PressetextSURREALISMUS
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Inhalt der Pressemappe Ausstellungsdaten Pressetext Saaltexte Biografie Gilbert Kaplan Ausstellungsdaten Pressekonferenz 29. November 2011, 10 Uhr Eröffnung 29. November 2011, 18.30 Uhr Dauer 30. November 2011 – 15. Jänner 2012 Ausstellungsort Bastei Kuratorin Gunhild Bauer Werke 175 Katalog Surrealismus. The Gilbert Kaplan Print Collection Herausgeber: Klaus Albrecht Schröder Mit Beiträgen von Timothy Baum und Gilbert Kaplan Albertina, Wien 2011. Erhältlich im Shop der Albertina sowie unter www.albertina.at um 19,90 Euro. Kontakt Albertinaplatz 1, 1010 Wien T +43 (01) 534 83 – 0 [email protected] www.albertina.at Öffnungszeiten Täglich 10-18 Uhr, Mittwoch 10-21 Uhr Presse Mag. Verena Dahlitz (Leitung) T +43 (01) 534 83 - 510 , M +43 (0)699.121 78 720, [email protected] Mag. Barbara Simsa T +43 (01) 534 83 - 511 , M +43 (0)699.109 81743, [email protected] Sarah Wulbrandt T +43 (01) 534 83 - 511 , M +43 (0)699.121 787 31, [email protected] Partner der Albertina Surrealismus The Gilbert Kaplan Print Collection 30. November 2011 – 15. Jänner 2012 Zum Jahresende steht die Albertina ganz im Zeichen des Surrealismus: Parallel zur großen René Magritte Retrospektive ist die Sammlung Kaplan zu sehen, die herausragende Druckgrafiken der Surrealisten Max Ernst, Joan Miró, Salvador Dalí und 20 weiterer prominenter Vertreter dieser Kunstrichtung vereint. Gemeinsam ist ihnen die Beschäftigung mit dem Unwirklichen und Traumhaften. Durch neuartige künstlerische Arbeitsweisen wie den von Sigmund Freud inspirierten Automatismus schalten die Surrealisten ihre Vernunft bewusst aus, um Imagination, Träume und Innenschau zu ermöglichen. Sie versprechen sich vom Einsatz revolutionärer Methoden, wie dem paranoid-kritischen Ansatz Dalís sowie Formen der schlechten Malerei, des Bad Painting, die Entfaltung neuer Kräfte. Die Techniken fördern überwältigende Alpträume, traumatische Erinnerungen und ungeahnte Leidenschaften zutage. Was heute als Grundlage einer phantastischen Ästhetik angesehen wird, verursacht in den virulenten Zeiten des Surrealismus heftige Polemik und veritable Skandale. Der revolutionäre Charakter der surrealistischen Manifestationen und Aktionen steht für die Künstler, wie auch Theoretiker der surrealistischen Bewegung im Vordergrund. Ihr Begründer André Breton fordert in seinem 1924 veröffentlichten Manifest eine Abwendung von jener Zivilisation, die nach Meinung der Gruppe den Ersten Weltkrieg hervorgebracht hat. „Wenn revolutioniert werden soll, darf sich keiner von uns auf Vorbilder berufen“, so formuliert Breton den Wunsch nach einem absoluten Bruch mit den althergebrachten Traditionen. Liberté, amour, poésie – diese drei Konstanten stellen die Surrealisten den bestehenden Verhältnissen entgegen. Der geforderte Umsturz ist sozialer und ästhetischer Natur: Ein neues revolutionäres Leben und eine neue avantgardistische Kunstauffassung gehen Hand in Hand, der außerhalb des Systems geortete Künstler, am besten Autodidakt, gilt als Hoffnungsträger der Bewegung. Die unbekümmerte Respektlosigkeit gegenüber tradierten Mustern, gepaart mit einer hohen Intellektualität und gedanklicher, wie emotionaler Tiefe ist das wahrhaft Revolutionäre an der surrealistischen Idee, und verleiht der Bewegung auch für die heutige Kunstwelt eine einzigartige Bedeutung. Die vielen Anspielungen, die in den surrealen Bildwelten auftauchen, die feinsinnigen Bild-Zitate, die literarischen Bezüge und textlichen Konnotationen belegen die komplexe Haltung ihrer Protagonisten anschaulich. Die Druckgraphik stellt im Bereich des Surrealismus ein Randgebiet dar. Sie ist – mit Ausnahme des späten Dalí – nicht gerade in großen Mengen produziert worden und eröffnet im Vergleich zur surrealistischen