Same Sex and the City
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Same Sex and the City
Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Eine »Sex and the City«-Fanfiction Manhattan, Szene-Viertel der Metropole New York. Der Ort, an dem Träume wahr werden konnten, und zwar nicht nur der Amerikanische Traum von der Transformation vom Tellerwäscher zum Millionär, sondern auch der Traum von der einzigen wahren Liebe. Die Großstadt an der Ostküste der USA war besiedelt von Millionen Menschen, ein Großteil davon war Single. Tausende und Abertausende attraktive, gut verdienende Frauen durchquerten jeden Tag die Straßen von Manhattan, gaben Hunderte von Dollars für ein paar Schuhe aus und bereicherten das Nachtleben der wie Pilze aus dem Boden schießenden Szene-Lokalitäten. Einige dieser fabelhaften Frauen hatten etwas an sich, das der Otto-Normal-New-Yorker ihnen nicht auf den ersten Blick ansehen würde: sie waren lesbisch. Sie waren lesbisch und unterschieden sich doch in nichts von all den anderen Frauen. Im Gegensatz zu ihrer Butch-Variante trugen sie keine kurzen Haare, Tattoos oder Piercings und bewegten sich so grazil auf hohen Absätzen wie Butches es niemals auch nur im Traum könnten. Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) In einem Punkt allerdings glichen sie den maskulinen Lesben wie in nichts anderem: Sie waren auf der Suche nach der einzigen, perfekten Frau, mit der sie den Rest des Lebens verbringen konnten. Die Frau, die einer bei der ersten Begegnung den Atem verschlagen würde. Eine Frau, mit der die Stadt zum Leben erwachen würde und alles plötzlich einen Sinn ergäbe. Bis sie die Eine jedoch gefunden hatten, gaben sie sich erst einmal mit einer Portion gutem Sex zufrieden. Genügend willige Opfer bot die Metropole aller Metropolen allemal. Vier Exemplare dieser seltenen Spezies attraktiver, gut betuchter, femininer, lesbischer New Yorkerinnen waren Carrie, Charlotte, Miranda und Samantha. Sie hatten herausgefunden, daß das Überleben im Großstadtdschungel gemeinsam leichter war. Deshalb hatten sie sich geschworen, sich gegenseitig Trost zu spenden, wenn eine Cinderella mal wieder zur fiesen Stiefmutter mutiert war. Und letztendlich machte die gemeinsame Suche nach Mrs. Right auch wesentlich mehr Spaß. »Happy birthday, dear Miranda, happy birthday to you!” Die Stimmen ihrer Freundinnen und der drei extravaganten »Kellnerinnen« schallten durch das Restaurant. Die auffälligen Dragqueens, die an diesem Abend mit sichtlicher Freude ihren Dienst ausübten, trugen eine große Torte mit brennenden Kerzen an den Tisch der vier Freundinnen. Während alle klatschten, blies Miranda in einem Atemzug die Kerzen aus. Es war ihr 30. Geburtstag und eigentlich fehlte es ihr an nichts. Als Anwältin verdiente sie nicht nur gut, sondern konnte sich auch noch weiter auf der Karriereleiter hinaufarbeiten und sich und allen anderen beweisen, daß sie nicht auf den Kopf gefallen war. Sie hatte eine perfekte Figur, tolle Freundinnen und eine tolle Wohnung. Das einzige, was ihr zum Glück fehlte, war die Frau an ihrer Seite. Mirandas Geheimnis war, daß sie den Punkt Liebe auf ihrer To-do-Liste des Lebens einfach etwas weiter unten aufführte, so daß sie stolz sein konnte auf das, was sie schon erreicht hatte. Anstatt der Frau fürs Leben manisch nachzujagen, sah sie sie eher als das i-Tüpfelchen ihres Erfolges an. Es ging also auch ohne. Das redete sie sich zumindest immer häufiger ein. 2 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Nachdem die drei Kellnerinnen mit ihren auffälligen Perücken die Frauen vorerst wieder allein gelassen hatten, richtete Miranda sich an Samantha: »Wo waren wir?« Die blonde Frau neben ihr wiederholte ihre Gedanken in ihrer unnachahmlich direkten Art und Weise, die keine Widerrede zuließ: »Du bist eine erfolgreiche Frau. Und du hast genau zwei Möglichkeiten: Du kannst versuchen, eine Beziehung zu finden, was ungefähr so viel bringt wie wenn du deinen Kopf gegen die Wand schlägst oder du kannst in die Stadt hinaus gehen und Fick mich rufen. Geh einfach raus und hab Sex – wie ein Mann.« Charlotte, die zu Samanthas Rechten saß, runzelte sichtbar die Stirn. »Meinst du mit Dildos?« »Nein, ich meine ohne Gefühle«, manifestierte Samantha selbstbewußt, während sie über den Rand ihres Cocktailglases sah, das sie demonstrativ in die Luft gehalten hatte. Dieses Selbstbewußtsein, das durch nichts zu erschüttern war, verschaffte ihr nicht nur in ihrem Job als PR-Agentin Vorteile, sondern verhalf ihr auch zu reichlich Sex mit hübschen Mittzwanzigerinnen. Wobei Samantha selbst die Zwanziger längst hinter sich gelassen hatte. »Oh, da fällt mir ein«, fuhr sie fort, »erinnert ihr euch an die Frau, mit der ich ausgegangen bin? O Gott, wie war noch gleich ihr Name? Dr.-« »Drew!« echote es von allen Seiten. Im Gegensatz zu Samantha hatten ihre Freundinnen den Namen der Frau nicht vergessen. »Die Sexgöttin«, fügte Carrie hinzu und zitierte damit Samantha selbst, die oft genug von ihren Abenteuern berichtet hatte. »Genau – Drew!« Samantha sah sich bestätigt. »Also nachdem ich mit ihr geschlafen hatte, habe ich rein gar nichts gefühlt. Ich sagte also so was wie: ›Okay Babe, wir sehen uns später dann.‹ Und dann hab ich sie total vergessen.« Samantha sah Carrie eindringlich an, um zu verdeutlichen, wie ernst ihr das Ganze war und daß sie die Fähigkeit, Sex wie ein Mann zu haben, schon völlig verinnerlicht hatte. »Bist du dir sicher, daß es nicht daran lag, daß sie dich nicht angerufen hat?« Charlotte konnte einfach nicht glauben, daß Samantha wirklich so abgebrüht war, wie sie tat. »Süße«, begann Samantha nun ihren Vortrag. »Das ist das erste Mal in der Geschichte von Manhattan, daß Frauen genauso viel © édition el!es www.elles.de 3 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Geld und Macht haben wie Männer. Was die Macht betrifft, so beinhaltet das auch die Macht, andere als Sexobjekte zu betrachten. Wir sollten uns in dieser Beziehung eine Scheibe von den Männern abschneiden.