeitige
Begründung eines neuen g.A (beispielsweise durch Fremdunterbringung;
ebenso Schellhorn, § 87c Rz. 9). Die Gewährung von HzE am Ort des die AV
führenden JA ist dagegen kein Ablehnungs grund, weil die HzE dem Amtsvormund und nicht der Mutter gewährt wird (ebenso im Ergebnis Elzholz,
DAVorm 1994/333; a.A. Schellhorn, § 87c Rz. 9).
Begründet die Mutter einen g.A. im Ausland, gibt es keinen Grund mehr,
nicht auf den g.A. des Kindes abzustellen. Wegen des auch für den Amtsvormund notwendigen persönlichen Kontaktes zum Kind ist daher auf den g.A.
des Kindes abzustellen, also erforderlichenfalls ein Zuständigkeitswechsel zu
bewirken (a.A. DIV-Gutachten, DAVorm 1994/793, dem sich
Fieseler/Ziegler/GK, § 87c Rz. 13 und Schellhorn, § 87c Rz. 12 anschließen).
Dasselbe muss für den Fall des unbekannten Aufenthalts der Mutter gelten
(im Ergebnis ebenso Schellhorn, § 87c Rz. 12; a.A. OLG Düsseldorf DAVorm
1993/1226).
Empfangsadressat der Übernahmeerklärung ist das erstzuständige JA. Die
Übernahmeerklärung ist mit Zugang bei diesem wirksam, wenn sie mit
dessen Übernahme antrag korrespondiert. Auch wenn sie mit dem Übernahmeantrag eines Dritten korrespondiert, ist Zugang beim erstzuständigen JA zu
fordern, da es den Zuständigkeitswechsel praktisch vollziehen muss (im
Ergebnis ebenso Wiesner, § 87c Rdnr. 9; Schellhorn, § 87c Rz. 11; a.A.
Fieseler/Ziegler/GK, § 87c Rz. 11). Im Falle des Übernahmeantrages eines
Dritten ist die Übernahme dem Dritten gegenüber nicht zu erklären (a.A.
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29
Hauck, SGB VIII, § 87c Rz 8 unter Berufung auf allgemeine Grundsätze des
Verwaltungsrechts), da der Dritte den Übernahmeantrag beim erstzuständigen
JA zu stellen hatte, also auch nur von diesem eine Mitteilung davon erwarten
kann, was aus seinem Antrag geworden ist.
Unterbleibt die Übernahmeerklärung, kann das VormG angerufen werden
(vgl. 1.2.4).
Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit des JA bewirkt nicht den Wechsel
der örtlichen Zuständigkeit des VormG (ebenso OLG Hamm FamRZ 1996,
57).
1.2.3
Mitteilung des Übergangs (Satz 3)
Das bisher zuständige JA ist verpflichtet, den Übergang der Zuständigkeit –
also mit Zugang der Übernahmeerklärung vom anderen JA (Satz 2) – dem
VormG, aber auch jedem Elternteil (also auch dem nichtehelichen Vater) mitzuteilen. Diese Mitteilung muss unverzüglich erfolgen, also binnen weniger
Tage nach Zugang der Übernahmeerklärung. Das VormG hat daraufhin die
dem abgebenden JA erteilte Bescheinigung einzuziehen und dem übernehmenden JA eine neue Bescheinigung auszustellen.
1.2.4
Anrufung des Vormundschaftsgerichts (Satz 4)
Das VormG wird nicht von Amts wegen tätig. Es kann angerufen werden.
Anrufungs berechtigt ist
- das mit seinem Übernahme- oder Übergabeantrag erfolglos gebliebene JA,
- der mit seinem Übergabeantrag erfolglose Elternteil,
- das mit dem Übergabeantrag erfolglose Kind (ab 14 Jahre; § 59 FGG
entsprechend), wenn es ein berechtigtes Interesse geltend macht, das
erzieherischer, aber auch wirtschaftlicher Art sein kann (ebenso Fieseler/
Ziegler/GK, § 87c Rz. 15),
- jeder Dritte, der ein solches Interesse des Kindes geltend macht, auch
wenn er zuvor keinen Übergabeantrag gestellt hat.
