Grindtown 2.0

Transcription

Grindtown 2.0
Jörg Albrecht
laß mich dein Leben leben!
Dirty Control 2
1
Ich finde beispielsweise, daß der Film Empire von Andy Warhol
über das Empire State Building 1964 ein Splatterfilm ist.
Wer so lange das Material einfach nur zum Abbilden des Hauses zeigt,
zerstört total die Position des Betrachters.
Christoph Schlingensief
Peter Nun sag schon! Was ist in den Säcken drin?
Bob Das glaubst du nicht!
Peter Na was denn nun? Gold? Diamanten?
Oder Videokassetten von Zombiefilmen?
Bob Dreck! Dreck ist drin!
Peter Dreck? Wieso sind Zombiefilme Dreck? Es gibt auch gute dieser Sorte!
Vorige Woche habe ich zum Beispiel einen Film gesehen, der war …
Bob Dreck und Steine! Alle Säcke sind voll von Erde und Steinen.
Peter Dreck? Steine? Aber wieso denn? Was hat das für einen Sinn?
Die drei ??? und der rote Pirat, Europa Hörspielkassette, 1984
Body horror articulates a relationship between organs in different bodies,
despite the physical space or different identities which might separate them.
There is a level on which elements of the body politic speak to each other,
missing out the governing system of the individual.
Linda Williams
2
Jackie Trestini
Stella Solar
Hope Scarvelis
Cody Cummings
Dylan McLovin
Giancarlo Tranquilli
die Teenager!
Judith / Lynn / Susan / Jacques / Mick / Gil
die Fiftyager!
Jamie Lee Curtis / Laurie Strode
The Shape aka Michael Myers
!
gespielt von den sechs Stars von AUS DEM BILD! , abwechselnd, Scriptleseprobe,
jeder darf mal jeder sein, und wenn die Probetakes drin sind, in the camera, ist der
Film vielleicht fertig, ohne fertiggedreht zu sein
3
4
OUR FEATURE PRESENTATION /
WIR PRÄSENTIEREN DEN HAUPTFILM
For your information: The following film is restricted.
No admittance to persons under 18!
1
down and dirty
Hier, nimm diesen Körper auf, nimm diesen Raum auf, wie er auf den Körper
reagiert, nimm diesen Schatten auf. Du bist sicher, solange du beim Schatten
bleibst. Hier, nimm diese Brandspuren im Film, nimm die hellen Flecken in den
Brandspuren, nimm das Licht dieser hellen Flecken, sofort wirst du merken: Es
ist künstlich, künstliches Licht. Denn die Schatten sehen in ihm anders aus als bei
Tag, in jedem Tag ist ja Dunkelheit versteckt, denkst du, kurz bevor der Sprengsatz explodiert. Bevor der Sprengsatz. Bevor er. Explodiert! Explosion, die den
Mund immer weiter öffnet, erst wenig, dann mehr, noch mehr, Kamerafahrt in
eine Mundhöhle, einen kleinen Teil dieser Mundhöhle, offen durch die Explosion. Eine kleine Öffnung in der Mundhöhle, in die jemand ein Display hineingestellt hat. Was wir von diesem Display erhoffen: das Panorama der Stadt, in der
wir uns befinden. Doch sind wir im Horrorfilm. Und der Horrorfilm ist alles
andere als verliebt in die Kameraeinstellung: Totale, eher in unübersichtliche
Räume, von denen wir manchmal nicht wissen, wie groß, wie dunkel und wie
verwinkelt. Räume, die uns fremdgeworden sind, nur weil die Kamera die Totale
eben nicht liebt und damit: die Grenzen des Filmbildes öffnet, für den Horror,
der kommt, und er kommt, immer. Der absolute Horror für Hope und Dylan
beginnt an einem Abend im Mai. Doch bevor der Horror beginnt, hat er schon
begonnen, und zum Glück haben wir Kameras, die uns das sofort senden, in
vierhundertfacher Vergrößerung, hier ins Kamerazentrum dieser Stadt. Der überwiegende Teil der Kameras in dieser Stadt wird von privaten Betreibern genutzt, aber das gesamte Netz zugleich zentral gesteuert, von einem Kontrollraum
aus, dieser Mundhöhle. Auf dem Display jetzt zu sehen: ein Video, aufgenommen
im Wartesaal, 5.32 Uhr Ortszeit, der Himmel über der Stadt: ein hell erleuchteter
Flat Screen, jetzt schon, so früh, heller nur das Display, auf dem das Video aus
5
dem Wartesaal läuft. Die Bilder sind stumm, Schreie, Atemgeräusche, Schritte:
unhörbar, unerwünscht. 5.32 Uhr: Sicherheitsbeamte betreten den Wartesaal,
während der Körper einer Frau, neunundvierzig Jahre, in Jamaika geboren, zuckt,
nochmal zuckt, spuckt, ein Tropfen Speichel, auf den Fußboden zurasend,
schneller als der Frauenkörper selbst. Ein Sicherheitsbeamter tippt den anderen
an, 5.32 Uhr, die Beamten starren auf den Frauenkörper, gekrümmt, auf dem
Boden, das linke Ohrläppchen berührt den Speicheltropfen. 5.33 Uhr: Die Sicherheitsbeamten verlassen den Saal. 5.47 Uhr, eine andere Patientin verläßt den
Saal. 5.53 Uhr: Einer der Sicherheitsbeamten betritt den Saal, tritt an den Körper
ran, tritt ihn leicht, tritt weg, ab. Exit. 6.07 Uhr: eine minimale Bewegung, viel
minimaler als die meisten, die der Körper der Frau, vor neunundvierzig Jahren
geboren in Jamaika, gemacht hat, seitdem er vor fast vierundzwanzig Stunden
den Wartesaal betreten hat, eingewiesen, zwangseingewiesen, erstmal in den
Wartesaal, Psychose, leb die im Wartesaal aus, vierundzwanzig Stunden lang, und
jetzt: die minimalste Bewegung. Der Brustkorb hebt sich ungewöhnlich weit an,
senkt sich ungewöhnlich weit ab. Weit. Weiter. 6.35 Uhr: eine Krankenschwester,
über den Frauenkörper gebeugt. Im Patientenbuch sind Pulsschlag und Blutdruck
noch für 6.00 Uhr registriert, von der Krankenschwester, die um 6.35 Uhr die
Tote für tot befindet. Die Krankenschwester zuckt mit den Achseln, zeigt auf die
Videobilder, stumm, 5.31 Uhr, zeigt drauf, sagt: Quicklebendig, sagt: Blutdruck
hundert zu siebzig, Pulsschlag einhundert, stabil, sagt: Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis unsere elektronischen Persönlichkeitsprofile und digitalen Abbilder ein
Eigenleben führen. 6.36 Uhr: ein leerer Wartesaal, in der Ecke die Tote. Der
Nachtwächter rollt im Drehstuhl ins Bild, schaut in die Ecke, schüttelt den Kopf.
Eine Bürgerrechtsorganisation sagt, das Video [einhundertsieben Minuten lang]
in der Hand: Dies ist ein Ort des Drecks. Dies ist ein. Ist ein Ort des Drecks. So
wie der Rest der Stadt. Und so heißt sie auch: Grindtown. Wer die Kamera hinüberschwenkt zu den Filmstudios am nordöstlichen Rand, genaue Adresse: Bavariafilmplatz, wer sich diese Adresse von Google Maps suchen, von Google Earth
das Studio von oben zeigen läßt [Klick: Luftaufnahme], mit Google Street View
sogar direkt hineinfährt, ist JETZT dabei, wenn es losgeht. Los gehts!
6
2
are you dressed for it?
Jackie Sie gaben mir einen dreckigen Namen, und ich? Ich lebe ihn. Bei jedem
neuen Film. Wir treffen uns in den Studios. Der Caddi steuert am
Pförtner vorbei, auf den Parkplatz, Tacho: von hundertfünfzig runter
auf null. Ich bin zurück. Zurück im Exploitation-Biz. CITY EYE
PRODUCTIONS steht über dem Eingang, und dahinter warten schon
die anderen. Slow Motion Shot von uns allen, von uns sechs Moviemenschen, zusammen und von jedem einzeln. Vor- und Nachnamen erscheinen neben dem jeweiligen Körper während dieser Slow MotionEinzelaufnahme. Stella Solar, der Star, klar. Cody Cummings, der Held.
Hope Scarvelis, Maskenbildnerin. Kameramann Dylan McLovin. Dann
Giancarlo Tranquilli, zuständig für Raum und Effects. Und ich selbst,
die Regisseurin dieses schmierigen Streifens hier: Jackie Trestini. Ihr
kennt mich. This work is my life. Willkommen am Set, ihr horror’s heroes. Wir haben ein Wochenende, und ich brauch es euch nicht zu erzählen: Wenn wir mit unsrem Film hier leben, löst sich unser Empfinden von Realität auf. Und: Zum ersten Mal in der Geschichte der
Grindhouses, wird ein Film besser sein, viel viel besser als sein Poster.
Cody
Und besser als sein Titel.
Jackie Wieso? Was ist mit dem Titel?
Cody
Na, Aus dem Bild!? Ich meine: Was ist das für ein Zombiefilmtitel? Day
of the Dead. Diary of the Dead. Diarrhö of the Dead. Das sind Titel!
Jackie Cody Cummings, der Held der Helden. Er nimmt jede Rolle an, egal wie
billig der Film, egal wo, egal was.
Cody
Warum nicht ein Untertitel?
Jackie Am Set hörst du nach achtzehn Stunden Dreh Eis in seinem Jack Daniels.
7
Cody
Wie wärs mit: Bodies that Splatter?
Jackie Nicht nur Produzenten verwechseln ihn immer wieder mit seinen Figuren.
Cody
Wie wärs mit: Exploitation of the Dead?
Jackie Wie viele andere hatte auch er mal einen kurze Berührung mit Holly-
wood, bevor ins bayerische Exploitation-Biz einstieg.
Stella Ich will euch was sagen: Wenn ihr Männer denkt, ihr könnt uns hier
ausbeuten, nur weil das ein Exploitationfilm ist, liegt ihr falsch.
Jackie Das ist Stella.
Cody
Oh, die Hauptdarstellerin meldet sich zu Wort, bevor sie beim Dreh
dann nur schreien wird. Ich schreie, also bin ich, oder was?
Stella Und du drehst du nur Farbfilme, oder? Jedenfalls siehst du bunt aus.
Jackie Alles was ihr über Stella wissen wollt, findet ihr in ihrem Buch, When
Cameras Kill: Confessions of a B-Movie Actor. Wenn ihr diesen Film
hier im Computer seht, klickt auf Stella und ihr landet bei amazon.
Klickt auf Dylan McLovin, und ihr blickt in das Leben eines leicht
schrägen Ex-Porno-Kameramanns, der steif und fest behauptet:
Dylan Wieso? Eine Kamera hat nur ein Auge, ok, aber auch einen Körper, also
liebt sie dich.
Jackie He’s been maimed and framed, beaten, robbed and mutilated. But they
still can’t keep him from the woman he loves. And this woman is: Hope
Scarvelis, die Frau, die dir jeden Horror zu einer Maske formt.
Hope
Ich habe Horror nie anders verstanden. Nur als Kind. Nur als Kind
vielleicht habe ich Horror anders verstanden, aber das ist vorbei. Ich
8
wurde vom Kind, das erschreckt wird, zum Kind, das erschreckt. An
meine Masken, meine Gesichter, erinnert sich jeder.
Jackie Eine Kamera muß sich an die Räume, die sie filmt, erinnern. Damit die
Räume bleiben, gibt es niemand besseren als die ruhige Hand von Giancarlo Tranquilli. Und für Special Effects auch nicht.
Giancarlo Bei Zombiefilmen einfach hinters Studio gehen, den Film nehmen,
und ein bißchen drauftreten, und schon hast du genug Schmutz, sogar
für Filme in Überlänge.
Jackie Sechs B-Moviemenschen, aufeinander losgelassen, für ein Wochenende.
Erstmal wird geredet. Über Morphing als Mobilität. Über Dönerbuden
auf dem Studiogelände. Über Körperhaltungen.
Stella Gebückter Gang, hängende Schultern, krummer Rücken. Ich werde
keinen Zombie so spielen, das ist klar.
Giancarlo Ob die Leute jetzt immer erwarten, daß Zombies rennen? Nur we-
gen des Remakes von Dawn of the Dead? Ich meine: Rennende Zombies!? Was soll das?
Hope
Wieso? Ihr Zombiepuristen habt nicht mal die Tradition auf eurer Seite.
Zum Beispiel: City of the Walking Dead von 1983, in dem die Zombies
beim Zusammenrotten auch nicht trotten, sondern rennen, nicht Fleisch
essen, sondern Blut trinken und manchmal eine Kehle durchschneiden.
Cody
Womit wir im Slasherfilm der Achtziger wären.
Stella Nichts gegen den Slasherfilm der Achtziger, der war mein Durchbruch.
Giancarlo Trotzdem! Rennende Zombies?
9
Dylan Na ja, es soll nicht langweilig werden, auch nicht nach über hundert
Jahren, die ihr hinter euch habt, das Kino und du. Film is life with the
dull pieces cut out, sagt doch schon Hitchcock.
Cody
Es geht ja nicht nur um schlechte Körperhaltung. Wenn ich jetzt SO
laufe, macht mich das mehr zum Zombie, als wenn ich SO?
Hope
Entdecke den inneren Zombie, dann wird das schon!
Dylan Innere Zombies, äußere Zombies, die Grenzen zwischen äußerer und
innerer Identität, bestehen die noch?
Hope
Also, ich habe Horror immer anders verstanden. Ich, das Kind, das erschreckt wurde, heute: das Kind, das erschreckt. Ich habe Horror so
verstanden: Er befreit dich von deiner alltäglichen Identität.
Jackie Um sich zugleich darauf zu verlassen, daß DU dich darauf verläßt, in die
alltäglichen Identität zurückfallen zu können, zurück.
Cody
Script continuity!
Jackie Zurück.
Dylan Wenn man dahin zurückwill.
Stella Zurück ins Leben als Ex-Porno-Kameramann, der heute im Wagen von
Google Street View mitfährt?
Dylan Wenigstens kann ICH wie ein Mikro aus Abständen aufnehmen, die
MEIN Erscheinen auf dem Filmbild verhindern.
Stella Dafür werde ich die Katastrophe überleben, in den Räumen da draußen.
Jackie Das sagt das Script doch auch. Das sagt das Storyboard. Niemand sagt:
Du wirst sterben, Stella, also. Kurzer Handlungsabriß von Aus dem
Bild!: Alleine in einer verlassenen Stadt, und alles, was um euch herum
10
lebt, sind die Toten. Ihr seid die letzten Überlebenden in dieser Stadt.
Rettung verheißt ein Hubschrauber, der in Kürze landen wird, doch bei
dem Grauen um euch herum ist es alles andere als leicht, zum Landeplatz vorzudringen. Aber ihr versucht, Zombies auszuschalten, um die
Schlußtitel lebend zu erreichen. So weit der Plot, wie er auf uns lauert,
im Storyboard. So weit der Scriptwriter in mir. So weit du richtig planst,
kannst du alles in zwei Tagen drehen. Fang Freitag Nacht an, und
Sonntag Nacht ist der letzte Take in the camera. Eine Probe, ein Take.
Immer nur ein Take. Ein Take, und du hast es. Wenn du Fehler machst,
bleiben sie drin und gehören eben dazu. This work is my life.
Cody
Das nenn ich Exploitation!
Stella Moment mal, Exploitation? Ich verstehe immer nur Exploitation.
Cody
Weil du schon zu lang im Exploitation-Biz bist.
Hope
Im Exploitation-Biz geht alles schnell: Dreh, Schnitt und Vertrieb.
Exploitationmäßig ist der Freistaat in ungefähr fünfzehn Territorien
aufgeteilt, die alle von verschiedenen Filmverleihen kontrolliert werden.
Dylan Alter Trick: Wenn die Motion Picture Association of Bavaria uns die
falsche Wertung gibt, läuft das Ding als Dokumentation, zumindest in
einigen freistaatlichen Territorien. Doku: Zombies in Oberammergau.
Giancarlo Die Filmverleihe zahlen aber nur EIN Mal für jeden Film.
Stella Ja, die Filme werden ausgebeutet. Wir machen sie, und sie werden aus-
gebeutet. Da muß man schon fragen: Kann man in diese Welt noch
Filme setzen?
Jackie Was hätte Marx zu Exploitationfilmen gesagt? Was hätte Marx über-
haupt zum Kino gesagt, zum Tonfilm, zur Existenz eines Apparats, der
11
Bewegung einfängt, damit sie ausgebeutet werden kann? Was hätte Marx
zu Videoüberwachung gesagt?
Giancarlo Die fünf Säulen urbaner Infrastruktur: Gas, Elektrizität, Wasser,
Kommunikation, Videoüberwachung.
Hope
Letztere im Vergleich zur traditionellen sozialen Kontrolle mit gegenseitigem Blickkontakt.
Dylan Blick? Kontakt? So eine Kontrolle, face to face, bewahrt uns etwas,
Schätzchen, bewahrt uns unsere informationelle Privatheit.
Stella Privatheit heißt: Was wissen andere von mir? Wie werde ich wahrge-
nommen? Was für eine Identität möchte ich? Informationelle Privatheit,
wenn zum Beispiel mein Buch über meine Privatheit informiert.
Cody
Mit informationeller Privatheit hat es aber nicht zu tun, wenn komplexe
Sicherheitssysteme mit mehreren hundert beweglichen Kameras in den
Raum eingreifen und so Paparazzi Cody Cummings per Display folgen.
Giancarlo Die Videoüberwachung öffentlicher Räume greift in den Alltag der-
jenigen ein, die einen bewachten Raum betreten, greift ein, unabhängig
vom individuellen Risikoprofil. Fürsorgliche Überwachung eben.
Jackie Piktogramm: Videoüberwachung nach DIN 33450.
Giancarlo Videoüberwachung öffentlicher Räume als Überwachungsform öf-
fentlichen Lebens. Wie sollen wir gemeinsam leben, wenn immer jemand uns beobachtet?
Stella Wenn du nichts verschuldet hast, wieso hast du dann Angst? Fürsorgli-
che Videoüberwachung erhöht Sicherheit. Vergleiche: das Video, mit
dem man die U-Bahn-Prügler gefunden hat. Vergleiche: das Videostill,
12
mit dem man den U-Bahn-Schubser gefunden hat. Vergleiche: das Video vom Tod einer Frau, 6.07 Uhr im Wartesaal.
Dylan Was auf der Strecke bleibt: die gefühlte Privatheit, auch die zwischen dir
und mir, Schätzchen.
Hope
Wieso eigentlich Schätzchen? Diese Verniedlichung schätz ich nicht.
Dylan Na dann, nochmal: Was auf der Strecke bleibt: die gefühlte Privatheit,
auch die zwischen dir und mir, Täubchen.
Hope
Die gefühlte Öffentlichkeit wird heute durch Kameras viel weniger beschnitten. Vor einzwei Jahrzehnten sahen wir gemeinsam die übergroßen Blechkisten über den Straßen und wußten: Wenn wir uns hier küssen, können wir jemandem am anderen Ende einen Moment schenken,
der so intim ist wie der Kuß zwischen uns, oder sogar intimer. Aber inzwischen siehst du keine Kameras mehr.
Dylan Fast ebenso unsichtbar wie die Techniken elektronischer Datenverar-
beitung. Techniken, über die sich Menschen noch viel besser überwachen lassen als über Kameras. Siehe: Vorratsdatenspeicherung.