« »Also bitte!« unterbrach Carrie. »Wo bleibt denn da die Romantik? Und wieso sollten wir unsere eigenen Geschlechtsgenossinnen mies behandeln? Ist es nicht schlimm genug, daß Männer das schon tun?« »Ja, genau, das sehe ich auch so!« bestätigte Charlotte. »Also ich möchte von einer anderen Frau nicht so behandelt werden. Und deswegen würde ich mich auch einer anderen gegenüber nicht so verhalten.« »Romantik?« knüpfte Miranda an und ignorierte Charlotte dabei ganz. »Wie bei dieser Frau, mit der ich vor einiger Zeit ausgegangen bin. Jera, die Dichterin. Ich meine, der Sex war unglaublich, aber dann wollte sie mir ihre Gedichte vorlesen und mit mir essen gehen und tiefgründige Gespräche führen. Laß es uns lieber gleich beenden, dachte ich mir.« »Und da sag noch mal einer, Frauen würden Gedichte lieben«, schloß Carrie. »Zumindest ich nicht«, bestätigte Samantha. »Ich spiele lieber nur die Muse für die Schreiberin, aber den Rest sollen sie zu Hause lassen.« Sie lächelte verschmitzt bei dem Gedanken daran, wie sie sich als Muse machen würde. »Wieso überhaupt Sex wie ein Mann?« fragte Carrie an Samantha gewandt nach. »Wir haben doch sonst nicht viel mit dem anderen Geschlecht am Hut. Müssen wir uns die Männer da unbedingt als Vorbild nehmen?« »Bitte! Dann eben Sex wie eine Butch, wenn dir das lieber ist«, schlug Samantha vor. »Obwohl nicht alle Butches so abgebrüht sind wie die meisten Männer. Ich habe schon mit welchen geschlafen, die mich danach mit Telefonanrufen genervt haben.« »Was redet ihr denn da?« unterbrach Charlottes hohe Stimme die anderen enttäuscht. »Sagt ihr da, wir sollen die Liebe einfach aufgeben? Das ist doch krank!« In ihrem Gesicht stand Schock. Wie konnten ihre Freundinnen nur so eigennützig durch die Welt gehen? 4 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Nein, nein, nein. Ich sage dir, wenn die richtige Frau vorbeikommt, werfen diese beiden hier« dabei zeigte sie mit ihrer Kuchengabel nacheinander auf Miranda und Samantha »ihre Vorsätze aus dem Fenster.« Diese Behauptung rief eine kurze Unruhe hervor, bis Samantha sich durchsetzen konnte: »Die Richtige ist eine Illusion. Versteht ihr das nicht?« »Du willst also sagen, daß es wirklich möglich ist, diese ganze Sex-wie-ein-Mann-Geschichte durchzuziehen?« hakte Carrie nach. »Ich bin der lebende Beweis«, tönte Samantha. Am nächsten Tag saß Carrie im Schneidersitz auf ihrem Bett und ließ das Gespräch vom Vorabend Revue passieren. Ihre lockige Haarpracht hatte sie leger hochgesteckt. Ihr Laptop lag auf einem Kissen direkt vor ihr, und hin und wieder tippte sie einige Wörter, während sie abwechselnd löffelweise Schokoladeneis verzehrte. Gaben die Frauen in New York die Liebe wirklich auf und genossen statt dessen ihre Macht? Was für ein verführerischer Gedanke, gestand Carrie sich ein, als sie die nächste Portion Eis auf ihrer Zunge zergehen ließ. Sie schrieb Woche für Woche eine Kolumne über ihr Leben als Femme-Lesbe für den New York Star. Sie liebte diesen Job, denn er bot ihr nicht nur die Möglichkeit, sich hin und wieder ein Paar Manolo Blahniks leisten zu können, sondern erlaubte ihr auch, ihr Privatleben als Grundlage für ihre Texte zu nutzen. Inspiration bekam sie durch ihre Freundinnen mehr als genug. Dennoch war diese Aufgabe herausfordernder als es auf den ersten Blick scheinen mochte, denn so war Carrie auch dazu gezwungen, sich zu sämtlichen Veränderungen und Besonderheiten des Lebens als Lesbe eine Meinung zu bilden. Und genau das war manchmal gar nicht so leicht. War sie selbst dazu bereit, Sex ohne Gefühl und Verpflichtungen zu haben, genau wie ein Mann? © édition el!es www.elles.de 5 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Weißt du, ich denke, der einzige Ort, an dem man noch Liebe und Romantik in New York finden kann, ist die Szene. Es sind nur die Heteros, die die Fähigkeit zu lieben verlernt haben und sich statt dessen allein auf die Körperlichkeiten miteinander stürzen. Menschen wie du und ich würden sich dieser Verführung nicht ergeben.« Dabei schaute er Carrie tief in die Augen. Es war Stanford Blatch, Carries langjähriger schwuler Freund, den sie nach seiner Meinung zu Romantik gefragt hatte. »Und ich kann dir auch sagen, weshalb das so ist«, führte er fort. »Es gibt Millionen Menschen in New York. Du weißt aber so gut wie ich, daß nur ein ganz bestimmter Prozentsatz von ihnen für dich und mich in Frage kommt. Unsere Chancen sind automatisch also viel kleiner. Wieso sollten wir dann einen potentiellen Partner verwerfen und uns gleich auf den nächsten stürzen? Wenn man tatsächlich nach dieser Philosophie leben würde, hätte ich irgendwann alle Männer durch, und für dich gäbe es keine Frauen mehr. Es sind nur die Heteros, die sich diesen Lebensstil leisten können. Für sie gibt es ja genügend Auswahl«, sagte er abschätzig und beobachtete den Kellner, der zwei Teller vor sie hinstellte. Sofort lockerten sich Stanfords Gesichtszüge, und er betrachtete den jungen Mann mehr als interessiert, der jedoch kurze Zeit später wieder von dannen zog. »Also Samantha sieht das etwas anders.« Diese Worte durchquerten Stanfords Gedanken, und augenblicklich wanderte sein Blick von der Rückenansicht des Kellners zu Carrie. »Ach, Sam ist kein Maßstab«, winkte er ab. »Bei ihr dauert es wirklich nicht mehr lange, bis sie alle Frauen durchhat. Wahrscheinlich ist sie schon jetzt nur noch damit beschäftigt, die Hetero-Frauen umzukrempeln.« »Aber sag mal«, grinste Carrie »wenn du so überzeugt von Romantik und Liebe sprichst, heißt das etwa, das du gerade verliebt bist?