Dokumentation Fachtagung Im Fokus: Frontotemporale Demenz am
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Dokumentation Fachtagung Im Fokus: Frontotemporale Demenz am
Dokumentation Fachtagung Im Fokus: Frontotemporale Demenz am 16. März 2006 in München Veranstalter: Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München und Alzheimer Gesellschaft München e.V. Inhaltsverzeichnis: Dr. Janine Diehl-Schmid Frontotemporale Demenz – das Krankheitsbild Dr. Bernd Ibach Behandlung – aktueller Stand der Forschung Sabine Parol Mein Mann litt an einer Frontotemporalen Demenz Marco Schoeller Meine Frau ist an FTD erkrankt Bettina Förtsch Erstberatung nach Diagnosestellung Christine Zarzitzky Begleitung während der Krankheit Ingrid Höhnel Hilfe und Selbsthilfe im Internet Dr. Jan Wojnar Der schwierige Heimalltag – die (Nicht-) Integration von Menschen mit Frontotemporaler Demenz Technische Universität München Technische Universität München Dr. Janine Diehl-Schmid, Psychiatrische Klinik FRONTOTEMPORALE DEMENZ Die „Pick-Sprechstunde“ DAS KRANKHEITSBILD am Klinikum rechts der Isar München München, 16. März 2006 Technische Universität München Technische Universität München DEMENZ Beeinträ Beeinträchtigung DEMENZ Alzheimer Demenz • des Gedä Gedächtnisses • anderer intelektueller Fähigkeiten Vaskuläre Demenz Verä Veränderung der Persö Persönlichkeit Frontotemporale Demenz Demenz bei Parkinson-Krankheit so dass Einschrä Einschränkungen der Alltagsbewä Alltagsbewältigung daraus resultieren Technische Universität München HISTORIE Technische Universität München FRONTOTEMPORALE LOBÄRE DEGENERATIONEN (FTLD) • 1892 Arnold Pick 1. Frontotemporale Demenz (FTD) • 1998 Diagnosekriterien = frontale Variante 2. Semantische Demenz (SD) = temporale Variante 3. Progressive Aphasie (PA) Neary et al., 1998 2 Technische Universität München Technische Universität München VERTEILUNG DER DIAGNOSEN FTD SD PA PA Zur Anzeige wird der QuickTime™ Dekompressor „TIFF (Unkomprimiert)“ benötigt. SD FTD SD PA Technische Universität München FTLD: EPIDEMIOLOGIE • Bis zu 50% der prä präsenilen Demenzen • 3-9% aller Demenzen • Prä Prävalenz: ca. 15 von 100.000 Personen • Dritthä Dritthäufigste Demenz degenerativer Genese Technische Universität München FTLD: KRANKHEITSVERLAUF männl. 64% 67% 39% FTD weibl. 36% 33% 61% Technische Universität München FTLD: EPIDEMIOLOGIE • Durchschnittliches Erkrankungsalter FTD/ SD: 58 Jahre , PA: 63 Jahre Spanne: Spanne: 22 - 100 Jahre Technische Universität München FTLD: RISIKOFAKTOREN • Durchschnittliche Krankheitsdauer 6 Jahre (1 - 29), raschere Progredienz bei jungen Patienten mit FTD • Todesursachen HerzHerz-Kreislaufversagen • Positive Familienanamnese in rund 30% • Autosomal dominanter Erbgang in ca 10% • Mutation des TauTau-Gens am Chromosom 17 • Mutationen an Chromosom 3 oder 9 Ersticken Aspirationspneumonie 3 Technische Universität München Technische Universität München FTD Delikte 35 Hauptmerkmale: 30 • Schleichender Beginn, Beginn, allmä allmähliche Verschlechterung 25 • Vergrö Vergröberung des Sozialverhaltens 15 20 FTD/ SD AD 10 • Verä Veränderung der Persö Persönlichkeit 5 • Verflachung des Affekts 0 N Diebstahl • Verlust der Krankheitseinsicht Eigentum beschädigt Einbruch (Neary et al., 1998) Technische Universität München Technische Universität München FTD FTD Folgende Symptome stützen die Diagnose Folgende körperliche Symptome stützen die Diagnose • Ablenkbarkeit, mangelndes Durchhaltevermö Durchhaltevermögen • Hyperoralitä Hyperoralität und Verä Veränderung der Eß Eßgewohnheiten • Primitivreflexe • Perseverierende und stereotype Verhaltensweisen • Inkontinenz • Utilisationsverhalten • Akinese, Akinese, Rigiditä Rigidität, Tremor • Rededrang oder sprachliche Aspontaneitä Aspontaneität • Niedriger und labiler Blutdruck • Sprachliche Stereotypien, Echolalie, Echolalie, Perseverationen • Mutismus (Neary et al., 1998) Technische Universität München (Neary et al., 1998) Technische Universität München SEMANTISCHE DEMENZ • Verlust des Wissens um die Bedeutung von Wö Wörtern • • Reduktion des Wortschatzes Sprachverstä Sprachverständnis beeinträ beeinträchtigt Flü Flüssige Sprache, grammatikalisch korrekt • Verhaltensauffä Verhaltensauffälligkeiten PROGRESSIVE APHASIE • • • • • • Ausgeprä Ausgeprägte Wortfindungsstö Wortfindungsstörungen Angestrengte Sprache, lange Pausen Grammatikalische Fehler Phonematische Paraphasien Beeinträ Beeinträchtigung der Alltagsaktivitä Alltagsaktivitäten und Verhaltensauffä Verhaltensauffälligkeiten erst spä spät 4 Technische Universität München Technische Universität München DIFFERENTIALDIAGNOSTISCHE ÜBERLEGUNGEN • FTD: DIAGNOSTIK „gesund“, Burn-out, Midlife-Crisis Depression Manie • Schizophrenie • • • • Alzheimer-Demenz Vaskuläre Demenz CBD PSP • ALS • • VERHALTEN Technische Universität München Frontal Behavioral Inventory (FBI) (Kertesz et al., 2000) Apathie: Hat sie / er das Interesse and Freunden oder Alltagsaktivit ten verloren? Aspontaneit t: Wird sie / er von sich aus aktiv, oder mu§ sie / er aufgefordert werden? Gleichg ltigkeit, Teilnahmslosigkeit: Reagiert sie / er unver ndert auf freudige oder traurige Ereignisse, oder hat die emotionale Anteilnahme abgenommen? Inflexibilit t: Kann sie / er ihre / seine Meinungen aus Vernunft ndern