Jackie Und dennoch breiten sich die Kameraaugen aus, immer weiter und
weiter, in öffentlichen Räumen, privaten Räumen, privatisierten. Augen
schauen dich an! Wie sich meine Beziehung verändert dadurch, meine
Beziehungen, denn sobald ich rausgehe, nehme ich Beziehungen auf, die
festgehalten werden in persönlichen elektronischen Daten.
Giancarlo Nicht zu vergessen: Wie sich die Räume durch die Kameras verän-
dern, gerade durch unsichtbare.
Dylan Vor allem, wenn die Kameras immer intelligenter werden und intensiver
starren, auch in schattige Bereiche hinter Säulen.
13
Giancarlo Die Videoüberwachung als ein visuelles Aneignungsinstrument von
Räumen. Du kannst Informationen über spezifische Räume aufzeichnen, übermitteln und natürlich manipulieren.
Hope
Das heißt: Auch die Räume leiden unter Überwachung?
Dylan Schau dir Grindtown doch mal an, Täubchen.
Jackie Diese Stadt hat ihre Schauseiten immer bevorzugt und die dreckigen
unterschlagen, zum Beispiel die Filme aus unseren Studios hier. Und
auch die Videokameras kümmern sich lieber um die wirtschaftlich attraktiveren Teile der Stadt und der Filmindustrie.
Stella Die Schauseiten gehören denen, die die Öffentlichkeit für sich fühlen
lassen, und das schon lang. So lang, wie die dreckigen Seiten überwacht
werden, damit man weiß, wann Zombies von da kommen.
Dylan Videokameras beunruhigen nach ihrer Installation. Videokameras beun-
ruhigen, und nach wenigen Momenten der Gewöhnung beruhigen sie.
Videokameras beruhigen beäugen die Menschen. Videokameras machen
sich bemerkbar, und daß sie den Menschen zeigen, was Disziplin ist,
macht sich sogar in Räumen bemerkbar, die nicht überwacht werden.
Cody
Menschen in überwachten Räumen werden diszipliniert. Menschen in
Räumen, die an überwachte Räume angrenzen, werden diszipliniert.
Und Menschen in den Räumen, in die sich diese Bilder übertragen?
Hope
Makrodramen: Überwachungszentren, in denen überforderte Sicherheitskräfte für eine Vielzahl von Displays zuständig sind.
Stella Wieso muß ich dann helfen, wenn eine psychische Kranke um 5.32 Uhr
in einem Wartesaal anfängt, zu sterben?
14
Giancarlo Kameras können nicht eingreifen, in Räume schon, in Körper schon,
aber nicht ins Geschehen, und so können Straftaten auch vor Kameras
stattfinden, etwa unterlassene Hilfestellung Hilfeleistung.
Dylan Unterlassene Hilfeleistung findet statt, und ihr, Kameras, tut nichts.
Hope
Seht nur! In Dylans Mundhöhle ein Display. Auf dem Display: der
Frauenkörper, neunundvierzig Jahre alt, und ich dachte, der bleibt jetzt
auch neunundvierzig, seht mal: Die Frau steht auf!
Dylan Was sich live vor der Kamera abspielt, kann nicht manipuliert sein!
Stella Das passiert genau jetzt.
Cody
Echtzeit-Intervention: eingreifen, wenn gerade jemand stirbt.
Hope
Oder gestorben ist und wieder lebt.
Cody
Noch lebt.
Hope
Immer noch lebt.
Stella Der Körper der Frau, wo ist er? Aufgestanden, weggegangen, weg von
diesem Ort des Drecks? Nein. Da ist sie ja.
Hope
Dabei sieht die Tote aber gar nicht so tot aus, das Fleisch: nicht angefault, nicht schmuddelig, eher vital, Hochglanz, glamourös.
Jackie Die Kamera folgt ihr. Die Kamera hat sich losgelöst aus dem Warte-
raum und folgt ihr, Schritt für Schritt. Mobile Kameras.
Dylan Das Vordringen von Videoüberwachung aus geschlossenen Arealen des
Konsums und des Privaten in den öffentlichen Raum.
15
Giancarlo Das Vordringen von Zombies aus geschlossenen Arealen, Grind-
houses, in den Raum, der uns allen gehört, nicht nur Kinobetreibern.
What happens to this space when they take it?
Cody
Sie kommen, um dich zu holen, Stella, sie kommen!
Stella Cody Cummings kommt der innere Zombie?
Cody
Und damit haben wir unseren Untertitel: City of the Walking Dead II.
Jackie Keine Angst! Niemand tötet meinen Film. Das Drehbuch steht unter
Denkmalschutz, ich meine, das Filmstudio steht unter Datenschutz, da
können die Zombies kommen, im Dario-Argento-Cut, im GeorgeRomero-Cut, im Jackie-Trestini-Cut, wie sie wollen. Wir sind sicher.
Cody
3
Sicher?
data body
Jackie Im klassischen Zombiefilm ticken die Zombies so: They get up and kill.
And the peope they kill get up and kill. Und heute? Was, wenn eine ganze Stadt erlebt, daß die Toten nicht tot sind? [when the moon turns red,
the dead shall rise:] Eine Frau, neunundvierzig Jahre, ab jetzt immer
neunundvierzig, verläßt die Psychiatrie. Ein Sechsundsiebzigjähriger und
zwei Jugendliche wandern im U-Bahnhof Arabellapark umher. Ein Teeniegirl tanzt auf dem U-Bahnsteig am Petuelring. Überall Körper, gefolgt von Kameras, tausend öffentlichen Kameras [laut offizieller Angabe von Polizei und MVG], xxxxxx privaten Kameras, auf UBahnsteigen, auf S-Bahnsteigen, auf Bürgersteigen, vor Schaufenstern,
in Schaufenstern, hinter Spiegeln. Kameras, die ihr eigenes Leben haben
und für die alles gemacht wird, was technisch machbar ist. Aber die
Kameras hängen an den Menschen und geben ihnen einiges zurück.
Mobile Kameras machen immobile Körper mobil, und so wird der öf-
16
fentliche Raum von Öffentlichem freigemacht. Wer bestimmt, wer einen Raum betreten darf, wie ein Raum benutzt wird, zum Beispiel: unsere Körper? Nicht nur von wegen: schlechte Körperhaltung. Was passiert hier? Arbeiten Kameras und lebende Tote zusammen? Und: Wieso
sehen diese Toten so dermaßen gut aus? Wir sitzen im Studio, wir sechs
Moviemenschen sitzen fest bei CITY EYE PRODUCTIONS, die Tore
verbarrikadiert, damit die lebenden Toten uns nicht verführen berühren.
Cody
Hobbythek, heute: Wie baue ich mir ein eigenes CCTV? CCTV = Cody
Cummings Tele Vision Closed Circuit Tele Vision. Geschlossener
Schaltkreis: Kamera und Monitor, mehr brauchst du nicht. Oder doch!
Ein Videogerät. Also eigentlich nicht. Aber manchmal doch. Ja, eigentlich doch, aufzeichnen und speichern would be nice, too.
Dylan Would be lovin’, all too lovin’, denn: Die Videokamera ist kein lebloser
Apparat, sie hat einen Körper, ihr Körper liebt dich doch.
Stella Wer schaut wen an? Wie? Wie lang? Wird der Blick erwidert?
Giancarlo Welche Macht hat der, der schaut? Welche der, der angeschaut wird?
Hope
Mikrodramen: Was passiert, wenn ich nicht merke, daß ich angeschaut
werde, wenn ich ziellos im Fadenkreuz umherwandere, in einem verkorksten Movieplot, verkorkst, weil unentschlossen ungeschlossen?
Stella Movie plots, die Liebhaber der Videoüberwachung, die sagen: Irgendwo
lauert die Bedrohung. Irgendwo. Irgendwo lauert.
Cody
Diese Plots sind immer wahr, weil wir jeden Tag sehen, daß sie funktionieren, in einem endlosen Film.
Dylan Diese Plots und ihre endlose Wiederholung in einem endlosen Film
machen wiederum die Stadt zu einem endlos Filme projizierenden Kino,
17
zu einem Schmuddelkino, das auf die Qualität der Filme weniger Wert
legt als auf Quantität.
Cody
Aber, na gut, das ist Exploitation.
Stella Movie plots führen zu movie plot security, zum Gefühl, du könntest
gegen Gefahren vorgehen, weil sie feststehen in irgendeinem Filmscript.
Hope
Die Frage ist: Inwiefern ergeben sich dadurch Hierarchien? Ich meine
nicht, weil manche Filme bessere Scripts und dadurch bessere Gefahren
haben als andere, und auch nicht, daß manche Menschen mit besserem
Filmmaterial gefilmt werden, als andere, sondern eher, daß junge
schwarze Männer im Vergleich überproportional oft in den Blick genommen werden.
Dylan Oder daß in manchen Räumen mehr private und öffentliche Kameras
zu finden sind als in anderen. Öffentliche Räume erwachen zum Leben,
weil in ihnen Menschen miteinander leben, so wie du und ich, Täubchen. Aber wenn jemand diese Räume immer im Blick hat.
Giancarlo Räume, die man im Blick hat, gegen Räume, die man nicht im Blick
hat. Verschwinden denn die Räume, die nicht im Blick sind, aus dem
Plan der Stadt? Was sagt Google Maps?
Stella Google Maps sagt: Wolfgang Schäuble weiß, was du letzte Nacht ge-
googelt hast, sogar in welcher Straße. Was sagt Google Street View?
Dylan Google Street View sagt: Viele sollen von Wenigen überwacht werden.
Das allein teilt doch die Stadt so, wie ich es vom Google Street ViewWagen aus gar nicht filmen kann. Von da aus gilt nur: schäbige Viertel
versus Glamourviertel.
18
Giancarlo Womit wir wieder bei unseren lebenden Toten sind, denn: Seit wann
sind Zombies nicht mehr schmuddelig, sondern glamourös, ich meine:
Glamouröse Zombies!? Rennende, ok, aber: Glamour?
Jackie Zum Beispiel die Art, wie der Sechsundsiebzigjährige am U-Bahnhof
Arabellapark jetzt inszeniert wird: kalte Farben [Blau und Weiß], extreme Körnung, deutliches horizontales Linienmuster und leicht verzerrte
Optik, Perspektive ist von schräg oben, im Hintergrund ein scharf zusammenlaufender Gang. Überwachungslook at its best.
Dylan Echtzeit-Präsentation: Alles muß sofort perfekt sein, auf den ersten
Blick. Alles wird sofort weggesendet. Nichts kann sich noch ändern.
Giancarlo Nicht mal, wenn es um die Retusche eines Mikrokabels geht.
Dylan Alles wird weggesendet, als Bildfläche, an den Ü-Wagen, weggesendet
und festgehalten, und das nennt man dann CCTV.
Stella Closed Circuit Tele Vision, nicht nur im technischen Sinn geschlossen.
Es schließt auch die Interessen an der Überwachung und die Interessen
am Marketing kurz. Siehe: der antitraditionelle Zombieglamourlook.
Jackie Der Körper wird nicht mehr ausgebeutet, das wäre zu viel Arbeit. Ich
sorge für meinen Körper,
Dylan You’re on a camera an average of ten times a day, are you dressed for it?
Jackie und alles drumherum sorgt dafür, den Körper zu erhalten, zu verfla-
chen, damit er als Bildfläche weggesendet werden kann, altersbeschränkt, an den Ü-Wagen. Überwachungswagen, Überlebenswagen?
Hope
Mobilität ohne Morphing.
19
Jackie Lebende Tote, die leben, auf Bildern, nein, als Bilder. Was mal gelebt
hat, bleibt lebendig, als Bild, und kann dich jederzeit wieder heimsuchen. Diese Bilder, diese lebenden toten Bilder, und ihr Eigenleben.
Cody
Wenn man schon Eigenleben hat, kann man es doch auch glamourös
gestalten, oder? Wenn ich irgendwo ins Schaufenster schaue, checke ich
doch auch über mein Spiegelbild, ob ich das, was ich hinter nein im
Schaufenster sehe, brauche oder nicht. Permanentes Monitoring.
Giancarlo Sehe ich gut aus? Sehe ich tot aus? Sehe ich gut tot aus?
Dylan Bewegungsmodus: slow. Ganz langsam, weil sie keine Angst mehr ha-
ben müssen, irgendwann zu sterben, wandeln die Untoten umher, mobil, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Sie müssen in Bewegung bleiben, denn sie SIND bewegtes Bild.
Stella Wenn ich eine Bank überfalle und mir vorher vorstelle, wie ich dabei
aussehen werde, wie ich dabei gut aussehen kann, so gut, daß ich wirklich als Verbrecher rüberkomme, dann ist es kein großer Schritt für
mein Kamerabild, diese Vorstellung zu erfüllen und dann nochmal auszunutzen, auszubeuten, um selbst ewig am Leben zu bleiben, um mich
zu verfolgen und mir zu sagen: Ich bin immer noch hier.
Cody
Abenteuer, von denen man weiß, daß sie gut ausgehen. Abenteuer, von
denen man weiß, daß sie nicht gut ausgehen. Abenteurer, von denen
man weiß, daß sie gut aussehen, egal in welcher Lage.
Hope
Das ist Lebensgefühl Überlebensgefühl, oder?
Jackie This work is your life. Und ohne es zu merken, wird dein Bild, das dich
als Vergangenheitsform zeigt, zur Gegenwart.
Stella Pixploitation: ein ausbeutbares Filmbild, das ist ja schon tot, das kann
man ausbeuten, so lange man mag!
20
Cody
Nein! Tote Bewegungen beuten die lebenden Bewegungen aus. Und ich
meine nicht den Dönerbudenbesitzer, und auch nicht den Besitzer des
Dönerbudenbesitzers.
Jackie [economy of looks:] Was angeschaut wird, wandelt sich in Verwertung,
und so entsteht eine City of the Walking Dead, Grindtown, aber im
Grind: Glamour.
Giancarlo Wenn ich deinen Körper, um ihn noch glamouröser zu machen, et-
was morphe, was ich gerade jetzt mal durchführe, bist du nicht nur so
mobil wie deine mobilen Kameras, sondern auch noch so flexibel, wie
du es als lebender Lebender nie warst.
Dylan Ich im motion tracking, als Figur in einem Animationsfilm. Meine Be-
wegungen auf dem Video werden abstrahiert, damit diese Bewegungsmuster von anderen Überwachungskameras erkannt werden können.
Jackie Die Ü-Kameras als Bildsuchmaschinen.
Stella Ja, Kamerahersteller müßte man sein.
Dylan Oder motion capture: Ein Foto von mir wird animiert, und auf einmal
raube ich eine Bank aus, zumindest im Video.
Hope
Zombies, die nur sind, was sichtbar ist an ihnen.
Cody
Na und? Mehr mache ich auf der Leinwand auch nicht, i’m just a recording of a body.
Jackie Eins ist klar: Die klassische Zombievergangenheit ist vorbei.
Cody
Was? Give me my fucking zombies back!
21
Dylan Waren das Zeiten, als man Zombies auf billigem Filmmaterial wandeln
ließ, in Technoscope, dem billigen Cinemascope! Als Close-Ups von
fallenden Hautplättchen aussahen wie herabstürzendes Geröll!
Hope
Wären das Zeiten, in denen solche Fehler keine Fehler wären. Ich habe
ERROR immer so verstanden.
Jackie Fallende Hautplättchen als herabstürzendes Geröll. Ist doch viel mehr
Risiko. Ist doch viel komplexer.
Hope
Risikostadt = Stadt mit steigender Komplexität?
Giancarlo Doch kann Videoüberwachung Räume nur kontrollieren, aber kaum
in ihrer Komplexität erfassen.
Hope
Unsere Prozesse von Aneignung und Produktion sieht niemand, Dylan.
Jackie Zum Beispiel nicht, daß sich fallende Hautplättchen fühlen wie herab-
stürzendes Geröll. Die Kameras und der Scriptwriter in mir sagen: einfach nur Geröll, nicht: bodies that shatter.
Stella Die Kameras sagen: So soll dein Leben sein! Movie plot identity.
Dylan Nichts mit: körnig, mit: stop motion, das sind die Siebziger, Achtziger,
Neunziger, aber heute: scharfe Videobilder, gefährlich scharf.
Jackie Also: lieber unscharfe Bilder! Also: unseren Zombiefilm aufrauhen, um
ihn unterscheidbar zu machen von den Grindtown-Filmen?
Stella Die Bilder verschmutzen, damit sie ihren Glamour verlieren.
Dylan Kameras im unglamourösen Alltag.
Jackie Wenn du Fehler machst, bleiben sie drin und gehören dazu.
22
Hope
Das ist schön! Ist doch, ist doch schön, wenn man unserem Film ansieht, welche Schwierigkeiten bei seiner Produktion überwunden werden
mußten. Wenn uns das den Dreck zurückgibt, den wir so liebten, in dieser Stadt.
Dylan Ja, das ist ein schmutziger Film. UND?
Und die script continuity? Die script security?
Cody
Stella It’s time to ring Wolfgang Schäuble.
Jackie Girls like me die dirty. Today i’m dirty, tomorrow, i’ll be just dirt.
Giancarlo What happens to this dirt when i take it with me?
4
trailer park
Cody
Ausrichtung des Objektivs,
Stella Blickwinkel der Linse,
Hope
Installationspunkte,
Dylan Zoom- und Schwenkmöglichkeiten der Kameras,
Jackie Anzahl und die strategische Platzierung
Giancarlo geben der Kamera drei Möglichkeiten: Raumpunkte überwachen,
Hope
zum Beispiel Filmstudioeingänge,
Giancarlo Raumlinien überwachen,
Hope
zum Beispiel Filmstudiogänge,
Giancarlo oder ausgedehnte Flächen,
23
Hope
zum Beispiel die Slashermaske aus Scream.
Giancarlo Wenn wir Videoseile hätten! Wenn wir solche Effects hätten, wär
alles einfacher. Videoseile, die mit einer Kameradichte von zweihundert
Kameras pro eintausend Meter alle Straßenzüge oder sogar Stadtviertel
oder sogar Stadtgebiete absuchen nach Zombies. Die Situation für uns
Sechs hier im Filmstudio wird verzweifelter und unüberblickbarer, so
wie es im Horrorfilm schon immer war. Und doch ist es anders. Auch
nach so vielen Jahren im Exploitation-Biz habe ich mich immer privat
gefühlt, bei jedem Dreh, auch wenn man ein ganzes Wochenende miteinander lebt. Gefühlte Privatheit: Ich hatte Kontrolle über die Informationen, die ich den anderen gab, über die Orte, an denen ich war, und
über mein Eigentum, zum Beispiel meinen Körper. Und jetzt fühle ich
mich auf einmal alles andere privat. Ja, privat heißt eigentlich: der Öffentlichkeit entzogen oder: beraubt, so wie wir, verbarrikadiert in den
Studios von CITY EYE PRODUCTIONS. Aber ich fühle mich auch
meiner Privatheit beraubt, bin ich privatisiert? Wie seht ihr das? Bin ich
schon kontrolliert? Kontrolle über Lebendiges, die nur teilweise von
Personen ausgeübt wird, größtenteils von Apparaten. Und die kontrollieren mich? Wie schmutzig ist das denn? Dirty? Dirty.
Dylan Schmutzige Kontrollen über das, was ich tue. Da ist der Schmutz auf
der Kameralinse gar nichts gegen. Kontrollen, komprimierte Macht.
Giancarlo Private Kameras nutzen die Schatten. Solange sie im Schatten sind,
Schatten sogenannter öffentlicher Kameras, sieht sie aber niemand. So
sehen auch die Schatten anders als bei Tag anders aus als bei Tag.