Das VormG muss dann vor einer Entscheidung jeden Elternteil und das Kind
(ab 14 Jahren) anhören (§§ 50a Abs. 2, 50b Abs. 2 FGG).
Die Sachentscheidung des VormG ergeht dahin, dass
- sie die Ablehnung der Übergabe oder der Übernahme bestätigt oder
- die AV von dem nicht abgabewilligen JA abzugeben sei oder
- dass die AV von dem nicht übernahmebereiten JA zu übernehmen sei.
Der Beschluss ist beiden beteiligten JA, ggf. auch dem Dritten, der das
VormG ange rufen hat, bekannt zu geben. Die Bekanntgabe bewirkt, we nn der
Beschluss auf Übergabe der AV lautet, den Übergang in gleicher Weise wie
das Einverständnis der beteiligten JA, welches der Beschluss ersetzt. Zu den
2001-03.doc
30
Rechtsmitteln gegen die Entscheidung des VormG vgl. ausführlich
Brügge mann/Kunkel a.a.O., Fn. 45 bis 51.
2 Bestellte AP/AV (Abs. 3 Satz 1 bis 3)
2.1 Zuständigkeit nach g.A. des Kindes (Satz 1)
Im Unterschied zur gesetzlichen AV ist bei der bestellten AP/AV Anknüpfungskriterium für die örtliche Zuständigkeit des JA nicht der g.A. der Mutter, sondern
der des Kindes. Dies deshalb, weil der Bestellung häufig eine Entscheidung des
FamG gegen die Eltern zugrunde liegt (z.B. bei einem Eingriff nach § 1666 BGB).
Daher entspricht es dem Kindeswohl, wenn das JA für das Kind zuständig ist, in
dessen Bereich sich das Kind gewöhnlich aufhält. Zum Begriff des g.A. vgl. § 86
2.5; der g.A. kann auch in einer Einrichtung begründet werden. Der Schutz der
Anstaltsorte wird nicht über die Zuständigkeitsregelung (wie bei §86a Abs. 2,
sondern über den Kostenerstattungsanspruch nach § 89e bewirkt (ebenso DIVGutachten, DAVorm 1993/1076). Die Aufenthaltsperspektive des Kindes wird aus
dem Hilfeplan ersichtlich; ergibt sich aus diesem eine Rückkehr ins Elternhaus in
absehbarer Zeit, wird in der Einrichtung kein g.A. begründet (ebenso LG
Saarbrücken DAVorm 1996/904; LG Krefeld DAVorm 1993/1225).
Die Anknüpfung an den g.A. des Kindes kann im Einzelfall zu einer „gespaltenen
Zuständigkeit“ des JA führen, wenn es zugleich eine Leistung erbringt, bei der
sich die örtliche Zuständigkeit gem. § 86 nach dem g.A. der Eltern richtet. Diese
Aufspal tung der Zuständigkeit auf zwei verschiedene JA ist aber eher heilsam, da
sie Interessenkollisionen innerhalb desselben Amtes ausschließt (ebenso LG Stuttgart DAVorm 1994/797 und Wiesner, § 87c Rdnr. 14). Zu diesen Interessenkollisionen vgl. ausführ lich Brüggemann/Kunkel a.a.O., § 16 Fn. 135.
2.2 Zuständigkeit nach tats. Aufenthalt des Kindes bei fehlendem g.A. (Satz 2)
Hat das Kind oder der Jugendliche (zum Begriff vgl. § 7 Abs. 1) keinen g.A., so ist
der tatsächliche Aufenthalt (zum Begriff vgl. § 86 2.5) maßgebend, der im Zeitpunkt der Bestellung besteht. Ist nicht feststellbar, ob oder wo ein g.A. des Kindes
besteht, gilt ebenfalls Satz 2, auch wenn dort eine dem Abs. 1 S. 3 vergleichbare
Regelung fehlt. Da es sich um eine (planwidrige) Lücke handelt, ist die analoge
Anwendung des Satzes 2 möglich.