oder erscheint ihr / sein Denken in letzter Zeit starr oder eigensinnig? Konkretistisches Denken: Versteht sie / er Gesagtes in vollem Umfang oder versteht sie / er nur die konkrete Bedeutung des Gesagten? Pers nliche Vernachl ssigung: Achtet sie / der genau so auf ihr / sein €u§eres und ihre / seine pers nliche Hygiene wie gew hnlich? Desorganisation: Kann sie / er komplexe Aktivit ten planen und organisieren oder ist sie / er leicht ablenkbar, wenig ausdauernd oder unf hig, eine Arbeit zu vollenden? Unaufmerksamkeit: Kann sie / er Ereignissen aufmerksam folgen oder scheint sie / er unaufmerksam oder kann dem Geschehen berhaupt nicht folgen? Verlust der Einsicht: Nimmt sie / er Probleme und Ver nderungen wahr oder schient sie / er diese nicht wahrzunehmen oder verleugnet diese, wenn sie / er darauf angesprochen wird? Logopenie: Ist sie / er im gleichen Ausma§ wie fr her gespr chig oder hat die Sprachproduktion wesentlich abgenommen? Verbale Apraxie: Spricht sie / e r verst ndlich oder macht sie / er Fehler beim Sprechen? Werden Silben verschliffen oder ist das Sprechen z gerlich? Technische Universität München Perseverationen, Zw nge: Wiederholt oder perseveriert sie / er Handlungen oder Bemerkungen? Gibt es Zwangshandlung, oder gibt es diesbez glich keine €n derungen? Irritierbarkeit: Ist sie / er reizbar und aufbrausend oder reagiert sie / er auf Stress und Frustration wie gew hnlich? † bertriebene Scherzhaftigkeit: Hat sie / er in bertriebener oder anst §iger Weise oder zum unpassenden Zeitpunkt gewitzelt oder gescherzt? Vermindertes Urteilsverm gen: War sie / er umsichtig bei Entscheidungen und beim Autofahren oder hat sie / er unverantwortlich, nachl ssig oder mit vermindertem Urteilsverm gen gehandelt? Unangepasstheit: Hat sie / er soziale Regeln eingehalten oder hat sie / er Dinge gesagt oder getan, die au§erhalb der sozialen Akzeptanz lagen? War sie / er unh flich oder kindisch? Impulsivit t: Hat sie/er der Eingebung des Augenblicks folgend gehandelt oder gesprochen, ohne vorher die Konsequenzen zu berdenken? Rastlosigkeit: War sie / er rastlos oder beraktiv, oder ist das Aktivit tsniveau durchschnittlich? Aggression: Hat sie / er Aggressionen gezeigt, jemanden angeschrien oder k rperlich verletzt? Hyperoralit t: Hat sie / er mehr als gew hnlich getrunken, bertrieben gegessen, oder was sie / er bekommen konnte, oder hat sie / er sogar nicht Essbares in den Mund genommen? Hypersexualit t: War das sexuelle Verhalten ungew hnlich oder hemmungslos bertrieben? Zwanghaftes Benutzen von Gegenst nden: Scheint sie / er Gegenst nde in Reich- oder Sichtweite ber hren, f hlen, untersuchen, benutzen oder ergreifen zu m ssen? Inkontinenz: Hat sie / er eingen sst oder eingekotet? (Ausgenommen wegen k rperlicher Krankheiten, wie Harnwegsinfekte oder Immobilit t) ćAlien HandŅ: Hat sie / er Probleme eine Hand zu ben tzen und st rt diese auch den Gebrauch der anderen Hand? (Ausgenommen Arthritis, Verletzung, L hmungen, etc.) Technische Universität München FTD: KOGNITION • CERAD (Thalmann, Thalmann, Monsch, Monsch, 1997) • Trail making A/B (Zahlenverbindungstest) • Frontal Assessment Battery (FAB) (Dubois et al., 2000) • FarbFarb-WortWort-Test (Stroop (Stroop--Test) Test) (Fleischmann & Oswald, 1994) • Wisconsin Card Sorting Test (WCST) (Nelson et al., 1976) Technische Universität München Ekman 60 Faces Test FTD: KOGNITION FTD (N = 30) AD (N=30) Mittelwert Mittelwert Wortflüssigkeit 10.4 11.6 Benennen (15) 12.0 12.5 3.5/4.9/6.1 2.5/4.2/5.1 Visuokonstruktion (11) 10.1 8.7 Verzögerter Abruf (10) 4.0 1.8 Wortliste (10/10/10) KOGNITION 5 Technische Universität München Technische Universität München Ekman 60 Faces Test STRUKTURELLE BILDGEBUNG 60 50 40 30 Punktzahl FEEST-Pkt. 20 10 0 FTD Alzheimer Gesunde Technische Universität München Frontotemporale Demenz Oberflächendarstellung 100% 0% Abweichung von der Norm 5 0 Ansicht von rechts lateral Ansicht von links lateral Pfeile: Hypometabolismuss A. Drzezga et al. 2001 6 Technische Universität München Frontal Behavioral Inventory (FBI) (Kertesz et al., 2000) Apathie: Hat sie / er das Interesse and Freunden oder Alltagsaktivitäten verloren? Aspontaneität: Wird sie / er von sich aus aktiv, oder muß sie / er aufgefordert werden? Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit: Reagiert sie / er unverändert auf freudige oder traurige Ereignisse, oder hat die emotionale Anteilnahme abgenommen? Inflexibilität: Kann sie / er ihre / seine Meinungen aus Vernunft ändern oder erscheint ihr / sein Denken in letzter Zeit starr oder eigensinnig? Konkretistisches Denken: Versteht sie / er Gesagtes in vollem Umfang oder versteht sie / er nur die konkrete Bedeutung des Gesagten? Persönliche Vernachlässigung: Achtet sie / der genau so auf ihr / sein Äußeres und ihre / seine persönliche Hygiene wie gewöhnlich? Desorganisation: Kann sie / er komplexe Aktivitäten planen und organisieren oder ist sie / er leicht ablenkbar, wenig ausdauernd oder unfähig, eine Arbeit zu vollenden? Unaufmerksamkeit: Kann sie / er Ereignissen aufmerksam folgen oder scheint sie / er unaufmerksam oder kann dem Geschehen überhaupt nicht folgen? Verlust der Einsicht: Nimmt sie / er Probleme und Veränderungen wahr oder schient sie / er diese nicht wahrzunehmen oder verleugnet diese, wenn