Stella Private Kameras filmen mich hier, auch wenn ich gerade nicht auf der
Suche nach einem Filmengagement bin. Sofort bin ich gezwungen, anders zu handeln, als ich will, und schon bin ich privatisiert. Mein Körper
als Bildfläche, kontrollierbare Fläche im Raum.
24
Jackie Auch kontrolliert: die Wege IN den jeweiligen Raum. Kameras an den
Rändern, an den Verbindungswegen, Zutrittswegen.
Giancarlo Privatisierung von Räumen: Jeder Raum liegt neben einem anderen
und erschließt damit den anliegenden Raum.
Stella Und jeder anliegende Raum erschließt wieder einen anliegenden.
Jackie Dabei geht der Tacho hoch: Jeder Raum, der einen anderen erschließt,
ist öffentlicher als der grad erschlossene.
Giancarlo Oder andersherum: Der Raum, der gerade erschlossen wird, ist pri-
vater als der Raum, der ihn gerade erschließt. Nur in Räumen, in denen
alles veröffentlicht wird, befindet sich keine Öffentlichkeit mehr.
Jackie Und so sind alle Räume, egal ob erschlossen oder erschließend, nur
noch privatisiert, wegsendbar.
Stella Damit sind alle Körper in ihm wegsendbar, transparent, vollkommen
sichtbar, nur die Technologie, die das macht, bleibt intransparent. RTL
ist das natürlich egal, die brauchen keine Extrakameras, wenn Tine
Wittler in ihrer neuen Show Innenstädte einrichtet. Mit Tine Wittler ist
der klassische Zombiefilm dann endgültig vorbei. Das ist Teil der Kinogeschichte des Körpers.
Dylan Von Anfang an zielt Kino auf Bewegung, auf Veränderung, hält sie fest,
stellt sie auf Dauer, macht sie wiederholbar. Galoppierende Pferde, gehende Menschen, trottende Zombies: Immer waren es alltägliche Verrichtungen, die einen genaueren Blick verlangten, ohne ihn zu verlangen,
die man verdächtigte, intransparent zu sein. Körper durch den Apparat
dokumentiert montiert und so zugerichtet. Die Bilder dieser Körper:
Nachleben, beliebig oft wiederholbares Nachleben, Übertragung des
Todes in die Gegenwart, Übertragung als Infektion. Mörderisches Leben. Klassischer Zombiefilm versus Neozombiefilm. Biß der Zombies
25
und finaler Kopfschuß versus Blick in die Kamera und final shot. Aber
der final shot kommt nicht. Der final cut kommt nicht. Dies ist ein Ort
des Drecks, aber auf den Bildern sehen wir nur Glanz. Zum Beispiel sehe ich Stella Solar, die sowieso schon so glänzt, jetzt auf dem Monitor,
wie sie im Aufenthaltsraum dieses Studios steht, unten rechts im Bild,
wie sie am Getränkeautomat steht und nicht weiß, wohin mit so viel
Glanz. Stella steht am Automat, unten links im Bild die rote RECORDAnzeige, und jetzt schwenkt die Kamera herum und nach unten, damit
Stella nicht mehr unten rechts stehen muß, sondern in der Mitte, mittig
in der Mitte, und in dem Moment weiß ich: Es ist schon zu spät, auch
wenn mein Körper, noch bevor der Gedanke gedacht ist, losrennt,
Schockreaktionen, die der Körper vornimmt, doch ist es zu spät, Stella
in der Mitte des Monitors, und als mein Körper den Raum erreicht,
merkt er, daß sich etwas im Raum bewegt, daß die Kamera mich schon
erwartet, meine Bewegung ortet, daß sie mich liebt sie piept, und noch
bevor ich etwas tun kann, ist mein Körper raus aus dem Raum, im
Schatten, in Sicherheit, solange du im Schatten bleibst, kann sie dich
nicht sehen, denkt er, denkt der Körper, der wieder auf den Monitor
starrt, starrt, darauf der Star, Stella, als lebende Tote, weggesendet an die
Überwachungszentren dieser Stadt, her_life_so_far.jpg. Und ich denke
an die alten Zeiten, an die ersten Stunden des Exploitation-Biz, als meine Kamera und ihr Zoom alles im Blick hatten, jedes kleinste Detail zerstörter Körper im Film, alles total sichtbar und total offenbar. Und ich
verstehe: Das hier ist anders, denn hier sind nicht mal die Leiber zu öffnen. Höchstens die Datei dieser Leiber, abgespeichert auf Festplatten,
groß wie der Englische Garten von Grindtown.
Jackie Da kannst du in den Kopf schießen, so viel du willst, du wirst immer
nur einen Bildschirm treffen, nicht die Kamera, die die Bildschirme mit
Bildern beliefert. Irgendjemand versucht, meinen Film zu töten. Aber
immerhin, Dylan ist entkommen.
26
Dylan Kein Wort mehr von der Tradition toter Kameramänner im Horrorfilm,
ja? Ich wette, ich kann jetzt nicht schlafen, weil mein Gehirn wackelt.
Cody
Mannmannmann, ich will nicht sterben [i’m out of line]! Jedenfalls nicht
bei Dreharbeiten zu einem B-Movie, ach was, C-Movie, nein, Z-Movie.
Zombies, don’t put your dirty hands on me!
Giancarlo It’s time to ring George Romero.
Hope
Paßt auf, sonst kriegt uns der Movie Plot!
Dylan Heyhey! Keine History Hysterie!
Jackie Dazu Wolfgang Schäuble, the hardest working man in the explosion
exploitation business: Ich wünsche mir, daß es weniger hysterisch zugeht. Die rote Linie ist durch die Verfassung definiert, die man allerdings verändern kann. And this work, so Schäuble, is my life.
Dylan Verändern, ja, verändern, darum geht es doch! Nicht darum, Objekte
oder Subjekte zu überwachen, sondern das, was sie verändern.
Giancarlo Was sich an ihnen verändert.
Hope
Was sich an ihnen rendert, bevor es wird, was es ist.
Jackie Überwachen = festhalten, so fest, daß der Überwachte eigentlich tot ist,
selbst wenn er sich noch bewegt, um 5.53 Uhr.
Dylan Wenn er blinkt, um 6.07 Uhr. Wenn die RECORD-Anzeige blinkt in
der Kamera, ein toter roter Punkt. Wenn der Mond rot leuchtet, stehen
die Toten auf. Makrodramen der Überwachung. Kann man in dieser
Stadt noch Filme schätzen?
Jackie Vierhundert mal am Tag in the camera, do your best for it!
27
Hope
Vierhundert mal am Tag dein Körper in the camera, und sofort sind der
Toten mehr als der Lebendigen.
Giancarlo Mein Körper: beschattet von einem immer größer werdenden Kör-
per aus Daten, data body, der uns aber nicht folgt.
Cody
Schau nur, schau aufs Display, die Zombies folgen uns nicht. Die gehen
vor uns her, im Raum und in der Zeit. Mannomann [i’m out of touch]!
Hope
Auf dem Display: ich als lebende Tote, in Räumen, die ich noch nie
gesehen habe. Und da! Schon wieder ich, aber ganz woanders. Und da.
Da. Da. Mein Zombiekörper, der an mehr als einem Ort sein kann, und
der größer ist als ich, ohne Morphing.
Cody
Mannmannmann, mir reichts [i’m out of style]!
Jackie Die Toten sind auferstanden Die Daten sind auferstanden, um die Le-
benden zu verschlingen, vorzudringen, uns zu drängen, zu was?
Dylan Einer Identität, die so glatt ist wie die Bilder aus den Ü-Kameras. Ü für
Überraschung. Überraschung: Du hast jetzt eine Identität!
Hope
Wenn das Licht angeht, geht dein Leben aus. Oder: Ich werde beobachtet, also war ich.
Cody
Ich muß raus hier muß raus, i need a dramatic change in my life, see ya!
Hope
Die Zombies lernen, sie imitieren die Menschen. Die Imitatoren Initiatoren der Überwachung denken: Damit kontrollieren wir die Bewohner
dieser Stadt, aber so ist das nicht! Biometrische Gesichtserkennungssysteme vergleichen Gesichter von Gefilmten mit gespeicherten Bilddaten, um Identitätsdiebstahl vermeiden. Aber es werden nur zehn Prozent der Gesichter erkannt. Damit leben die Zombies unerkannt unbekannt in Grindtown, unbekannt, weil auch schmutzige Technologien
wie Gesichterserkennung sie nicht identifizieren, im Gegenteil.
28
Jackie Digital können Gesichter auf Videoaufnahmen inzwischen gezielt un-
scharf aufgenommen werden. Gezielt schmutzige Technologie, die
Zombies nicht identifiziert, eher animiert, noch weiter zu gehen.
Giancarlo Animierte menschliche Körper. Reanimierte Körper, auf einmal alles
andere als menschlich. Deren Bewegungen, selbst wenn sie technisch
ermöglicht sind, erschließen das, was wir unter Raum verstehen. Und so
kommen auf immer mehr lebende Tote immer mehr Räume, projizierte
Räume, projizierende Räume, Kinosäle Schmuddelkinos.
Dylan Arbeiten diese Schmuddelkinos mit den schmutzigen Technologien
zusammen?
Jackie Arbeiten die schmutzigen Technologien mit den Kameraherstellern zu-
sammen?
Dylan Arbeiten die Kamerahersteller mit den Zombies oder gegen sie? Denn
das System der Zombies besteht nicht nur aus Technologie. Das ist wie
zwischen dir und mir, Täubchen, ein Zusammenspiel verschiedener
Akteure mit jeweiligen Absichten und Kompetenzbereichen.
Hope
Was? Tut mir leid, aber da bin ich echt grad zu zu zu.
Jackie So wie Brigitte Zypries, die nicht mal weiß, was ein Browser ist. Und so
jemand entscheidet über Vorratsdatenspeicherung, was ein Horror!
Hope
Dabei ist mein Körper selbst voll mit Horrormaterial, das irgendwann
auch mal rauswill, nicht erst nachts, wenn der Mond rot ist und die Daten leben, dann bricht aus mir ein Grummeln und Wimmern hervor. Ich
wimmere, aber NICHT vor Wut und Verzweiflung!
Dylan Yeyyey!
Hope
Dieser Mann hat da eine Gefriertruhe, wo bei anderen das Herz sitzt!
29
Giancarlo Sicherheit kommt mit Sicherheit nicht von allein.
Dylan Und kaum ist sie da, ist dieser öffentliche Raum hier weg, den wir vor-
her mal geteilt haben, Täubchen. Unzugänglich. Stell dir einen Körper
vor, der zugänglich ist, und der dir und mir gehört.
Hope
Ja, Horrormaterial müßte man sein. Oder Schauspieler.
Jackie Apropos Schauspieler: Wo ist Cody Cummings?
Giancarlo Vielleicht hat er seine Vorlesung in Filmtheorie?
Cody
Leute, das habt ihr noch nicht gesehen [no, i don’t want to calm down]!
Ich bin im Ü-Wagen, draußen vorm Studio. Ich bin hier, ohne mich
noch zu fragen: Sind Zombiefilme schädlich für meine Karriere? Ich bin
hier, und ihr könnt mich auf eurem Monitor sehen, nur ich euch nicht.
Dylan Und das ist auch gut so.
Cody
Die Bombe, Leute, das ist die Bombe! In welcher Mundhöhle auch immer sie explodieren wird. Die Stadt, das kann ich von hier aus sehen, die
ganze Stadt in Bewegung. Mobile Kameras, die mobile Zombies filmen,
aber auch die Räume: mobil, da können sich Himmler, Schäuble und alle
anderen Experten für Raum eine Scheibe abschneiden, auch du, Giancarlo. Eine ganze Stadt in Bewegung, eine Stadt, zusammengesetzt aus
mobilen Räumen. Die Stadt, ein Trailerpark. Und jetzt verstehe ich das,
jetzt verstehe ich: die Zombies als data body, der uns nicht folgt, nein,
auf keinen Fall, nicht folgt, sondern vor uns hergeht, nicht Nachleben.
Vorleben! Ein Trailer für uns, das sind sie, Trailer für unser Leben, in
High Definition. Grindtown als Trailerpark, als Raum, dessen Komplexität auf Höhepunkte reduziert ist, so weit reduziert, daß er unbelebt ist,
unbelebbar, kaum wiederbelebbar/reanimierbar. Animierbar: Jetzt fällt
mein Blick auf den Monitor, der nur wenig Bewegung zeigt, um 6.35
Uhr, nur Lippenbewegungen, aber der Ton der Ü-Kameras: stumm
30
[calm down]. Meine Lippen um 6.35 Uhr, mein Gesicht, mein JackDaniels-Körper, darunter ein roter, blinkender Punkt [no i don’t want
to]. I was walking with a zombie. I was talking like a zombie. I was stalking as a zombie. Das wars [calm down]. Gleich kommt der Soft Cut [i
don’t want to]. Und damit verabschiede ich mich von euch [calm down].
War eine schöne Zusammenarbeit [calm down]. Bis zum nächsten Wochenende, beim nächsten Film [calm down]. Euer Cody.
5
the one you’ve been screening
Jackie Wir sind noch da, Leute. Ich sage es leise, damit keine Kamera mich
hört und ortet, über meinen vokalen Fingerabdruck. Aber wir sind noch
da. Vier von uns. Vier verschiedene Körper in einem Raum, in der
Hoffnung, daß wenigstens hier diese Vierfalt Vielfalt nicht als alltägliche
Bedrohung verstanden wird, der die Politik einer Stadt begegnen muß,
durch Sicherheit. Eine Vielfalt, bei der störende oder vermeintlich gefährliche Personen und Elemente verdrängt werden, auch in dir, in mir,
auch in, auch in dir! Noch nicht verdrängt: wir. Wir sind noch da, festgehalten in einem Filmstudio, klassischer Z-Movie: Gegen Zombies
mußt du die Häuser verbarrikadieren, und zu den Häusern gehörst auch
du, denn: Benutzer von Räumen können nicht getrennt, sondern nur als
Teile dieser Räume verstanden werden. So rücken wir ins Zentrum, wir
Menschen als Teil des Raumes, und das erinnert mich an etwas? Woran?
Giancarlo Daran, daß Räume nicht einfach da sind? Daran, daß wir sie produ-
zieren, in der Special Effects- oder Modellbauabteilung? Daß wir Räume
produzieren, wenn wir sie uns vorstellen, wahrnehmen, erinnern?
Jackie Nein. Neinnein. Erinnert mich daran, daß es Zeiten gab, in denen
Zombies deformiert waren, nicht glatt, aber dann auch weiter deformiert werden konnten, geöffnet, und in dieser Öffnung blinkte dann
nicht das rote Licht einer Kamera.
31
Giancarlo Diese Deformationen waren nur die Vorarbeit zu den viel flexibleren
Zombiekörpern, die uns jetzt entgegenstrahlen, und die sogar glänzen,
wenn Morphing sie verzerrt und so ihre Mobilität erhöht.
Dylan Der Körper und das Bild des Körpers richten sich die ganze Zeit nach
Regeln aus, die selbst Schäuble und Zypries nicht erkennen können,
hinter all der Technologie.
Jackie Aber ist doch gut. Alle sind auf den Aufnahmen zu sehen, nur die Re-
geln, denen die Aufnahmen folgen, nicht. Und die Produktivkraft von
Exploitation-Produzenten wie Schäuble auch nicht.
Hope
Als die Technologie noch transparent war und nicht Interfaces dazwischenstanden wie die Masken aus dem Slasherfilm der Achtziger!
Jackie Der Körper des Menschen als Ort der Bilder. Oder jetzt: die ganze Stadt
als Ort von Bildern, deren Körper wiederum Orte von Bildern sind.
Dylan Er. Er. Erfolgreiche. Er. Er.
Giancarlo Sehe ich aus wie ein Sprachtherapeut?
Dylan Nein.
Giancarlo Warum stotterst du mir dann was vor?
Dylan Er. Erfolgreiche Erkennungen sind bei Gesichtern auf Video nur unter
bestimmten Bedingungen möglich. Nur mit Frontalaufnahmen, was
heißt: Die Person, die ich erkennen will, muß mit der Kamera zusammenarbeiten, ja, zusammen in einem Raum handeln. Wenn nicht, stören
die falsche Kopfhaltung oder die Lichtverhältnisse die Identifikation,
und das will doch keiner. Dann werden sogar Personen verwechselt, die
sich wie du und ich nur ansatzweise ähneln, Täubchen.
32
Hope
Du liebst die Kamera, McLovin, und sie ist dir bestimmt treuer als ich.
Auch movie plot security kann nicht verhindern, daß ich lebe und irgendwann tot sein werde irgendwann lebendtot sein werde, ein Makrodrama, an das sich deine Kamera dann nicht mal erinnert.
Giancaelo JA! Fuck script continuity!
Hope
Lieber mein Gesicht in Großaufnahme, im Schrei, als dem Lifestyle des
movie plot zu folgen, den mir die Überwachung vorschlägt: glamourös,
cool und mittendrin im Überleben, das wir dann Leben nennen. Ich habe Horror immer so verstanden.
Dylan Dein Gesicht in Großaufnahme. This is a video response to: Mein Kör-
per in Detailaufnahme, Original mit Untertiteln. What happens to your
face when i take it with me? Mein Körper, Original mit Untertiteln.
Giancarlo That is a video response to: Trailer: Codys Tod im trailer park.
Jackie Nachruf auf Cody Cummings. Cody, du bist ein Held, und: Du siehst
gut aus beim Sterben.
Giancarlo Das ist es! Hier, in Grindtown, ist DER Gewaltakt, der Akt, der
selbst Zombies tötet, ein Akt zwischen hier und dir, du Wachmann im
Kontrollzentrum draußen. Wenn du dich selbst siehst, blinkt es, gefühlte Öffentlichkeit. Ein roter Punkt, roter Schuß, Kopfschuß: ein roter Kreis. Zombies, die sich selbst sehen, auf einer Kinoleinwand, und
vor Schreck sterben, wenn sie sich sehen, sich, Glamourzombies, nur
sich, im Dreck von Grindtown, final shot: Wenn du dich selbst siehst.
6
scared to death
FEHLENDE FILMROLLE!
Wir bedauern die Unannehmlichkeiten.
Die Theaterleitung
33
7
always a sequel
Jackie Er ist gestorben. Unser Film ist gestorben. Weil wir fliehen vor dem
Sterben, dem halbherzigen. Und weil der Film schon auf youtube steht,
Bavarian-Cut, recorded by Mobiltelefon. Comment eines Users auf
youtube: Ich mag Zombiefilme, i really do, aber dieser fühlt sich einfach
billig an, auch die Live-Rock-Performance von The Horror The Horror
hilft da nicht, und der Plot hätte funktionieren können in fähigeren
Händen. Der Film ist gestorben, aber niemand bleibt tot in dieser Stadt
der Untoten, diesem Zombiefreistaat, so viel ist sicher. Und du? Du bist
sicher, solange du im Schatten bleibst, im Schatten der Kameras. Kameras als leicht überarbeitete Angestellte, die im Schichtbetrieb die Augen
offen halten, die kein Gesicht haben, aber anderen ins Gesicht starren,
ohne daß die zurückstarren können. Augen schauen mich an [oh i’ve
been looking back]. Wir sind auf dem Weg durch eine Stadt [i’ve been
heading home], in der überall Monitore aufleuchten [i look over my
shoulder], überall Gesichter auf Monitoren aufleuchten [to see your face
again], bevor sie verlöschen, final shot: der Tod der lebenden Toten.