2.3 Zuständigkeitswechsel nach Entlassungsantrag (Satz 3)
Im Unterschied zur gesetzlichen AV erfolgt bei der bestellten AP/AV der Zuständigkeitswechsel nicht behördengesteuert kraft Entscheidung der beteiligten JA,
sondern durch Justizakt. Dies ist Konsequenz des Bestellungsaktes. Da das
VormG vor der Bestellung des JA zum Pfleger/Vormund prüft, ob unter den örtlichen Gegebenheiten ein geeigneter Einzelpfleger/Einzelvormund vorhanden ist,
muss beim Wechsel des g.A. des Kindes in den Bezirk eines anderen JA erneut
eine Geeignetheitsprüfung stattfinden. Auch hier – wie im Fall des Absatzes 2
Satz 4 – handelt das VormG nicht von Amts wegen, sondern nach Antrag des JA
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auf Entlassung. Diesen Antrag muss (kein Ermessen) das JA dann stellen, wenn
ein g.A.-Wechsel des Kindes vorliegt oder bei Fehlen eines g.A. (nur dann!) das
Wohl des Kindes einen Zuständigkeitswechsel erforderlich macht. Auch im Fall
der zweiten Alternative hat das JA weder Ermessen noch Beurteilungsspielraum.
Der g.A.-Wechsel des Kindes führt aber nicht zwingend zu einem Wechsel der
Zuständigkeit, da dieser erst durch die Entscheidung des VormG bewirkt wird
(ebenso OLG Hamm FamRZ 1995, 830; BayObLG DAVorm 1996/729).
Unabhängig vom Vorliegen einer der beiden Alternativen kann das JA einen
Entlassungsantrag stellen. Dieses Ermessen wird aber nur dann fehlerfrei ausgeübt, wenn auch bei fehlendem g.A.-Wechsel Gründe des Kindeswohls
ausschlaggebend für den Antrag sind. Hat das Kind lediglich seinen tatsächlichen
Aufenthalt im Bereich des bestellten JA, ist nicht etwa auch der Wechsel des
tatsächlichen Aufent halts Voraussetzung für die Kindeswohlprüfung; vielmehr
muss das JA auch ohne einen solchen Wechsel den Entlassungsantrag stellen,
wenn das Kindeswohl dies erfordert. Dies folgt aus der Formulierung des Satzes 3,
die nicht auf einen Aufenthaltswechsel abstellt.
Nach Entlassungsantrag des JA hat das VormG über diesen Antrag zu entscheiden.
Dabei hat es einen Entscheidungsspielraum, für dessen Ausfüllung es sich am Kindeswohl ausrichten muss (§§ 1697a, 1889 Abs. 2 S. 1, 1887 Abs. 1 BGB). Auch
bei einem g.A.-Wechsel des Kindes besteht dieser Entscheidungsspielraum
(ebenso BayObLG DAVorm 1996/729; OLG Hamm FamRZ 1995/830). Dieser
Entscheidungsspielraum besteht auch insoweit, als das VormG bei der Bestellung
eines neuen JA nach Entlassungsantrag nicht an die Zuständigkeitsregelung der
Sätze 1 und 2 gebunden ist, sondern ein anderes JA auswählen kann, wenn dies
dem Kindeswohl dient. Dies folgt aus seinem Entscheidungsspielraum schon bei
der Erstbestellung (im Ergebnis ebenso BayObLG DAVorm 1996/732; OLG
Karlsruhe DAVorm 1993/91; Fieseler/Ziegler/GK, §87c Rz. 17; a.A. LG Saarbrücken DAVorm 1996/904; Wiesner, § 87c Rdnr. 15 – mit unrichtiger Satzzählung; Schellhorn, § 87c Rz. 14). Die größere Personennähe kann größere Ortsnähe
aus Gründen des Kindeswohls zurücktreten lassen (im Ergebnis ebenso OLG
Hamm ZfJ 1999, 31; AG Wedding DAVorm 1993/1119).
3 Gegenvormundschaft (Absatz 3 Satz 4)
Das JA kann gem. §1792 Abs. 1 S. 2 BGB Gegenvormund sein, wenn ein Einzeloder Vereinsvormund, nicht aber wenn ein JA zum Vormund bestellt wurde. Für die
örtliche Zuständigkeit des „bestellten Amtsge genvormunds“ gelten dann dieselben
Regelungen wie für die bestellte AV.