sie / er darauf angesprochen wird? Logopenie: Ist sie / er im gleichen Ausmaß wie früher gesprächig oder hat die Sprachproduktion wesentlich abgenommen? Verbale Apraxie: Spricht sie / er verständlich oder macht sie / er Fehler beim Sprechen? Werden Silben verschliffen oder ist das Sprechen zögerlich? Perseverationen, Zwänge: Wiederholt oder perseveriert sie / er Handlungen oder Bemerkungen? Gibt es Zwangshandlung, oder gibt es diesbezüglich keine Änderungen? Irritierbarkeit: Ist sie / er reizbar und aufbrausend oder reagiert sie / er auf Stress und Frustration wie gewöhnlich? Übertriebene Scherzhaftigkeit: Hat sie / er in übertriebener oder anstößiger Weise oder zum unpassenden Zeitpunkt gewitzelt oder gescherzt? Vermindertes Urteilsvermögen: War sie / er umsichtig bei Entscheidungen und beim Autofahren oder hat sie / er unverantwortlich, nachlässig oder mit vermindertem Urteilsvermögen gehandelt? Unangepasstheit: Hat sie / er soziale Regeln eingehalten oder hat sie / er Dinge gesagt oder getan, die außerhalb der sozialen Akzeptanz lagen? War sie / er unhöflich oder kindisch? Impulsivität: Hat sie/er der Eingebung des Augenblicks folgend gehandelt oder gesprochen, ohne vorher die Konsequenzen zu überdenken? Rastlosigkeit: War sie / er rastlos oder überaktiv, oder ist das Aktivitätsniveau durchschnittlich? Aggression: Hat sie / er Aggressionen gezeigt, jemanden angeschrien oder körperlich verletzt? Hyperoralität: Hat sie / er mehr als gewöhnlich getrunken, übertrieben gegessen, oder was sie / er bekommen konnte, oder hat sie / er sogar nicht Essbares in den Mund genommen? Hypersexualität: War das sexuelle Verhalten ungewöhnlich oder hemmungslos übertrieben? Zwanghaftes Benutzen von Gegenständen: Scheint sie / er Gegenstände in Reich- oder Sichtweite berühren, fühlen, untersuchen, benutzen oder ergreifen zu müssen? Inkontinenz: Hat sie / er eingenässt oder eingekotet? (Ausgenommen wegen körperlicher Krankheiten, wie Harnwegsinfekte oder Immobilität) „Alien Hand“: Hat sie / er Probleme eine Hand zu benützen und stört diese auch den Gebrauch der anderen Hand? (Ausgenommen Arthritis, Verletzung, Lähmungen, etc.) Behandlung – aktueller Stand der Forschung Dr. Bernd Ibach Demenz bei frontotemporaler lobärer Degeneration Es war das Verdienst von Arnold Pick, der 1892 beginnend, anhand von mehreren Kasuistiken über einen Zusammenhang zwischen frontaler oder linkstemporaler Großhirnatrophie und Frontalhirnsymptomen oder Aphasie berichtete (Pick 1892). Diese Erkrankungen lassen sich unter dem Begriff "Frontotemporale lobäre Degeneration" (FTLD) zusammenfassen, die sich in drei klinische Varianten einteilen lassen (Abb.2): 1. Frontotemporale Demenz (FTD) (hierzu darf die klassische Pick'sche Erkrankung gezählt werden) mit den Leitsymptomen Wesensänderung und Verhaltensauffälligkeiten, 2. Semantische Demenz (SD) mit Wesensänderung und Verhaltensauffälligkeiten, 3. Primär progressive Aphasie (PPA) mit gestörtem Sprachfluss bei lange erhaltenen sonstigen geistigen Fähigkeiten. Alle Varianten der FTLD-Gruppe sind durch einen schleichenden Beginn und einen fortschreitenden Verlauf gekennzeichnet. Das typische Erkrankungsalter liegt zwischen 45 und 65 Jahren, selten vor dem 30. Lebensjahr oder nach dem 75. Lebensjahr. Symptome Frontotemporale Demenz (FTD) In den frühen und mittleren Krankheitsstadien der FTD stehen eine Änderung der Persönlichkeit, des Verhaltens und der Affektivität (Gefühlswelt) mit Verlust von Empathie (Einfühlungsvermögen) im Vordergrund (Abb. 3). Affektive Symptome sind sehr häufig und reichen von Depression, Hypomanie, Affektinkontinenz, über Affektlabilität bis zur -Verflachung. Die Spontansprache verarmt bis hin zum Mutismus (Patient wird stumm). Der Antrieb kann sowohl gesteigert als auch vermindert sein und zum Erlahmen der Sexualität führen. Diese Symptome lassen 8 sich unter Umständen nur schwer von primären Depressionen abgrenzen. Gedächtnisstörungen (eher im Sinne eines Aufmerksamkeitsproblems) werden zwar oft beklagt, trotzdem haben die Patienten kaum Schwierigkeiten sich im Alltag zurechtzufinden, zu orientieren und zu erinnern. Geistige Rigidität (Sturheit), Wiederholung von Worten, Sätzen, Handlungen (Stereotypien) und Rituale gehören ebenfalls zu den häufigen Symptomen. Die Nahrungsaufnahme kann gesteigert sein (mit Vorliebe für Süßigkeiten, Alkohol). Gelegentlich fallen Patienten auf, weil sie Dinge, die um sie herumstehen, mit der Hand berühren, in den Mund nehmen oder benutzen, z.B. indem sie aufstehen und die Tür öffnen und schließen („utilization behaviour“). Das nachlassende Urteilsvermögen mit Kritikminderung kann zu unkontrolliertem Umgang mit Finanzen, Delinquenz oder einem erhöhten Gefährdungsrisiko im Straßenverkehr führen. Hypochondrische Beschwerden können ebenfalls beobachtet werden. Produktiv psychotische Symptome (z.B. Halluzinationen, Verfolgungsängste) als klinische Erstmanifestation einer FTD sind möglich. Wenngleich sehr häufig keine Krankheitseinsicht vorliegt, ist bei einem kleineren Teil der Patienten ein deutlicher Leidensdruck zu beobachten, der zu Suizidgedanken führen kann, die ernst genommen werden müssen. Neurologische Symptome können in Form von Parkinsonsymptomen oder Harn/Stuhlinkontinenz auftreten. Muskelzuckungen (Faszikulationen), erschwertes Sprechen (Dysarthrie) oder Schluckstörungen können erste Hinweise auf eine FTD mit Motoneuronerkrankung (Mitsuyamasyndrom) sein. An körperlichen (somatischen) Symptomen weisen FTD-Patienten häufig einen labilen oder niedrigen Blutdruck auf (kann zu Stürzen führen und kurzeitigem Bewusstseinsverlust). Die häufigsten Probleme, die zu stationären Aufenthalten in gerontopsychiatrischen Kliniken führen, sind in Abb. 4 aufgelistet. Sonderform „Primär Progressive Aphasie“ (PPA) Diese Form der Aphasie (also Störung des Sprachvermögens) ist gekennzeichnet durch Wortfindungsstörungen, eine erschwerte Sprachproduktion (Telegrammstil), Verwendung falscher Buchstaben und Silben (phonematische Paraphrasien) und Grammatikfehler, bei zunächst erhaltenem Sprachverständnis. Die Sprache mündet nach bis zu 10 Jahren in einen Mutismus (der Patient kann nicht mehr sprechen). Persönlichkeit und Krankheitseinsicht bleiben lange erhalten. Die Sprachstörung bei PPA ist langsam forschreitend, während eine Aphasie nach Schlaganfall abrupt auftritt und oft eine typische Schädigung des Gehirns nach sich zieht. 9 Während bei der Alzheimerkrankheit die Sprachproduktion zunächst nicht wesentlich gestört ist, fallen bereits früh Gedächtnisstörungen, Wortfindungsstörungen und Probleme mit der Orientierung sowie bei der Alltagsbewältigung auf, die bei PPA nicht im Vordergrund stehen. Sonderform „Semantische Demenz“ (SD) Leitsyndrom ist ein gestörtes Sprachverständnis bei erhaltenem Sprachfluss, also quasi das Spiegelbild der PPA. Meist werden früh Wortfindungsstörungen beklagt. Schwierigkeiten mit dem Benennen von Gegenständen treten zwar auch bei der AD auf. Dominierend ist dann jedoch eine Störung der episodischen Merkfähigkeit (autobiographisches Gedächtnis, Erinnerung an Lebensereignisse). SD-Patienten geben an, nicht zu wissen was ein bestimmtes Wort bedeutet. Ähnlich klingende Worte können verwechselt werden. Die Sprache bleibt zunächst fließend, wird aber zunehmend inhaltsleer und oberflächlich. Ein Text kann zwar korrekt vorgelesen werden, wird aber nicht mehr verstanden. Im Krankheitsverlauf entwickeln die Patienten mit SD regelmäßig eine Wesensänderung und werden sozial auffällig, ähnlich wie bei FTD. Die typischen frühen Zeichen der Alzheimerdemenz sind bei Patienten mit SD ungestört (z.B. episodisches Gedächtnis, rechnen, örtliche Orientierung). Diagnosestellung Entscheidend bei der klinischen Diagnosestellung einer Demenz aus dem Spektrum der FTLD sind auf der einen Seite neu aufgetretene Verhaltensauffälligkeiten und eine Wesensänderung, auf der anderen Seite eine flüssige oder nicht-flüssige Aphasie. In frühen Krankheitsstadien ist man fast ausschließlich auf die Angaben aus der Familie oder von Bekannten angewiesen. Gängige Gedächtnistests zur Unterstützung der Diagnose Alzheimerkrankheit können unauffällig ausfallen oder in eine falsche Richtung weisen. Therapie Die Linderung eines Großteils der beschriebenen Symptome mit pharmakologischen und nichtpharmakologischen Ansätzen ist prinzipiell möglich. In Abbildung 5 findet sich eine Zusammenfassung über im Einzelfall mögliche Therapieoptionen. Patienten 10 mit fokalen Demenzen reagieren ausgesprochen empfindlich auf sogenannte Neuroleptika und haben ein hohes Risiko für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen (Symptome wie bei Parkinsonkrankheit), analog der Demenz mit Lewy-Körperchen. Aufgrund einer erheblichen Störung des serotonergen Botenstoffsystems des Gehirns bei FTD können z.B. „selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer“ = SSRI (Antidepressiva) zur Linderung von Verhaltens- auffälligkeiten wie Unruhe, Angstzuständen und Appetitsteigerung eingesetzt werden. Welche Medikamente in der täglichen Routine in Krankenhäusern wie häufig eingesetzt werden, zeigt Abb. 6. An nichtmedikamentösen Maßnahmen erweist sich empirisch der gezielte Einsatz von Ergotherapie und Logopädie (bei Aphasie in frühen Krankheitsstadien) als hilfreich zur Symptomlinderung. Voraussetzung ist eine ausreichende Motivation der Patienten, die sich besonders bei Patienten mit FTD erst nach einigen Therapiestunden einstellen kann, und Therapeuten, die mit dem Krankheitsbild vertraut sind. Während der Therapie und im Alltag können Enthemmungsphänomene durch die Präsentation von Stimuli als Grundlage zur Verhaltensbeeinflussung dienen (Reichung der Zahnbürste löst aus, dass der Patient sich die Zähne putzt). Besondere Bedeutung kommen einer umfassenden Aufklärung von Angehörigen und, in Abhängigkeit des Krankheitsbildes, auch von den Betroffenen zu (Abb. 7). Hierbei muss früh auf rechtliche Probleme bei Frontalhirnsyndromen hingewiesen werden (aufgehobene Fahrtüchtigkeit, früh fehlende Verantwortlichkeit für Andere und das eigene Handeln). Die Krankheitsverläufe unterscheiden sich sehr von der AD und stoßen auf wenig Verständnis im sozialen Umfeld. Kompliziert wird die Situation, wenn die Betroffenen bei Krankheitsbeginn noch im Erwerbsleben stehen und Familien mit minderjährigen Kindern haben. Die Betreuung dieser Patienten und ihrer Familien gestaltet sich also in vielerlei Hinsicht sehr anspruchsvoll. Kontakt: Dr. med. Bernd Ibach Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Regensburg im Bezirksklinikum, Tel.: 