joe bowie
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joe bowie ein posaunist von weltrang als wahrer entertainer 12 | clarino.print 1/05 Vielleicht lag es an der Reihenfolge der Geburt. Lester war der Älteste, Byron der Zweite, und Joseph musste sich mit der Nesthäkchenrolle begnügen. Trompete und Saxofon waren schon besetzt. Vielleicht hat es ihn deshalb zum größeren Blasinstrument getrieben, und zum festen Willen, mehr als nur Posaunist zu werden. Joe Bowie ist Frontman. Ganz egal in welcher Formation der mittlerweile 50-Jährige auf den Bühnen der Welt sein Gastspiel gibt – er bläst und singt und trommelt, er schreibt Texte und er reißt Witze. Präsenz ist ihm das Wichtigste. »Das hat nichts mit dem Instrument zu tun, das du spielst. Das ist eine Frage der Persönlichkeit«, sagt der schwarze Mann mit weißen Short und weißem Käppi, während er auf der Holzbank im Schatten sitzt, die dörfliche Idylle im Allgäu genießt und auf seinen Einsatz mit »Emergency Room« im umfunktionierten Saustall wartet. »Wo ich spiele ist mir auch egal – ob große Bühnen oder Stall – die Musik ist immer dieselbe.« Gut, eine Einschränkung muss Joe Bowie schon machen. Denn seit der gebürtige USBürger sich vor drei Jahren entschieden hat, seiner Liebe nach Holland zu folgen, arbeitet er oft im benachbarten Deutschland. Und dort musste er eine üble Erfahrung machen: »Die Studios, in denen wir proben oder aufnehmen, sind oft dermaßen eklig, dass es dir gleich weh tut, dort zu spielen. Am Anfang dachte ich: Na gut, die Deutschen mögen das wohl so, sie finden das wohl anregend – was es beileibe nicht ist. Manchmal stinkts dort so, dass du dich nicht konzentrieren kannst. Aber inzwischen ist mir klar, dass einfach kein Mensch mal sauber macht. Zig Bands nutzen die Studios, aber keiner räumt mal auf.« Locker plaudert Joe Bowie beim Kaffee, erzählt von Hennie, seiner großen Liebe, die er vor zehn Jahren bei einem Konzert in Holland kennen lernte: »Offensichtlich passiert das manchmal tatsächlich – man begegnet sich und es passt alles. Ich habe viele Frauen kennen gelernt bei meinen Tourneen, aber dieses Mal scheint es zu halten.« Und darum lebt er jetzt frisch vermählt in der Nähe von Utrecht – heißt aber immer noch Bowie. »Überlegt hab ich schon, aber das kauft mir bei der Passkontrolle keiner ab: Joseph van den Houwe, das passt nicht zu meinem Ge- sicht«, sagt er und biegt sich vor Lachen. Allerdings wird Joe Bowie gleich wieder ernst, denn das Thema Grenzübertritt ist für ihn nicht witzig: »Als Schwarzer wirst du immer doppelt kontrolliert. Und dann noch einer mit so einem komischen Koffer. Meine Posaune wird jedes Mal geröntgt. Mich haben sie noch nie aufgefordert zu spielen, um zu beweisen, dass ich auch wirklich Musiker bin. Aber von Kollegen hab ich das schon gehört. Bist du erst beim Zoll, bist du im Niemandsland, da können die alles von dir verlangen.« In Holland zu leben genießt Joe Bowie sehr. Er liebt ländliche Gegenden, hat auch in den USA auf dem Land noch einen Wohnsitz: »Das ist lebenswerter, menschlicher.« Unter vielen Leuten war und ist er oft genug. Denn abgesehen von seinen zahlreichen Bandprojekten ist der Posaunist in Holland auch als Dozent gefagt: »Der Staat bezahlt uns, wenn wir an Schulen Instrumente vorstellen und Seminare geben.« Bowie macht das gerne, denn zum einen mag er das Unterrichten, zum anderen bringt es Geld. Und das kann nicht schaden, denn mit den Tourneen ist das zur person: posaunen-weltstar joe bowie Joseph Bowie wurde 1953 als jüngster Spross der Musikerfamilie Bowie in St. Louis geboren. Sein Vater Lester als Musiklehrer und seine später berühmten Brüder Lester (Trompete) und Byron (Saxofon/Arrangement) beeinflussten den Drittgeborenen, der die Posaune wählte, nachhaltig. Joe Bowie tourte 1971 erstmals mit der BAG (Black Artist Group) an der Seite von Oliver Lake, Baikida Carroll, Bobo Shaw, Floyd Leflore und Julius Hemphill. Er zog nach Paris und arbeitete unter anderem mit Alan Silva, Frank Wright und Bobby Few. Ab 1973 gehörte er in New York zur neuen Jazzszene, spielte mit Cicil Taylor, dem »Human Arts Ensemble« oder Sam Rivers. 