« »Wie sollte ich denn bitte dazu in der Lage sein, eine Beziehung aufrechtzuerhalten? Du weißt, daß Derek geradezu tausend Prozent meiner Zeit beansprucht.« 6 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Meinst du nicht, daß das schon zwanghaft ist?« fragte sie, während sie frischen Pfeffer über ihr Gericht mahlte, bevor sie zu essen begann. »Carrie, ich bin eine leidenschaftliche Person. Ich kümmere mich nur um seine Karriere. Wenn die unter Kontrolle ist, kann ich mich um mein Privatleben kümmern.« Stanford war der Besitzer einer Talentagentur. Zu diesem Zeitpunkt verwaltete er allerdings nur einen einzigen Klienten. »Stanford«, sagte Carrie ziemlich ernst zwischen zwei Bissen. »Er ist ein Unterwäschemodel.« So schwierig konnte es ja nicht sein, ein einziges Model zu verwalten, war was Carrie unterschwellig damit sagen wollte. »Mit einem Plakat auf dem Times Square«, fügte Stanford an, um ihr zu zeigen, daß es sehr wohl eine Menge zu verwalten gab. Gerade als Stanford seinen Blick von Carrie wieder seinem Teller zuwenden wollte, nahm er die Präsenz einer Person wahr, die er mehr als nur flüchtig kannte. »O mein Gott, Carrie, dreh dich jetzt nicht um!« Dieser Satz hatte eine gewisse Magie an sich, die üblicherweise das Verlangen auslöste, genau das zu tun, was einem soeben untersagt worden war. Carrie drehte sich selbstverständlich um. »Die Liebe deines Lebens sitzt an der Bar«, erläuterte Stanford, um ihr zu verstehen zu geben, was der Auslöser für seinen schockierten Ausruf war. An der Bar saß Krystal Harrington, die Carrie mehr als einmal in ihrem Leben den Kopf verdreht hatte. Sie war die Ursache für unzählige Abende, an denen Carrie ihren Freundinnen in den Ohren gelegen und immer wieder nach dem Grund dafür geforscht hatte, weshalb Krystal sie nicht wieder anrief. Trotz dieser emotionalen Zusammenbrüche war Carrie nicht dazu in der Lage gewesen, sich von Krystal fernzuhalten, und hatte somit ihre Fehler stets und ständig wiederholt. »Carrie!« Stanford riß sie aus ihren Erinnerungen an Krystal. »Denk nicht einmal daran, zu ihr hinzugehen!« Stanford wußte sehr wohl, daß er womöglich später von Carrie selbst dafür verantwortlich gemacht werden würde, daß er sie nicht gewarnt hatte. © édition el!es www.elles.de 7 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Was denkst du denn? Daß ich eine Masochistin bin?« Carrie sah geradezu wütend aus. »Die Frau ist Abschaum.« Offenbar hatte sie endlich aus ihren Fehlern gelernt. »Gut. Denn ich habe nicht die Geduld, zum vierten Mal den Scherbenhaufen aufzuräumen, den Krystal jedesmal aus dir macht.« Stanfords Stimme klang noch immer sehr betont. Lieber ging er auf Nummer Sicher und sprach etwas harscher mit Carrie als sich darauf zu verlassen, daß das, was sie sagte, tatsächlich der Realität entsprach. »Entspann dich mal! Liebe ist mir gerade so was von egal«, gab Carrie zwischen zwei Bissen bekannt. »Na Gott sei Dank!« Unerwartet legte Carrie ihre Gabel beiseite und tupfte sich mit der Serviette über den Mund. »Entschuldige mich bitte. Ich bin mal eben zur Toilette.« Ein bestimmtes Lächeln hatte sich auf ihren Lippen ausgebreitet. Als sie von ihrem Stuhl aufstand und sich von Stanford abwandte, konnte er nur noch ein warnendes »Carrie!« ausstoßen, bevor sie verschwunden war. Auf dem Weg durch das Restaurant ließ sie sich ihre spontane Idee durch den Kopf gehen. Sie war sich sicher, daß sie tatsächlich nichts mehr für Krystal empfand. Ihr war nun mehr als klar, daß Krystal einfach nur eine arrogante selbstverliebte Person war. Trotzdem wurden Erinnerungen in ihr wach, und sie konnte guten Gewissens feststellen, daß sie mit Krystal den besten Sex ihres Lebens gehabt hatte. Als Carrie an der Bar vorbeiging, blieb sie demonstrativ neben Krystal stehen, die lässig eine Zigarette rauchte. Sie trug einen dunklen Hosenanzug, und ihre Haare waren noch immer genauso kurz wie Carrie sie in Erinnerung hatte. Sie war burschikos und sie sah umwerfend aus. »Krystal!« sagte Carrie mit gespielter Überraschung in ihrer Stimme. Die andere Frau drehte ihren Kopf zu Carrie. »Wow, was machst du denn hier?« säuselte Carrie. »Hi Süße«, sagte Krystal und gab Carrie einen Kuß auf die Wange. Danach ließ sie ihren Blick von oben nach unten gleiten, und 8 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) nach kürzester Zeit hatte sie ihre Meinung gefällt: »Du siehst großartig aus.« »Danke«, sagte Carrie beiläufig. »Also?« Sie stieß entspannt Luft aus. »Was macht die Kunst?« »Nicht schlecht, nicht schlecht. Und bei dir?« »Ach«, Carries Grinsen war mehr als verführerisch, »ich schreibe eine Kolumne – wie immer.« Sie wandte ihren Blick kurz ab und überlegte, ob sie die nächste Frage wirklich stellen sollte, aber da war sie schon aus ihrem noch immer lächelnden Mund entwichen: »Also, gibt es gerade eine Frau in deinem Leben?« Krystal blies eine große Rauchwolke aus ihrem Mund und sah Carrie danach wieder an. »Nicht wirklich.« Sie musterte sie kurz. »Und bei dir?« »Ich hab nur hin und wieder ein paar Dates. Nichts Besonderes.« Sie grinste wieder verschmitzt. »Du siehst gut aus.« »Du auch«, gab Krystal zu. Carrie verfiel in ein verlegenes Lachen. Sie drehte ihren Kopf kurz in Richtung ihres Tisches und entdeckte Stanford, der ihr fuchtelnd Zeichen gab. Er formte seine Lippen mehrmals zu einem lautlosen ›Nein‹. Seine großräumigen Bewegungen mit den Armen sollten wohl so etwas heißen wie ›Carrie, geh weg von der Frau‹. Das hatte Carrie jedoch nicht vor. Sie hatte alles unter Kontrolle, dachte sie sich schmunzelnd. »Also«, begann sie, während sie selbstbewußt Krystals Zigarette stibitzte und an ihren Mund führte »was machst du später?« »Ich dachte, du wolltest den Rest deines Lebens nicht mehr mit mir reden«, erwiderte Krystal skeptisch. »Wer hat denn was von Reden gesagt?