0941-941-1221, e-mail: [email protected] 11 Grundlagen - Frontotemporale Demenzen Therapie von Demenzen mit frontotemporaler lobärer Degeneration 16.März 2006 Im Fokus: Frontotemporale Demenz Deutsche Alzheimer Gesellschaft Einführung Grundlagen Schädliche Mikroskopisch sichtbare Gewebenveränderungen im Gehirn bei FTD Tau-Ablagerungen Symptome Studien Behandlung Verlust von Nervenzellen & Nervenzellverbindungen Mangel an Botenstoffen Serotonin, Dopamin, Glutamat Dr. Bernd Ibach Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Regensburg im Bezirksklinikum Abb. 1 B. Ibach Zielsymptome einer Therapie Klinische Einteilung von Demenzen mit frontotemporaler Degeneration (FTLD) Essverhalten Primär progressive Aphasie Apathie nicht-flüssig Leitsyndrom 1 Verhaltensauffälligkeiten Wesensänderung Semantische Demenz flüssig Einführung Leitsyndrom 2 Aphasie Antriebsmangel Grundlagen Konzentration Urteilsfähigkeit Symptome Empathie Frontotemporale Demenz Studien Depression Schlaf Emotionen Hygiene Antriebssteigerung Impulsivität Behandlung ...kann kombiniert sein mit... Sprache Zwangssymptome Kreislaufregulation Inkontinenz Parkinsonsyndrom selten Muskelerkrankung Persönlichkeitsänderung Verhaltensauffälligkeiten Sprachstörungen Abb. 2 Abb. 3 Therapie von Demenzen mit frontotemporaler lobärer Degeneration Aufnahmeumstände in gerontopsychiatrischen Kliniken Verhaltensstörungen Einführung Grundlagen Demenz unklarer Ätiologie Ergänzung/Alternative SSRI, Bromocriptin Ergotherapie Aggressivität Gereiztheit Carbamazepin, Valproinsäure, Risperidon, Olanzapin Trazodon, Propanolol Stressarmes Umfeld, möglichst wenig Einschränkungen Ergotherapie Symptome Depressive Syndrome Studien Studien Soziale Probleme Behandlung Behandlung Delir Paranoides Syndrom Alkoholabusus Sprachverarmung Angstsyndrom Symptomatische Zwangsstörung Abb. 4 Medikament Repetitives Verhalten Enthemmung Einführung Kognitive Defizite Grundlagen Symptome Problem Ibach et al. 2004 10% 20% 30% 40% 50% 60% Depression, Apathie SSRI, Moclobemid Antriebsmangel, Ängste Reboxetin Ergotherapie Schlafstörungen SSRI, Dipiperon, Eunerpan, Zopiclon Schlafhygiene Psychische und körperliche Unruhe Trazodon, Moclobemid, SSRI, Dipiperon, Melperon, Seroquel Valproinsäure, Carbamazepin Stimuli zur Ablenkung, Ergotherapie Konzentration, Apathie Aufmerksamkeit SSRI, Idazoxan, Selegelin AChEI, Reboxetin, Mirtazapin Darreichung von Stimuli Ergotherapie Aphasie - Logopädie SSRI=Serotoninwiederaufnahmehemmer ACHEI=Acetylcholinesterasehemmer Abb. 5 12 Therapie von Demenzen mit frontotemporaler lobärer Degeneration 226 Psychopharmakonverordnungen bei 91 Patienten mit FTD Einführung Studien Behandlung Psychoedukativ-supportive Maßnahmen Grundlagen 20 behandelt mit... Symptome Einführung 25 Anzahl der Patienten (n>5) Grundlagen Symptome • Aufklärung – Besonderheiten 15 Studien 10 • Akzeptanz als Krankheit Behandlung • Vorwurfsfreier Umgang mit Betroffenen 5 • Vermeidung von Überforderung D o ne p ez R is pe ile ri do M n e el p P ip ero am n e pe R r o iv ne as ti gm G al in an e ta m C it in al op e ra m S e er tr al O in la e n za M pi o cl ne ob em M i em de an V al tin pr e oi c ac M ir id ta za Lo pi n ra e ze pa m e Ti ap rid e 0 Ibach et al., 2006, submitted Abb. 7 Die 3 Säulen der Therapie bei Demenz mit frontotemporaler lobärer Degeneration: ein integratives Behandlungskonzept Nicht-medikamentöse Therapie/Pflege Sozialmedizin Pflege Nutzung von ambulanten/stationären Versorgungsstrukturen Kognitiv-körperliche Aktivierung Beratung -Wissensvermittlung Milieutherapie -rechtliche Probleme -Pflegeversicherung -Hilfsangebote -Umgang mit Patient Ergotherapie Therapie von Demenzen mit frontotemporaler lobärer Degeneration Biologische Therapie Einführung Internistische Basistherapie Verhaltensbeeinflussung Symptome Behandlung der Symptome mit Medikamenten Probleme für Studien Grundlagen Studien • erheblich seltener als Alzheimerkrankheit • sehr unterschiedliche klinische Symptomatik Behandlung • unterschiedliche Neuropathologie Logopädie • Diagnose nicht leicht zu stellen Umfeldstrukturierung -Gefahren -Lebensbedingungen -Pflegegerechtes wohnen Klare Diagnosestellung + Symptome individuelle Therapieentscheidung 13 „Mein Mann litt an einer frontotemporalen Demenz“ Sabine Parol Diagnose : Februar 2003 Tod: 13.08.2004 Der Krankheitsverlauf meines Mannes war sehr schnell. Die Diagnose wurde im Februar 2003, im Alter von 42 Jahren gestellt, gestorben ist mein Mann nach 1½ Jahren, im August 2004, im Alter von 44 Jahren. Familiensituation Die Familiensituation zum Zeitpunkt der Diagnosestellung war folgende: Mein Mann war berufstätig, während ich zu diesem Zeitpunkt Hausfrau war, um für unsere Töchter, damals 11 Jahre und 6 Jahre alt, da zu sein. Kurze Zeit nach der Diagnosestellung fasste ich den Plan, wieder in die Berufstätigkeit zurückzukehren. Mit viel Glück fand ich nach ca. sechs Monaten eine Anstellung in Vollzeitbeschäftigung. Nun komme ich als Nächstes zu den Veränderungen meines Mannes vor der Diagnosestellung. Dazu gebe ich Ihnen erst einen Überblick wie mein Mann in gesunden Zeiten war. Verhalten in gesunden Zeiten In gesunden Zeiten war mein Mann ein sehr selbstbewusster, dabei jedoch ein besonnener und ruhiger Mann. Ich konnte mich voll und ganz