4 Adoptionsvormundschaft (Abs. 4)
Unter den Voraussetzungen des § 1751 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB tritt AV ein. Für diese
AV ist das JA örtlich, in dessen Bereich die annehmende Person ihren g.A. hat. Bei
der Prüfung der Adoptionseignung wird das JA nur solche Personen für geeignet halten, die auch einen g.A. haben, so dass für einen fehlenden g.A. keine Regelung getroffen werden musste (so zu Recht Fieseler/Ziegler/GK, § 87c Rz. 20). Wechselt die
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annehmende Person ihren g.A., fehlt eine Regelung. Die (planwidrige) Lücke kann
durch entsprechende Anwendung des Absatzes 2 geschlossen werden (ebenso Elzholz,
DAVorm 1994/333; Fiesler/Ziegler/GK, § 87c Rz. 20). Auch das Übergangsverfahren
ist dann entsprechend Absatz 2 durchzuführen (ebenso Schellhorn, § 87c Rz. 17).
Hat das JA HzE gewährt, kann dies zu einer „gespaltenen Zuständigkeit“ führen, da es
bei verschiedenem g.A. der Eltern auf das Personensorgerecht ankommt, das nunmehr
beim Amtsvormund liegt (§ 1751 Abs. 1 S. 1 BGB), so dass ihm die HzE gewährt
wird (vgl. § 27 RN 9). Die örtliche Zuständigkeit für die HzE richtet sich auch in diesem Fall nach § 86 Abs. 3. Die gespaltene Zuständigkeit muss aber nicht zum Nachteil
des Kindes sein (vgl. 2.1).
5 Persönliche Hilfe nach § 52a und Beistandschaft (Abs. 5)
5.1 Zuständigkeit wie bei gesetzlicher AV (Satz 1)
Die persönliche Hilfe nach § 52a und die Beistandschaft sind „lupenreine“
Leistungen. Dennoch gilt für sie nicht die Regelung des § 86 (vgl. hierzu § 86 2.1).
Für die persönliche Hilfe nach § 52a ist das JA örtlich zuständig, in dessen
Bereich die Mutter ihren g.A. hat. Da diese Hilfe unverzüglich nach Geburt einzusetzen hat, kommt es darauf an, wo die Mutter zur Zeit der Geburt ihren g.A. hat.
Die Hilfe kann aber schon vor Geburt geleistet werden (§ 52a Abs. 2). Dann
kommt es für die örtliche Zuständigkeit darauf an, wo die Mutter zum Zeitpunkt
der Antragstellung ihren g.A. hat.
Für die Beistandschaft nach §§ 1712 bis 1717 BGB ist das JA örtlich zuständig,
in dessen Bereich der alleinsorgeberechtigte Elternteil (Abs. 1 S. 1 ist entsprechend anwendbar) seinen g.A. hat. Die Beistandschaft setzt mit Zugang des
Antrags beim JA ein (vgl. Exkurs zur Beistandschaft vor § 52a RN 41). Zur
Anwendbarkeit des § 16 SGB I vgl. vor § 52a RN 42. Es kommt also darauf an,
wo der alleinsorgeberechtigte Elternteil im Zeitpunkt der Antragstellung seinen
g.A. hat. Wird der Antrag schon vor Geburt des Kindes gestellt, ist ebenfalls der
g.A. zum Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend. Auf den g.A. des alleinsorgeberechtigten Elternteils kommt es aber dann nicht an, wenn das Kind seinen
g.A. nicht im Inland hat; dann ist nämlich der Eintritt der Beistandschaft ausgeschlossen (§ 1717 BGB).
Für die Hilfe nac h § 52a und die Beistandschaft können verschiedene JA zuständig
sein, wenn die Mutter zwischen der Hilfe nach § 52a und der Antragstellung auf
Beistandschaft den g.A. wechselt. Ist ein g.A. der Mutter (bei der Hilfe nach
§ 52a) oder des alleinsorgeberechtigten Elternteils (bei der Beistandschaft) nicht
feststellbar, kommt es auf den tatsächlichen Aufenthalt an (Abs. 1 S. 3 entsprechend). Dies gilt auch (nochmals entsprechend), wenn feststeht, dass ein g.A.
fehlt.