« konterte Carrie keck und blies die Rauchwolke in Krystals Richtung, die sofort kurz auflachen mußte. Ganz offensichtlich hatte sie eine neue Carrie vor sich. Eine selbstbewußte Carrie, die ihre Gefühle außen vor ließ. »Was sagst du, gegen drei Uhr in meiner Wohnung?« »Alles klar. Dann sehen wir uns dort.« Mit diesen Worten überreichte Carrie Krystal ihre Zigarette und ließ eine positiv überraschte Krystal hinter sich. Es war ihr schon immer leichtgefallen, Frauen herumzukriegen, dachte Krystal, aber das eben war ja schon fast ein Kinderspiel gewesen. © édition el!es www.elles.de 9 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Als Carrie zurück an ihren Tisch kam, erwartete sie dort ein böse dreinschauender Stanford. Carries Grinsen sprach Bände. »Hast du den Verstand verloren?« fragte Stanford mit einem übelgelaunten Unterton. »Was zum Teufel denkst du, das du tust?« »Beruhig dich wieder. Das ist nur Recherche.« Dann führte Carrie ihr Weinglas zu ihrem Mund und nahm entspannt einen Schluck. Am Nachmittag befand sich Carrie tatsächlich – wie sie es geplant hatte – in Krystals Doppelbett, welches umgeben war von diversen Kleidungsstücken beider Frauen. Haltloses Stöhnen verließ Carries Mund. »O Krystal!« Sie genoß Krystals Zunge in vollen Zügen. Sie war sogar noch besser als Carrie sie in Erinnerung hatte. Eine heiße Welle durchfuhr Carrie, als ihr Stöhnen in einem heiseren Schrei gipfelte. Ihr Körper entspannte sich, und sie ließ ihren Kopf wieder auf das Kissen sinken. Während sie sich von ihrem unglaublichen Orgasmus erholte, schlich Krystal unter der Bettdecke zu Carrie nach oben, bis sie neben ihr im wahrsten Sinne des Wortes auftauchte. »Okay«, schnaufte sie. »Ich bin dran.« »Oh, entschuldige. Ich muß wieder zur Arbeit.« Ein süffisantes Lächeln stand auf Carries Lippen, das sich sofort milderte, als Krystal sie überrascht von der Seite her ansah. »Was? Meinst du das ernst?« »O ja, völlig.« Carrie war die Entspannung in Person. Sie wandte ihren Kopf Krystal zu. »Kann ich dich anrufen? Vielleicht holen wir das ein andermal nach.« Mit diesen Worten gab sie Krystal einen Kuß auf die Stirn und drehte sich in der Bettdecke aus dem Bett heraus. Sie hinterließ eine nackte, frustrierte Krystal, der zum ersten Mal das passiert war, was sie sonst höchstens anderen Frauen antat. Als Carrie sich anzog, wurde ich klar, daß sie es getan hatte. Sie hatte Sex wie ein Mann gehabt. Auf dem Weg aus Krystals Apartment überkam sie ein Gefühl von Macht. Sie hatte sich lange nicht mehr so lebendig gefühlt. Die Stadt lag ihr zu Füßen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie großartigen Sex genossen und gleich- 10 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) zeitig alle Gefühle ausgeblendet. Krystal hatte ihr nicht das geringste bedeutet, und sie war stolz darauf. Während sie auf den überfüllten Straßen Manhattans ihren Gedanken nachhing, stieß sie achtlos auf einen ihr entgegenkommenden Passanten. Carries Handtasche flog durch die Luft auf den Bürgersteig und entleerte die Hälfte ihres Inhalts. Sie hockte sich hin, um Lipgloss und Puderpinsel wieder einzusammeln. Als sie ihren Blick vom Beton hob, weil sich ein Schatten vor ihr ausgebreitet hatte, sah sie, daß ihr gegenüber ein Paar schlanke Frauenbeine hockten. Carrie sah auf und schaute in die tiefen, dunklen Augen einer bezaubernden Frau mit einer Ausstrahlung, von der wohl sogar die Passanten am Ende der Straße noch etwas spüren mußten. Die Fremde reichte ihr einige der Utensilien, die aus ihrer Handtasche gefallen waren. Als sich ihre Hände für den Bruchteil einer Sekunde berührten, durchzuckte Carrie ein seltsames Kribbeln. Es schien, daß sich ihr Herzschlag erhöht hatte und sie nervös wurde. Die andere Frau begab sich aus der Hocke wieder nach oben und Carrie tat es ihr gleich. Ihr Gegenüber überragte sie fast um einen Kopf. Carrie konnte nichts dagegen tun, sie mußte einfach lächeln. »Dankeschön«, murmelte sie und fuhr sich durch die lockigen, schulterlangen Haare. Auch die Fremde lächelte höflich. »Nichts zu danken.« Sie zwinkerte und beobachtete, wie Carrie den Rest in ihrer Handtasche verstaute. Dann lächelte Carrie sie noch einmal an und machte sich daran, ihren Heimweg fortzusetzen. Als sie in ihren hohen, schwarzen Schuhen und dem kurzen schwarzen Kleid über den Bürgersteig wanderte, spürte sie die Blicke der Fremden auf sich. Sie drehte sich um und lächelte erneut. Die andere winkte elegant und lächelte zurück. Carrie drehte sich um und war sich sicher, daß die andere sie beobachten würde, bis sie sie nicht mehr sehen konnte. Einen Fuß vor den anderen, sagte sie sich im Kopf. Sie trug jeden Tag Schuhe mit hohen Absätzen und konnte darin laufen, seit sie ein Teenager war, aber ausgerechnet an diesem einen Tag mußte sie stolpern. Als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte und den Sitz ihres Kleides überprüfte, verfluchte sie sich für diesen Patzer. Noch © édition el!es www.elles.de 11 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) einmal würde sie sich jetzt garantiert nicht umdrehen. Die andere mußte ja denken, daß sie nicht laufen konnte. Später an diesem Tag war Carrie mit Skyla Johnston auf einen Kaffee verabredet. Die Frau mit den kurzen Locken und der Brille war seit langem eine gute Bekannte von Carrie. Sie war als Webseitenprogrammiererin tätig und absolute Romantikerin. Nachdem Skyla sich gegenüber von Carrie in der Sitzecke niedergelassen und die beiden Gläser Kaffee auf dem Tisch plaziert hatte, offenbarte sie ein schockierendes Geheimnis: »Weißt du, daß es jetzt schon ungefähr ein Jahr ist?« Natürlich bezog Skyla sich hierbei auf den Zeitraum, den sie mittlerweile schon Single war. Schockiert stellte Carrie den Zuckerstreuer beiseite, mit dem sie eben ihren Kaffee gesüßt hatte, doch ihre Augen waren auf Skyla gerichtet. »Wirklich?