Einfluss gebäudenaher Photovoltaik

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Einfluss gebäudenaher Photovoltaik
Einfluss gebäudenaher Photovoltaik-Anlagen auf den
Primärenergiebedarf von Gebäuden nach EnEV
M.Sc. M. Roos1, Dr.-Ing. N. Henze1, Dipl.-Wirtsch.-Ing. N. Boyanov,
Prof. Dr.-Ing. A. Maas²
1
Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES
Königstor 59, D-34119 Kassel
Tel.: +49-561-7294-235, Fax: +49-561-7294-235
[email protected]
² Universität Kassel, Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung,
Fachgebiet Bauphysik
1. Einleitung
Seit der Novellierung der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2009 kann Strom aus
gebäudenahen Photovoltaik-Anlagen bei Nutzung des Eigenverbrauchstarifs angerechnet werden und trägt somit zu einer Senkung des Primärenergiebedarfs Qp bei für jede anrechenbare Kilowattstunde um derzeit 2,6 kWh 1 . Dies ermöglicht Spielräume bei der Gebäudeplanung. So kann z.B. eine Genehmigungsfähigkeit bestimmter Anlagenkonstellationen erreicht werden, höhere Investitionen für noch höheren
Effizienzstandard der Anlagentechnik oder Gebäudehülle vermieden werden oder
wirtschaftliche Vorteile z.B. durch Erreichen höherer Effizienzstufen und damit verbundenen zinsgünstigen KfW-Krediten erreicht werden [1]. Der Einfluss der PV auf
den Primärenergiebedarf hängt dabei einerseits vom PV-Ertrag ab, andererseits von
der Höhe des monatlich bilanzierten Strombedarfs eines Gebäudes nach EnEV.
Hierbei handelt es sich um eine rein rechnerische Größe, die lediglich die elektrische
(Hilfs-)Energie für Heizung, Warmwasser, Kühlung und Lüftung erfasst. Bei Nichtwohngebäuden kommt der Strombedarf für die Beleuchtung hinzu. Um Größenordnungen der erreichbaren Qp-Senkung zu ermitteln, wurde im Rahmen des Projekts
MULTIELEMENT am Fraunhofer IWES das Qp-Senkungspotenzial am Beispiel eines Wohngebäudes – Einfamilienhauses (EFH) – und eines Nichtwohngebäudes
(NWG) – Bürogebäude – exemplarisch untersucht (Bilanzierung auf Basis der
1
Der Primärenergiefaktor für Strom wird regelmäßig gemäß des Anteils an erneuerbaren Energieträgern am deutschen Strommix angepasst und liegt gemäß EnEV zurzeit bei 2,6
DIN V 18599:2007-2 [2]). Ziel der Untersuchung war es, Grenzbereiche der Qp-Senkung zu ermitteln, die durch PV-Anlagen erreichbar sind. Dabei wurde die Größe und
Ausrichtung der PV-Anlage unabhängig von der jeweiligen Geometrie der gewählten
Modellhäuser qualitativ betrachtet. Aus einer Modellgebäude-Datenbank des Zentrums für Umweltbewusstes Bauen, Kassel (ZUB) wurden zwei Modellgebäude ausgewählt und nach verschiedenen Energieeffizienzstandards ausgelegt (Abbildung 1).
Abbildung 1: Eigenschaften der untersuchten Gebäude und Vorgehensweise [3]
Die Herausgabe der neuen DIN V 18599 [4] im Dezember 2011 bringt Veränderungen mit sich, die sich auf das Qp-Senkungspotenzial auswirken werden (s. Kap. 5).
2. PV-Anlagen
Bei den PV-Anlagen wurden zwei
unterschiedliche Technologien (CIS und
monokristallin) in Fassaden (Ausrichtung
W / S) und auf dem Dach (30° Neigung,
Ausrichtung S) in den Untersuchungen
berücksichtigt. Im Folgenden wird nur das
maximal mögliche Potenzial betrachtet.
Abbildung 2: Untersuchte PV-Anlagen zur
Bilanzierung des Q-Senkungspotenzials
3. Ergebnisse
kWh
Monatliche Bilanz des Endenergiebedarfs Strom
Vom nach DIN V 18599 [3] monatlich berechneten Endenergiebedarf Strom wird zurzeit der ebenfalls monatlich zu berechnende PV-Ertrag abgezogen 2 . Der Endenergiebedarf Strom stellt eine Maximalgrenze für die Anrechnung des PV-Stroms dar.
