PressetextSURREALISMUS

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PressetextSURREALISMUS
Inhalt der Pressemappe
Ausstellungsdaten
Pressetext
Saaltexte
Biografie Gilbert Kaplan
Ausstellungsdaten
Pressekonferenz
29. November 2011, 10 Uhr
Eröffnung
29. November 2011, 18.30 Uhr
Dauer
30. November 2011 – 15. Jänner 2012
Ausstellungsort
Bastei
Kuratorin
Gunhild Bauer
Werke
175
Katalog
Surrealismus. The Gilbert Kaplan Print Collection
Herausgeber: Klaus Albrecht Schröder
Mit Beiträgen von Timothy Baum und Gilbert Kaplan
Albertina, Wien 2011.
Erhältlich im Shop der Albertina sowie unter www.albertina.at um 19,90 Euro.
Kontakt
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
T +43 (01) 534 83 – 0
[email protected]
www.albertina.at
Öffnungszeiten
Täglich 10-18 Uhr, Mittwoch 10-21 Uhr
Presse
Mag. Verena Dahlitz (Leitung)
T +43 (01) 534 83 - 510 , M +43 (0)699.121 78 720, [email protected]
Mag. Barbara Simsa
T +43 (01) 534 83 - 511 , M +43 (0)699.109 81743, [email protected]
Sarah Wulbrandt
T +43 (01) 534 83 - 511 , M +43 (0)699.121 787 31, [email protected]
Partner der Albertina
Surrealismus
The Gilbert Kaplan Print Collection
30. November 2011 – 15. Jänner 2012
Zum Jahresende steht die Albertina ganz im Zeichen des Surrealismus: Parallel zur großen René
Magritte Retrospektive ist die Sammlung Kaplan zu sehen, die herausragende Druckgrafiken der
Surrealisten Max Ernst, Joan Miró, Salvador Dalí und 20 weiterer prominenter Vertreter dieser
Kunstrichtung vereint. Gemeinsam ist ihnen die Beschäftigung mit dem Unwirklichen und
Traumhaften. Durch neuartige künstlerische Arbeitsweisen wie den von Sigmund Freud inspirierten
Automatismus schalten die Surrealisten ihre Vernunft bewusst aus, um Imagination, Träume und
Innenschau zu ermöglichen. Sie versprechen sich vom Einsatz revolutionärer Methoden, wie dem
paranoid-kritischen Ansatz Dalís sowie Formen der schlechten Malerei, des Bad Painting, die
Entfaltung neuer Kräfte. Die Techniken fördern überwältigende Alpträume, traumatische
Erinnerungen und ungeahnte Leidenschaften zutage.
Was heute als Grundlage einer phantastischen Ästhetik angesehen wird, verursacht in den
virulenten Zeiten des Surrealismus heftige Polemik und veritable Skandale.
Der revolutionäre Charakter der surrealistischen Manifestationen und Aktionen steht für die
Künstler, wie auch Theoretiker der surrealistischen Bewegung im Vordergrund. Ihr Begründer André
Breton fordert in seinem 1924 veröffentlichten Manifest eine Abwendung von jener Zivilisation, die
nach Meinung der Gruppe den Ersten Weltkrieg hervorgebracht hat. „Wenn revolutioniert werden
soll, darf sich keiner von uns auf Vorbilder berufen“, so formuliert Breton den Wunsch nach einem
absoluten Bruch mit den althergebrachten Traditionen. Liberté, amour, poésie – diese drei
Konstanten stellen die Surrealisten den bestehenden Verhältnissen entgegen. Der geforderte
Umsturz ist sozialer und ästhetischer Natur: Ein neues revolutionäres Leben und eine neue
avantgardistische Kunstauffassung gehen Hand in Hand, der außerhalb des Systems geortete
Künstler, am besten Autodidakt, gilt als Hoffnungsträger der Bewegung.