« Dann rührte sie aufgebracht in ihrem Kaffeeglas, um den Zucker zu verteilen. »Ich verstehe das nicht. Du bist so eine nette Frau.« »Genau das ist das Problem«, erwiderte Skyla. »Ich bin einfach zu nett. Ich bin eine Romantikerin. Ich habe eine Menge Gefühle zu vergeben, aber es gibt so viele Frauen, die sich magisch von bösen Mädchen angezogen fühlen.« Während sie aufgelistet hatte, was ihrer Meinung nach das Problem ihres chronischen Singledaseins war, hatte Carrie ihr immer wieder in die Augen gesehen und genickt. »Außerdem sehe ich – im Gegensatz zu vielen anderen Lesben – Frauen nicht als Sexobjekte an.« An Carries Gesichtsausdruck erkannte sie, daß sie diese Theorie weiter ausbauen sollte. »Weißt du, die meisten Lesben sehen, wenn sie eine Frau kennenlernen, . . . ähm . . . na, du weißt schon.« Skyla kam ins Stottern, als sie ihre Gedanken nicht in Worte fassen konnte. »Eine Muschi?« half ihr Carrie auf die Sprünge. Skyla zuckte merklich zusammen. »O Gott. Ich hasse das Wort.« Sie lächelte Carrie auf ihre zurückhaltende Art an. Sie war wirklich anders als die meisten Lesben. »Sag mal, hast du keine Freundinnen, mit denen du mich verkuppeln könntest?« Carrie hatte ihren Kopf auf ihre Hand gestützt und lächelte entschuldigend. »Nein, die sind zu alt für dich.« 12 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Ich mag ältere Frauen.« Carrie dachte einen Moment lang nach. »Vielleicht. . .« Sie hatte eine Idee. »Vielleicht meine Freundin Miranda.« Skyla sah sie erfreut an, dankbar für die Chance, ein Date zu bekommen, und dachte nicht im Traum daran, sich weiter nach Miranda zu erkundigen. »Wann?« »Morgen abend«, beschloß Carrie. »Wir gehen alle in die Stadt in diesen Club, Chaos.« »Großartig.« Skyla nickte und war zufrieden. »Aber sag ihr nicht, daß ich nett bin«, bat sie und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Als Carrie am Abend wieder in ihrem Apartment war, klingelte ihr Telefon. Sie durchwühlte das Bett, als sie auf der Suche nach dem schnurlosen Gerät war. Beim vierten Klingeln hatte sie es gefunden. »Hallo?« Sie legte sich bäuchlings auf die Matratze. »Hi Carrie. Hier ist Charlotte.« »Hi Süße!« »Hey, ich kann mich leider morgen abend nicht mit euch treffen, weil ich einen fantastischen Tag haben werde.« Charlottes Stimme tanzte voller Vorfreude. »Mit wem?« fragte Carrie interessiert nach. »Mit Caprice Duncan. Sie soll so ein ganz hohes Tier im Verlagswesen sein. Kennst du sie?« Ob ich sie kenne? dachte Carrie. Sie war eine von New Yorks berühmtesten Single-Lesben. »Warte, warte, Du brauchst gar nicht darauf zu antworten«, unterbrach Charlotte Carries Gedanken, so daß sie gar nicht mehr dazu kam, sie auszusprechen. »Denn, weißt du, eigentlich ist es mir egal. Und dann noch etwas: Ich glaube euch dieses Frauenhaben-Sex-wie-Männer-Zeug nicht.« Sofort fühlte Carrie sich an ihren aufregenden Nachmittag mit Krystal erinnert. Sie dachte daran, wie einfach es gewesen war, diesen tollen Sex zu haben, und wie gut sie sich danach gefühlt hatte. Sie überlegte, ob sie Charlotte davon erzählen sollte, ließ es dann aber doch, denn sie kannte ihre Freundin viel zu gut. Charlotte würde sich nie auf so etwas einlassen. »Na gut, okay«, sagte © édition el!es www.elles.de 13 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) sie statt dessen. »Dann wünsche ich dir viel Spaß, und versprich mir, daß du mir alles erzählen wirst.« »Okay, bis später dann.« »Tschüß, bis dann.« Charlottes Absage hielt Carrie nicht davon ab auch ohne sie ins Chaos zu gehen. Es war Freitagabend, und als sie den Raum betrat, war der Club bereits mit Menschen gefüllt. Die Crème de la Crème von Manhattan hatte sich genau an diesem Ort versammelt. Mit dabei war auch Miranda, die genervt neben Skyla an der Bar saß. »Mir scheint, als hätten sich alle Models von New York heute abend hier versammelt. Gibt es außer mir eine Frau in diesem Raum, die mehr als 45 Kilo wiegt?« Miranda sah sich frustriert um. Es war offensichtlich, daß sie sich nicht amüsierte. Und dagegen konnte auch Skyla nichts unternehmen. Ganz im Gegenteil. »Ja, es sieht hier aus wie bei den Anonymen Unterernährern.« »Das ist lustig, Skylie«, gab Miranda von sich, doch ihr Ton ließ erahnen, daß sie den Kommentar alles andere als witzig gefunden hatte. Sie griff zu ihrem Cocktailglas. »Skyla«, berichtigte Skyla leise. »Ich habe die Theorie, daß Lesben in Wirklichkeit alle hübschen Frauen hassen, weil sie das Gefühl haben, daß sie nie an sie herankommen würden.« Miranda trank. »Nun ja, man muß ja nicht an den Olympischen Spielen der Schönheit teilnehmen. Trotzdem kann eine Frau sehr interessant sein.« »Willst du damit sagen, daß ich nicht hübsch genug bin?« Mirandas Gesichtsausdruck ließ keine Emotion zu. »Nein, nein, nein, natürlich bist du hübsch«, beeilte sich Skyla, festzustellen, während sie versichernd durch ihre Brillengläser blinzelte und dazu nickte. »Also kann ich nicht interessant sein?« hakte Miranda nach. »Können Frauen nur in eine von zwei Kategorien fallen: hübsch und langweilig oder häßlich und interessant? Willst du mir das damit sagen, Skylie?« Miranda präsentierte stolz ihre provokative Interpretation von Skylas Äußerungen. »Nein, das habe ich nicht gemeint«, versicherte Skyla. 14 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Mirandas Blick wanderte nach unten. Als sie Skyla wieder anschaute, sah sie gereizt aus. »Entschuldige. Ist das deine Hand auf meinem Knie?« Eilig zog Skyla ihre Hand zurück. »Nein, nein.« Sie schob ihre Brille nach oben, so als wäre nichts gewesen. »Okay«, lachte Miranda gekünstelt, um nicht zu beleidigend zu werden. »Laß sie bitte dort, wo ich sie sehen kann«, ordnete sie an. Daraufhin griff sie ihr Cocktailglas und stellte fest: »Dann findest du mich offenbar hübsch.