Gewollte Öffentlichkeit. Und während wir auf dem Weg sind, den toten
Cody im Kofferraum, ein Klopfen, klopfklopf, Metall,
Dylan Im Kofferraum! Er ist erwacht!
Jackie und in der selben Mikrosekunde, in der das Klopfen ankommt hinterm
Trommelfell, denke ich, daß die Technisierung der Zombies in diesem
Zombiefilm wie unser Leben funktioniert. Daß ihre Technisierung eine
Frage des Grades ist und der Art und Weise, wie Menschen und Technologien umgehen, miteinander, [it’s in the way i walk and in the way i
talk]. Der Tacho zeigt zweihundert, Hope beschleunigt, während ich,
mit einem kleinen digitalen Spiegel bewaffnet aus dem Fenster klettre
auf das Heck des Caddi [i’m coming out, yes], dem metallischen Klopfen näher, näher, dem Klopfen, den Klopferraum Kofferraum öffne,
den Spiegel hinhalte, hinhalte, den Spiegel hinhalte [nobody asked me
34
to]. Ein Blick, der sich selbst sieht, final shot. Meine linke Hand, die den
Spiegel zurückzieht, hineinblickt, und ich vergaß: die letzte Aufnahme
bleibt drin, in diesem Spiegel, diese Augen, blinkende Augen eines lebenden Toten, rot blinkend [i don’t wanna calm down]. Sofort weiß ich:
Das wars [i’m out of line]. Meine Hand läßt das Heck los [out of touch].
This work takes my life [out of style]. Ich geb ab [i don’t wanna calm
down]. Ihr müßt weitererzählen.
Giancarlo Und ich mach weiter [i’m back in the scene]. Wir steuern auf das
Ende zu [you know just what that means], das Ende dieses Drecks [i’m
coming back to see you here again]. Um uns herum überall Zombies, die
neben uns herexistieren, und wir, im Wagen, den wir konsumieren, indem wir in ihm fahren, in dem wir Treibstoff konsumieren, indem wir
ihn fahren, und damit das Leben anderer irgendwo. Das einzige, was uns
verbindet, ist ein Bild, nein, nicht mal dann wären wir eins. Was uns
verbindet, bewegt sich zwischen einem möglichen Bild und einem unmöglichen. Hört sich ganz schön widersprüchlich an, oder? Aber der
Horrorfilm war immer widersprüchlich, unvollständig und doch aus auf
einen Zwischenraum. Zwischenräume, jenseits von Machtgeographie,
von Videoüberwachung als Raumüberwachung, als Kontrollmodus.
Vorsicht! Eine Suche [permanent] wird gerade in dir installiert! Suche
nach Zwischenraum, so wie zwischen mir und dem Dönerbudenbesitzer. Und schon sind wir auf einem Hubschrauberlandeplatz, dem Landeplatz, der im Script auftaucht, ohne daß der Scriptwriter wußte, daß
der Platz existiert. Was solls? Der Plot war schlauer, hats gewußt. Auch,
daß ich in dem Moment, in dem ich den Hubschrauber starte, doch
noch gefuckt gepackt werde [i haven’t been awake]. Gesichtserkennung
[i haven’t been asleep], auch im Hubschrauber, sogar in 3D, für Piloten
[i’ve been caught, i’ve been stuck right in between].
Hope
Da leuchtet was. Giancarlo, was ist los? Du glänzt auf einmal so, du.
35
Giancarlo Den Glanz sehe ich nur kurz. Auf dem Monitor, zerkratzt, voller
Splitter: mein Gesicht, bei youtube, finally. Veröffentlichte Überwachung. Verinnerlichte Überwachung. Einer von euch muß weitererzählen, weiter. Nach dem Rough Cut kommt der Soft Cut, Freunde! Cut.
Hope
Freiheit, denke ich, als der Hubschrauber startet, als wir Grindtown
unter uns lassen [we’re coming out], du und ich,
Dylan also ich und du, Täubchen, wir, den toten Giancarlo,
Hope
den tot toten, nicht lebend toten Körper,
Dylan neben uns. Freiheit, denke ich, aber mein Kopf wirft dieses Wort ein-
fach diffus in den Raum, ohne daran zu denken, wie gefährlich Räume
sind, wenn sie überwacht werden [i don’t want to calm down].
Hope & Dylan Freiheit,
Hope
heißt das: mit einem Hubschrauber aufsteigen, weg von einer Zombiestadt? Oder heißt das, diesen Begriff noch mehr herunterzubrechen,
aufs Praktische, was genau Freistaat Freiheit für mich heißt, in meinem
Leben, als Substanz, die sich beobachten läßt und mich beobachtet,
Hope & Dylan zwei gleichwertige Beobachter, gemeinsam
Dylan in einem gemeinsamen Raum, zwei, it takes two. Two takes, and we’re
off! Manchmal kurz wissen, was Freiheit sein könnte. Aber nicht,
Hope
was Macht ist. Im 19. Jahrhundert weiß Europa, was Ausbeutung ist,
nein, im 20., mit den Exploitationfilmen. Aber was Macht ist, wissen wir
immer noch nicht [and we don’t want to calm down]. Time to ring Barack Osama?
Dylan Wir wissen ungefähr, wer uns ausbeutet, wohin der Profit geht, wo er
investiert wird und wo nicht, aber die Macht? Wissen nur, daß sie Tag
für Tag, Schritt für Schritt, Filmspule für Filmspule, neu verteilt wird.
36
Hope
Während der Hubschrauber auftsteigt, ist da auf einmal so etwas wie
dieser Raum, vielleicht kommt er erst, vielleicht haben wir von den Kameras wenigstens gelernt,
Hope & Dylan Räume in uns zu haben,
Hope
BEVOR sie existieren. Räume, in denen sich Spannungen und Gegensätze verdichten dürfen, ein dreckiger Abfallplatz, auf dem ich Dinge
finde, die mir zeigen, wie oft im Leben ich gescheitert bin, und daß dieses Scheitern meine Identität sein kann [i’m out of line],
Hope & Dylan momentlang.
Dylan Ein Abfallplatz, auf dem es drauf ankommt, was von mir abfällt, nicht,
was ich mitnehme, in einer Wunde meiner Mundhöhle.
Hope
What happens to this place when i take it with me?
Hope & Dylan Ein Platz, auf dem ich mit anderen zusammen bin und dann
wieder entscheiden kann:
Hope
Ich will allein sein [out of touch]. The right to be let alone, und seien es
nur mal neunzig Minuten. The right to be.
Dylan Lückenhaft. Sollte wieder mal eine Filmspule fehlen, ist der Plot sowieso
Hope
lückenhaft. Sollte eine Filmspule fehlen, ist der Plot sowieso
Dylan lückenhaft. Sollte eine kurze Sequenz doppelt kommen,
Hope
seien Sie nicht irritiert nicht irritiert. Sollte nach zehn Minuten der Film
anders sein und nach zwanzig wieder anders: Das ist Grindtown [out of
style]. Wir haben die Schäden begutachtet, haben Beschädigungen
Dylan für gut befunden, Beschädigungen des Filmmaterials,
Hope
des Hautmaterials,
37
Dylan alles in superhäßlicher Qualität, mit Flecken auf Gesichtern, Lippen,
Fingerspitzen, körnige Sechzehnmilliemeterfotografie, Blow-Up.
Hope
Filmspulen, die durch zu viele Hände und Projektoren gelaufen sind.
Dylan Der Schmuck Schmutz auf der Linse, der alles unübersichtlich macht
und mir erst ermöglicht, dich zu verstehen, uns die Chance gibt: Wenn
Hope
die, die Macht wollen, nur noch Dreck sehen. Wenn
Hope & Dylan wir zusammengehen
Hope
mit den Apparaten. Wenn
Dylan die Apparate, ihre Fehler, ihr Eigenleben mir mein Leben nicht fremd-
machen, sondern noch fremder, so fremd, daß ich endlich wieder merke: Ja, DAS bin ich, Kratzer, Sprünge, Flackern bin ich, ein Bild, ja, aber
lebend, tot und lebend, ein Bild, dessen permanente Wiederbelebung einiges ersetzt: movie plot security, script continuity, history, aber auch
die Wiederholung im Fernsehen um 0.15 Uhr. Untote: Was zum Teufel
sind sie? Sie sind wir, mehr nicht. Oder,
Hope
O-Ton Wolfgang Schäuble: Die Grenzen zwischen äußerer und innerer
Sicherheit bestehen nicht mehr. i only remember my own skin,
Dylan when i am touched. Mikrodramen der Überwachung, an die sich der
Hope
Körper oft gar nicht erinnert. Er hat sich von Privatem freigemacht.
Dylan You have zero privacy. Sichtbarer Ausnahmezustand, just a recording
Hope
of a body. First it takes two, then it is Take Two. Wenn dieser Film
Dylan im Weißen Haus gezeigt würde oder in der Staatskanzlei, würde ihn
niemand verstehen, my_so-called_life.mov. Life is film with the dull plot
cut out. Siehe: Trailer, bester Teil des Kinoabends. Trailer, besser als die
38
Filme. Trailer lügen. Auch der Trailer zu diesem Film, der behauptet:
Nie hat ein Film so gekrüppelt, geshockt, genervet. Erstmals unbeschnitten! Der Text für die Synchronisation des Films wurde, wie hier
im Trailer, mit Babel Fish übersetzt. Kannst du sagen, was fehlerhaft ist
und was nicht? Kannst du uns auseinanderhalten im Dunkeln, Täubchen? Kannst du sagen, ob ich der Trailer bin oder der Film?
Kurze Anmerkung des Vertriebs:
Alle in diesem Film gezeigten Ereignisse entsprechen der
Wahrheit. Jegliche Ähnlichkeit zu realen Personen, Orten und
Geschichten sind reiner Zufall.
39
40
PREVUES OF COMING ATTRACTIONS!
TEENAGE TWIN TERRORS
The following preview has been approved by all audiences by the
Motion Picture Association of Bavaria. R [Restricted]. Under 18 requires accompanying parent or adult guardian.
#2
Kommt ihr nachher auch ins Juvenile Jungle?
#4
Also, für mich lieber schmutziger Electro als theoretische Tanzmusik.
#3
Wer will Hip Hop tanzen? Wer will Electro tanzen? Bitte Hand hoch!
70s-Trailer-Guy Teenager sein, das bedeutete früher: Man drückte sich die
Pickel aus und sah so aus wie Peter Kraus. Das waren die Fünfziger.
#4
Rock’n’Roll, Alter!
70s-Trailer-Guy Aber dies ist nicht der amerikanische Teeniefilm der Fünfzi-
ger, Sechziger oder Siebziger.
#3
Who killed Jimmy Dean?
70s-Trailer-Guy Nicht der amerikanische Trickfilm der Achtziger.
#2
Who framed Roger Rabbit?
70s-Trailer-Guy Und auch nicht die amerikanische Provinz der Neunziger.
#1
Who raped Laura Palmer?
70s-Trailer-Guy Nach: Class Of 1984 und: I Was A Teenage Stalker jetzt ein
neuer Klassiker, der uns die Augen über die Jugend dieser Tage öffnet!
They talk, fight and love just one way: DIRTY!
#3
Meine Kamera hat einfach KEINEN Körper, also liebt sie nicht.
#4
Komm schon. My new d**k is so thick and long it’s in a different area
code!
41
70s-Trailer-Guy Teenager träumen. Träumen. Bis zu einem Traum, dessen
Ausmaß keiner von ihnen ahnt. Etwas, das verleugnet wurde, kehrt zurück!
#2
Was ist los? Du siehst aus, als hättest du Freddy Krueger gesehen.
#1
Diese Träume, die ich zur Zeit habe. Diese Träume, die. Die.
70s-Trailer-Guy Teenager, die langsam verstehen, was Terror ist.
#3
In Deutschland gibt es jetzt Ultraschallboxes. Die erzeugen ein unangenehm hohes Signal, das Menschen unter fünfundzwanzig davon abhalten soll, auf öffentlichen Plätzen herumzulungern.
#4
Sie sollen das Weite suchen, damit sie das Naheliegende nicht spüren,
nämlich ihr eigenes Leben, wie es um sie herum geschieht, jeden Tag.
70s-Trailer-Guy Und während der öffentliche Raum kleiner wird, wird etwas
in dir größer!
#1
Diese Träume sind Terror, verstehst du? Kein normaler Terror. Kein
Terror als Terror gegen Terror.
#2
Was? Ich habe Terror nie anders verstanden.
#1
Da ist jemand in mir. Mein Zwilling.
#2
Dein. Dein Zwilling?
#1
Wir waren zusammen, im Mutterleib. Seine Organe: fehlangelegt.
#4
[i was caught up in this new side]
#1
Sie haben seine Nabelschnur verschlossen, um mich zu retten.
#4
[i walked right into this suicide]
#1
Sie wollten ihn töten.
#4
[caught up in this suicide]
#1
Aber er ist nicht tot, nein! Nein.
42
70s-Trailer-Guy Wenn du selbst nicht verstehst, warum du weiterlebst, schlägt
der Terror zu, der Terror der Territorialisierung, gnadenlos!
#3
Hörst du überall Ultraschalltöne, oder was?
70s-Trailer-Guy Aus der Tiefe steigt das Entsetzen auf. Aus der Teenagetiefe.
#1
Alles zu spät. ER will jetzt leben.
70s-Trailer-Guy Schauen Sie ihrem Schatz in die Augen und ergreifen Sie die
Kupplung, wenn die Achtziger, Neunziger und Nuller zusammenkommen im ersten Teenagerfilm, der ab einundzwanzig läuft.
#2
Eine Videokassettenhülle in Herzform?
#1
Da ist alles drauf. Mein ganzes Leben. Ich wünschte, ich könnte diesen
Film lieben. Aber es geht nicht!
70s-Trailer-Guy Teenage Twin Terrors. Mit neunzehn lernst du das Leben
kennen. Oder das Sterben.
#1
Du wachst aus dem Traum auf, schlägst die Augen auf, du stehst auf
und du weißt: Du willst dich nicht wiederholen.
70s-Trailer-Guy Mit Bavaria’s neuesten Teenagestars!
#4
Kleiner Tip: Wenn deine Nerven blinken, wechsle den Akku!
70s-Trailer-Guy In psychedelic color. Coming soon!
GLAMOURWOLF
Erzähler Wenn ein Junge dich filmt um dein Blut aufzunehmen.
Boy 1
Das rote Rinnsal da, an der Wand der Küche.
Erzähler Wenn ein Junge dir am Telefon DEINE Träume verrät.
Boy 2 [Zähne gefletscht] Ich werde dich in Unordnung bringen, Haar für Haar.
Erzähler Wenn du merkst, daß du gefangen bist, in Schleifen Schleifen,
Girl
Endlosschleifen.
43
Boy 1
Klack klack klack,
Boy 2
eine Treppe,
Boy 1
klack klack,
Boy 2
zwei Treppen drei
Boy 1
klack.
Boy 2
Vier Kratzer im Holz, und wenn du zu spät kommst:
Boy 1
Klack, klack klack.
Boy 2
POW!
Erzähler Drehende Spiegelkugel über explodierender Tanzfläche, zwei Jungen
die laufen, jeder den Spuren des anderen folgend, zwei Münder die Blut
verlieren, dazu:
Girl
Wer lebt wann wie weiter? Waren die Neunziger nur die Wiederkehr der
Siebziger? Und: Wo verläuft die letzte deadline?
Erzähler Was fehlt: die ersten Akkorde der Toccata und Fuge d-Moll, stattdes-
sen: eine E-Gitarre, die ein Wolfsheulen imitiert.
Boy 2
Wölfe schauen den Mond an. Wölfe schauen die Träumenden an. Wölfe
schauen die Träume aufmerksam an,
Boy 1
aber niemand sonst schaut dorthin.
Girl
Und selbst dieser Film kann nicht zeigbar machen was unzeigbar ist.
Boy 2
Klick, klick klick, das Geräusch eines Diaprojektors,
Boy 1
wo keine Dias mehr sind.
Erzähler Wenn dieser Film deine Haut nicht zusammenzieht, liegt sie zu fest
an!
Girl
Give me my fucking skin back!
Boy 1
Beim Anblick des Bildes vom Wolf kommt der Wolf.
Erzähler Schau ihn mit jemandem, den du haßt!
44
Boy 1
Auf dem Herzmonitor: ein pochendes Herz. Komm nicht zu spät!
Boy 2
Mach kein Geräusch!
Girl
Geh nicht ins Licht!
Erzähler Glamourwolf. Coming to a theatre near you! Very near you.
Boy 2
there is always a sequel.
Boy 1
Klick klick. Ende.
PANIKKLICK!
FANTÔMAS GEGEN LENI RIEFENSTAHL
Fantômas Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich freue mich, Ihnen
mitteilen zu können, daß Sie nun Ihre eigene Hinrichtung sehen können, denn Ihr Gesicht zeigt nach oben, in dieser Guillotine.
Voice Over Fabuleux! Formidable! Fantômas!
Fandor Was sagen Sie, Kommissar? Die Fingerabdrucksensoren wurden mit
Hilfe einfacher Attrappen getäuscht?
Kommissar Juve Mon dieu, das kann nicht sein. Jetzt ist es vorbei mit ge-
fühlter Öffentlichkeit. ER ist zurück.
Voice Over Fantômas: un homme pas comme les autres.
Hélène / Leni Er dreht einen Film und macht uns zu seinen Schauspielern!
Voice Over Auf die Jagd gehen: Kommissar Juve:
Kommissar Juve Aber Sie bewegen beim Sprechen die Lippen ja gar nicht!
Voice Over Journalist Fandor:
Fandor Augenmaß, Smartsensor, Vorratsdatenspeicherung!
Voice Over Und eine geheimnisvolle Unbekannte, die den Deutschen aber ir-
gendwie doch bekannt vorkommt:
Leni
Wenn ich mit Fantômas fertig bin, wird ihn keine Tiefseekamera finden.
45
Voice Over Wie verbindet man Identitäten und die dazugehörigen Rechte mit
den physischen Personen, die der Identität entsprechen?
Fandor Wochen später legen manche Menschen ihren Finger ein wenig anders
auf den Sensor als beim Erstkontakt.
Voice Over Wie verbindet man Identitäten und Rechte mit den physischen Per-
sonen, die der Identität nicht entsprechen?
Fandor Oder nehmen den falschen Finger, das falsche Auge.
Voice Over Wie verbindet man Identitäten und Rechte mit Personen, die der
Identität widersprechen?
Kommissar Juve Quel horreur! Quel horreur!! Wir werden bestimmt nicht auf
Biometrie verzichten!
Hélène / Leni Und das, obwohl in Deutschland etwa elf Prozent der erwachse-
nen Menschen Krankheitsbilder an den Fingerkuppen haben?
Fandor Ausbeutung der Finger, wenn die Person körperliche Arbeit verrichtet,
die zu Abnutzung der Fingerkuppen führt.
Fantômas Die Attacke des Gummifingers wird auch Sie treffen, Monsieur
Schäuble, wenn Sie mit Ihren Paßvorschriften fertig sind.
Fandor Gelatinefinger! Ein täuschend echtes Gelatinerelief aus Fingerabdrü-
cken, wie wir sie alle täglich an glatten Oberflächen hinterlassen.
Bertrand Stülpen Sie sich den Gelatine-Abdruck mal über, Fandor! Und wenn
Sie drin sind, essen Sie ihn einfach auf.
Hélène / Leni Gegen Fantômas hilft nur noch die Iriserkennung.
Kommissar Juve Das dachten wir! Aber er hat ein kleines Loch in eine Foto-
grafie von MIR geschnitten und die vor seine Pupille gehalten, und die
Kamera? Akzeptiert die Fotografie als echte Iris!