Die unbekümmerte Respektlosigkeit gegenüber tradierten Mustern, gepaart mit einer hohen
Intellektualität und gedanklicher, wie emotionaler Tiefe ist das wahrhaft Revolutionäre an der
surrealistischen Idee, und verleiht der Bewegung auch für die heutige Kunstwelt eine einzigartige
Bedeutung. Die vielen Anspielungen, die in den surrealen Bildwelten auftauchen, die feinsinnigen
Bild-Zitate, die literarischen Bezüge und textlichen Konnotationen belegen die komplexe Haltung
ihrer Protagonisten anschaulich.
Die Druckgraphik stellt im Bereich des Surrealismus ein Randgebiet dar. Sie ist – mit Ausnahme des
späten Dalí – nicht gerade in großen Mengen produziert worden und eröffnet im Vergleich zur
surrealistischen Malerei einen leiseren, poetischeren Zugang zu dieser Bewegung.
Viele der in der Ausstellung vertretenen Künstler illustrieren Dichtungen ihrer Freunde, so mancher
Surrealist widmet sich darüber hinaus in den im Paris der Zwischenkriegszeit hochspezialisierten
alteingesessenen Druckerateliers druckgrafischen Experimenten.
Die über weite Strecken nahezu lückenlose Sammlung surrealistischer Druckgrafik Gilbert Kaplans
bietet die einmalige Gelegenheit, sich mit den Innenwelten und Methoden der Künstler dieser
zentralen Bewegung des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen.
Saaltexte
Die Vorreiter des Surrealismus
Das Werk Giorgio de Chiricos und Max Ernsts stellt einen wichtigen Ausgangspunkt für die
Entwicklung surrealistischer Kunst dar.
De Chiricos metaphysische Bilder sind für viele Surrealisten ein Vorbild. In Landschaften stellt er die
Innenwelt, Einsamkeit und Entfremdung des modernen Menschen dar. Wiederkehrende Motive sind
Mannequins, blinde Fenster, mysteriöse Umgebungen, alleinstehende Statuen, verkehrte
Proportionen oder gedämpftes Licht.
Auch der Kölner Dadaist Max Ernst nimmt den Surrealismus vorweg. In Fiat modes pereat ars, einer
Hommage an Giorgio de Chirico, setzt er sich mit der Rolle des Menschen in einer
unübersichtlichen Welt auseinander. Er vereint nicht zusammengehörige Motive und entwickelt
künstlerische Techniken in Analogie zur „Écriture automatique“, wie zum Beispiel die Collage. Er
transferiert Frottagen via Umdruckverfahren auf Lithografien oder via Abklatschtechnik in Vernis
mou auf Radierungen und nimmt so bewusst den Zufall als Gestaltungsprinzip in seine Kunst auf.
1922 geht Max Ernst nach Paris, 1924 tritt er der Bewegung um Breton bei. Nach seiner Emigration in
die USA, wo er sich mit der Künstlerin Dorothea Tanning in Arizona niederlässt, entstehen in den
1940er-Jahren Bilder geometrischer Formen.
Die Dadaisten
Hans (Jean) Arp, der sich in den 1930er-Jahren sowohl in Kreisen der Abstrakten (AbstractionCréation) als auch der Surrealisten bewegt, lässt sich bei seiner Arbeit ganz von einem unbewussten
Automatismus im Sinn der „Écriture automatique“ leiten. Seine biomorphen Formen entstehen in
Analogie zu Prozessen der Natur.
Marcel Duchamps Readymades, welche die künstlerische Eigenhändigkeit ausschalten, stellen einen
wichtigen Beitrag zur surrealistischen Kunst dar. In einer blasphemischen Attacke verpasst
Duchamp einer Reproduktion von Leonardo da Vincis Mona Lisa Bart und Schnurrbart: ein
dadaistischer, der Stimmung kurz nach dem Ersten Weltkrieg entspringender aggressiver, ja
ikonoklastischer Akt.