« Leise fügte sie hinzu: »Oder interessant.« Die Wahrheit war, daß es ihr ziemlich egal war, wie Skyla sie fand. Miranda war wählerisch, und Skyla war absolut keine Kandidatin für sie. Das hatte sie bereits nach der ersten Sekunde gemerkt. Carrie hatte die beiden einen Moment lang aus sicherer Entfernung beobachtet. Sie hatte kein Wort von dem gehört, was sie gesagt hatten, aber sie war sehr wohl in der Lage, aus den Gesichtern ihrer Freundinnen zu lesen. Sie beschloß, die arme Skyla zu retten und machte sich auf den Weg. In diesem Moment stand plötzlich Krystal vor Carrie. »Ich Glückliche! Da treffe ich gleich zwei Mal in einer Woche auf dich.« Sie gab Carrie einen Kuß auf den Mund. »Na, ich weiß nicht, ob du das auf die Dauer aushalten würdest«, merkte Carrie an. Immerhin waren ihre bisherigen Versuche, eine vernünftige Beziehung mit Krystal zu führen, durchweg gescheitert. »Weißt du, ich war ein bißchen irritiert, als du gestern so schnell abgehauen warst. Und dann dachte ich mir: Großartig! Endlich hast du verstanden, was für eine Art von Beziehung ich mir immer vorgestellt habe. Ich will Sex ohne Verpflichtungen.« »Äh, ja, klar, sicher«, antwortete Carrie, denn das war es im Grunde, was ihr Experiment beinhaltet hatte. »Also, wann immer mir demnächst danach ist, dann rufe ich dich an.« »Ja, genau«, bestätigte Krystal. »Wann immer dir danach ist! Und wenn ich allein bin« sie legte ihre Hand auf ihren Brustkorb »gehöre ich ganz dir.« Sie lächelte. »Ich mag dein neues Ich.« Dann trat sie einen Schritt nach hinten. Sie hielt ihren abgespreizten Daumen und kleinen Finger an ihr Ohr. »Ruf mich an.« Dann grinste sie und verschwand wieder in der Menge. © édition el!es www.elles.de 15 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Was sie zurückließ war eine zweifelnde Carrie. Wieso fühlte sie sich plötzlich nicht mehr so mächtig wie nach dem Sex mit Krystal? Ihr wurde klar, daß sie einfach nicht erwartet hatte, daß Krystal dieses Spiel gefallen hatte. Das Gefühl, auf ein Sexobjekt reduziert zu werden, war schlimmer denn je. Krystal hatte es so offensichtlich gemacht, daß es nur das war, was sie von Carrie wollte, und plötzlich war Carrie damit nicht mehr zufrieden. Vielleicht war es auch einfach zu langweilig, eine Garantie für Sex zu haben? Ohne daß Carrie sie bemerkt hatte, hatte Samantha sich ihr genähert. »Siehst du diese Frau da hinten?« murmelte sie mit dem Blick starr geradeaus gerichtet. »Die hat vielleicht eine Ausstrahlung! Und sie sieht so gut aus!« Carrie folgte Samanthas Blick und traf auf – Ms. Big. Wie am Tag zuvor, als sie ihr geholfen hatte, den Inhalt ihrer Handtasche einzusammeln, trug sie einen eleganten Hosenanzug, der ihr eine gewisse Aura von Macht verlieh. Als Ms. Big aufsah und Carrie entdeckte, winkte sie genauso dezent wie am gestrigen Nachmittag. Sie lächelte unauffällig und hob interessiert die Augenbrauen. Carrie lächelte und winkte zurück. Ihr Herz hatte ganz unbemerkt sein Tempo erhöht, und das obwohl Ms. Big etliche Meter entfernt war. »Kennst du sie etwa?« fragte Samantha überrascht. »Nein, nein«, winkte Carrie ab. »Ich habe sie noch nie im Leben gesehen.« Sie wollte Samantha nicht den Abend verderben, denn wenn sie sich eine Frau in den Kopf gesetzt hatte, bekam sie in der Regel auch, was sie wollte. Außerdem wollte Carrie sich nicht eingestehen, wie albern sie sich vorkam, schon so nervös zu sein, obwohl sie die andere Frau eigentlich gar nicht kannte. »Hach, diese Models«, murmelte Samantha ein wenig besorgt und kommentierte damit die Frauen, die sich nicht unweit von Ms. Big aufhielten. »Aber hey, ich sehe mindestens genauso gut aus wie ein Model. Außerdem habe ich meine eigene Firma.« Sie öffnete einen Taschenspiegel in ihrer Hand und trug eine frische Schicht roséfarbenen Lippenstifts auf. Als sie mit ihrem Aussehen zufrieden war, klappte sie den Spiegel zu – bereit zum Angriff. »Also wenn du dich nicht an sie ranmachen willst«, ihre Augen waren zielstrebig auf Ms. Big gerichtet »werde ich es tun.« 16 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Ehe sie diesen Satz ausgesprochen hatte, war sie schon auf dem Weg zu Ms. Big. Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort verließ Charlotte das Theater – in Begleitung von Caprice Duncan. Sie trug ein goldfarbenes, schulterfreies Kleid und hatte sich bei Caprice untergehakt. »Also, wie sieht’s aus? Möchtest du noch mit zu mir kommen und dir das Ross-Bleckner-Gemälde ansehen, von dem ich dir erzählt habe?« fragte Caprice. »Würde ich ja sehr gern«, gestand Charlotte »aber es ist wirklich schon spät.« »Kein Problem.« Caprice wandte ihren Blick ab. Sie schien nicht enttäuscht zu sein, dennoch hatte Charlotte ein schlechtes Gewissen, den Abend so frühzeitig zu beenden. Immerhin hatten sie sich in den letzten Stunden prächtig amüsiert. »Ähm«, druckste sie herum, sah zu Boden und erregte damit wieder Caprices Aufmerksamkeit. »Aus welchem Jahr war das Gemälde noch mal?« »89«, war Caprices schlichte Antwort. Charlotte lächelte. »Vielleicht für fünf Minuten oder so«, bot sie an. Caprice lächelte erfreut und legte den Arm um Charlotte, während sie sich auf den Weg zum Taxistand begaben. Einige Minuten später befand Charlotte sich in Caprices Wohnung. Fasziniert stand sie vor dem überdimensional großen Gemälde, das weiße Formen wie Pusteblumen vor einem dunklen Hintergrund darstellte. »Das würde sich leicht für hunderttausend verkaufen. Bleckner ist gerade so angesagt«, beurteilte Charlotte den Wert des Bildes. Sie arbeitete in einer Kunstgalerie, weshalb die Erwähnung des Gemäldes ein ausschlaggebender Grund für sie gewesen war, Caprice in ihre Wohnung zu begleiten. Caprice hatte sich von hinten genähert und stand nun neben Charlotte. »Es ist wunderschön«, fügte Charlotte anerkennend hinzu. © édition el!es www.elles.de 17 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Nein, du bist wunderschön«, sagte Caprice schmeichelnd, streichelte mit zwei Fingern über Charlottes Schulter und küßte sie am Ohr. »Dankeschön.