Hélène / Leni Die Authenticam von Panasonic?
Kommissar Juve Fantômas, Messieurs, c’est moi.
46
Bertrand Non, moi!
Fandor Moi! Moi! Identitätsdiebstahl! Schauen Sie meine verdammten Iriden an!
Fantômas Die Technologien der Vorratsdatenspeicherung sind nur eine Kopie
von meinem verbrecherischen Geist. Aber das is gut so. Wenn es keine
Raubkopien von dir gibt, bist du nicht berühmt.
Kommissar Juve Es gibt nur einen Menschen, der diesem Terroristen das
Handwerk legen kann.
Bertrand Wer? Edmund Stoiber?
Kommissar Juve Nein, ICH natürlich!
Fandor Nur eine Frau legt diesem Terror das Handwerk.
Kommissar Juve Eine Frau!?
Bertrand Brigitte Zypries?
Fandor Nein, meine Verlobte Hélène. Sie ist Fotografin.
Kommissar Juve Na und? Das ist meine Kamera auch.
Fandor Und sie ist Filmerin. Nur ihre Filme kommen gegen Fantômas an.
Kommissar Juve Hören Sie auf mit dem Datenschutz, Fandor. Wer ist sie?
Voice Over Es gibt nur eine Frau, die diesen Topterroristen in Terror stürzt.
Fantômas Ich werde ihr einen Fluch anhängen. Attachment: Fluch.
Voice Over Une femme pas comme les autres. Fantômas gegen:
Kommissar Juve LENI RIEFENSTAHL! Ich fall in Ohnmacht!
Voice Over Die Fortsetzung, auf die Sie vier Jahrzehnte warten: Panickklick!
Fantômas gegen Leni Riefenstahl. Un film pas comme les autres.
Kommissar Juve Wenn ich gewußt hätte, daß ich nur halb in Ohnmacht falle,
wär ich ganz in Ohnmacht gefallen.
47
48
OUR FEATURE PRESENTATION /
WIR PRÄSENTIEREN DEN HAUPTFILM
For your information: The following film is restricted.
No admittance to persons over 18!
1
who am i to resist that smile
Mancher Film folgt dir aus dem Kino ins Leben. Du wirst dich umschauen und
ihn übersehen, wirst dich nochmal umschauen, nochmal, wirst dich erschrecken,
es checken und beginnen, zu laufen, aber bevor du dich zum ersten Mal umschaust: Überleg dir, ob du diese Geschichte willst. Wer Geschichten liebt, muß
schnell genug sein, um ihnen am Schluß zu entkommen. Wer sich in eine Geschiche begibt, muß sie weitererzählen. Wer sich in sie hineinbegibt, kommt nicht
drum herum: um Überblick, survey, und deshalb, jetzt: Panorama einer Stadt.
Einer uns leicht vertrauten Stadt. Eine Stadt, die niemals abbrennen wird, nein,
bitte, heute nicht! Die leicht entflammbare Nitrozellulose, die immer wieder zu
verheerenden Kinobränden führt, als Nitrofilm, die ist Anfang der Fünfziger
verschwunden, zusammen mit dem Zelluloidbild und den alten Filmpalästen.
Ersetzt durch eine Stadt, die aus Sicherheitsfilm besteht, und Sicherheitsfilm, non
flam, safety film kann nur verschmoren, nicht brennen. Sicherheitsfilm: vor allem
in den hundertdreißig Kameras, die neu sind in dieser Stadt, an einem Ort, der
bisher für diejenigen gemacht war, die sehen wollten, aber nicht gesehen werden.
Devil Dirt, eines der größten Grindhouses im Freistaat, das den Schmutz schon
im Namen trägt, um diesem Namen alle Ehre zu machen: Im Kinosaal, mit seinem Samtvorhang [verstaubt], seinen Polstern [aufgerauht], seinen Lautsprechern
[überlaut] filmen ununterbrochen Kameras Zuschauer, sichtbar auf einem Monitor im Foyer. Der Kinobetreiber sagt in einem Interview auf City Eye TV, eine
Ü-Kamera in der Hand: Verdächtige Szenen werden als Beweismaterial gespeichert, zur Sicherheit unserer Besucher. Im Sucher: Verbrecher, die sich im Kinosaal verstecken, um dort Verbrechen zu verüben. Diebstahl, Vandalismus, Sex
[vorehelich und/oder gleichgeschlechtlich]. Das gesamte Filmmaterial wird gespeichert, für 532 32 31 Tage, so daß in den Katakomben unterhalb des Kinos
49
inzwischen mehr Filme lagern, in denen Kameras das Leben vor der Leinwand
filmen, als Filme, die auf der Leinwand leben. Eine Menge billigster, explosiver
exploitativer Filme mit Mikrobudget, die jeden kleinsten Annäherungsversuch
eines Teenagers an einen anderen Teenager zeigen in immer noch größeren
Großaufnahmen, von Privatem freigemacht. Aber die Geschichten, die man dabei mitbekommt, sage ich euch, die Geschichten!, sagt einer der Filmvorführer,
der während des Films seinen Platz im Vorführraum austauscht gegen den Platz
im Foyer, wo er auf dem Monitor Geschichten mitbekommt. Geschichten, die er
gern weitererzählt an Freunde oder weitererzählt, wenn sie nicht zuende sind, als
der Film im Saal zuende ist. Geschichten, die weiterlaufen, auch wenn sie eigentlich zuende sind, die laufen, laufen, ein schreiendes Mädchen im Slasherfilm,
wenn der Slasher hinter ihr ist, vor ihr ist, neben ihr, und dann merken: Es ist nur
der eigene boyfriend, neben ihr, im Kinosessel, im slasher film / bodycount film
/ dead teenager movie: Wer sich solche Geschichten nimmt, muß sie weitererzählen, muß weiterzählen: Filmformat acht nein sechzehn Millimeter, vierundzwanzig Bilder, neunzig Minuten. Das ist es doch, sagt der Filmvorführer, lachend, weiße Zähne, rote Mundhöhle, unser Leben ist genau das: sechzehn bis
vierundzwanzig mal Häßlichkeit und Horror pro Sekunde. Dabei sehen die Teeniehelden in Slasherfilmen immer so gut aus, so photogen, entsprechend der
Mode der jeweiligen Zeit. Kann ich die Teeniehelden der Achtziger wegen ihrer
Mode weniger ernstnehmen? Den Teeniehelden der Neunziger wegen ihrer
Mode mein Herz geben? Die Teeniehelden der Nuller, sagt der Filmvorführer,
kann ich euch eben vorstellen, dann wißt ihr, mit wessen Schreien und Lärmen
und Gedärmen ihr es zu tun habt, und dabei dürfte klar sein: Als Figuren im
Slasherfilm sind sie nur aus einem Grund da. Um für eure Unterhaltung brutal
geschlachtet zu werden, und natürlich. Natürlich kann nur ein großes Filmstudio
wie die Bavaria davonkommen mit so expliziten Mordsequenzen. Aber auch damit, daß gerade diese Sequenzen den Teenagern das Gefühl geben: Hier kann ich
sein, was ich bin, was ich, was ich bin: Mädchen oder Junge, Mädchen ODER
Junge, Mädchen, Junge, in jedem Fall ist im Kino ein verdammt guter Platz, um
herumzufummeln, zumindest heterosexuell. Nicht jeder weiß vom Monitor im
50
Foyer, auf dem automatisch gefummelt wird, wenn IHR im Saal fummelt. Ihr
Teenieslasherheldinnenschrägstrichhelden, in einem Slasher, der ausnahmsweise
nicht in den Vororten oder den Hinterwäldern spielt, sondern in Downtwon,
Grindtown Downtown, im Devil Dirt. Und ihr verbringt gern den Sonntag im
Devil Dirt, ihr. Lynn, die Schönheit der Clique. Lynns boy friend Gil. Susan, die
Hobbyfotografin. Jacques und Mick, die unzertrennlichen Zwei. Und Judith, die
Belesene, die feministische Theorie genau so mag wie Horrorfilme. Six beautiful
teenagers trying to get ahead, when the curtain falls, five will be dead. Es ist
Sonntag, 17.32 Uhr, in achtundzwanzig Minuten fängt der Film an, fangen die
Trailer an, fängt die Werbung. First Shot: Lynn und Gil, Händchen haltend oder
vielleicht schon mehr, an der Kinokasse, Sonntag, Devil Dirt. Lynns Blick auf
den Monitor hinter der Kasse im Foyer, auf dem Monitor: ein Teenagepärchen,
küssend, unwissend, wer sie wo sehen kann. Lynn zeigt auf den Monitor, zieht
Gil an sich heran, Lynn sagt: Allein sein ist keine Lösung! Lynn küßt Gil, ihre
Zunge dringt zwischen seine Lippen, Stop der Bewegung, als Susan, Nick,
Jacques und Judith ins Bild kommen, Kinokarten in den Händen. Sechsundzwanzig Minuten bis zum Film, siebendunddreißigtausendvierhundertvierzig Filmbilder also, um Popcorn zu kaufen, Polaroids zu machen, über Party und Popmußik
zu sprechen, zum Beispiel den neue Mariah Carey-Song, um den Pferdeschwanz
zu ordnen. Judith, mit Strickjacke, Pferdeschwanz und hellbrauner Hornbrille, in
jedem Highschoolfilm der Sechziger wäre sie als weiblicher Nerd besetzt worden,
aber: zu spät, zu spät geboren. Judith blickt in den Spiegel, richtet die Brille,
richtet die Haare in ihre Form, richtet das ganze Gesicht auf den Film ein, dessen
Vorspann in wenigen Minuten beginnt, wenigstens die Vorfreude auf den Vorspann. Judith kennt sich aus mit solchen Filmen, Judith kennt das Original, kennt
Friday The 13th, nicht nur den ersten Teil, sondern alle, Judith will genau prüfen,
was im Remake anders ist als 1980, über zehn Jahre vor ihrer Geburt. Judith
stutzt, Judith stellt die Härchen im Innenohr auf, Judith sieht nichts, aber sie
weiß: Da ist etwas. Sie schaut sich um, könnten hier irgendwo Kameras? Der
Monitor im Foyer, für alle sichtbar, auch für Judith. Kameras, die ein ganz anderes Publikum anziehen könnten als sie, zeigefreudig, darauf aus, ein eigenes
51
CCTV-Filmchen zu drehen, ohne große Produktionskosten, sichtbar im Foyer
des Devil Dirt, nicht bei youtube. Nichts für Menschen, die es lieben, im Dunkeln zu verschwinden, im Schatten zu sein, wie Judith. Judith weiß: zwei Jahre
Gefängnis für heimliches Filmen auf Toiletten, in Umkleidekabinen oder in
Mundhöhlen, und sie vertraut trotz dirt and grind auf die Ehrlichkeit des Devil
Dirt. Dennoch: Das Gefühl, jemand anderes ist im Raum, jemand ist präsent,
und dieser Jemand ist nicht dein Körper. Sie weiß es nicht. Sie spürt etwas, aber
sie weiß nicht. Aber sie wird schon beobachtet, schon an der Kinokasse, beim
Blick auf den Monitor, wird sie beobachtet, und jetzt hier. Judith schaut ihr Gesicht im Spiegel an, ja, jetzt ist es vorbereitet auf den Slasherfilm. Und: los! " "
# Noch vor dem ersten Opfer, noch lang vor dem ersten Opfer beginnt die
zärtliche Annäherung zweier Teenager, zärtlich, Zucker, dann nicht mehr nur
zärtlich, Zucker, auch klebrig, klebrig, auch schmutzig, auch leicht schmutzig.
Lynn und Gil, aus Judiths Augenwinkeln beobachtet. Judith, aus Lynns Augenwinkeln beobachtet, während des Küssens. Gefühle, in Lynn, die sie noch nicht
kannte, ein gutes Gefühl, das Gefühl, gern gesehen zu werden, von den Augen in
Judiths Augenwinkeln, und dann: ein noch besseres Gefühl, das Gefühl, noch
mehr gesehen zu werden, näher gesehen zu werden, auf dem Monitor an der Kinokasse. Lynn legt richtig los. Lynn legt noch eins drauf. Lynn legt ihren Teeniekörper halb über den Teeniekörper von Gil. Gil sagt: Ich sehe gar nichts mehr
vom Film, Lynn. Lynn sagt: Der Film sieht auch nichts mehr von dir, Gil. Und
Gil: Wenn DU im Bild bist, sind wir nur der Rahmen. " # Lynn, in der Girltoilette des Devil Dirt, vor dem Spiegel. Kurzer Blick, kurzer Check, kurz bevor
Gil die Girltoilette betritt, betreten soll. Es muß ja nicht alles auf dem Monitor zu
sehen sein, denkt Lynn. Lynn betritt eine der Kabinen, lehnt die Tür nur an,
wartet. Wartet. Und dann, auf einmal, ohne Vorwarnung, und sei es nur durch
ein Geräusch: Das Gefühl, jemand anderes ist im Raum, jemand, nicht unbedingt
ein Mensch. Jemand, der sie beobachtet, ist präsent, doch selbst wenn man die
Präsenz des Beobachters entdeckt, bleibt unklar, wie weit die Präsenz reicht.
Lynns Blick, wie er ins Leere geht, nein, nicht ins Leere, da ist ja jemand. Jemand
ist da und nimmt ein Bild von dir. Von wem wird dein Bild bearbeitet? Welche
52
Informationen gibt das Bild? Welche Praktiken stecken hinter dem Versuch, dich
in einen Bildraum zu stellen dich in einem Bildraum zu stellen, ja stellen! Nachstellen, denkt Lynn, nachstellen! VORSICHT! EIN BEOBACHTER WIRD
GERADE INSTALLIERT IN DIR! Nachsteller, sagt Brigitte Zypries im Bundesjustizministerium, Nachsteller, englisch: Stalker, verfolgen wiederholt eine
Person, wiederholt! Wiederholbare Bewegung: das Kino. Gerade nähert sich Jason Vorhees in Gestalt seiner Mutter dem ersten Opfer, während Gil sich an den
anderen vorbeidrückt, um ins Freie zu kommen, die körperliche Freiheit, ohne
Kameras, auch vor der Ehe. Als er durch den Vorhang ins Freie kommt, kann
das erste Opfer nicht mehr entkommen, das kenne ich, dieses Gefühl kenne ich
gut, unheimlich gut, denkt Lynn, das Gefühl, nicht im Dunkeln verschwinden zu
wollen, zu können. Jemand stellt dir nach, Lynn, jemand stellt deinem Leben
nach, aber niemand zu sehen, whose boots are made for stalking?, hallo, hallo?!
Lynn
Ist da jemand? Ist da. Ist da niemand? Gil, bist dus? Von hier, von hier
innen, kann ich nichts sehen. Augen schauen mich an, und ich weiß
nicht, von wo. Nicht genug, daß wir Friday The 13th schauen, es ist
auch noch Vollmond. Moment, ganz kurz, Moment. Irgendjemand wird
hier an irgendetwas erinnert, und ich fürchte, das bin ich.
Das denkt Lynn, kurz bevor, das denkst du, erstes Opfer im Friday-Remake,
denkst du kurz vor, und bevor der Satz zuende ist, wirfst du noch ein: Fuck! ein,
überrascht von jenem Bild, das du lang schon in dir trägst. Wenn du im Bild bist,
sind alle anderen der Rahmen, Rahmen für deine Schönheit. Wenn du im Bild
küßt, küssen alle nur dich, dich. Wenn du aus dem Bild bist, hörst du dich schreien. Aus dem Kino, durch die Wand, die Musik: schnelle, kurze Töne, kurze,
schnelle, kurz, schnell, dann: die Töne runter, du siehst gut aus, schnell, Hauptsache, du siehst gut aus, kurz, schnell, Hauptsache, du siehst gut aus beim Sterben,
schnell, kurz schnell, dann andere Klänge, nebeneinander, aufeinander, von ganz
dunkel bis ganz hell, dunkel, hell, im Dunkeln, hell, nicht im Dunkeln, dunkel,
nicht im Dunkeln hell, nicht dort verschwinden, dunkel hell, dunkel schnell, hell
dunkel hell. Der oberste Ton ist dann schon drin, dann schon, dann schon drin,
53
in der Frequenz, in der Schreifrequenz, in dem Schrei, den Schreien. Zwei
Schreie, vom ersten Opfer von Jason und dem ersten Opfer in diesem Film hier,
produced in Grindtown, und auch bei Teenagern gibt es keine Ausnahme, auch
hier gerät der Körper in einen verwalteten Zustand, von Technik verwaltet, und
damit in den Splatterprozess, oh yes, there will be blood. Blut in Rot, über die
ganze Leinwand, wie zuerst 1957 in The Curse of Frankenstein. Was die Filmzeitschrift Schnitt später sicher sehr schön findet: Daß dieser Schrei wieder in
Nebenschreie übergeht. Kurze Unterbrechung: Als prototypisches Opfer in einem Slasher schaut Stella Solar als Lynn ins Off [Publicity Still aus: Feuer in mir],
Foto mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Akademie der Schönen
Künste, alle Rechte geschützt, so was von geschützt. Weiter im Film: fünf Teenager, blaß, Gesichter in die Kamera, Schweißtropfen auf Gils Stirn [in seinem
Kopf seine eigenen Worte: Lynn, bist du hier, irgendwo hier im Blut?], Jacques
und Mick, die Augen zueinander, Susans Wimpern, an den Spitzen heller als eine
Stunde zuvor, und Judith, die genau weiß, daß die Kamera sie und ihre Freunde
und den Raum um sie in diesem Moment reduziert, von dreidimensional auf Flächen. Speicherbare Flächen, die, wer auch immer Lynn auf dem Gewissen hat,
wieder finden kann, zum Beispiel mit dem Gesichtserkennungssystem der Firma
Cognitec Systems GmbH, Dresden oder dem Programm Phantomas, entwickelt
im Biometrielabor der Ruhr-Uni Bochum. Zwei Gesichter, denkt Lynn, es sind
zwei Gesichter, die dieser Slasher hat, ein sichtbares und ein unsichtbares. Er
starrt uns an, aus dem Dunkeln heraus starrt er, und wir können nicht zurückstarren. Selbst wenn wir die Dauer dieses einseitigen Blickkontakts reduzieren, bleibt
er da. Aber dieser Slasher ist anders als die Slasher der Achtziger, die für ihre dirty
deeds nur eine schicke Maske brauchten und einen Eisenwarenladen um die Ecke. Er wird wiederkommen, sagt Judith, während die Kamera von den Gesichtern der fünf Teenager wegfährt, um das Foyer des Kinos mit aufzunehmen, um
das Foyer mitzuproduzieren, als Territorium. Denn an der Wand des Foyers,
über der Kinokasse, über einem flimmernden Monitor, eine Warnung, mit Blut
geschrieben: Grindtown ist meine Stadt! Aber welcher Slasher produziert dieses
Territorium? Können die Teenager die Stadt als Territorium umgehen? Oder
54
wird es ihnen gelingen, Territorium als Raum zu verstehen, der selbst produziert,
zum Beispiel die scream queen? Nur wer ist die scream queen hier?
2
come with me
Willkommen bei City Eye TV. Heute mit einer Frau, die leiden mußte, nicht einmal, nicht zweimal, sondern immer wieder, und das über drei Jahrzehnte: Jamie
Lee Curtis, 1978 bekannt geworden als teenage scream queen Laurie Strode im
Slasherklassiker Halloween. Später dann als screen queen in weiteren Slashern:
Prom Night oder Terror Train: Zum Aussteigen zu spät. Heute, bei uns, wird sie
ein weiteres Mal zum final girl werden und ihre Gallerie der schreienden Heldinnen erweitern. Damit gebe ich ab an Jamie, mit: Schrei nicht zu viel!