Der New Yorker Dadaist Man Ray malt in den 1930er- und 1940er-Jahren große erzählerische Bilder,
in denen er eigene Ahnungen und Empfindungen illustriert. Er verwendet dafür sowohl
emblemhafte als auch realistische Zeichen, wie zum Beispiel das in einem nächtlichen Himmel
schwebende Lippenpaar, das auf seine damalige Liebe zu der Fotografin Lee Miller anspielt. Durch
die bewusste Mehrdeutigkeit seiner Sujets will Man Ray den Betrachter zu eigenen Interpretationen
bewegen. Das Gemälde wird von Man Ray später immer wieder in Fotografien eingebaut. Als der
große Fotograf 1926 nach Paris geht, publizieren die Surrealisten seine Collageserie aus dem Jahr
1917, die sein frühes Interesse an kubischer Reduktion zeigt.
In den frühen 1930er-Jahren setzt Picasso sich mit dem Surrealismus auseinander. Obwohl er an der
Erforschung menschlicher Triebe nicht interessiert ist, fasziniert ihn wie die Surrealisten die
Sexualität. Er hält zwar stets Distanz zu der Gruppe, stellt aber wie de Chirico mit ihr aus.
Abstrakter Surrealismus
André Masson schließt sich früh der Gruppe um Breton an. Er entwickelt ein Verfahren des
automatischen Zeichnens. Das Bewusstsein soll durch die Wahl der Geschwindigkeit des Strichs, das
Variieren des Tempos, die Wiederholung der Bewegungen, einen nicht unterbrochenen
Zeichenfluss, Zustände der Hypnose oder des Rausches oder durch das freie Interpretieren von
Tintenflecken ausgeschaltet werden: das Unbewusste wird aktiviert. Masson konzentriert sich auf
die gerade in Entstehung begriffene Linie und folgt keiner vorab festgelegten Idee oder Konzeption.
Er überblickt die Zeichnung erst zum Schluss. Die gewalttätigen Themen der 1930er-Jahre spiegeln
die traumatischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, den aufsteigenden Faschismus in Europa sowie
den abermaligen Krieg.
Masson ist einer der ersten Surrealisten, der Druckgrafik – Tiefdrucke – herstellt. Seine Methode
des Zeichnens und Malens aus der unbewussten Geste heraus bereitet den Weg für die Action
Paintings eines Jackson Pollock.
Joan Miró steigt rasch zu einer zentralen Figur des frühen Surrealismus auf. Von den 1930er-Jahren
an schafft er bis zu seinem Tod 1983 eines der umfangreichsten druckgrafischen Œuvres des
Surrealismus. Er greift auf die Kinderzeichnung mit ihrer Unmittelbarkeit und ungelenken
Erscheinung zurück und kombiniert deren Wesen mit abstrakten Formen. In seinen frühen Arbeiten
bis Kriegsbeginn wird die angsterfüllte Stimmung während des Spanischen Bürgerkriegs, unter dem
Faschismus und im Angesicht des sich abzeichnenden neuen Kriegs spürbar. Er arbeitet mit den
Mitteln der Deformation und der Übermalung. Die beiden Mappen Solidarité und Fraternity
erscheinen 1938 und 1939 als Stimmen der Intellektuellen gegen den Faschismus.
Der Schweizer Kurt Seligmann ist mit Arp befreundet. Er ist Mitglied von Abstraction-Création,
Cercle et Carré sowie der Gruppe der Surrealisten. Aus geometrischen Formen und Zeichen
konstruiert er – ähnlich Miró – Figuren, die wie künstliche Konstruktionen oder Puppen wirken.
Die Zeitschrift Minotaure, die von 1933 bis 1939 erscheint, gibt einen Überblick über das gesamte
intellektuelle Leben des Surrealismus dieser Zeit und positioniert die surrealistische Kunst neu. Sie
endet mit der Okkupation Frankreichs durch Deutschland.