Strombilanz EFH EnEV‐Standard mit 3 kWp PV‐Anlage 30° Neigung, kristallin, hinterlüftet
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0
Jan
Feb
Mrz
Apr
Mai
Endenergiebedarf Strom ohne PV
Angerechneter PV‐Strom
Jun
Jul
Aug
Sep
Okt
Nov
Dez
PV‐Ertrag
Resultierender Endenergiebedarf Strom
Abbildung 3: Monatliche Strombilanz nach EnEV für ein Einfamilienhaus mit einer
3-kWp-Dachanlage mit kristallinen Zellen.
Beim Einfamilienhaus mit Referenzanlagentechnik ist der nach EnEV bilanzierte
Strombedarf relativ gering, im Winter höher als im Sommer, und hat nur einen Anteil
von ca. 10% am Primärenergiebedarf des Gebäudes (Abbildung 3). Mit einer 3 kWp-Anlage kann der gesamte Endenergiebedarf Strom fast auf Null reduziert werden.
Der Bedarf korreliert jahreszeitlich nicht mit dem PV-Ertrag, deshalb können nur
knapp 20% des PV-Jahresertrags angerechnet werden. Ein anderes Bild ergibt sich
beim Einsatz von elektrischen Wärmepumpen, insbesondere beim Passivhauswärmeschutzniveau 3 (Abbildung 4). Hier ist Strom der einzige eingesetzte Energieträger und bestimmt allein den Primärenergiebedarf. Beim betrachteten Passivhaus
kann mit einer 3 kWp PV-Anlage der Primärenergiebedarf um 62% gesenkt werden,
wobei nur 30% des Solarstroms angerechnet werden können.
2
3
Der Endenergiebedarf Strom nach EnEV entspricht nicht dem realen Strombedarf eines Gebäudes
In Anlehnung an die Parameter nach Passivhaus-Projektierungs-Paket (PHPP)
Strombilanz EFH Passivhaus‐Standard (mit WP) mit 3 kWp PV‐Anlage ‐ 30°Neigung, Süd, kristallin, hinterlüftet
450
kW h
350
250
150
50
-50
Jan
Feb
Mrz
Apr
Mai
Jun
Endenergiebedarf Strom ohne PV
Angerechneter PV‐Strom
Jul
Aug
Sep
Okt
Nov
Dez
PV‐Ertrag
Resultierender Endenergiebedarf Strom
Abbildung 4: Monatliche Strombilanz nach EnEV für ein EFH mit Passivhaus-WärmeschutzNiveau und mit einer 3-kWp-Dachanlage mit kristallinen Zellen.
Beim Bürogebäude kommen Beleuchtungsbedarf sowie oft sommerlicher Kühlungs-
MWh
bedarf hinzu. Dadurch liegt im Vergleich zum EFH ganzjährig ein höherer Strombedarf vor, der zusätzlich mit dem jahreszeitlichen PV-Angebot korreliert, wie Abbildung
5 zeigt.
Strombilanz Bürogebäude EnEV‐Standard mit 100 kWp PV‐Anlage 30° Neigung, Süd, kristallin, frei aufgestellt
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Jan
Feb
Mrz
Apr
Mai
Endenergiebedarf Strom ohne PV
Angerechneter PV‐Strom
Jun
Jul
Aug
Sep
Okt
Nov
Dez
PV‐Ertrag
Resultierender Endenergiebedarf Strom
Abbildung 5: Monatliche Strombilanz für ein Bürogebäude mit einer 100 kWp-Dachanlage.
Mit einer 100 kW-Anlage kann der Primärenergiebedarf um 19% gesenkt werden,
beim Passivhaus-Niveau sogar um 53%, wobei der gesamte PV-Ertrag angerechnet
werden kann.
4. Qp- Senkungspotenzial durch PV-Anlagen
Zur Ermittlung der Qp-Senkung wird der resultierende Endenergiebedarf Strom mit
dem Primärenergiefaktor 2,6 multipliziert und vom Primärenergiebedarf ohne PVAnlage abgezogen.