Malerei einen leiseren, poetischeren Zugang zu dieser Bewegung. Viele der in der Ausstellung vertretenen Künstler illustrieren Dichtungen ihrer Freunde, so mancher Surrealist widmet sich darüber hinaus in den im Paris der Zwischenkriegszeit hochspezialisierten alteingesessenen Druckerateliers druckgrafischen Experimenten. Die über weite Strecken nahezu lückenlose Sammlung surrealistischer Druckgrafik Gilbert Kaplans bietet die einmalige Gelegenheit, sich mit den Innenwelten und Methoden der Künstler dieser zentralen Bewegung des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. Saaltexte Die Vorreiter des Surrealismus Das Werk Giorgio de Chiricos und Max Ernsts stellt einen wichtigen Ausgangspunkt für die Entwicklung surrealistischer Kunst dar. De Chiricos metaphysische Bilder sind für viele Surrealisten ein Vorbild. In Landschaften stellt er die Innenwelt, Einsamkeit und Entfremdung des modernen Menschen dar. Wiederkehrende Motive sind Mannequins, blinde Fenster, mysteriöse Umgebungen, alleinstehende Statuen, verkehrte Proportionen oder gedämpftes Licht. Auch der Kölner Dadaist Max Ernst nimmt den Surrealismus vorweg. In Fiat modes pereat ars, einer Hommage an Giorgio de Chirico, setzt er sich mit der Rolle des Menschen in einer unübersichtlichen Welt auseinander. Er vereint nicht zusammengehörige Motive und entwickelt künstlerische Techniken in Analogie zur „Écriture automatique“, wie zum Beispiel die Collage. Er transferiert Frottagen via Umdruckverfahren auf Lithografien oder via Abklatschtechnik in Vernis mou auf Radierungen und nimmt so bewusst den Zufall als Gestaltungsprinzip in seine Kunst auf. 1922 geht Max Ernst nach Paris, 1924 tritt er der Bewegung um Breton bei. Nach seiner Emigration in die USA, wo er sich mit der Künstlerin Dorothea Tanning in Arizona niederlässt, entstehen in den 1940er-Jahren Bilder geometrischer Formen. Die Dadaisten Hans (Jean) Arp, der sich in den 1930er-Jahren sowohl in Kreisen der Abstrakten (AbstractionCréation) als auch der Surrealisten bewegt, lässt sich bei seiner Arbeit ganz von einem unbewussten Automatismus im Sinn der „Écriture automatique“ leiten. Seine biomorphen Formen entstehen in Analogie zu Prozessen der Natur. Marcel Duchamps Readymades, welche die künstlerische Eigenhändigkeit ausschalten, stellen einen wichtigen Beitrag zur surrealistischen Kunst dar. In einer blasphemischen Attacke verpasst Duchamp einer Reproduktion von Leonardo da Vincis Mona Lisa Bart und Schnurrbart: ein dadaistischer, der Stimmung kurz nach dem Ersten Weltkrieg entspringender aggressiver, ja ikonoklastischer Akt. Der New Yorker Dadaist Man Ray malt in den 1930er- und 1940er-Jahren große erzählerische Bilder, in denen er eigene Ahnungen und Empfindungen illustriert. Er verwendet dafür sowohl emblemhafte als auch realistische Zeichen, wie zum Beispiel das in einem nächtlichen Himmel schwebende Lippenpaar, das auf seine damalige Liebe zu der Fotografin Lee Miller anspielt. Durch die bewusste Mehrdeutigkeit seiner Sujets will Man Ray den Betrachter zu eigenen Interpretationen bewegen. Das Gemälde wird von Man Ray später immer wieder in Fotografien eingebaut. Als der große Fotograf 1926 nach Paris geht, publizieren die Surrealisten seine Collageserie aus dem Jahr 1917, die sein frühes Interesse an kubischer Reduktion zeigt. In den frühen 1930er-Jahren setzt Picasso sich mit dem Surrealismus auseinander. Obwohl er an der Erforschung menschlicher Triebe nicht interessiert ist, fasziniert ihn wie die Surrealisten die Sexualität. Er hält zwar stets Distanz zu der Gruppe, stellt aber wie de Chirico mit ihr aus. Abstrakter Surrealismus André Masson schließt sich früh der Gruppe um Breton an. Er entwickelt ein Verfahren des automatischen Zeichnens. Das Bewusstsein soll durch die Wahl der Geschwindigkeit des Strichs, das