Max Ernst erfindet mit der Technik der sogenannten „Auflagefrottage“ für Buchillustrationen ein
Vervielfältigungsverfahren in Analogie zur „Écriture automatique“. Einem Hochdruckverfahren
ähnlich wird eine nach einer Zeichnung angefertigte Strichätzung auf das Papier durchgerieben,
womit die persönliche ästhetische Handschrift und Kontrolle weitgehend ausgeschaltet sind.
Veristischer Surrealismus
Nach dem Studium der Malerei in Madrid avanciert Salvador Dalí in den 1930er-Jahren zur zentralen
Figur des Surrealismus. Er wird wie kein anderer popularisiert. Dalí entwickelt die sogenannte
paranoid-kritische Methode, die er 1930 in La Femme visible erstmals einem breiteren Publikum
vorstellt. Mit fotografischer Präzision setzt er seine Traumbilder ins Malerische um, indem er
Vorlagen verwendet, die er spontan, assoziativ und kritisch-reflektierend neu interpretiert. Es geht
ihm um irrationale Erkenntnis, er schafft persönliche Mythologien und Sublimationen. Die meisten
seiner Druckgrafiken bereitet Dalí in minutiösen Tuschfederzeichnungen vor, die in einem zweiten
Arbeitsdurchgang vom Drucker auf die Platte übertragen werden. Mitunter arbeitet der Künstler mit
Kaltnadel nach.
Les Chants de Maldoror
Der Auftrag zur Illustration von Lautréamonts Les Chants de Maldoror kommt Dalí 1934 sehr
gelegen, da er in diesem Jahr wegen einer unpassenden Äußerung über Hitler, den er als Paranoiker
neben de Sade und Lautréamont stellt, aus der Gruppe der Surrealisten ausgeschlossen wird.
Alle Surrealisten hegen eine schwärmerische Verehrung für das 1874 veröffentlichte degoutante,
provokative und nihilistische Werk von Lautréamont alias Isidore Ducasse (1847–1870). Es
entstammt den Bestrebungen nach Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben im letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Erzählung handelt von den Grausamkeiten des Maldoror. Zu Beginn
wird die Schönheit eines Knaben beschrieben, der von Maldoror zu Tode gequält wird. Die berühmte
Passage „Er ist so schön wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines
Regenschirms auf einem Seziertisch!“ findet sich in dieser Beschreibung.
Die Folge von Radierungen bedeutet nach dem Film L’Âge d’or von Dalí und Buñuel von 1930 eine
weitere Provokation der Bourgeoisie. Dalí verschlüsselt die sexuelle Symbolik des Werkes. Motive
wie Jean-François Millets Abendgebet, Bildnisse von Dalís Frau Gala, ein versteinertes Auto auf
einem Felsen, degenerierte Morphologien des „Weichen“ oder „Harten“ und die schmelzende Uhr
sind ureigenste Erfindungen Dalís. Sie beziehen sich keineswegs auf Lautréamonts Gedicht. Doch in
ihrer schockierenden Monstrosität stehen sie dem Geist des Gedichts nahe. Dalí schuf Silberstiftoder Federzeichnungen, die in Heliogravüretechnik gedruckt und anschließend von ihm in
Kaltnadeltechnik überarbeitet wurden.
Fließbilder
In den 1930er-Jahren ändert Yves Tanguy, einer der frühen Surrealisten, seine Malweise in Reaktion
auf die Erfolge Dalís radikal. Statt der automatistischen Rauch- und Nebelbilder der 1920er-Jahre
malt er nun größerer Kontrolle unterworfene Fließbilder, die illusionistische Landschaften und
weiche, antropomorphe Figuren darstellen. Er arbeitet in präzisen Strichen und mit mikroskopischer
Detailgenauigkeit direkt auf die Platte. Farbreste auf der nicht vollständig gereinigten Platte – der
sogenannte Plattenton – lassen die knochen- und korallenartigen Konglomerate wie Relikte aus
früheren Zeiten erscheinen. Es wimmelt zwar, aber alles scheint erstarrt, nach Sigmund Freud eine
Ursache für das Empfinden des Unheimlichen. Vielleicht klingen aber auch die eigenartigen
Felsformationen des Atlasgebirges nach, das der Künstler 1930 bereist. Sein kleines druckgrafisches
Œuvre entsteht fast ausschließlich in Form von Textillustrationen für seine Dichterfreunde oder für
surrealistische Publikationen.