Jamie Lee Curtis Das mit dem Schreien ist nicht so einfach. Nicht so nah an
der Realität, ich meine. In der Realität siehst du, bevor du hörst, und in
Reality hörst du, bevor du siehst. Dreißig Meter pro Sekunde, das ist der
Schall. In der Realität siehst du und erschrickst sofort, noch bevor du
hörst. Du erschrickst musikalisch, bevor du verstehst, warum. Erschrecken und Schreien, musikalische Session. " # Inzwischen ist mir das
zu viel. Wirklich. Sechsundneunzig Minuten screaming session, zu viel
für mich, für jede Schauspielerin und jedes Publikum. Obwohl man das
Publikum meist nicht sieht. Von innen, in der Leinwand, siehst du
nichts. Du wirst angesehen. Und wenn du Glück hast, informieren die
Blicke des Publikums die Leinwand neu, informieren deinen Körper
neu, so daß der Körper wieder das Publikum informieren kann, darüber:
Hier erschrickt jemand musikalisch. Wenn du diese Musik hörst, sei sicher: Du bist längst im Slasherfilm. Wie das final girl überlebt auch der
Slasherfilm die Achtziger und kommt immer wieder, wieder, always a
sequel. Wie das final girl. Wie ich. Nur 2002, ohne Vorwarnung, in Halloween: Resurrection, sterbe ich. Und auf einmal liege ich im Schneideraum, on the floor, wearing gore, starre vor mich hin, not much more.
Nach dem soft cut kommt der final cut. " " # Bleibt im Schatten!
55
Ihr seid sicher, so lange er euer Gesicht nicht sieht, nicht den Horror.
Solange könnt ihr euch sagen: Es ist nur ein Film. Oder? Nur ein Film.
Wenn ihr kurz vor der Ohnmacht seid, sagt euch immer wieder: Es ist
nur ein Film! Es ist nur ein Film! Es ist nur.
3
just feel what you feel
Der Tod einer Teenageschönheit, aufgezeichnet auf Video, aus Sicherheitsgründen. Der Warnung folgen, der Warnung an der Wand, wenn ihr der Warnung
nicht folgt, wird der Slasher euch folgen, und dann war der Mutverlust Blutverlust des ersten Opfers umsonst. Raus aus dem Kino, raus aus Devil Dirt und nie
wieder zurück in dieses Drecksloch. Denken fünf Teenager. Denken sie. Denken
und kommen raus in eine Stadt, in der sie auch nur Kameras sehen, Dreck, wohin
sie schauen: technologischer Dreck. Ich will diesen ganzen Dreck nicht mehr! Ich
will raus aus diesem, will diese verdammte Stadt nicht mehr, will diesen Körper
nicht länger mit mir, will den Scriptwriter in mir endlich. Aber das mußt du
wahrnehmen, die Verschmutzung der Wahrnehmung mußt du wahrnehmen.
Nehmen Kameras in Durchgangsräumen, in Parkhäusern zum Beispiel, anders
wahr als in Aufenthaltsräumen, zum Beispiel Kinos? Nehmen private Kameras
dreckiger wahr als öffentliche? Nehmen dreckige Kameras besser wahr als cleane? Grindtown ist meine Stadt. Grindtown ist deine Stadt. Grindtown ist keine
Stadt, nur eine Ansammlung gefilmter Räume. Und da in jedem Augenblick gefilmt wird, bildet die Stadt sich immer neu. Jeden Tag neu produziert: Grindtown.
Das denkt Judith, und: Durch die Art und Weise, wie gefilmt wird mit meinen
Augen, entsteht das Territorium, das wir Grindtown nennen, immer wieder neu.
Jacques Und auch das Territorium deines Körpers, Judith. Was ist mit seiner
Materialität? Er ist doch materieller als Videos von Mariah Carey.
Mick
Mariahs neuesVideo, das jemand auf youtube für uns geöffnet hat. Alles
bis auf Mariah selbst: durch Grün ersetzt, durch green screen.
56
Jacques Das, auf youtube gestellt, heißt: Du kannst Mariah jeden Hintergrund
geben, den du willst.
Mick
So funktioniert das mit dem Körper als Territorium.
Aber von diesem materiellen Territorium weiß Judith nichts oder zumindest nicht
viel, eher theoretisch als praktisch. Das Gefühl, irgendjemand könnte in deiner
Nähe sein, könnte deine Nähe suchen, um dir irgendetwas zu geben oder zu
nehmen. Was fühlt der, der mich ansieht? Was will er von mir? Wie gut glaubt er,
mich zu kennen, so gut wie sich selbst? Identität, soziale, sexuelle, als Abdrücke
der Blicke anderer in dem, der angeblickt wird. Daß sie angeblickt wird als weiblicher Körper und dadurch weiblicher Körper ist, ist Judith von Geburt an klar.
Daß jemand, der bestimmte Absichten mit ihrem Oberkörper oder Unterkörper
oder mit dieser Straße da verbindet, sich also ihren Unterkörper oder diese Straße
angeeignet hat, die Überwachung des Unterkörpers oder der Straße anders wahrnimmt, als eine Person, die dem gleichgültig gegenüber steht, ist klar, so klar und
clean wie der Cut, mit dem der Tod dich tötet, im Slasherfilm und in seinen
Räumen. Räume wie Shopping Malls, Parks oder Kinosäle als persönliche Räume.
Körperteile wie Augen, Wimpern oder Bauchnabel als sehr persönliche Räume.
Der Raum zwischen Jacques und Mick als persönlichster Raum, unzertrennlicher
Zwischenraum zwischen den untertrennlichen Zweien. Jacques und Mick warten,
seit Monaten nein Jahren, warten auf einen günstigen Moment. Jacques und Mick
warten, bis sie verstanden haben, wie ihre Körper funktionieren, nicht: warum,
sondern: wie, ob sie wie Territorien in Grindtown funktionieren. Die Territorialität ihrer Körper: ein komplexes Netzwerk von Beziehungen, die du zu deiner
Umgebung hast, Jacques, und du, Mick, komplex und kompliziert. Vor allem bei
einem Teenagekörper. Vor allem bei Teenagekörpern, die einen Zwischenraum
formen wollen, einen nicht überwachten, einen, indem ich nicht fragen muß: Sind
XXX-Szenen schädlich für meine Karriere? Einen Zwischenraum, der, der der,
der, ach ich weiß auch nicht, einen, in dem ich einfach sagen kann: i wanna feel
what your insides feel like. Teenagekörper, so prädestiniert als Drehorte, weil
57
schon alles da ist: die traditionellen sexuellen Hierarchien, die sexuellen Löschungen und, in diesem Fall, die Löschung dieser Löschungen, und die gehen jetzt los.
Jacques Sorgst du für die Musik heut Nacht?
Mick
Musik? Ich bin auch Musik. Das ist unsere Nacht, unsere, gut, in jeder
Nacht ist Helligkeit versteckt, dennoch will ich nicht allein sein.
Jacques Diagramm 17: In der Nacht fühle ich mich unwohl, wenn ich allein
unterwegs bin [nach Alter].
Mick
Diagramm 18: In der Nacht fühle ich mich unwohl, wenn ich allein unterwegs bin [nach Geschlecht].
Jacques Diagramm 19: In der Nacht fühle ich mich unwohl, wenn ich allein
unterwegs bin [Hautfarbe]. Erfahrungen, die in Diagramme eingehen.
Mick
Damit jemand die Diagramme dann verfilmen kann, Diagramm 18 als
Script für einen Horrorfilm. Was ist dein liebster Horrorfilm?
Jacques Mein Leben. Nein. Neinnein, Menschen in Horrorfilmen schauen im-
mer die Horrorfilme der Generation davor. Solche Horrorfilme sind übrigens ideal fürs Vorspiel.
Mick
Horrorfilme als verfilmte Diagramme, verfilmte Informationen. Informationen aber, die die Kameras von Grindtown entweder in den Raum
projizieren oder aus ihm extrahieren, in jedem Fall protegieren.
Jacques So entsteht ein Raum, der nicht mehr real ist, sondern angereichert,
egal ob Information projiziert oder extrahiert wird. Der Raum wird erweitert oder verdichtet. Und genau das würde ich mir von dir wünschen.
Mick
Wenn ich mich jetzt erweitere oder du dich verdichtest.
Jacques Oder du dich verdichtest, ich mich erweitere. Du hast Amor doch im-
mer so verstanden. Und ich will dir in nichts nahestehen nachstehen.
58
Mick
Also brauchen wir die Kameras, denn ohne sie funktioniert das nicht,
das Projizieren/Extrahieren.
Jacques Dann brauchen wir Kameras.
Mick
Und die Kameras werden es akzeptieren, ich meine. Die sexuelle Orientierung dieses Drehbuchs stimmt mit meiner überein, also kann ich das
auch nicht anders drehen, oder? Sag mal, hast du wirklich noch nie?
Jacques Wirklich nie. Und die Warnung? Mit Blut geschrieben, diese Warnung?
Mick
Wir werden es auf die Filme schieben, hier in Grindtown ist das möglich, wenn der Slasher kommt, werden wir das, was jetzt gleich zwischen
uns passiert, den Filmen anlasten.
Jacques Altlasten: Auch dein und mein Körper sind produziert, sind durch
Macht produzierte Realität. Keine movie plot bodies, aber.
Mick
Territorien, in sozialen Prozessen produzierte Territorien. Und wem
gehören die? Nicht mehr nur dir.
Jacques Nicht mehr nur dir. Nicht nur uns beiden. Wir gehören zumindest von
außen auch denen, die uns filmen und wegsensen wegsenden sensen
senden beenden.
Mick
Was war das denn jetzt? Du warst grad so sprunghaft, so schwarzweiß.
Jacques Beschädigte Filmspulen? Keine Ahnung.
Mick
Ich hänge nicht an Kameras. Nur an dir. Und jetzt: in dir. I wanna feel
what your inside feels like. Heyhhey!
Jacques Yeyyey!
Der Film, der zu weit ging! Sie wollten ihn verbieten! Sie wollten nicht, daß ihr
ihn seht, ihn erlebt! Jacques und Mick kommen sich nah, kommen sich, kommen
nah, noch, ohne sich nahezugehen, aber gleich. Was Jacques und Mick nicht wissen: Nicht nur von außen gehören sie denen, die filmen. Während sie sich küssen,
während jemand immer näher an sie herankommt, während sie sich küssen, sitzt
59
Judith mit Kopfhörern auf dem Kopf in ihrem Zimmer, und in den Kopfhörern
sagt jemand: Das Körperinnere ist im Slasherfilm kein Privateigentum, weil der
Körper als Filmdatei geöffnet wird, damit das Kino sie sieht. Und Judith denkt:
Kino, diese seltsame Privatheit in der Öffentlichkeit. Denkt Judith, während die
Privatheit zwischen Jacques und Mick übergeht in Öffentlichkeit, Öffentlichkeit,
Offenheit, die Münder, die sich öffnen und schließen, übereinander, und öffnen,
Hände an den Oberkörpern, dann nur noch: die Gesichter, öffnen, die Lippen,
schließen, die kleinen Fältchen auf den Lippen, öffnen: bisher im Teenagerfilm
undenkbare Zärtlichkeiten öffnen, anders als die Teenagersoftcorefilme der
Sechziger bis Nuller, schließen, wo bestimmte Körperteile unzeigbar sind, öffnen
nein schließen!, keine Handbewegungen, schließen, die dich glauben machen, du
siehst mehr, als du siehst, öffnen, Kamera jetzt, in Augenhöhe, Augen, schließen,
Bewegung [ungleichmäßig], Bewegung der Kamera, Atemgeräusche, unerwünscht
nein erwünscht, öffnen, Atem, schließen, öffnen, wie kann ich da nicht an die
sexuelle Aktivität dieses Drehbuchs denken?, schließen, Horrorfilm, öffnen, Horror: Prozesse, Schreie, Körperprozesse, wie Schreie von davonlaufenden Personen, Zwischenkörperprozesse. Öffnen: Cut. Überblick gewinnen, Überblick über
Blicke: Horrorfilm als ritueller Code, der teenage boys vorbereitet, in die heterosexuelle Geschlechterordnung einzutreten, was aber bei Mick und Jacques nicht
funktioniert, nicht funktioniert, funktioniert. Schreie, und das, diese Schreie, die
sind schon Vergangenheit, Realschreie, die kannst du gar nicht so gut komponieren oder synthetisch herstellen. Wegzoomen, gerade nur Dunkelheit, wegzoomen
vom Dunkel, das Dunkel: der offene Mund eines der teenage boys. Zoom weg
von Jacques und Mick, oder das, was Jacques und Mick gerade noch gewesen
sind, diese beiden Teenagekörper, die haben Glück, die bleiben teenage und müssen nie denken: oh my god, i look like twenty. Bodies that matter = Körper von
Gewicht. Bodies that splatter = Körper als Gericht. Das wars. Die Warnung war
da. Die Warnlinie: übertreten, mit diesem Übergriff auf den Körper des anderen.
Die Wartelinie ist jetzt irrelevant, ihr beiden, ihr habt gewartet, so lang gewartet,
und jetzt seid ihr geholt worden, vom body count. Körperhorrorfilm. Körper:
Horrorfilm. Körper: Horror: Film. Ein öffentlicher offener sexueller Streifen,
aber das war nur eine Maske, unter der eine andere steckt: die Horrorfilmmaske,
60
Slashermaske, eine weiße Fläche. Ich hab genug Horrorfilme gesehen, um zu
wissen, daß seltsame Typen mit weißen Masken nicht freundlich sind, denkt Judith. Und sie wird sie nicht sagen. Sie wird bestimmte Sätze nicht sagen, wird
nicht in die Dunkelheit fragen: Hallo?, nicht: Ist da jemand?, nicht: Soundso, bist
du das?, hör auf mit dem Scheiß! Sie wird all das nicht sagen. Sie wird all ihren
Freunden sagen, daß sie das nicht sagen sollen, wenn es nicht schon zu spät ist.
Wenn es nicht schon zu spät. Wenn es nicht schon. Zu spät!
4
restless child
Willkommen zurück bei City Eye TV. Heute mit einem Mann, der leiden mußte,
um das Monster zu werden, das andere leiden ließ: The Shape, oder wie wir seit
1981 und Halloween II wissen: Michael Myers. Und das darf man vielleicht verraten, ohne ein Messer in Rücken oder Brust zu bekommen: Michael ist inzwischen über fünfzig, um genau zu sein, ein Jahr älter als die Queen of Pop. Der
King of Shock wird uns aus seiner Jahrzehnte umspannenden Slasher-Erfahrung
einige gute Tips geben. Damit gebe ich ab an Mikey und: Lernt ihr nie?
Michael Myers Nie. Nie! Teenager lernen nie. Auch nicht von den Apparaten,
mit denen sie jeden Tag umgehen. Von Filmprojektoren zum Beispiel.
Wobei die sich wenigstens erinnern an die Kamera. Aber Tenager lernen
nie. Trotz zahlreicher Beweisfilme von den Siebzigern bis heute. Trotzdem machen Teenager immer wieder alles falsch. Rumpimpern. Rumkiffen. Rumlaufen, um irgendwelche Geräusche zu untersuchen. Die
kommen aus einem naheliegenden Wald. Oder aus der fernliegenden
Münchner Vorstadt. Teenager, die rumlaufen, ohne Vorahnung, daß
jemand hinter ihnen lauert. Teenager lernen nie. Nie. Aber jetzt für euch
noch einmal: Die Top Ten der Dinge, die ihr meiden müßt. Eins: Keine
dummen Fragen! Wenn es dunkel ist, frags nicht: Wer ist da? Vor allem
nicht in die Kamera. Oder du wirst nicht mehr leben, wenn die Antwort
kommt. Zwei: Knackende Zweige oder Augenlider. Vorgeräusche für
den Tod. Drei: Fenster. In der Nähe eines Fensters wirst du durch das
61
Glas gerissen. Oder jemand wirft durch die Scheibe etwas Totes auf
dich. Vier: Katzen. Arbeiten immer mit dem Slasher zusammen. Fünf:
Autos. Funktionieren nie. Und wenn, bleiben sie weitab der Zivilisation
stehen. Sechs: Telefone. Funktionieren erst recht nicht. Oder werden
mitten im Satz abgeschnitten. Oder das Kabel legt sich um deinen Hals
oder das Funknetz über dich. Sieben: Badezimmer und Duschen. Kein
Kommentar. Acht: keine Witze machen! Niemand findet sie witzig.
Mancher findet Jahre später ein Motiv in ihnen, Rache zu üben. Neun:
Drogen, Rockmusik, vorehelicher Sex. Klar, oder? Zehn: Jubiläen und
Feiertage. An Halloween oder dem Tag der Deutschen Einheit oder
dem 5,32. Tag Keller und Wälder meiden! " " " #Teenager, die nie
lernen und nicht überleben. Teenager, die lernen, zu überleben. Der
Slasher als backslash der Teenager unter Reagan oder Merkel. Gegen ihre Eltern und deren Freizügigkeit, deren Wunsch nach Freiheit. Freizügigkeit: Wo soll denn dieser Schmutz noch hinführen, so kann ich nie
richtig lieben!? " # Meine Stimme. Gegen Freizügigkeit. Ja, ich habe
nie gesprochen. Vierundvierzig Jahre nicht. Von 1963 bis 2007 nicht
mehr gesprochen. 2007 dann doch. 2007, im Rob Zombie-Remake von
Halloween, doch. Nicht mehr gewußt, was Stimme ist. 1998 noch einem
Opfer die Stimme genommen, Kehlkopf zerdrückt. 2007 dann meine
eigene Stimme als Kind gehört, 2007, und mich daran erinnert, wie das
war, die Lippen zu bewegen, die Stimmlippen. Die Vorstellung, wie die
Stimmlippen schwingen, drinnen. " # Von innen. Wir kennen uns nur
von innen, aber wir sehen uns von außen. Wieso zeigt niemand, wie
schön er von innen aussieht? Wieso will fast niemand die innere Schönheit sehen? Nur wir Slasher. Zum Beispiel mein Kollege in Scream 1 auf
die Frage What do you want?: To see what your insides look like! Aber
vielleicht ist auch das schon längst zu sehen, und wir wissen es nicht.
Die Grenzen zwischen äußerer und innerer Schönheit bestehen vielleicht gar nicht mehr. Wenn alles zu sehen ist. Wenn Innen und Außen.
Kleiner Tip an die Teenager: Wenn alles sichtbar wird, wird der Slasher
62
unsichtbar. Was heißt das? Wenn ihr euch weiter in die Geschichte begebt, kommt ihr schon drauf. Und jetzt: Weg mit der Kamera! Geht mir
weg mit Kameras! This is too much for my movie. Macht es euch mehr
Angst, wenn ich ein Motiv habe, oder wenn ich keins?
5
out in a daze
Wer dauernd alles sieht, wird sich nie vom Drang lösen, Leben nachzustellen.
Wer dauernd Film sieht, wird sich irgendwann schneller erinnern als der Film
selbst. Wer nicht rechtzeitig sieht, um zu töten, sieht niemals mehr. Das sind
Taglines, die Wirklichkeit werden. Von den sechs Teenagern, die wir auf dem
Monitor im Devil Dirt kennengelernt haben, sind drei dem Schnitt zum Opfer
gefallen. Der body count geht im Slasherfilm rauf, gern immer weiter rauf, oder?