Variieren des Tempos, die Wiederholung der Bewegungen, einen nicht unterbrochenen Zeichenfluss, Zustände der Hypnose oder des Rausches oder durch das freie Interpretieren von Tintenflecken ausgeschaltet werden: das Unbewusste wird aktiviert. Masson konzentriert sich auf die gerade in Entstehung begriffene Linie und folgt keiner vorab festgelegten Idee oder Konzeption. Er überblickt die Zeichnung erst zum Schluss. Die gewalttätigen Themen der 1930er-Jahre spiegeln die traumatischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, den aufsteigenden Faschismus in Europa sowie den abermaligen Krieg. Masson ist einer der ersten Surrealisten, der Druckgrafik – Tiefdrucke – herstellt. Seine Methode des Zeichnens und Malens aus der unbewussten Geste heraus bereitet den Weg für die Action Paintings eines Jackson Pollock. Joan Miró steigt rasch zu einer zentralen Figur des frühen Surrealismus auf. Von den 1930er-Jahren an schafft er bis zu seinem Tod 1983 eines der umfangreichsten druckgrafischen Œuvres des Surrealismus. Er greift auf die Kinderzeichnung mit ihrer Unmittelbarkeit und ungelenken Erscheinung zurück und kombiniert deren Wesen mit abstrakten Formen. In seinen frühen Arbeiten bis Kriegsbeginn wird die angsterfüllte Stimmung während des Spanischen Bürgerkriegs, unter dem Faschismus und im Angesicht des sich abzeichnenden neuen Kriegs spürbar. Er arbeitet mit den Mitteln der Deformation und der Übermalung. Die beiden Mappen Solidarité und Fraternity erscheinen 1938 und 1939 als Stimmen der Intellektuellen gegen den Faschismus. Der Schweizer Kurt Seligmann ist mit Arp befreundet. Er ist Mitglied von Abstraction-Création, Cercle et Carré sowie der Gruppe der Surrealisten. Aus geometrischen Formen und Zeichen konstruiert er – ähnlich Miró – Figuren, die wie künstliche Konstruktionen oder Puppen wirken. Die Zeitschrift Minotaure, die von 1933 bis 1939 erscheint, gibt einen Überblick über das gesamte intellektuelle Leben des Surrealismus dieser Zeit und positioniert die surrealistische Kunst neu. Sie endet mit der Okkupation Frankreichs durch Deutschland. Max Ernst erfindet mit der Technik der sogenannten „Auflagefrottage“ für Buchillustrationen ein Vervielfältigungsverfahren in Analogie zur „Écriture automatique“. Einem Hochdruckverfahren ähnlich wird eine nach einer Zeichnung angefertigte Strichätzung auf das Papier durchgerieben, womit die persönliche ästhetische Handschrift und Kontrolle weitgehend ausgeschaltet sind. Veristischer Surrealismus Nach dem Studium der Malerei in Madrid avanciert Salvador Dalí in den 1930er-Jahren zur zentralen Figur des Surrealismus. Er wird wie kein anderer popularisiert. Dalí entwickelt die sogenannte paranoid-kritische Methode, die er 1930 in La Femme visible erstmals einem breiteren Publikum vorstellt. Mit fotografischer Präzision setzt er seine Traumbilder ins Malerische um, indem er Vorlagen verwendet, die er spontan, assoziativ und kritisch-reflektierend neu interpretiert. Es geht ihm um irrationale Erkenntnis, er schafft persönliche Mythologien und Sublimationen. Die meisten seiner Druckgrafiken bereitet Dalí in minutiösen Tuschfederzeichnungen vor, die in einem zweiten Arbeitsdurchgang vom Drucker auf die Platte übertragen werden. Mitunter arbeitet der Künstler mit Kaltnadel nach. Les Chants de Maldoror Der Auftrag zur Illustration von Lautréamonts Les Chants de Maldoror kommt Dalí 1934 sehr gelegen, da er in diesem Jahr wegen einer unpassenden Äußerung über Hitler, den er als Paranoiker neben de Sade und Lautréamont stellt, aus der Gruppe der Surrealisten ausgeschlossen wird. Alle Surrealisten hegen eine schwärmerische Verehrung für das 1874 veröffentlichte degoutante, provokative und nihilistische Werk von Lautréamont alias Isidore Ducasse (1847–1870). Es entstammt den Bestrebungen nach Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Erzählung handelt von den Grausamkeiten des Maldoror. Zu Beginn wird die Schönheit eines Knaben beschrieben, der von Maldoror zu Tode gequält wird. Die berühmte Passage „Er ist so schön wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!