Surrealismus in Belgien
René Magritte, der Mitte der 1920er-Jahre auf die Surrealisten aufmerksam wird und mit ihnen
ausstellt, lehnt deren Methoden wie beispielsweise den Automatismus ab. Die Blätter aus der
Sammlung Kaplan stellen das gesamte druckgrafische Œuvre des Künstlers dar und entstanden
allesamt während der letzten acht Jahre seines Lebens. Häufig bereitet Magritte die Drucke als
Zeichnungen vor, die von seinem Pariser Drucker auf die Platte übertragen und vom Künstler
korrigiert werden. Die meisten Blätter entstehen nach Motiven von Gemälden, die variiert und auf
Schwarz-Weiß reduziert werden.
Paul Delvaux steht Mitte der 1930er-Jahre unter dem Einfluss von de Chirico und René Magritte
sowie des Klassizismus Jean-Auguste-Dominique Ingres’ (1780–1867). Sein Realismus erzeugt eine
Atmosphäre des Traums und des Unlogischen. Es liegt ein durch die Sprache des Unbewussten
verschlüsselter persönlicher Sinn in den Bildern.
Magie und Naive Kunst
Nachdem Victor Brauner wegen seiner nonkonformistischen Malerei von der Akademie der
schönen Künste in Bukarest entlassen worden ist, experimentiert er mit allen möglichen
automatistischen Verfahren. Später geht er unter dem Einfluss Dalís andere Wege. In sein Werk
fließen viele humoristische Elemente, aber auch Momente der Kabbalasymbolik und -magie ein,
die er durch seine Eltern vermittelt bekommen hat. Brauner interessiert sich wie Breton für die
Kunst der Geisteskranken. Zur Förderung von Außenseiterkunst gründet Breton 1947 gemeinsam
mit Jean Dubuffet den Verein Compagnie de l’Art brut.
Der Kubaner Wifredo Lam übersiedelt nach dem Studium der Malerei in Havanna 1923 nach Madrid.
Nachdem er auf der Seite der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat, geht er 1938
nach Paris und schließt sich eng an Picasso an. In den 1940er-Jahren studiert er zusammen mit
André Breton die afrikanischen Voodoo-Praktiken in Haiti und stellt zusammen mit den Surrealisten
aus. Seine Landschaften sind von Wesen aus der primitiven Kunst durchdrungen.
Die Künstlerin Leonora Carrington lernt 1937 Max Ernst kennen. Sie geht 1942 nach Mexiko und
beteiligt sich von 1938 bis 1947 an Gruppenausstellungen der Surrealisten. Ihr Werk bevölkern
Gestalten und Geister, die in der magischen Welt der mexikanischen Kultur verwurzelt sind.
KriegsKriegs- und Nachkriegsjahre
Auf Initiative Bretons entsteht 1942 im New Yorker Exil die Zeitschrift VVV als Sprachrohr der in alle
Welt zerstreuten Surrealisten. 1942 findet in der Galerie Pierre Matisse in Manhattan die legendäre
Ausstellung Artists in Exile statt. 1947 organisieren André Breton und Marcel Duchamp die
berühmte Exposition Internationale du Surréalisme in der Galerie Maeght in Paris; es ist die letzte
bedeutende Gruppenausstellung der surrealistischen Bewegung, die allmählich zerfällt. 1954 wird
anlässlich der Biennale von Venedig eine Surrealismus-Sonderschau gezeigt.