Den body count rückwärts zu zählen, ist darauf der Scriptwriter in dir schon gekommen? Rückwärts zählen, damit der Zuschauer weiß, wie viele Schnitte durch
Kehlen oder andere Körperteile er sehen muß, body count als Countdown, unendlich weiterzählender Countdown, wenn dem Film eine Fortsetzung folgt. Ein
Film folgt dir aus dem Kino ins Leben und macht die Stadt um dieses Leben herum zum größten Horrorkino ever. Dein Handy weiß, wo du letzte Nacht geschlafen hast, manchmal besser, als du selbst. Aufwachen und nicht wissen, wo man
ist, und dann doch wissen, dank des Handys, das auf die Frage: Wo bin ich? offen
und ehrlich antwortet: in Gefahr. Dabei kennst du dich so gut aus mit Kameras,
Susan. Susan, die den body count erhöhen wird, während der Countdown sich
dem Ende nähert. Irgendwo sein, wo jeder mich sehen kann, denkt Susan, ihre
Fotokamera an sich gepreßt, wobei sie nicht wissen, ob die Bilder, die sie in sich
tragen, beide, Susan und die Kamera, gelöscht werden sollten oder nicht: zwei
aufgeschlitzte Körper, deren Inneres ineinander verwackelt verwickelt ist, damit
sie für immer zusammenbleiben, zwei, unzertrennlich, kannst du sie auseinanderhalten, im Blut? Susan hat Angst, vor diesen Bildern und vor dem, der sie produziert. Susan steht da, wo jeder sie sehen kann, vierundzwanzig Stunden, wo jeder
sehen kann, daß nichts passiert, mitten im Einkaufszentrum, vor kaufenden laufenden Kameras, vor laufenden, laufenden!, denkt Susan. Susan weiß alles über
63
Kameras, über deren Innenleben, Elektronik, Mechanik. Über das Außenleben
weiß sie nicht genug, zum Beispiel nichts über die Strategie in Einkaufszentren,
Kameraattrappen einzusetzen, die jeder sehen kann, und funktionierende Kameras zu verstecken. Falsch projizierte Information: Hier bist du sicher, hier ist eine
Kamera, und hier bist du sicher. Denn du bist nicht sicher. Fürsorgliche Überwachung. Susan glaubt, die Kameras zu kennen, kennt aber eigentlich nur die Attrappen. Susan glaubt, die Räume zu kennen, in denen sie glaubt, sicher zu sein.
Susan glaubt, diese Räume zu verlassen, lebend. Wenn dir ein Slasher folgt, solltest du niemals denken, du könntest dich auf Räume verlassen. Du wirst verfolgt,
und wenn du das bemerkt hast, wirst du merken: Räume können nicht immer
gleich benutzt werden, werden sich ändern, immer wieder, werden sich neu rendern, je nachdem, wer gerade die Macht hat, dein Slasher zu sein. Aber die Frage
ist nicht, wer er ist, die Frage ist, wo er ist. Wenn dich dein Slasher verfolgt: Verlaß dich nie auf Räume! Auf Monitoren, die du nie zu Gesicht bekommst: die
überwachten Räume, auf den Monitoren ganz anders. Räume, die zusammenhängen, hängen hier nicht zusammen. Räume, die weit voneinander entfernt sind,
berühren sich. Räume, die sich durch zwei Kameras in ihnen verdoppeln, durch
vier vervierfachen, durch sechzehn, na ihr wißt schon, überlappende Räume. Über all das denkt Susan kaum nach, als sie in der Mitte des Einkaufszentrums
darauf wartet, daß ihr nichts geschieht. Aber Susan ist klug. Susan steht nicht nur
vor den Kameras. Susan steht und hält sich ein Gesicht vors Gesicht, das Gesicht
einer Filmregisseurin, B-Movies, zuletzt ein Zombiefilm. Susan steht mit dem
Gesicht einer Frau da, die kein Teenager ist und so keinen Slasher der Geschichte
und Gegenwart reizt. Und sie mißtraut den Kameras nicht, im Gegenteil:
Susan Gesichtserkennung, die haben fast alle Kameras inzwischen, in Grind-
town. Gesichtserkennung heißt: mein Gesicht wird erkannt, aber nicht
als mein Gesicht. Ich muß nur warten. Warten. Bitte, nicht töten, bitte,
ich will dabeisein, im Sequel! Wenn nur nicht die Gesichtserkennung
falsch funktioniert. Wenn sie mein Gesicht als Gesicht da vorn registriert. Wenn mich keine reißende Wimper paralysiert!
64
Aber genau das, in dem Moment, als der Slasher die Suche fast schon aufgibt,
genau das! Das Gefühl des Slashers, nicht mehr gebraucht zu sein. Die Überlegung, vielleicht doch in die bayerischen Hinterwälder zu gehen, dort Teenagern
aufzulauern, Kameras, befestigt an oberbayerischen Bäumen. Aber genau in dem
Moment reißt eine Wimper in Susans Gesicht, dem falschen, dem Fotogesicht.
Reißendes Fotopapier. Und sofort ist er hier, ist dort und hier, sofort, der Raum
verändert sich, sofort, schlagartig, Schlag ins Gesicht, sofort, erst ins falsche,
dann ins echte, schlag, es wird warm, artig, er ist hier, so nah, so, so nah, sofort
alles zu sehen, sofort, schlägt weiter, schlagartig, verdrehte Augen, weiter, aus der
Mundhöhle herausgeschleuderter Speichel, weiter, ausgebrochener Schweiß, undsoweiter undsofort, sofort. Momentaufnahmen, wie Susan sie liebt, Momentaufnahmen ihrer Auflösung, ihr Körper, der sich auflöst, je näher die Kamera, auf,
löst, je näher, je näher, auf, löst, kon, fus, dif, fus, nur, dif, fus, der, Schrei, nicht
sicher, wieviele Schreie, in einem, welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung der Schrei hat, Schrei, bevor Susan sieht, bevor Susan nichts mehr
sieht, so oft erschrocken, beim Schrei, fremden Schrei, im Kino, aber:
Susan Es ist schon etwas anderes, wenn ich schreie, weil mir jemand tatsäch-
lich ein Messer in den Rücken gestoßen hat, nein, in den Rücken stößt,
gerade jetzt stößt, Ausschnitt, Schnitt, Schnitt Schnitt, Schnitt!
Wenn das Licht ausgeht, geht das Messer rein. Und andere Taglines, die Wirklichkeit werden in Grindtown. Oder Trailer, in denen für den höheren body
count mehr Opfer vorkommen als im Film. Oder war ich im Trailer schon so
schlecht als Opfer, daß ich im realen Film nicht vorkomme? Warst du so
schlecht, daß du nicht mal im Trailer vorkommst, sondern nur im Trailer zum
Trailer? Attack of the B-Movie-Trailers. Attack of the B-Movie-Slashers. Attack
of the Ü-Kameras. Denn seit Anfang an können Teenager sich, wenn ihnen ihr
Leben lieb ist, nicht auf Technologie verlassen. Selbst kabellose Telefone können
dich umbringen. Verraten von Technologie, bis die Technologie selbst Slasher
wird, am Ende auf die Kameraatrappen zeigt und sagt: Kameras, die keine Bilder
aufzeichnen oder übermitteln oder deren Bilder nicht zu handfesten Erfolgen
65
führen, handfesten Folgen, Folgefilmen. Immerhin werden Menschen mit Kameras öfter von Kameras getötet als Menschen ohne. Vielleicht meint Gil das, als er
und Judith im Einkaufszentrum stehen, vor Susans Körper im Slasher-Cut, als sie
hier stehen und Gil Atem holt, Atem holt, als Gil Atem holt und sagt: Judy, ich
glaube, wir müssen anfangen, unser Wir neu zu denken. Und Judith antwortet:
Für manche ist es das Ende der Unschuld, für andere einfach DAS ENDE.
6
possessed by the city before
Willkommen zurück bei City Eye TV. Mit zwei alten Bekannten, die dreißig Jahre
befreundet sind, seit Halloween Teil I: Jamie Lee Curtis alias Laurie Strode und
Michael Myers. Jamie, Mikey, was habt ihr noch für Tips für unsere Teenager?
Wie wir gesehen haben, sind nur noch zwei von ihnen übrig. Was sagt das erfahrene final girl? Und was der Mann, der immer wieder überlebt, bis zum Sequel?
Jamie Lee Curtis Na, ICH überlebe nicht. Ich war vierundzwanzig Jahre mei-
nes Lebens final girl, und dann, zu Beginn des achten Teils von Halloween, der ausgerechnet Resurrection heißt, sterbe ich. Ich habe so lange
durchgehalten, immer wieder, im ersten Teil, im zweiten, im siebten,
zwanzig Jahre nach dem ersten Teil, immer wieder durchgehalten, überlebt, bis zu den Schlußtiteln. Und dann, zu Beginn des achten Teils:
nur die Eröffnungssequenz, und: Schluß, mit einem Kuß auf Michaels
Maske. Ein Cameoauftritt fast, nicht viel mehr.
Michael Myers Die Enttäuschung bei den Schlußtiteln. So wie bei mir im ers-
ten Teil. Als ich warte. Und warte. Und warte. Auf meinen Namen. Nur
steht da mein Name nicht. Nicht: Michael Myers. Da steht einfach: The
Shape. THE SHAPE! Ich meine. Was? Also. Also, The Shape, so wie:
Form oder was? Gestalt? Umriß? Ich, ein Umriß?
Jamie Lee Curtis Ja, ein Umriß, stimmt doch. In acht Filmen wirst du von
neun Männern verkörpert.
66
Michael Myers Ver. Körpert. Einer von ihnen verkörpert mich mehr als ein-
mal. Keiner verkörpert mich auch im Sequel. In jedem Sequel ein neuer
Körper. Aber ich bin mehr! Michael Myers ist mehr als jeder Körper.
Der ihn verkörpert. Ich bin die maskierte Kamera, die euch folgt.
Jamie Lee Curtis Und ich bin nur Laurie Strode. Vergiß nicht, Michael, seit
Halloween II ist Laurie deine Schwester, bin ich.
Michael Myers Vergiß nicht: In Halloween II überlebe ich. Sogar den Flam-
mentod. Also nützt es nicht, den Film anzuzünden. Um mich loszuwerden. Nein! Jetzt, wo ich endlich für mich spreche. Statt das Küchenmesser zu nehmen. Kann ich sagen: Michael Myers ist der Umriß. Den neun
Körper in acht Filmen teilen. Ohne es zu ahnen. Ohne zu ahnen: Ich
komme wieder. Aber ihr nicht! Ich komme wieder. In euch. Ich verkörpere einen Teil. Von euch. Den Teil in euch, der eines Tages ausrastet.
Nach dem Messer tastet.
Jamie Lee Curtis Das versteht niemand, Michael, niemand außer dir, außer
mir. Einen Gegenschuß auf das unsichtbare Böse in euch da draußen
gibt es nicht. Es hat kein Gesicht, keinen Körper, ist nicht sichtbar. Nur
in der Bewegung der Kamera, im Zoom, im Ausschnitt.
Michael Myers Und du meinst. Das wär einfacher? Man merkt: Du warst nie
selbst Slasher. Wenn du mehrere Monitore hast. In dir. Wenn die aneinander gereiht sind. Die Monitore. Die Räume, in denen du Teenager überwachst, aber getrennt. Kommst du problemlos von Raum zu Raum.
Selbst wenn die eigentlich nicht aneinanderliegen.
Jamie Lee Curtis Bildausschnitte, abgetrennt, ausgeschnitten. Wahrnehmung
des Slashers. Wenn du Glück hast, wenden sie bei dir Jugendstrafrecht
an, zu wenig psychische Beweglichkeit, zu viel physische.
67
Michael Myers Auf Beweglickeit kommt es an. Auf die Monitore in dir kommt
es. Wenn du mit denen zusammenarbeitest. Kommst du überall hin. Du
mußt den Blick überall haben. Ü-Kameras: überall Kameras.
Jamie Lee Curtis Ich schaue mich um. Das Gefühl, es ist jemand mit mir im
Raum. Aber ich sehe nichts. Mein Blick: eine Kameraatrappe, die so tut,
als könnte sie etwas sehen, die den Raum falsch informiert, indem sie
ihm sagt: Du bist ein Raum der Sicherheit. Dein Blick: eine unsichtbare
Kamera, die alles sieht, die dem Raum Information entzieht, zum Beispiel die Unversehrtheit meines Körpers. Dein Blick: verbogen verborgen. Warum kommunizierst du nicht offen mit mir, sondern hinter meinem Rücken, mit einem Messer?
Michael Myers Ich wollte dich nicht verletzen.
Jamie Lee Curtis Aber du hast es getan. Mehr als einmal.
Michael Myers Sei nicht so negativ!
Jamie Lee Curtis Wir sind beide negativ, Frauen und Monster sind negative
Identitäten, aber das verstehe ich auch erst, nachdem ich den Horrorfilm hinter mir gelassen habe 2002. An uns sehen die Menschen, was
nicht gezeigt werden kann: platzende, aufgerissene oder zerschnittene
Körper. Zerschnitten in mühsamer Arbeit, im Schnittprogramm.
Michael Myers Das hast du verstanden. Sehr spät. Aber ist doch gut. Jetzt sehe
ich dich doppelt. Einmal als Teenager. Als du das nicht verstehst. Und
einmal heute. Ergängzung zu damals. Jahrzehntelang aufgeschobener
Gegenschuß. Aber jetzt laß uns. Über was anderes sprechen. Oder ich
vergesse mich. Nein, vergesse, daß ich sprechen kann. Und was das für
deinen unversehrten Körper heißt. Weißt du.
Jamie Lee Curtis Ich weiß nur: Im letzten Teil der Fortsetzungen gelten keine
Regeln mehr, selbst das final girl kann sterben, im final sequel.
68
Michael Myers Du als final final girl, sag: Wie gehts aus?
Jamie Lee Curtis Message to Judith: Du willst und willst und willst das final
girl sein, und du wirst final sein. Slasher sind wählerisch, sie wählen ganz
genau, wen sie haben wollen, am Ende. Du wirst die Zeiten vermissen,
als du fliehen mußtest. Explosionszeiten Exploitationszeiten Expositionszeiten. Bewahr sie dir gut, denn: Wer sich in eine Geschichte begibt,
muß sie weitererzählen, immer weiter, muß weiter.
7
falling in line
Gil
Erinnerst du dich an Kinos, in denen nicht gefilmt wurde? Wo ich mir
den Saal selbst aneignen und so immer wieder neu produzieren konnte,
zusammen mit meinen Freunden. Wo mir kein Kinobesitzer sagen
konnte, daß ich mein Leben an der Kasse abgeben muß, auf einen Monitor. Give me my fucking grindhouse back! Wo ich nicht fürchten muß,
auf dem Monitor zu sehen, wie schön ich von innen bin.
Judith Jeden Schönheitswettbewerb fürs Körperinnere würdest du gewinnen,
Gil. Aber wir sind zwei. Und: the body count continues. Und doch:
1981, in The Burning, ist das final girl ein Boy. Warum solltest du also
nicht final girl sein, final Gil? Oder soll ich final girl sein, nur um zu zeigen, daß ich das girl unter uns bin? Auf tausend Monitoren: das final girl
Gil
Augen schauen dich an, lauter leere Augen. Und doch, in dir bewegt
sich etwas, produziert Musik. Die wird dir am Ende sagen, wie es endet.
Judith Und wenn wir zusammen? Statt dem final girl: ein final pair? Ich mein: if
$
there’s a camera up in here / it’s gonna leave with me / when i do
Gil
i do
Judith if there’s a camera up in here / then i’d best not catch this flick / on
you, too
$
Mariah Carey: Touch my body
69
Gil
youtube
Judith cause if you run your mouth and brag / about this secret rendezvous / i
will hunt you down
Gil
cause baby i’m up in my bizness / like a wendy interview
Judith but this is private / between you and i
Gil
Vorbei, Judith, es ist vorbei. Slasher müßte man sein, aber so: Byebye.
Die Stimmlippen werden in einen bestimmten Spannungsgrad gebracht. Denn
Gil weiß, was kommt, wer bald kommt, wer ihn schon seit Jahrzehnten Sekunden
Jahrzehntelsekunden einkreist, eine kreisende Kamera, die dich kriegen will,
touch my body. Gil wartet und will es wissen, endlich wissen, wie es funktioniert.
Gil wartet und kreist, als der Slasher ihn einkreist, immer im Kreis, näher, im
Kreis, näher näher, immer näher, touch my body body, näher, nah, it all seems so
terribly technical, denkt Gil, but they won’t interrupt us, while we’re filming, sagt
jemand, ganz nah an seinem Ohr, nah, weißt du, näher, was das Schrecklichste,
noch näher, in der Welt ist? Stop. Dann auf einmal: Stop, keine Bewegung mehr.
Es ist Angst, deine eigene Angst, wenn du sie siehst. Gil schaut, die Kamera starrt
und Gil schaut, auf die Linse, die Linse Linse, schaut auf sein Gesicht, und dann,
was er dann sieht, was er, dann sieht er, er sieht, was er: Schnitte, einfach Schnitte, die passieren [cuts happening]. Die Stimmlippen, in dem Moment erinnert er
sich an die Stimmlippen und hört eine Mikrosekunde später, was die Stimmlippen
produzieren, wenn sie sich bewegen. Bei Männerstimmen ist das gesamte Klangspektrum größer, beim Sprechen, beim Singen, beim Schreien, das ist Teil der
Kulturgeschichte des Körpers, eines Körpers, der nun geöffnet wird. Schnitte, die
passieren. Schnittstellen, die die Leben im Film passieren, auch wenn sie dabei
zuende gehen, die die Filmleben passieren, um in unserem Leben mit uns zu leben. Und hinterher weiß die Kamera mehr, hinterher weiß sie: the body count
continues. Als Judith Gils Tod sieht, auf dem Monitor, lernt sie von den Bildern,
lernt den Raum kennen um Gil herum, als die Kamera wegzoomt. Judith überblickt den Raum, überblickt die Reste eines Raums und die Reste eines Körpers
70
in diesem Raum. Dieser Körper hat sich von Privatem freigemacht. Im Hintergrund werden gerade Videokameras im Wert mehrerer Milliarden Euro installiert.
Und Judith öffnet den Mund:
Judith Ich will, daß es gut ausgeht. Bitte bitte bitte bitte bitte bitte. Wenn jetzt
ein Galgenmikro herunterfiele, dann wüßte ich: Was ich gerade gesehen
habe, habe ich gar nicht gesehen, das sind nur Rekonstruktionen. Ich
weiß: Wer sich in eine Geschichte begibt, muß weiterzählen, weiter. Ich
muß weiterzählen, bis die Geschichte zuende ist, aber. Aber ich bin
nicht zuende, ich bin nie zuende, denn du brauchst mich, die Geschichte braucht mich, das final girl [i’m going along], um die Geschichte zu erzählen [i’m falling in line]. Dein Lächeln, Kamera, dein Lächeln [who am i to resist your smile].
Hier steht das final girl, is she falling in line, in die Tagline [Wer nicht rechtzeitig
sieht, um zu töten, sieht niemals mehr]? Oder fragt sie noch: Sind Slasherfilme
schädlich für meine Karriere? Mit einem einfachen JA erübrigen sich solche Abenteuer. Abenteuer, von denen man weiß, daß sie nicht gut ausgehen. Abenteuer, von denen man weiß, daß sie gut ausgehen. Abenteuer, von denen man weiß,
daß sie gut aussehen, in meinen Augen. Scream until your eyes work.