“ findet sich in dieser Beschreibung. Die Folge von Radierungen bedeutet nach dem Film L’Âge d’or von Dalí und Buñuel von 1930 eine weitere Provokation der Bourgeoisie. Dalí verschlüsselt die sexuelle Symbolik des Werkes. Motive wie Jean-François Millets Abendgebet, Bildnisse von Dalís Frau Gala, ein versteinertes Auto auf einem Felsen, degenerierte Morphologien des „Weichen“ oder „Harten“ und die schmelzende Uhr sind ureigenste Erfindungen Dalís. Sie beziehen sich keineswegs auf Lautréamonts Gedicht. Doch in ihrer schockierenden Monstrosität stehen sie dem Geist des Gedichts nahe. Dalí schuf Silberstiftoder Federzeichnungen, die in Heliogravüretechnik gedruckt und anschließend von ihm in Kaltnadeltechnik überarbeitet wurden. Fließbilder In den 1930er-Jahren ändert Yves Tanguy, einer der frühen Surrealisten, seine Malweise in Reaktion auf die Erfolge Dalís radikal. Statt der automatistischen Rauch- und Nebelbilder der 1920er-Jahre malt er nun größerer Kontrolle unterworfene Fließbilder, die illusionistische Landschaften und weiche, antropomorphe Figuren darstellen. Er arbeitet in präzisen Strichen und mit mikroskopischer Detailgenauigkeit direkt auf die Platte. Farbreste auf der nicht vollständig gereinigten Platte – der sogenannte Plattenton – lassen die knochen- und korallenartigen Konglomerate wie Relikte aus früheren Zeiten erscheinen. Es wimmelt zwar, aber alles scheint erstarrt, nach Sigmund Freud eine Ursache für das Empfinden des Unheimlichen. Vielleicht klingen aber auch die eigenartigen Felsformationen des Atlasgebirges nach, das der Künstler 1930 bereist. Sein kleines druckgrafisches Œuvre entsteht fast ausschließlich in Form von Textillustrationen für seine Dichterfreunde oder für surrealistische Publikationen. Surrealismus in Belgien René Magritte, der Mitte der 1920er-Jahre auf die Surrealisten aufmerksam wird und mit ihnen ausstellt, lehnt deren Methoden wie beispielsweise den Automatismus ab. Die Blätter aus der Sammlung Kaplan stellen das gesamte druckgrafische Œuvre des Künstlers dar und entstanden allesamt während der letzten acht Jahre seines Lebens. Häufig bereitet Magritte die Drucke als Zeichnungen vor, die von seinem Pariser Drucker auf die Platte übertragen und vom Künstler korrigiert werden. Die meisten Blätter entstehen nach Motiven von Gemälden, die variiert und auf Schwarz-Weiß reduziert werden. Paul Delvaux steht Mitte der 1930er-Jahre unter dem Einfluss von de Chirico und René Magritte sowie des Klassizismus Jean-Auguste-Dominique Ingres’ (1780–1867). Sein Realismus erzeugt eine Atmosphäre des Traums und des Unlogischen. Es liegt ein durch die Sprache des Unbewussten verschlüsselter persönlicher Sinn in den Bildern. Magie und Naive Kunst Nachdem Victor Brauner wegen seiner nonkonformistischen Malerei von der Akademie der schönen Künste in Bukarest entlassen worden ist, experimentiert er mit allen möglichen automatistischen Verfahren. Später geht er unter dem Einfluss Dalís andere Wege. In sein Werk fließen viele humoristische Elemente, aber auch Momente der Kabbalasymbolik und -magie ein, die er durch seine Eltern vermittelt bekommen hat. Brauner interessiert sich wie Breton für die Kunst der Geisteskranken. Zur Förderung von Außenseiterkunst gründet Breton 1947 gemeinsam mit Jean Dubuffet den Verein Compagnie de l’Art brut. Der Kubaner Wifredo Lam übersiedelt nach dem Studium der Malerei in Havanna 1923 nach Madrid. Nachdem er auf der Seite der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat, geht er 1938 nach