Der Spanier Óscar Domínguez, ein Freund Picassos, ist von 1934 bis 1945 Mitglied der Gruppe der
Surrealisten. Er arbeitet in Paris und auf Teneriffa, wo er surrealistische Ausstellungen organisiert.
Die kristallinen Formen und Netze, die seine Bilder beherrschen, resultieren aus der von ihm 1942
mitentwickelten Theorie der Versteinerung der Zeit, einem wichtigen Beitrag zur Kunst des
Surrealismus. Versteinerungen dieser Art finden sich auch in den Bildern René Magrittes.
Der in Berlin lebende Hans Bellmer stellt 1933 aus politischen Gründen jegliche gesellschaftlich
nützliche Tätigkeit ein, verfolgt mit großem Interesse die surrealistische Zeitschrift Minotaure und
widmet sich ganz der Herstellung einer lebensgroßen Frauenpuppe aus Holz und Metall, um sie
anschließend in erotisch-perversen Stellungen zu fotografieren. 1938 geht er nach Paris, wo ihn die
Surrealisten begeistert aufnehmen. So wie Arp in der Natur sieht Bellmer im Eros eine Analogie zur
künstlerischen Schöpfungskraft. Die bewusste Übertretung moralischer Normen kann im Sinn de
Sades und Georges Batailles auch als Gesellschaftskritik verstanden werden.
Roberto Matta gehört der zweiten Generation der Surrealisten an, denen er sich erst 1937
anschließt. In den 1940er-Jahren wird er zur zentralen Figur der Surrealisten im New Yorker Exil und
ein wichtiger Vorläufer des Abstrakten Expressionismus. Auch sein Werk steht unter dem Eindruck
der Grausamkeit der Kriege, der Gräuel des Spanischen Bürgerkriegs, des Unabhängigkeitskriegs
Algeriens und des Vietnamkriegs.
Biographie Gilbert Kaplan
Man könnte Gilbert Kaplan, dessen Sammlung surrealistischer Druckgraphik im Brennpunkt dieser
Ausstellung steht, wohl selbst als Surrealisten bezeichnen. Der New Yorker Geschäftsmann und
Journalist ist Gründer des preisgekrönten Wirtschaftsmagazins Institutional Investor, leidenschaftlicher
Sammler und eine führende Autorität, was den Komponisten Gustav Mahler betrifft. Dessen Werk ist
für ihn mit dem der Surrealisten verwandt.
Er ist Autor des Bandes Das Mahler-Album, einer illustrierten Biographie des Komponisten, und von
Vorlesungen über Mahler an der Juilliard School in New York. Als Dirigent ist Gilbert Kaplan weithin als
einer der führenden Interpreten von Mahlers 2. Symphonie bekannt. Er hat weltweit über fünfzig
Orchester geleitet, darunter die Wiener Philharmoniker, die New Yorker Philharmoniker, das London
Symphony Orchestra, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Bayerische
Staatsorchester, das Orchester der Deutschen Oper Berlin, das Philharmonische Orchester der
Mailänder Scala, die Sankt Petersburger Philharmonie und das China National Symphony Orchestra (mit
dem Mahlers 2. Symphonie ihre Erstaufführung in China erlebte). Im Rahmen eines Eröffnungskonzerts
der Salzburger Festspiele leitete er das Philharmonia Orchestra London und den Chor der Wiener
Staatsoper.
Gilbert Kaplans Einspielung von Mahlers 2. Symphonie mit dem London Symphony Orchestra wurde
1988 von der New York Times und vom ZDF zu einer der Aufnahmen des Jahres gewählt. Mit mehr als
180.000 verkauften Exemplaren wurde sie zur meistverkauften Mahler-Aufnahme der Geschichte. Eine
spätere Einspielung des Werks mit den Wiener Philharmonikern wurde seit ihrer Veröffentlichung im
Jahr 2003 zur bestverkauften Aufnahme der 2. Symphonie. Gemeinsam mit Renate Stark-Voit zeichnet
Gilbert Kaplan für die neue kritische Ausgabe der 2. Symphonie Mahlers verantwortlich.