« Sie lächelten sich an, und Caprice legte den Arm um Charlotte. »Ich hatte wirklich viel Spaß heute abend.« Charlotte fühlte Caprices Arm sehr deutlich. »Es war mir eine Freude«, sagte Caprice. Dann stellte sie sich ihr gegenüber. Ihr Arm lag nun um Charlottes Taille. Es fühlte sich plötzlich für Charlotte so an, als ob die Luft zwischen ihnen elektrisiert war. Sie war aufgeregt wie ein Teenager, als Caprice ihr näher und näher kam, bis ihre Lippen aufeinander lagen. Ein leidenschaftlicher Kuß folgte, der für Charlotte die Krönung des Abends darstellte. Leider war dies für Caprice nicht ganz der Fall. Sie wollte mehr. Und so begann sie, Charlottes Hals zu küssen. Ihre Hände waren zu Charlottes Schultern gewandert und liebkosten sie dort. Charlotte spürte an ihrem Atem, was sie im Sinn hatte. Doch genau das war ihr eindeutig zu früh. Charlotte hielt Caprices Hände fest und sah sie entschuldigend an. »Ich muß morgen wirklich zeitig aufstehen.« »Ich ruf dir ein Taxi«, bot Caprice in ihrer charmanten Art mit einem Lächeln an und verschwand. Charlotte war froh, daß ihre Abfuhr Caprice nicht abgeschreckt hatte. Sie schien Respekt vor Charlottes Entscheidung zu haben, mit dem Sex noch zu warten. Immerhin war dies gerademal ihr erstes Date. Einige Minuten später stand Charlotte mit Caprice vor einem Taxi. Die Tür zur Rückbank stand offen, und Charlotte war kurz davor einzusteigen. Caprice stand hinter der Tür und lehnte sich elegant darauf. »Also, was machst du nächsten Samstag?« fragte sie. »Da geh ich mit dir essen«, sagte Charlotte mit einem verschmitzten Lächeln. Dann gab sie ihr einen Kuß und stieg ins Taxi. Bevor sie die Tür schließen konnte, ging Caprice um die Tür herum und beugte sich zu Charlotte hinab: »Du fährst doch zur Westside, oder?« 18 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Ja.« Daraufhin wandte Charlotte sich zum Taxifahrer und gab ihr Ziel bekannt: »Westside, vierte Straße, Ecke Bank.« »Okay, rutsch mal rüber«, bat Caprice und setzte sich neben sie ins Taxi. Nachdem der Fahrer das Auto hatte anrollen lassen, fügte Caprice an ihn gewandt hinzu: »Westside, vierte Straße, Ecke Bank und danach noch zum Broadway, Ecke Broom Street.« Charlotte hatte genau darauf geachtet, welche Adresse Caprice angegeben hatte. Es interessierte sie, wo sie um diese Zeit noch hinwollte. Sofort erkannte sie die Adresse wieder. »Du willst noch ins Chaos?« fragte sie irritiert. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. »Oh, ähm ja.« Caprice sah sie etwas überrascht an und lächelte dann verlegen. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, daß Charlotte wußte, wohin sie wollte. Auch Charlotte war überrascht. Mit gerunzelter Stirn blickte sie geradeaus. »Warum?« Caprice atmete hörbar aus. »Okay, ich verstehe, daß du eine etwas andere Erziehung genossen hast und andere moralische Vorstellungen hast, und ich respektiere das. Aber ähm«, druckste sie herum »heute abend brauche ich wirklich Sex.« Charlotte wandte sich ab. Sie sah schockiert und enttäuscht aus. Was sollte sie mit einer Frau anfangen, die nicht mal ein paar Tage warten konnte? Sie war traurig, daß mit diesem Satz der Traum von ihrer Prinzessin geplatzt war. Der Abend war doch so perfekt gewesen, dachte sie wehmütig. Zurück im Chaos hatte sich Samantha um einiges näher an Ms. Big herangewagt. Ms. Big saß im Kreis von ein paar Bekannten und hielt demonstrativ eine Zigarre in der Hand. »Ich rauche seit Jahren Zigarren. Ich habe das sogar damals schon getan, als sie offenbar ›uncool‹ waren.« Samantha setzte sich auf den freien Platz neben Ms. Big. Auch sie hielt eine Zigarre in der Hand. »Ich habe hier eine ganz besondere Sorte. Möchten Sie mal probieren?« »Nein danke«, war Ms. Bigs schlichte Antwort. »Wieso nicht? Die gibt es nirgendwo zu kaufen.« »Ich rauche nur Cohibas«, erläuterte Ms. Big, während sie ihr Feuerzeug aufschnappen ließ um Samantha Feuer zu geben. © édition el!es www.elles.de 19 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Als Samantha die ersten Züge an der Zigarre zog, wendete sie ihre Augen nicht von Ms. Big und beobachtete sie für einige Sekunden. Dann näherte sie sich ihr und sagte schließlich: »Ich mache die PR für diesen Club und ich habe den Schlüssel zu den Privaträumen im Keller.« Ihre Stimme war voller Erotik, als sie ihr leise ein verführerisches Angebot unterbreitete. »Lust auf eine kleine Privatführung?« Ms. Big setzte ein Gesicht auf, als ob sie nachdenken müßte, obwohl sie die Antwort eigentlich sofort wußte: »Nein, danke. Vielleicht ein andermal.« Dann wandte sie sich von Samantha ab und widmete sich wieder ihren Bekannten. Samantha nahm frustriert einen Zug von ihrer Zigarre. Sie hatte schon lange nicht mehr erlebt, daß ihre Flirtversuche nicht von Erfolg gekrönt waren und sie von einer Frau abgewiesen wurde. Und in diesem Fall lag es definitiv nicht daran, daß Ms. Big nicht lesbisch war. Was das betraf, konnte Samantha ihren Antennen vertrauen. Diese Frau war so lesbisch, wie man nur lesbisch sein konnte. Da war sie sich sicher. Während Samantha noch schmollte, verließen Skyla und Miranda den Club. Skyla war sich in diesem Moment bereits mehr als sicher, daß sie sich in Miranda verliebt hatte. »Also, wo wollen wir jetzt hingehen?« »Hör zu, Skylie, du bist wirklich eine ganz nette Frau«, Miranda untermalte ihre Aussage mit einer Geste ihrer Hand, »aber . . .« Sie nickte lächelnd und hoffte, Skyla nicht allzu sehr zu verletzen. »Ich versteh schon.