1976 zog es ihn nach Chicago, wo er als Spezialist in Sachen Rhythm & Blues Bands leitete. Ab 1978 arbeitete er in New York mit dem Punk/Funk-Künstler James Chance zusammen und wurde zur festen Größe in der New-Wave-Szene. »Defunkt« wurde geboren und spielte während der folgenden 25 Jahre 15 CDs ein. Joe Bowie wurde weltweit der Funkrepräsentant schlechthin und arbeitete mit Funkgrößen wie Dave Doran, Sigi Finkel, Wolf Wolff und Jean-Paul Bourelly zusammen. In der »Sam Rivers Big Band« spielte er zu dessen 75. Geburtstag unter anderem zusammen mit Greg Osby. Nach seinem Umzug nach Holland gründete Bowie die Funkband »Kosen-Rufu«, mit der er auch Kultur- und Musikworkshops in den Niederlanden gibt. Fotos: Franz X.A. Zipperer Von Uschi Mohr zurzeit so eine Sache: »In den 80er Jahren war zum Beispiel Deutschland ein großer Markt für mich mit ›Defunkt‹. Die letzte Tour dagegen musste abgesagt werden, weil sie sich nicht verkaufte. Das liegt am starken Euro, daran, dass die Leute weniger Geld haben, dass sie angehalten werden, weniger auszugeben und zu sparen – sogar die ganz Großen sagen ihre Tourneen ab, sogar Prince.« Der Geldfrage zum Opfer fiel auch Bowies Herzensangelegenheit, die »Defunkt Bigband« mit Musikern aus New York: »Wir haben eine Sommertour durch Europa gemacht, dann war es vorbei. Heutzutage kannst du mit 18 Mann nicht mehr touren, das ist viel zu teuer. Heute nehmen die Promoter Salsabands aus Kuba, denen müssen sie nicht so viel bezahlen.« Jetzt überlegt er, ob er nicht hier in Europa eine Bigband auf die Beine stellen soll: »Das hat einfach so viel Spaß gemacht, diese Bigband.« Spaß macht ihm aber auch die Zusammenarbeit mit »Emergency Room«, dem brandneuen Münchner Live-Funkprojekt des Produzenten und Musikers Wolf Wolff und Freunden. Der Auftritt bei den Kulturtagen in Der freut sich wiederum, im Weichter Apfelbaumschatten über seine »tool« plaudern zu können. Drei von der Sorte besitzt er, wenngleich sein liebstes Stück, eine Courteois-Posaune »Evolution«, gerade in Reparatur ist: »Das war ein schräger Unfall: Der Kofferraum war vereist und schloss nicht richtig. Da fiel sie auf die Straße und wurde überrollt. Der Schallbecher war hin, der Rest in Ordnung. Aber es lohnt sich sie zu reparieren.« Immerhin hat sie 5000 Euro gekostet. Investiert hat Bowie auch in sein 42-Modell von Vincent Bach: »Ein Japaner in Paris hat einen zweiten Schallbecher drangebaut – das ist, als hättest du zwei Posaunen in einer.« Damit spielt er vorwiegend bei Jazzgigs, bei denen er nicht auch noch singt wie bei »Emergency Room«: »Hier brauche ich was Leichteres in der Hand.« Dafür gibt es dann die schlicht-solide Posaune 4b aus dem Hause King. »Es ist wie bei den Autos – alle zehn Jahre brauchst du ein neues. Und ich besitze eben einen Rolls Royce mit der Courteois, einen Mercedes-Benz mit der Bach, und die King ist ein guter Chevy. Das ist der ganze Unterschied.« ■ Foto: Rein van de Zee Weicht war das Live-Debüt von »Emergency Room«, die gleichzeitig ihr brandneues Album »Stay away from the Elevator« präsentierte. Der Münchner Drummer und Filmmusikkomponist Wolf Wolff hatte die Idee dazu und wollte unbedingt den amerikanischen Starposaunisten mit dabei haben – wo der nun doch gleich um die Ecke wohnt. Mit Jan Eschke an den Keyboards, Reggie Worthy am Bass, Olli Rocket an der Gitarre und Wolf Wolff als Rhythmusgeber und inspiriertem Virtuosdrummer ist der »Background« perfekt. Die Bläsersektion aber setzt die markanten Duftspuren: Joe Bowie teilt sich seine Rolle als Frontman mit Franz Weyerer an der Trompete und Max Tiller am Saxofon. Ihr gemeinsames Output an funkigen, groovenden Beats versetzt das versammelte Publikum im Weichter Saustall in schiere Ekstase. Und nicht nur dort. Nach zwei weiteren Einstiegsgigs der Band um München herum sind die lokalen Feuilletonisten aus dem Häuschen, nennen »Emergency Room« die »wahren Botschafter des Funk« in »explosiver Mischung« und sind vor allem von »Weltstar Joe Bowie« hingerissen.