Gilbert Kaplan ist auch eine bekannte Rundfunkgröße. Im New York Public Radio fungiert er als
Gastgeber der Sendung Mad About Music, in der er mit prominenten Persönlichkeiten über die Rolle
der Musik in ihrem Leben spricht. Zu seinen Gästen aus Österreich zählten etwa der ehemalige Direktor
der Wiener Staatsoper Ioan Holender, der Vorstand der Wiener Philharmoniker Clemens Hellsberg, der
Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper Franz Welser-Möst und der frühere Direktor der
Salzburger Festspiele Gerard Mortier. Seit dreißig Jahren gehört Gilbert Kaplan dem Kuratorium der
New Yorker Carnegie Hall an.
Gilbert Kaplan hat eine unvergleichliche Sammlung surrealistischer Druckgraphik aufgebaut.
Gemeinsam mit seiner Frau Lena sammelt er auch Schlüsselwerke der surrealistischen Malerei und
Zeichnung, wie zum Beispiel Werke von Magritte, Dalí (der für Gilbert Kaplan einmal ein
Zeitschriftencover gestaltet hat), Ernst, Delvaux, de Chirico, Tanguy, Matta, Man Ray und Brauner.
Kaplan war viele Jahre lang Mitglied des für Druckgraphik zuständigen Ausschusses des Museum of
Modern Art in New York und zeichnet gemeinsam mit Timothy Baum für das Werkverzeichnis der
Druckgraphik Magrittes, The Graphic Work of René Magritte, verantwortlich.
Anlässlich des 100. Jahrestages der Ernennung Gustav Mahlers zum ersten Kapellmeister und Direktor
der Wiener Hofoper beauftragte Gilbert Kaplan 1997 den Künstler R. B. Kitaj, ein Porträt des
Komponisten zu malen. Es hängt heute in einem in Gustav-Mahler-Saal umbenannten Pausenraum der
Wiener Staatsoper.
In dem folgenden persönlichen Statement beschreibt Gilbert Kaplan seine Leidenschaft für
den Surrealismus.
Zwischen Idee
Und Wirklichkeit
Zwischen Regung
Und Tat
Fällt der Schatten
T. S. Eliot, Die hohlen Männer (1925, dt. von Hans Magnus Enzensberger)
Der Surrealismus hat mich in seiner Weise, die Wirklichkeit wahrzunehmen, immer fasziniert.
Durch die Darstellung gewöhnlicher Gegenstände in ungewöhnlichem Rahmen haben die
Surrealisten den Bereich der Vorstellungskraft erweitert und gezeigt, wie sehr die Grenze
zwischen Wirklichem und Unwirklichem verschwimmen kann. Zum ersten Mal zu den Werken
dieser Künstler hingezogen fühlte ich mich als Kind, als ich in der Schule mit den
überwältigenden, traumartigen Bildern René Magrittes bekannt gemacht wurde. Das erste
Werk meiner Sammlung, die heute Arbeiten von 23 Künstlern umfasst, war eine Radierung
Magrittes.
Junge Sammler beginnen oft mit Drucken und wenden sich erst später Gemälden und
Zeichnungen zu. Diesem Muster ist auch die Sammlung meiner Familie gefolgt. Ich habe aber
im Lauf der Jahre die Druckgraphiksammlung weiter ausgebaut. Die hier gezeigten
druckgraphischen Arbeiten wurden über einen Zeitraum von 40 Jahren hinweg angekauft,
und es war ein wahres Abenteuer, überall auf der Welt nach diesen seltenen Werken zu
suchen.
Die großartigen Bilder eröffnen einen besonderen Blick auf die Welt des Surrealismus, und es
freut mich, sie mit Ihnen zu teilen.
Gilbert Kaplan