Primärenergiesenkung beim Einfamilienhaus Dach, 30° Neigung, Süd, monokristallin, mäßig hinterlüftet
3 kWp
Qp‐Senkung 100%
"Null‐Energie‐Passiv‐
Haus" bei ca. 18 kWp
75%
EnEV‐Standard
EnEV‐Standard + WP el
ca. 62%
Passivhaus‐Niveau
50%
Bestandsgebäude
25%
ca. 10%
0%
0
5
10
15
20
25
30
35
PV‐Anlagenleistung in kWp
Abbildung 6: Primärenergiesenkung beim EFH in Abhängigkeit von der PV-Anlagenleistung
Beim EFH mit EnEV-Standard liegt die maximale Qp-Senkung bei ca. 10%, die mit
einer 3 kWp-PV-Anlage (monokristallin) bereits erreicht wird. Mit einer elektrischen
Wärmepumpe steigt die Qp-Senkung auf 40%, mit Passivhaus-Niveau sogar auf
62%. Mit einer PV-Anlagenleistung von 18 kWp könnte ein Nullenergiehaus bilanziert
werden. Im Bestand ist das Senkungspotenzial ohne ergänzende Effizienzmaßnahmen gering, im betrachteten Beispiel sind es nur 2%.
Primärenergiebedarfssenkung beim Bürogebäude Dach, 30° Neigung, Süd, monokristallin, frei aufgestellt
100 kWp
Qp‐Senkung
100%
"Null‐Energie‐Passiv‐
Haus"
75%
ca. 53%
EnEV‐Standard
EnEV‐Standard + WP el
50%
Passivhaus‐Niveau
Bestandgebäude
25%
ca. 19%
0%
0
250
500
750
1000
1250
1500
PV‐Anlagenleistung in kWp
Abbildung 7: Primärenergiesenkung beim Bürogebäude in Abhängigkeit der PVAnlagenleistung
Beim Bürogebäude mit EnEV-Standard-Bauweise und konventioneller Anlagentechnik können mit einer 100 kWp PV-Anlage mehr als 19% Qp-Senkung erreicht werden. Setzt man eine Wärmepumpe ein, kann mit einer 500 kWp PV-Anlage eine QpSenkung um 25% erreicht werden, mit Passivhaus-Niveau sogar um ca. 50%. Mit
einer PV-Anlagenleistung von 1,3 MWp könnte theoretisch ein Nullenergiehaus bi-
lanziert werden. Im Bestandsgebäude kann ohne begleitende Effizienzmaßnahmen
nur eine Senkung von ca. 11% erzielt werden.
5. Änderungen durch die neue DIN V 18599, Dezember 2011
Im Dezember 2011 wurde die neue DIN V 18599 mit Veränderungen hinsichtlich der
Anrechnung von PV-Strom veröffentlicht (s. Abb. 8). Wesentliche Neuerung sind im
Teil 9 „End- und Primärenergiebedarf von stromproduzierenden Anlagen“ aufgenommen, in dem Verfahren zur Bewertung der Stromerzeugung im unmittelbaren
räumlichen Zusammenhang mit dem Gebäude durch Kraft-Wärme-Kopplung (KWK),
Photovoltaik und Wind-Energie-Anlagen beschrieben werden. Dadurch wird zukünftig
für Energieberater die Relevanz einer PV-Anlage für den EnEV-Nachweis erkennbar.
Weiterhin stehen den EnEV-Software-Anbietern Rechenvorschriften zur Ertragsberechnung innerhalb der Norm zur Verfügung, die nun in die EnEV-Softwaretools integriert werden können, so dass Energieberater PV-Anlagen ohne unangemessenen
hohen Zeitaufwand bilanzieren können.
Der oben beschriebene Einfluss auf den Primärenergiebedarf wird allerdings reduziert, denn einerseits führen die geringeren Strahlungsintensitäten beim neuen Referenzklima zu geringeren PV-Erträgen und andererseits verringert der auf 2,4 gesunkene Primärenergiefaktor für Strom die Primärenergiebedarfsenkung durch PV.
„ Neuer Teil 9: End- und Primärenergiebedarf von stromproduzierenden
Anlagen
„ beinhaltet ein Berechnungsverfahren für den PV-Ertrag
„ Neue Bilanzierungsregeln in Teil 1: Erfassung von Endenergieströmen für
produzierte Energie Qf,k
„ PV ist in der Übersichtsgrafik mit den Teilen der DIN V 18599 dargestellt,
gleichberechtigt neben BHKW und Wind
„ Neue Primärenergiefaktoren fp für Strom (nicht erneuerbarer Anteil)
„ allgemeiner Strommix : 2,4 (bisher 2,6)
„ NEU: Verdrängungsstrommix : 2,8
„ Neue Referenzklimadaten: Referenzstandort Potsdam,
neue Globalstrahlung: 1072 kWh/(m²a), bisher: 1120 kWh/(m²a) (-4%)
Abbildung 8: PV-relevante Änderungen der DIN V 18599:2012-12 im Überblick
6. Zusammenfassung
Der Einfluss der Photovoltaik auf den Primärenergiebedarf eines Gebäudes steigt mit
verbessertem Wärmeschutz und bei Einsatz von Strom als Energieträger (z.B.