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5.2 Zuständigkeitswechsel bei Beistandschaft nach Antrag (Satz 2 Halbs. 1)
Bei der Hilfe nach § 52a wechselt die örtliche Zuständigkeit des JA mit dem g.A.,
subsidiäre mit dem tatsächlichen Aufent halt der Mutter (a.A. Mrozynski, § 87c
Rz 9: kein Zuständigkeitswechsel, sondern Amtshilfe). Bei der Beistandschaft gilt
dagegen dieselbe Regelung wie für die gesetzliche AV. Danach hat das JA bei
einem Aufenthaltswechsel des alleinsorgeberechtigten Elternteils die Weiterführung der Beistandschaft bei dem anderen JA zu beantragen. Den Antrag muss das
JA als „Legalbeistand“ stellen, nicht der die Beistandschaft führende einzelne
Beamte oder Angestellte („Realbeistand“; vgl. 1.2.1).
5.3 Übergang der Beistandschaft (Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2)
Antragsbefugt ist im Unterschied zur Regelung des Abs. 2 nur das erstzuständige
JA, also auch nicht der alleinsorgeberechtigte Elternteil. Dieser kann aber einen
Zuständigkeitswechsel dadurch bewirken, dass er beim zunächst zuständigen JA
die Beistandschaft gem. § 1715 Abs. 1 BGB beendet und beim anderen JA gem.
§ 1712 BGB beantragt. Erklärt das andere JA sich zur Übernahme bereit, ist damit
der Übergang der Beistandschaft erfolgt (ebenso DIJuF-Gutachten, JAmt 2001,
37).
Ist der Antrag vom erstzuständigen JA gestellt, muss das andere JA erklären, ob es
die Beistandschaft weiterführt. Ohne diese Erklärung bleibt das antragstellende JA
zuständig. Ein Fall des § 86d liegt daher nicht vor (a.A. die Begründung des
Rechtsausschus ses, BT-Drucks. 13/8509, S. 18, wo im Übrigen ungenau vom
„zuständige(n) örtliche(n) Träger“ die Rede ist, statt richtig vom „örtlich zuständigen Träger“).
Ebenfalls im Unterschied zur AV (vgl. 1.2.1) kann der Antrag nicht aus anderen
Gründen als denen des Aufenthaltswechsels gestellt werden, also insbesondere
auch nicht aus Gründen des Kindeswohls. Dies ist bei der Beistandschaft deshalb
nicht möglich, weil eine streitentscheidende Stelle hier nicht vorgesehen ist, da
§ 87c Abs. 2 S. 4 nicht anwendbar ist.
Ebenfalls nicht anwendbar ist Abs. 2 S. 3. Da die Beistandschaft ohne Aufsicht
durch das VormG stattfindet (§ 1716 BGB), muss dem VormG der Übergang der
Beistandschaft auch nicht mitgeteilt werden. Durch den fehlenden Verweis auf
Abs. 2 S. 3 ist allerdings auch – zu Unrecht – die Mitteilung des Übergangs
gegenüber dem alleinsorgeberechtigten Elternteil ausgeschlossen worden. Als
„nobile officium“ sollte das JA die Anzeige dennoch vornehmen, damit der
Elternteil weiß, welches JA für ihn zuständig ist (ebenso Krug/Grüner/Dalichau,
§ 87c Erl. X).
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5.4 Fortsetzung der Beistandschaft trotz Wechsels der Zuständigkeit (Satz 2
Halbs. 2 i.V.m. § 86c)
Um keine Lücke in der Beistandschaft eintreten zu lassen, ist auch die entsprechende Anwendung des § 86c geregelt. Das erstzuständige JA muss also die Beistandschaft weiterführen, bis das andere JA aktiv geworden ist. Allein die Erklärung der Übernahme (Abs. 2 S. 2 entsprechend) genügt nicht, wenn ihr keine
Taten folgen. In einem Zuständigkeitskonflikt entscheidet gem. §2 Abs. 1 S. 2
SGB X die gemeinsame Aufsichtsbehörde (ebenso Mrozynski, § 87c Rz 7), also
das Regierungspräsidium/die Bezirksregierung oder das Innenministerium.