auf ihn verlassen und auch mit ihm sprechen, wenn Schwierigkeiten auftraten. Auch konnte ich auf seine Unterstützung zu jeder Zeit zählen. Andererseits konnte er in Diskussionen seine Meinung schon auch vehement vertreten und dabei etwas lauter werden. Als Vater kümmerte er sich sehr fürsorglich um seine Kinder. Abends spielte er sehr oft mit ihnen Gesellschaftsspiele. Auch versuchte er den Kindern die klassische Musik nahe zu bringen und ging mit ihnen zusammen in die Oper. 14 Erste Anzeichen vor der Diagnosestellung Nachträglich gesehen bin ich der Meinung, dass etwa ab dem Jahr 2000 schleichend, fast nicht greifbar eine Veränderung in der Persönlichkeit meines Mannes eintrat. Er wurde unterhaltsamer, scherzte mehr und wirkte lebendiger. Anfangs geschah dies auf eine angenehme Art und Weise. Die Veränderungen nahmen in den folgenden Jahren langsam zu. Im Jahr 2001 etwa wurde sein Lachen immer öfter und lauter. Seine Scherze wurden derber. Seine Euphorie nahm in den folgenden Monaten immer mehr zu, so dass sein Verhalten sehr anstrengend und unangenehm wurde. Bei jeder Gelegenheit lachte er laut heraus und seine Sätze begannen fast immer mit „Ich bin so glücklich“. Ernste Gespräche zu führen oder auch Sorgen zu besprechen waren zu dieser Zeit nicht möglich. Versuche mit meinem Mann über sein Verhalten zu sprechen, scheiterten. Im Frühjahr 2002 trat schließlich noch eine Umständlichkeit der Sprache hinzu. Er drückte sich nicht mehr so gewandt aus und gebrauchte Umschreibungen. Außerdem kamen auch Sprachverständnisstörungen hinzu. Wenn ich mich zum Beispiel mit jemandem unterhielt und mein Mann hinzukam, konnte er sich nicht in das bestehende Gespräch integrieren, sondern unterbrach es, indem er mit einem ganz anderen Thema anfing. Meistens begann sein Thema mit „Ich bin so glücklich. Ich, Ich, Ich…..“ Darauf angesprochen reagierte er peinlich berührt und versprach Besserung. Weitere Anzeichen waren: Er begann am Abend früher müde zu sein und ging frühzeitig ins Bett. Frühzeitig heißt um ca. 20.00 Uhr. Es war auch tatsächlich so, dass er schnell und fest einschlief. 15 Auffallend war auch, dass er mehr Alkohol trank und seine Grenzen nicht mehr erkannte. Dabei wirkte er andererseits nach ein bis zwei Gläsern Bier wie betrunken. Er aß auch vermehrt Süßigkeiten. An einem Abend konnte er schon mal zwei Tüten Haribo und noch ein bis zwei Tafeln Schokolade essen. Es endete schließlich damit, dass ich ihm die Süßigkeiten entreißen musste. Eine weitere Veränderung bestand darin, dass ich merkte, dass mein Mann Kinderspiele wie z.B. „Memory“ oder „Uno“ nicht mehr spielen konnte. Er legte z.B. Karten, die weder in Farbe noch Form passten und hielt sich nicht an Spielregeln. Schließlich versuchte er, solche Spiele zu vermeiden. Was eine Zeitlang sehr auffiel, war, dass er die beiden Namen der Töchter doch in einem hohen Maß verwechselte. Beim Autofahren gab es ein bis zwei Mal Situationen, in denen er plötzlich aggressiv reagierte und mich in Angst versetzte. Mein Mann erhielt vermehrt Strafzettel, da er öfters die Geschwindigkeitsgrenzen nicht einhielt. Verhalten in der Arbeit Auch in seiner Arbeit sind diese Persönlichkeitsveränderungen aufgefallen; er konnte Verhandlungen mit Kunden nicht mehr richtig führen und die Gesprächsinhalte nicht mehr korrekt wiedergeben. Um größere Fehler zu vermeiden und Schaden von der Firma abzuwenden, wurde er von seinen Aufgaben entbunden. Ich selbst erfuhr von diesen Schwierigkeiten dadurch, dass sowohl sein Chef als auch der Betriebsarzt der Firma mich zu Hause anriefen und mich über die Probleme in der Arbeit informierten. Meinen Mann konfrontierte ich mit seinen Schwierigkeiten; aber er versuchte mir weis zu machen, dass sein Chef viel zu sehr besorgt sei. Als ich mit dem Betriebsarzt telefonierte und diesen 16 nach seiner Verdachtsdiagnose fragte, antwortete er mit Alzheimer im frühen Stadium. Veränderungen, die mein Mann an sich selbst festgestellt hat Auch mein Mann hat Veränderung bei sich festgestellt: Anfangs, im Herbst 2001, musste mein Mann festgestellt haben, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Er machte sich Sorgen über die finanzielle Zukunft von den Kindern und mir, indem er sagte: „Wenn mit mir mal etwas ist ….“; auch war er der Meinung, dass ich wieder ganztags arbeiten gehen sollte, obwohl er immer genau dies nicht wollte. Auf meine Fragen „Warum“ gab er mir jedoch keine Antwort. Aus Äußerungen, die er später machte, schließe ich jedoch darauf, dass er glaubte, einen Gehirntumor gehabt zu haben. Gefühle meines Mannes Durch Gespräche, die zwischen meinem Mann, der Sozialarbeiterin seiner Firma und seinem Chef stattfanden, fühlte er sich unter Druck gesetzt. Auch von meiner Seite aus wurde immer wieder Druck ausgeübt, um zum Arzt zu gehen. Schließlich und endlich erklärte sich mein Mann bereit, einen niedergelassenen Neurologen aufzusuchen. Es folgten diverse Untersuchungen, wie Kernspintomographie, Gehirnwasseruntersuchung etc., zu denen ich nicht mit durfte. Das hatte er nicht gewollt. Auch musste ich ihm versprechen, niemandem, weder Familienangehörigen noch Freunden seine Probleme mitzuteilen. Wenn ich dies dennoch tat, fühlte ich mich, als wenn ich meinen Mann verraten würde. Nach den Untersuchungen erzählte mir mein Mann jedes Mal sehr glaubhaft, dass alles in Ordnung sei. Er fühlte sich sogar bestätigt, dass er gesund ist. Was die Ärzte tatsächlich zu ihm gesagt haben, weiß ich natürlich nicht. Als mein Mann Anfang Januar 2004 krank geschrieben wurde, war er damit nicht einverstanden und auch wütend darüber. 