8
don’t care about making sense
Würde man sämtliche private und staatliche Monitore, die die Visualisierung der
übermittelten Bilder eines Stadtzentrums ermöglichen, zusammensetzen, dazu
das Atmen des Slashers, entstände ein neuer Raum der Bilder eines Raums [i’ve
been here before]. Und in diesem neuen Raum steht Judith, die Waffe in der
Hand, kein Messer, keine Kettensäge und kein Beil [i’ve done this before]. Horrorfilme und feministische Theorie reichen als Waffe gegen Slasher natürlich
nicht, vor allem nicht, wenn eine ganze Stadt überwacht wird von diesem Slasher
[i’ve been possessed by the city before]. Die Waffe: eine Super 8-Kamera, darin:
kein Sicherheitsfilm [i wanted to lose], sondern Rohfilm [i wanted the void], unbelichtetes Filmmaterial, Negativfilm, Umkehrfilm oder Direktumkehrfilm. Judith
71
weiß, er wird kommen, sie weiß es, seit sie zum ersten Mal gemeinsam in einem
Raum waren, ihr Blick und sein Blick [the red red light was guiding me]. Judith
wartet seit diesem ersten Mal darauf, daß er zurückkommt zu ihr, zurück. Judith
hebt die Waffe, darin: Jahrzehnte altes Filmmaterial, Farbveränderungen, Empfindlichkeitsverluste, Überbelichtungen inclusive. Wenn du das siehst, mein Slasher, sagt Judith [there’s a fire in me], wenn du dich siehst, auf dieses Filmmaterial
gebannt [there’s a red light inside your eyes]. Du: in Farben, in denen du nicht
existierst, in übertriebenem Dunkel, überhellem Licht, zerstört, hier und da und
dort, aber zerstört [there’s a fire in your eyes]. Ein Slasher als Überwachungssystem, das eine ganze Stadt terrorisiert. Ein zerstörter Slasher auf zerstörtem Filmmaterial, was die Stadt neutralisiert. Freiheit, wenn wir Grindtown hinter uns
lassen, die cleanen Cuts dieser Stadt, die Waffe in der Hand. Richte sie auf ihn,
Judith! Los! Worauf wartest du? Willst du sterben, heut Nacht? Und du? Willst du
mich wirklich töten, bis ich tot bin? Was glaubst du, wer du bist, wer auch immer
du bist? Der Gesang des final girl und das Atmen des Slashers. Und jetzt? Senkt
Judith die Kamera ab, Finger vom Abzug, wendet sich um, dorthin, wo wir sind.
Judith Wieviele andere Mädchen gibt es da draußen, die final girls sein könnten,
sein wollen? Mädchen, die Horrorfilme schauen, weil sie sich ein bißchen fühlen können wie Jungs, am Ende befreit fühlen, so befreit, so
frei, wie in keiner Stadt, in der sie leben. Von dem befreit, was man ihnen jahrzehntelang auferlegt hat: Identität [don’t care about making
sense]. Und wenn die Mädchen das Kino verlassen, ist alles wie es war.
Dann kommt ein Film ein Slasher ein Slasherfilm [the only way is in the
way that you move], der folgt dir ins Leben, und um dieses Leben zu
behalten, mußt du ihn anbetteln: Sag mir, was du haben willst [just do
what you do], ich mach es möglich [just feel what you feel], was du willst
[just say what you feel sounds good to you]: jeden Film mit jedem Budget, mit jedem Script, mit der neuesten Version von Final Cut. Final
Cut, sagt er, hab ich schon! Dann der final, dann der final cut. Nach
dem final cut kommt der final final cut. So ist das. Weiß doch wohl jeder, dass Menschen sich nicht wirklich ändern, ob Teen- oder Fiftyager.
72
Abgesehen vom Äußeren bleibt vieles gleich. Oder du selbst nimmst die
Waffe in die Hand und gehst gegen diesen final cut an. No rewrites next
time? No sequels? Doch. Aber so geht das nicht. Das final girl soll
kommen und den final cut machen? Das geht doch nicht. Jamie! Michael! Jetzt sagt auch mal was. Es kann doch nicht immer ein final girl sein,
ich kann doch kein final girl, kann ein final girl’s final girl. Alles soll final
sein, diesmal auch das final sequel. Die Zerstörung von Grindtown [the
desire in me], durch die nie wackelnde Kamera, niemals wackelnd [there’s a promise in your smile], immer auf ON und nie wackelnd, nie fackelnd, wenn es um Morde geht, die im Off geschehen, immer auf ON,
immer auf, niemals wackelnd, immer auf ON, und auf einmal: OFF.
Sechsundneunzig Minuten screening session, das ist zu viel. Zu viel, aber ich will mehr. It’s only a movie? Fuck, nein! NEIN! It’s more than a
movie! Sich nicht damit abfinden, daß das eigene Leben zerstückelt ist, x
verschiedene youtube-Dateien, mit dem Handy aufgenommen von der
Leinwand, samt Audiokommentar. Aber möchtest du, daß irgendeine
teenage slut dein Leben kommentiert? Nein? [there’s some life inside
you, still some life inside your eyes, there’s a promise in this knife.] Get
more out of life. Go out to a movie. Nein! Get more out of life. Go out
OF this movie. Schnell! Bevor alles sofort in ein überlichtes Licht übergleitet, übergeleitet wird in das Helle, in dem du nicht leben kannst [the
worst is yet to come], da sind Kettensägen gar nichts, wenn die Augen
anstecken, flick, wenn sich Leerstellen auftun an meiner Iris, flack, an
meinen Händen, flick, in meinem Mund, flackflack, Leerstellen, flick,
Feuerleerstellen, flack, wirst du nervös, flick Brandstellen, flackflack,
flick, wenn du meine aufgerauhte Haut siehst flack, flackflack,
flackflackflack, flick, zum Aussteigen zu spät, flick, flick [there’s a fire in
your eyes, there’s a flick’r, a fire, a flick’r, there’s a fire in your eyes. eyeeye Ich will noch immer, daß es gut ausgeht., flack flack, wer sich in eine Geschichte begibt, kommt darin um. FUCK! Bitte bitte bitte bitte
bitte bitte. Die sind doch verrückt, die sind doch alle nur noch verrückt.
Nur: Wer nicht rechtzeitig sieht, um zu töten, sieht
73
74
Guten Abend. Guten. Guten Abend. Leider zuende. Leider unerwartet zuende,
verbrannt, nein, verschmort. Sicherheitsfilm, nur verschmort, diese Sicherheit
bringt uns, daß mein Vorführraum nicht abbrennt, wenn der Film brennt, durchbrennt, rauswill ins Leben. Bevor Sie ihm folgen, erzähle ich ganz kurz, was im
Streifen weiter passiert, Sie müssen ja wissen, wen sie verfolgen, als Stalker dieses
Films. Keine Angst, die Kameras um Sie herum sind jetzt aus, Probleme mit der
Erschütterung, übertriebene Lautstärke, Wackeln, wodurch das Glasfaserkabel
die Daten nicht mehr überträgt. Die Bilder werden sowieso nur zweiundsiebzig
Stunden aufbewahrt und sind meist gelöscht, oder du siehst nichts, nichts, nur
Licht. Da kann ich auch gleich selbst ins Kino gehen statt vor den Monitor, ins
eins der Grindhouses dieser Grindtown. Da weißt du auch nie, in welchen Film
du stolperst. Nicht zu lang vorm Eingang stehen! Auch nicht im Eingang, hinterm Eingang, vor dem Notausgang, dem Kassenhäuschen, vor der Leinwand,
nicht vorm Popcorn- oder Hot Dog-Stand, und vor allem nicht vor der Toilette,
wenn du nicht umringt werden willst von Leuten Daten, die denken, du würdest
drauf warten, ausgeraubt zu werden oder ausgebeutet, sexually. Ich bin besessen
von Filmen, die mich ausbeuten, vor allem meine Augen. Wieviele Double- und
Triplefeatures kann ich in einer Woche sehen, an einem Tag, in einer Stunde,
Sekunde? Wieviele Stunden am Stück in einem Kino? Unten: New York’s 42nd
Street and its grindhouses 1969. Mitte: Schmuddelkinos in St. Pauli 1989. Oben:
Münchner Maximilianstraße auf dem Weg in ein neues Exploitation-Zeitalter
2009. Kinos, die vor Jahrhunderten geschlossen wurden, mit fleckiger Eleganz,
riesigen Zuschauerräumen, Balkonen, Samtvorhängen und Opernsitzen, mit
Treppen, die sich so oft winden und dann doch nicht enden, daß du nie weißt,
wer nach der nächsten Biegung lauert, ein schlechter movie plot oder. Oder. Ein
neues Zeitalter. Oder. Ein Alter mit einer Polaroidcamera um den Hals, wie er
herumgeht und den Pärchen in den Pärchensitzen Polaroids anbietet [nicht: Popcorn], Pärchenpictures, bevor die wildesten, extremsten Filme der Filmgeschichte
beginnen, das Leben als Permanentschock, wie es die Poster und Trailer versprechen. Wenn die Filme die Versprechen nicht halten: Rufe, Tritte, Messerattacken
gegen Sessel, Leinwände. Um mich herum Menschen, die sich mit den Menschen
75
auf der Leinwand unterhalten, ohne Abgrenzung, nicht: hier die Beobachter,
dort: die Beobachteten, nur: Frage und Antwort, Frage, Antwort, Frage. Wundert
doch niemand, daß Exploitationfilme nicht nur eine Fassung haben, sondern
viele, kaum zählbar viele, so daß einige Zuschauer sich an Szenen erinnern, die
andere nie sahen, viele verschiedene Fassungen. Eine Fassung mit mehr Gewalt,
bei der du eine Gratistüte an der Kasse bekommst, falls du dich übergeben mußt,
dich dem Film übergibst in diesem Moment, vollständig. Eine Fassung mit mehr
Horror, schau mal aufs Ticket: Lebensversicherung, falls du sterben solltest vor
Schreck. Eine Fassung, die nicht versucht, zu löschen, was unvorhersehbar ist:
das lebendige Leben, mich nicht sagen läßt: Die guten Szenen haben sie rausgeschnitten, das hat mich erinnert, an dich und mich. Je mehr Exploitation im
Exploitationfilm, desto besser. Ausbeutung der Gänge, eng, so eng, daß jeder
Pacman-Geschwindigkeit laufen muß. Ausbeutung der Lautsprecher, so aufgedreht, daß die Wände vibrieren, die Plastiksitze, daß die Schreie aus dem Film
nebenan bei dir ankommen, ein Überwachungsfilm, der in den anderen eindringt,
stalker versus stalker, there’s always a sequel. Ausbeutung unseres Lebens, dem
Chaos der Filme immer ähnlicher, in Zuckungen, Sprüngen. Und die Straßen vor
den Kinos: genau so, wie Straßen für mich aussehen müssen, eine Welt für sich,
neonbeleuchtet, [neon light was guiding me], Neonwelt, wo Menschen oft ihre
Fassung verlieren, die Fassung, die ihnen jahrzehntelang auferlegt wurde. Ich
habs geliebt. Den ganzen Schmutz und all das, auf der Linse, auf den Menschen,
in der Luft, unerwünschte Geräusche im Zuschauerraum oder vom Projektor.
Ich vermisse das. Pro Nacht zwei Filme, drei, vier Filme zum Preis von einem,
dann, um 5.32 Uhr wachst du auf, sie schicken dich raus, du spazierst einmal um
den Block, neunzig Minuten, und dann kommst du wieder zurück. Und du weißt:
Du nimmst dein Leben in die Hand, beim Eintritt ins Kino. Wirst du überleben?
Wirst du die Trommelfelle zerfetzt bekommen? Wirst du verloren gehen, ohne
daß irgendjemand sagen kann: Auf dem Video ist alles zu sehen? Ich vermisse
das, ja, wirklich, give me my fucking movies back! Ich vermisse das, vermisse es,
verloren zu gehen, ohne zu wissen, wohin. Vielleicht in unbewohnbare Zonen
dieser Stadt, in ein verwerfliches Außen, das eigentlich in uns liegt, als Zurück-
76
weisung der finalen Filmfassung, Film: Fassung, Fassung: Identität, die man uns
erzählt hat, jahrzehntelang, dem Leben abgetrotzte Geschichte. Das Gefühl, verfolgt zu werden, auf Blick und Klick. The right to be alone? Nein! The right to be
let alone, und vor allem: the right to be together, wie Filme im Kino, seltsam privat in der Öfentlichkeit. Stattdessen: Grindtown, ein Kino so groß wie eine Stadt,
Stadt so groß wie ein Kino, viereinhalb Millionen Kameras, drei pro Mensch.
Kameras, die der Zeit vorauszueilen, um vorbereitet zu sein für die Zukunft. Aber brauche ich drei Kameras für meinen Körper, um Verbrechen, die jemand an
mir begeht, zu speichern? Wozu habe ich meine Haut und ihre Schnittstellen?
Ein Film, der auf solche Schnittstellen abzielt, der auf Haut und Haar abzielt,
Leben freisetzt. Aufgeschnittene Haut: die Möglichkeit, offen mit dir zu kommunizieren, das Messer nicht hinterm Rücken, an der Haut, so daß wir direkt verbunden sind, ohne final cut. Und immer re-writes next time, immer neue rewrites. Ein Filmprojektor muß sich an die Kamera erinnern, und wir müssen uns
an die Projektoren erinnern, an Brandstellen im Projektor. Ich als body count
zähle die verschmorten Körper im verschmorten Sicherheitsfilm. Die müssen wir
zählen, denn wenn wir nicht mitzählen, was nicht da ist, was nur gedacht werden
kann, ist unser gesamtes Zusammenleben doch überhaupt nicht begreifbar. Danke an die Siebziger, die Achtziger, Neunziger, ihr habt uns gezeigt, die Slasher
haben: Wir sind nicht unteilbar, sondern gut und leicht und detailliert zu teilen,
manchmal reicht ein Cut, gut zu teilen, gut, gut zu teilen, nur zerteilt können wir
die Einheit sein, die wir sein wollen. Nur der Slasher selbst nicht, weil er nie geteilt war, immer schon verteilt, mal hier, mal da, mal dort, dann wieder: HIER!
Technologien, die sich verteilen, ehe sie entwickelt sind. Und ich dachte, damit
würde es enden. Immer dachte ich, mit so einer Aufnahme würde es enden, aber
wenn ich an die Daten denke, die lebenden Daten, Fingerabdrücke, Irisabdrücke,
die darauf warten, neue scream queens zu finden. Ein Datenfilm, der jetzt startet.
Als erste Szene die letzte drehen. Den Schluß des Films an den Anfang setzen.
Den zweiten Doublefeaturefilm in den ersten setzen, so viele Filme in einem, in
mir. Grindtown. In diesem Artikel fehlen folgende wichtige Informationen:
Handlung knapp bemessen, und: Wie endet der Film? Blackout. Burnout. Way
77
out. Auswege. Ausgänge. Wenn wir den Notausgangsschildern folgen, kommen
wir nicht raus aus der Not, sondern nur tiefer rein. Alles transparent machen, uns
transparent machen, dich und mich und die Kamera hier neben uns, alles gemeinsam veröffentlichen, Raum, öffentlich, zwischen uns, Raum der unsicheren
Gegenwart, unsicher, weil wir uns nicht einbilden, uns einzupressen, in DIE finale Fassung. Kein final cut. Kein final girl. Keine final world mit final word,
diesem letzten Wort müssen wir zuvorkommen! Eine final world, in der Identität
als Slasher eindringt, in meinen Raum aber: Überraschung! Nach dem final final
cut kommt der cut together. Unsere Körper, dynamic plot bodies, ohne feste
Organe, ohne Scriptwriter, gemeinsamer Körper, den wir gemeinsam erforschen,
um zu wissen, wer wir sein können, werden können. Augen schauen sich an.
Kannst du uns auseinanderhalten, auf dem Film? Anfangen, unser Wir neu zu
denken, und davor: dein eigenes Wir zu denken. Etwas, das mehr ist als wir, weil
wir es werden, in jedem Moment, der Geschichte abgetrotztes Leben, wir, in einem Jahrzehnte lang aufgehobenen aufgeschobenen Gegenschuß, just a recording of our body. Script discontinuity, so daß kein Plot meinen Körper in die
Hände nimmt und sagt: Laß mich dein Leben leben! Dein Leben als meins? Zwei
zum Preis von keinem? Heyhey! Brauchen wir ein Leben, um zu lernen, wie wir
leben müßten? Was wir lieben müßten? Lieben. Yeyyey! Lieben, unter Einsatz
eines Lebens, das uns noch nicht geantwortet hat, uns nie. This life is my work.
Lebensversicherung, falls dir jemand nachstellt, um dich nachzustellen, und du
bemerkst: Ich hab nur einen Cameoauftritt in meinem Leben. Ja, Hauptdarsteller
müßte man sein. Wenn wir transparent sind. Wenn wir nicht mehr sichtbarer
werden können. Wenn alles zu sehen ist, alles. Dann werden wir unsichtbar. It’s
time to ring myself. LIFE! Coming soon to a theatre near you, near, in you. Life,
the sequel you’re dying for. Life is so permanent. Ist das die Tagline? Taglines, die
Wirklichkeit werden. Taglines, die Wirklichkeit sind. Taglines wie diese: Das Ende kommt immer plötzlich und als Still. Jetzt. STILL!
78
By telling us about their years in the exploitation movie business,
the following people made valuable contributions to this double feature:
grindhousedatabase.com
Harry M. Benshoff [Monsters in the closet]
Michelle Clifford & Bill Landis [Sleazoid Express]
John Carpenter [Halloween, Halloween: H20, Halloween: Resurrection]
Wes Craven [Nightmare On Elm Street, New Nightmare, Scream 1-3]
Sean S. Cunningham [Friday The 13th]
David E. Durston [I Drink Your Blood]
Sandro Gaycken & Constanze Kurz [1984.exe]
Scott Glosserman [Behind The Mask]
Daphne Gottlieb [Final Girl]
Leon Hempel & Jörg Metelmann, Dietmar Kammerer [Bild – Raum – Kontrolle]
Francisco Reto Klauser [Die Videoüberwachung öffentlicher Räume]
Gertrud Koch & Heide Schlüpmann [Frauen und Film: Horror]
Julia Köhne, Ralph Kuschke& Arno Meteling, Stefan Höltgen, James McFarland,
Gabriele Dietze, Judith Halberstam, Drehli Robnik [Splatter Movies]
Nelson McCormick [Prom Night]
Michael Powell [Peeping Tom]
Peter Schaar [Das Ende der Privatsphäre]
Christane Schulzki-Haddouti [Im Netz der inneren Sicherheit]
Adam Simon [The American Nightmare]
Vivian Sobchack [Meta-Morphing]
Quentin Tarantino & Robert Rodriguez [Grindhouse: Death Proof & Planet Terror]
George A. Romero [Night of The Living Dead, Day of the Dead, Diary of the Dead]
The Horror The Horror [Wired Boy Child]
Mike Whitehead [Slasher Movies]
Linda Williams [Film Bodies, When the woman looks]
Gone but remembered fondly, a sentimental wave good-bye
to those exploitation legends whom we exploited for this here:
Rolf Dieter Brinkmann [Nachwort Westwärts 1&2 & all the rest]
Judith Butler [Haß spricht, Psyche der Macht, Körper von Gewicht]
Gilles Deleuze [Das Zeit-Bild. Kino 2]
Jacques Derrida [Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen]
Michel Foucault [Die Intellektuellen & die Macht, Überwachen und Strafen, klar!]
Bernward Vesper [Die Reise]
© 2008 Jörg Albrecht, www.fotofixautomat.de