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Auskunft über die Nichtabgabe von Sorgeerklärungen und Mitteilung über
deren Abgabe (Abs. 6)
6.1 Auskunft an die Mutter über die Nichtabgabe von Sorgeerklärungen (Satz 1
i.V.m. Abs. 1)
Satz 1 regelt die örtliche Zuständigkeit des JA für die Erteilung des sog. Negativattestes gem. § 58a, während § 1626d Abs. 2 BGB das sog. Positivattest regelt
(insoweit irrtümlich Fieseler/Ziegler/GK, § 87c Rz. 25). Zuständig für die schriftliche Auskunft an die Mutter, dass keine Sorgeerklärungen gem. § 1626a Abs. 1
Nr. 1 BGB abgegeben worden sind, ist das JA, in dessen Bereich die Mutter ihren
g.A. hat (Abs. 1 S. 1 entsprechend; vgl. 1.1.1).
Wurde die Vaterschaft durch Anfechtung beseitigt, ist der g.A. der Mutter zu dem
Zeitpunkt maßgebend, in dem die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung
rechtskräftig wird (Abs. 1 S. 2 entsprechend; vgl. 1.1.2).
Ist ein g.A. der Mutter nicht feststellbar oder nicht vorhanden, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach ihrem tatsächlichen Aufenthalt (Abs. 1 S. 3 entsprechend;
vgl. 1.1.3).
6.2 Mitteilung an das Geburts-JA über die Erteilung von Sorgeerklärungen
(Satz 2)
Satz 2 regelt lediglich die Empfangszuständigkeit des JA für die Mitteilung der
beurkundenden Stellen (Urkundsperson des JA oder Notar) darüber, dass Sorgeerklärungen abgegeben worden sind (§ 1626d Abs. 2 BGB). Dem gegenüber ist
für die Abgabe der Mitteilung das beurkundende JA gem. § 87e örtlich zuständig;
dies kann jedes JA in Deutschland sein. Für die Entgegennahme der Mitteilung ist
gem. § 87c Abs. 6 S. 2 das JA örtlich zuständig, in dessen Bereich der Geburtsort
des Kindes liegt (Geburts-JA). Liegt der Geburtsort im Ausland oder ist er nicht zu
ermitteln, ist das Land Berlin zuständig (§ 88 Abs. 1 S. 2 entsprechend).
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6.3 Mitteilung an das Auskunfts-JA über die Erteilung von Sorgeerklärungen
(Satz 3)
Das nach Satz 2 empfangszuständige (registerführende) JA am Geburtsort des
Kindes muss dem nach Satz 1 für das Negativattest zuständigen Wohnort-JA auf
dessen Verlangen mitteilen, ob bei ihm eine Mitteilung über die Abgabe von
Sorgeerklärungen vorliegt („Mitteilung über die Mitteilung“). Dies ist erforderlich,
damit das für die Auskunft nach § 58a zuständige Wohnort-JA in der Lage ist, der
Mutter darüber Auskunft zu geben, ob keine Erklärungen der gemeinsamen Sorge
vorliegen. Im Zeitpunkt der Auskunftserteilung kann diese Auskunft aber schon
unrichtig sein, wenn eine Mitteilung über die Abgabe von Sorgeerklärungen vom
Register-JA unterwegs ist oder weil die Sorgeerklärungen erst nach der
Auskunftserteilung abgegeben werden (ebenso Schwab, Familienrecht, Rn. 534).
Um die Zuständigkeit nach Absatz 6 richtig beurteilen zu können, ist es also erforderlich, die örtliche Zuständigkeit dreier verschiedener JA zu unterscheiden: das
Wohnort-JA gem. Satz 1 für die Erteilung des Negativattestes; das nach Satz 2
zuständige Geburts-JA für die Registerführung; das nach § 87e zuständige
Urkunds-JA.
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