17 Ende Januar 2004 kam es schließlich zur Einweisung in eine Klinik, ins Max-Planck-Institut in München, um weitere Untersuchungen durchführen zu können. Bis zur letzten Minute war ich mir nicht sicher, ob mein Mann ins Krankenhaus gehen würde, da er sich vehement weigerte. Ängste Außerdem waren bei meinem Mann große Ängste vorhanden. Angstgefühle, dass er nicht normal ist, waren zu Beginn der Erkrankung teilweise sehr stark zu spüren, besonders bei den Untersuchungen. Einmal, als er lautstark eine Untersuchung abgebrochen hatte, sagte er auch sehr aufgeregt zu mir: „Die wollen nur feststellen, dass in meinem Kopf etwas nicht in Ordnung ist.“ Dabei zitterte er, hielt meine Hand und knetete sie. Ich hatte meinen Mann noch nie in so einer Verfassung gesehen. Im Verlauf der weiteren Erkrankung war diese Form der Angst nicht mehr so deutlich erkennbar, aber durchaus Traurigkeit. Auch hat er in einer Phase der Erkrankung Trauer um den Tod eines Freundes und von Familienmitgliedern noch einmal sehr intensiv durchlebt. Eine andere Form der Angst war, dass jemand ihm etwas Schlechtes antun könnte oder, dass jemand einbrechen und etwas stehlen würde. Daher hat er das, was ihm sehr wertvoll war, nämlich seine gesamte CD-Sammlung vom Wohnzimmer in den Schlafzimmerschrank umgeräumt und anschließend den Schrank abgeschlossen. Diesen Schlüssel hat er immer bei sich getragen und nicht mehr herausgegeben. Letztendlich wollte er auch noch die Schlafzimmertür absperren. Jetzt komme ich zur der Zeit NACH DER DIAGNOSESTELLUNG: Suche nach einer Beschäftigung Nachdem mein Mann aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war es sehr schwer, ihn zu beschäftigen. Im Krankenhaus fühlte sich mein Mann unter den anderen Patienten und Patientin18 nen sehr wohl. Er hatte einen strukturierten Tag und fühlte sich dort gut aufgehoben. Als er schließlich zu Hause war, hatte er keine Aufgabe und keinen strukturierten Tag mehr. Morgens wollte er öfters in die Arbeit gehen. Er wusch sich und zog seinen Anzug an. Jedes mal musste ich ihn davon abhalten, was mir sehr leid getan hat. Wie mein Mann den Tag verbracht hat Wir versuchten viel mit meinem Mann spazieren zu gehen. Einmal wöchentlich hatte ich einen Termin in der Stadt. Wir trafen uns dann am Marienplatz (in München) und sind anschließend nach Hause gelaufen. Dafür brauchten wir ca. 1 ½ Stunden. Ich hatte die Hoffnung, mein Mann würde müde werden, dies war jedoch ein Irrtum. Die Einzige, die müde war, bin ich gewesen. Später waren Treffen oder Verabredungen auch nicht mehr möglich, da er sich zeitlich nicht mehr orientieren konnte. Wir versuchten auch, meinen Mann in Familienaktivitäten einzubinden, so zum Beispiel beim Laternenfest der jüngeren Tochter. Dabei bestand das Problem, dass er wild fremde Leute ansprach und ihnen den Inhalt der Wagner-Opern, die er sehr geliebt hat, erzählte oder Dinge, auf die er sehr stolz war. Natürlich reagierten die Umstehenden mit Unverständnis und schauten uns nur mit großen Augen an. Stadt und Einkaufen Wir schickten meinen Mann in die Stadt, so lange es noch möglich war, oder in die Nähe, um Besorgungen zu erledigen. Auch ging er oftmals aus eigenem Antrieb zum Einkaufen und kaufte Waren ein, die wir nicht unbedingt benötigten. So stapelten sich mit der Zeit Waren bei uns, wie z.B. Sekt, Spülmaschinen-Tabs oder Maultaschen. Eisdiele Oft ging er auch in eine nahe gelegene Eisdiele, um sich dort ein Eis zu kaufen. Da er sich aber sehr auffällig verhielt - er sagte zu 19 einer Verkäuferin „Ich fress’ dich“ oder ein anderes Mal versperrte er einer anderen Frau den Eingang - hatten die Verkäuferinnen Angst vor ihm und wollten auch die Polizei verständigen. Auch nachdem ich sie über die Krankheit aufgeklärt hatte, wollten diese, dass mein Mann nicht mehr in die Eisdiele käme. Aber abhalten konnte ich meinen Mann davon nicht und wollte es auch nicht. Manchmal ging mein Mann auch zu Freunden, die in der Nähe wohnen, und besuchte diese. Diese nahmen ihn immer wohlwollend auf und kümmerten sich um ihn. Im Sommer 2003 verbrachten wir auch unter anderem damit sehr viel Zeit, irgendwelche Gegenstände, die mein Mann vermisste, zu suchen. Dabei gestaltete sich die Suche deshalb so schwierig, weil er einen anderen Begriff nannte, z. B. Butter anstelle von Nivea-Creme oder Topf anstelle von Handy. Wir fuhren auch noch zusammen in den Urlaub, in die Toskana ans Meer. Dort mussten wir sehr gut auf meinen Mann aufpassen. Wenn er aus dem Meer vom Schwimmen kam, hat er meistens unseren Platz nicht gefunden und ist zu fremden Liegen gegangen. Dort reagierte er zwar etwas irritiert, nahm aber dennoch das dortige Handtuch, um sich abzutrocknen. Meine Kinder und ich riefen jedes Mal „Wir sind hier!