Paris und schließt sich eng an Picasso an. In den 1940er-Jahren studiert er zusammen mit André Breton die afrikanischen Voodoo-Praktiken in Haiti und stellt zusammen mit den Surrealisten aus. Seine Landschaften sind von Wesen aus der primitiven Kunst durchdrungen. Die Künstlerin Leonora Carrington lernt 1937 Max Ernst kennen. Sie geht 1942 nach Mexiko und beteiligt sich von 1938 bis 1947 an Gruppenausstellungen der Surrealisten. Ihr Werk bevölkern Gestalten und Geister, die in der magischen Welt der mexikanischen Kultur verwurzelt sind. KriegsKriegs- und Nachkriegsjahre Auf Initiative Bretons entsteht 1942 im New Yorker Exil die Zeitschrift VVV als Sprachrohr der in alle Welt zerstreuten Surrealisten. 1942 findet in der Galerie Pierre Matisse in Manhattan die legendäre Ausstellung Artists in Exile statt. 1947 organisieren André Breton und Marcel Duchamp die berühmte Exposition Internationale du Surréalisme in der Galerie Maeght in Paris; es ist die letzte bedeutende Gruppenausstellung der surrealistischen Bewegung, die allmählich zerfällt. 1954 wird anlässlich der Biennale von Venedig eine Surrealismus-Sonderschau gezeigt. Der Spanier Óscar Domínguez, ein Freund Picassos, ist von 1934 bis 1945 Mitglied der Gruppe der Surrealisten. Er arbeitet in Paris und auf Teneriffa, wo er surrealistische Ausstellungen organisiert. Die kristallinen Formen und Netze, die seine Bilder beherrschen, resultieren aus der von ihm 1942 mitentwickelten Theorie der Versteinerung der Zeit, einem wichtigen Beitrag zur Kunst des Surrealismus. Versteinerungen dieser Art finden sich auch in den Bildern René Magrittes. Der in Berlin lebende Hans Bellmer stellt 1933 aus politischen Gründen jegliche gesellschaftlich nützliche Tätigkeit ein, verfolgt mit großem Interesse die surrealistische Zeitschrift Minotaure und widmet sich ganz der Herstellung einer lebensgroßen Frauenpuppe aus Holz und Metall, um sie anschließend in erotisch-perversen Stellungen zu fotografieren. 1938 geht er nach Paris, wo ihn die Surrealisten begeistert aufnehmen. So wie Arp in der Natur sieht Bellmer im Eros eine Analogie zur künstlerischen Schöpfungskraft. Die bewusste Übertretung moralischer Normen kann im Sinn de Sades und Georges Batailles auch als Gesellschaftskritik verstanden werden. Roberto Matta gehört der zweiten Generation der Surrealisten an, denen er sich erst 1937 anschließt. In den 1940er-Jahren wird er zur zentralen Figur der Surrealisten im New Yorker Exil und ein wichtiger Vorläufer des Abstrakten Expressionismus. Auch sein Werk steht unter dem Eindruck der Grausamkeit der Kriege, der Gräuel des Spanischen Bürgerkriegs, des Unabhängigkeitskriegs Algeriens und des Vietnamkriegs. Biographie Gilbert Kaplan Man könnte Gilbert Kaplan, dessen Sammlung surrealistischer Druckgraphik im Brennpunkt dieser Ausstellung steht, wohl selbst als Surrealisten bezeichnen. Der New Yorker Geschäftsmann und Journalist ist Gründer des preisgekrönten Wirtschaftsmagazins Institutional Investor, leidenschaftlicher Sammler und eine führende Autorität, was den Komponisten Gustav Mahler betrifft. Dessen Werk ist für ihn mit dem der Surrealisten verwandt. Er ist Autor des Bandes Das Mahler-Album, einer illustrierten Biographie des Komponisten, und von Vorlesungen über Mahler an der Juilliard School in New York. Als Dirigent ist Gilbert Kaplan weithin als einer der führenden Interpreten von Mahlers 2. Symphonie bekannt. Er hat weltweit über fünfzig Orchester geleitet, darunter die Wiener Philharmoniker, die New Yorker Philharmoniker, das London Symphony Orchestra, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Bayerische Staatsorchester, das Orchester der Deutschen Oper Berlin, das Philharmonische Orchester der Mailänder Scala, die Sankt Petersburger Philharmonie und das China National Symphony Orchestra (mit dem Mahlers 2. Symphonie ihre Erstaufführung in China erlebte). Im Rahmen eines Eröffnungskonzerts der Salzburger Festspiele leitete er das Philharmonia Orchestra London und den Chor der Wiener Staatsoper. Gilbert Kaplans Einspielung von Mahlers 2. Symphonie mit dem London Symphony Orchestra wurde 1988 von der New York Times und vom ZDF zu einer der Aufnahmen des Jahres gewählt. Mit mehr als 180.000 verkauften Exemplaren wurde sie zur meistverkauften Mahler-Aufnahme der Geschichte. Eine spätere Einspielung des Werks mit den Wiener Philharmonikern wurde seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2003 zur bestverkauften Aufnahme der 2. Symphonie. Gemeinsam mit Renate Stark-Voit zeichnet Gilbert Kaplan für die neue kritische Ausgabe der 2. Symphonie Mahlers verantwortlich. Gilbert Kaplan ist auch eine bekannte Rundfunkgröße. Im New York Public Radio fungiert er als Gastgeber der Sendung Mad About Music, in der er mit prominenten Persönlichkeiten über die Rolle der Musik in ihrem Leben spricht. Zu seinen Gästen aus Österreich zählten etwa der ehemalige Direktor der Wiener Staatsoper Ioan Holender, der Vorstand der Wiener Philharmoniker Clemens Hellsberg, der Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper Franz Welser-Möst und der frühere Direktor der Salzburger Festspiele Gerard Mortier. Seit dreißig Jahren gehört Gilbert Kaplan dem Kuratorium der New Yorker Carnegie Hall an. Gilbert Kaplan hat eine unvergleichliche Sammlung surrealistischer Druckgraphik aufgebaut. Gemeinsam mit seiner Frau Lena sammelt er auch Schlüsselwerke der surrealistischen Malerei und Zeichnung, wie zum Beispiel Werke von Magritte, Dalí (der für Gilbert Kaplan einmal ein Zeitschriftencover gestaltet hat), Ernst, Delvaux, de Chirico, Tanguy, Matta, Man Ray und Brauner. Kaplan war viele Jahre lang Mitglied des für Druckgraphik zuständigen Ausschusses des Museum of Modern Art in New York und zeichnet gemeinsam mit Timothy Baum für das Werkverzeichnis der Druckgraphik Magrittes, The Graphic Work of René Magritte, verantwortlich. Anlässlich des 100. Jahrestages der Ernennung Gustav Mahlers zum ersten Kapellmeister und Direktor der Wiener Hofoper beauftragte Gilbert Kaplan 1997 den Künstler R. B. Kitaj, ein Porträt des Komponisten zu malen. Es hängt heute in einem in Gustav-Mahler-Saal umbenannten Pausenraum der Wiener Staatsoper. In dem folgenden persönlichen Statement beschreibt Gilbert Kaplan seine Leidenschaft für den Surrealismus. Zwischen Idee Und Wirklichkeit Zwischen Regung Und Tat Fällt der Schatten T. S. Eliot, Die hohlen Männer (1925, dt. von Hans Magnus Enzensberger) Der Surrealismus hat mich in seiner Weise, die Wirklichkeit wahrzunehmen, immer fasziniert. Durch die Darstellung gewöhnlicher Gegenstände in ungewöhnlichem Rahmen haben die Surrealisten den Bereich der Vorstellungskraft erweitert und gezeigt, wie sehr die Grenze zwischen Wirklichem und Unwirklichem verschwimmen kann. Zum ersten Mal zu den Werken dieser Künstler hingezogen fühlte ich mich als Kind, als ich in der Schule mit den überwältigenden, traumartigen Bildern René Magrittes bekannt gemacht wurde. Das erste Werk meiner Sammlung, die heute Arbeiten von 23 Künstlern umfasst, war eine Radierung Magrittes. Junge Sammler beginnen oft mit Drucken und wenden sich erst später Gemälden und Zeichnungen zu. Diesem Muster ist auch die Sammlung meiner Familie gefolgt. Ich habe aber im Lauf der Jahre die Druckgraphiksammlung weiter ausgebaut. Die hier gezeigten druckgraphischen Arbeiten wurden über einen Zeitraum von 40 Jahren hinweg angekauft, und es war ein wahres Abenteuer, überall auf der Welt nach diesen seltenen Werken zu suchen. Die großartigen Bilder eröffnen einen besonderen Blick auf die Welt des Surrealismus, und es freut mich, sie mit Ihnen zu teilen. Gilbert Kaplan