« Skyla atmete tief durch. Miranda war beruhigt, daß sie ohne große Erklärungen davon gekommen war und gab Skyla einen Kuß auf die Wange. »Gute Nacht.« Dann wollte sie davoneilen. Skyla hielt sie jedoch am Arm fest und zog sie zu sich zurück. Als Miranda in ihren Arm taumelte, nutzte Skyla ihre Chance und küßte sie auf den Mund. Überrascht von diesem Engagement überdachte Miranda ihre Einstellung für eine Sekunde und war sofort umgestimmt. Sie griff Skyla bei den Armen, lehnte sie an die Wand des Clubs und küßte 20 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) sie voller Leidenschaft. Miranda fand Skyla in der Tat zu nett, aber sie war gewillt, über diesen einzigen Makel hinwegzusehen. Caprice Duncan hatte mittlerweile Gesellschaft für die Nacht gefunden. Samantha taumelte kichernd in ihr geräumiges Apartment. »Wo ist es? Ich will den Ross Bleckner sehen.« »Später«, entschied Caprice und stellte sich Samantha gegenüber. Während sie sie küßte, streifte sie ihr den Mantel von den Schultern. Sie vertieften sich in einen leidenschaftlichen Kuß, der mehr versprach. Plötzlich hielt Caprice inne und zog ihren Kopf zurück. »Hör mal, ich muß morgen sehr früh aufstehen. Du kannst leider nicht über Nacht bleiben. Okay?« »Klar. Ich muß auch früh aufstehen«, gab Samantha bekannt. Mit diesen Worten gab sich Caprice zufrieden und begann, Samanthas Hals zu küssen. Ihre Lippen wanderten tiefer zu Samanthas Dekolleté, während sie sich vor sie hinkniete, um ihr das Kleid vom Körper zu streifen. Nun war nur noch Carrie übriggeblieben, die sich mittlerweile auch auf dem Heimweg befand. Sie tippelte auf ihren Absätzen durch die Straßen New Yorks und versuchte jedes vorbeifahrende Taxi anzuhalten, um ihren Fußweg abkürzen zu können. Leider hatte sie damit wenig Glück, und die zumeist schon mit Fahrgästen gefüllten Autos fuhren einfach an ihr vorbei. Carrie befürchtete schon, daß ihr das Unaussprechliche bevorstand: nach Hause laufen zu müssen. Mit ihren Absätzen könnte das durchaus unangenehm werden. Gerade in diesem Moment hörte sie ein Hupen, und ein schwarzes Auto mit verdunkelten Scheiben hielt vor ihr. Zögerlich näherte Carrie sich dem Wagen und sah, daß die Fensterscheibe der Rücksitze heruntergelassen wurde. Dahinter saß Ms. Big und lächelte. So müde Carrie auch war, ihr Körper hatte noch genügend Kraft ihren Herzschlag ein wenig schneller schlagen zu lassen. Big hatte nichts von ihrer Ausstrahlung verloren und das obwohl die Dämmerung bald schon einbrechen würde. Die Nacht neigte sich dem © édition el!es www.elles.de 21 Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) Ende, aber von Müdigkeit war bei ihr keine Spur. »Zum Teufel, steigen Sie schon ein«, wies sie Carrie an. Das ließ Carrie sich nicht zweimal sagen und öffnete die Tür. Ms. Big rutschte auf der Rückbank ein Stück, so daß Carrie genügend Platz hatte. »Wo kann ich Sie absetzen?« »Zweiundsiebzigste Straße, Ecke Third Avenue?« »Hast du das, Al?« fragte Big an ihren Fahrer gewandt. »Ja, Ma’m.« Für einen Moment lang sah Big schmunzelnd aus dem Fenster. Dann wandte sie sich wieder an Carrie: »Also, was machen Sie so?« »Sie meinen außer jeden Abend ausgehen?« »Ja, ich meine, was arbeiten Sie?« »Das ist meine Arbeit. Ich bin so etwas wie eine Sexualanthropologin«, gab Carrie stolz bekannt. »Sie meinen so etwas wie eine Prostituierte?« fragte Big schmunzelnd nach. »Nein.« Sie sah verlegen nach unten. Diesen Eindruck hatte sie bei Big nicht erwecken wollen. Dabei hatte sie sich so gefreut, eine interessant klingende Umschreibung für ihre Arbeit gefunden zu haben. »Ich schreibe eine Kolumne namens ›Same Sex and the City‹«, erläuterte sie. »Es geht um die Lesbenszene in New York. Im Moment recherchiere ich für einen Artikel darüber, wie Frauen Sex haben wie Männer.« Big sah sie irritiert an. Sie schien kein Wort zu verstehen. »Na ja, sie haben Sex miteinander, und danach fühlen sie rein gar nichts«, erklärte Carrie nervös. »Aber Sie sind doch nicht so«, stellte Big selbstsicher fest. »Sind Sie es etwa nicht?« Eine sehr direkte Frage, aber na ja . . . Carrie war verunsichert. »Überhaupt nicht.« Big schmunzelte. »Nicht einmal ein bißchen.« Dann lehnte sie sich wieder im Sitz zurück und sah nach vorn. »Wow. Was läuft falsch bei Ihnen?« hakte Carrie nach, in der Hoffnung, witzig zu wirken. Ms. Big lachte sogar und antwortete: »Jetzt verstehe ich.« Sie sah Carrie an, das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarb und sie wurde ernst. »Sie waren noch nie richtig verliebt.« 22 www.elles.de © édition el!es Juliette Bensch Same Sex and the City (Episode 1) »Ach ja?« hakte Carrie skeptisch nach. »Ja«, bestätigte Big. Plötzlich stellte Carrie fest, wie peinlich ihr diese Konfrontation war. Sie wandte sich von Big ab und wünschte sich nichts sehnlicher als in diesem Moment schon im Bett liegen zu können, während der Wagen weiter durch die dunklen Straßen von Manhattan fuhr. Kurze Zeit später hielt er in Carries Straße. Sie stieg aus und sagte: »Danke fürs Mitnehmen.« »Immer wieder gern.« Carrie schlug die Autotür zu, drehte sich um und ging in Richtung ihres Apartments. Schlagartig blieb sie stehen, drehte sich um und eilte zurück zum Auto, das noch immer am Bordstein stand. Sie klopfte an die dunkle Fensterscheibe, die daraufhin nach unten glitt und ihr den Blick ins Auto freigab. Zweifelnd blickte sie hinein und dachte noch einmal darüber nach, ob sie ihrem Impuls wirklich nachgeben und die Frage, die in ihrem Kopf aufgeblitzt war, stellen sollte. Sie sprang über ihren Schatten: »Waren Sie denn jemals verliebt?« Big sah Carrie aus dem Inneren des Autos an und sagte: »Aber ja.« Nach diesen Worten fuhr der schwarze Wagen los und ließ Carrie allein. © édition el!es www.elles.de 23