Durchlauferhitzer, Wärmepumpe). Bei Büro- oder Industriegebäuden können wegen
des ganzjährig hohen Strombedarfs für Beleuchtung und Klimatisierung höhere QpSenkungen erreicht werden. Bei den betrachteten Gebäuden mit konventioneller Anlagentechnik und Effizienz-Standard nach EnEV liegt der Einfluss einer PV-Anlage
auf den Primärenergiebedarf beim EFH bei maximal ca. 10%, beim Bürogebäude bei
ca. 20%. Werden Wärmepumpen eingesetzt konnten in den betrachteten Gebäuden
Senkungen von 40% (EFH) und 25% (NWG) erreicht werden. Die Kombination von
Wärmepumpen und PV-Anlagen ermöglicht bei hohem Effizienzstandard der Gebäudehülle noch höhere Senkungen bis hin zu einem „Qp-Null-Gebäude“.
Die EnEV bewertet dabei nur den rechnerisch ermittelten Strombedarf, der für die
Klimatisierung eines Gebäudes und die Bereitung von Trinkwarmwasser unter Referenzbedingungen benötigt wird, nicht den Strombedarf von elektrischen Geräten im
Gebäude. Bei Null- oder Plusenergiehäusern sollte in der Energiebilanz aber auch
der Haushaltsstrom bilanziert werden, um Energiebedarfe und Stromerzeugung sinnvoll verrechnen zu können.
Mit Einführung der neuen DIN V 18599 im Dezember 2012 wird sich das Primärenergie-Senkungspotenzial durch PV-Anlagen aufgrund der geringeren Strahlungsintensitäten beim Referenzklima und des geringeren Primärenergiefaktors von 2,4 gegenüber 2,6 bisher tendenziell verringern. Gleichzeitig führt aber die Aufnahme von
PV in die DIN V 18599 zu einem höheren Bekanntheitsgrad dieser Möglichkeiten und
zu einer Vereinfachung bei der Umsetzung durch Energieberater, sobald die EnEVSoftwarehersteller die Vorgaben umgesetzt haben.
Insbesondere für energetisch hocheffiziente Gebäude mit elektrischer Wärme- oder
Kälteerzeugung stellt die Photovoltaik eine gute Möglichkeit dar, den Primärenergiebedarf deutlich zu senken. Darüber hinaus wird die damit verbundene Nutzung des
Eigenverbrauchstarifs nach EEG bei den angekündigten Strompreissteigerungen
wirtschaftlich immer vorteilhafter werden.
Dieser Beitrag zeigt Ergebnisse aus dem vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) geförderten Projekt MULTIELEMENT (Förderkennzeichen 0325067). Die Verantwortung für den Inhalt liegt bei den Autoren.
7. Literatur
[1]
[2]
[3]
[4]
Roos, M., Berger, U., Anrechnung von Strom aus gebäudenahen Photovoltaikanlagen auf den Gesamtenergiebedarf eines Gebäudes nach der EnEV
2009 2. Anwenderforum GIPV, Bad Staffelstein, 2. März 2010
DIN V 18599, 2007-2: Energetische Bewertung von Gebäuden – Berechnung
des Nutz-, End- und Primärenergiebedarfs für Heizung, Kühlung, Lüftung,
Trinkwarmwasser und Beleuchtung, Teile 1 – 10
Boyanov, N., Einfluss von gebäudenahen Photovoltaikanlagen auf den Primärenergiebedarf von Gebäuden nach EnEV 2009 - Möglichkeiten nach der Einführung von §5 „Anrechnung von Strom aus erneuerbaren Energien“, Diplomarbeit, Universität Kassel, 2011
DIN V 18599:2011-12: Berechnung des Nutz-, End- und Primärenergiebedarfs
für Heizung, Kühlung, Lüftung, Trinkwarmwasser und Beleuchtung Teile 1-11

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