“ und winkten dabei kräftig. Die Kinder rannten ihrem Vater entgegen, um ihm den richtigen Platz zu zeigen. Die anderen Urlaubsgäste, die alles mitverfolgten, waren der Meinung, dass mein Mann immer zu viel trinken würde. Zu diesem Zeitpunkt trank mein Mann aber keinen Alkohol mehr. Autofahren Seine Lieblingsbeschäftigung war das Autofahren. Meinen Mann, der das Auto als sein Eigentum ansah, vom Autofahren abzuhalten, erschien mir fast unmöglich. Gutes Zureden, Bitten und alle Erklärungen haben nichts genützt. Den Auto20 schlüssel verstecken war auch nicht möglich, da er alle Schlüssel an sich genommen hat. Außerdem hat er mich oft ausgetrickst, indem er sagte, er gehe in den Keller, ist dann aber mit dem Auto weggefahren. Zu Hilfe ist uns letztendlich die Polizei gekommen, allerdings erst im Januar 2004: Mein Mann ist wieder einmal mit dem Auto zum Tanken gefahren, als meine Kinder und ich noch schliefen. An der Tankstelle fiel er dem Tankwart auf, weil er mit der Zapfsäule nicht mehr zurecht kam und nahm ihm daher den Autoschlüssel ab. Da mein Mann jedoch auch den Ersatzschlüssel seines Autos dabei hatte, konnte er mit dem Auto nach Hause fahren. Der Tankwart notierte das Kennzeichen und benachrichtigte die Polizei, die schließlich zu uns nach Hause kam. Alle meinten, mein Mann stehe unter Alkoholeinfluss. Nachdem ich die Polizei über seine Krankheit aufgeklärt hatte, beantragte ich schriftlich, dass meinem Mann die Fahrerlaubnis entzogen wird. Außerdem bat ich die Polizei, meinem Mann auch den Führerschein abzunehmen. Eigentlich hätte mein Mann den Autoschlüssel und den Führerschein am nächsten Tag wieder bei der Polizeidienststelle holen können, da er ja nicht unter Alkoholeinfluss stand und nichts getan hatte. Das Vorliegen der Erkrankung allein reicht nicht aus, um den Führerschein einzubehalten. Auch war es meinem Mann egal, dass der Führerschein abgenommen worden war. Er wollte trotzdem fahren. Da ich ihn aber in dem Glauben ließ, dass sein Autoschlüssel weiterhin bei der Polizei verwahrt wäre und die Polizei ihn kontrollieren würde, ließ er von dem Autofahren ab. Dies war jedoch einer der Auslöser, dass er sehr aggressiv wurde. Aggressionen Vorher war er anstrengend, sehr anstrengend. Zur Beruhigung erhielt er deshalb auch das Medikament „Zyprexa“. Jetzt aber traten Aggressionen hinzu in Form von stundenlangem „Nein“-Schreien. Immer nur „Nein“. Nein natürlich auch deswegen, weil er sich nicht 21 mehr anders artikulieren konnte. „Nein“ auch deswegen, weil die Kinder Angst vor ihm bekamen und er auch das nicht wollte. Da meinem Mann aber nach und nach alles genommen wurde, was ihm wichtig gewesen ist, war es mein Ziel, dass mein Mann bei uns zu Hause bleiben konnte. Dies war der einzige Faktor, den ich beeinflussen konnte. Dass dies auch seinem Wunsch entsprach, zeigte er durch Gesten, z. B. hat er, als in dieser aggressiven Zeit ein Arzt vom Notdienst gekommen war und als dieser wieder gegangen war, unsere Tochter umarmt und ganz fest gedrückt. Er war so froh, dass er nicht in eine Psychiatrie eingewiesen wurde und bei uns bleiben konnte. Letztendlich haben wir meinem Mann nach Absprache mit seinem Arzt das Medikament „Zyprexa“ auf Höchstdosis verabreicht. Somit wurde er nach kurzer Zeit wieder „gefügiger“. Irgendwie hatte ich aber auch den Eindruck, mit der Gabe des Medikamentes den Willen meines Mannes gebrochen zu haben. Aber was hätte ich tun sollen? Außerdem traten sehr seltene Nebenwirkungen auf: Sein Kopf war nach vorne geneigt im 90 Grad Winkel. Er konnte ihn nur mit Mühe heben. Mein Mann sabberte und war inkontinent. Nachdem seit seiner aggressiven Phase wiederum zwei Monate vergangen waren, setzte ich das Medikament Zyprexa schrittweise in Absprache mit der behandelnden Ärztin ab. Nach ungefähr weiteren drei Wochen konnte mein Mann seinen Kopf wieder normal halten, worüber er sehr stolz war. Das Sabbern war verschwunden und ja sogar die Inkontinenz. Aber die nächsten Schwierigkeiten ließen nicht lange auf sich warten. Mein Mann verlor plötzlich immens an Gewicht. Innerhalb von drei Wochen hatte er acht Kilogramm verloren. Die Gewichtsabnahme schob ich zunächst auf das Absetzen des Medikaments. Schließlich hatte er zu Beginn der Medikamentengabe an Gewicht sehr zugelegt. Aber dann ließ sich die Gewichtsabnahme nicht mehr aufhalten. Ein Kilogramm 22 nach dem anderen verschwand. Zusätzlich traten Schluckstörungen auf. Das, was er gestern noch essen konnte, blieb ihm plötzlich im Hals stecken, so dass er uns drei Mal fast erstickt wäre. Nur in letzter Sekunde - er war schon blau angelaufen und seine Augen traten hervor - war es mir möglich, das steckengebliebene Essen zu lösen. Von da an gab es nur noch weiche Kost in Verbindung mit Astronautenkost. Dennoch nahm er weiter ab bis er am Ende nur noch 57 kg wog und das bei einer Größe von 1,78 m. Kurz nach den Erstickungsanfällen trat auch eine sehr starke Verschleimung auf, die das Essen und Trinken sehr erschwerte. Außerdem benötigte er zunehmend Hilfe beim Essen. Auch die Sprache ließ immer mehr nach. Seine Worte wurden immer weniger und waren sehr unverständlich. Schließlich sprach er gar nichts mehr. Auch wenn seine Mimik starrer wurde, konnten wir an seinem Gesicht Wut, Trauer und Freude ablesen. Wenn er zornig war, schob er seinen Unterkiefer hervor; wenn er traurig oder unsicher war, weinte er; wenn er sich freute, was während der Erkrankung auch oft der Fall war, lachte er oder seine Augen leuchteten. Pflege lässt nach: Die eigene Pflege hatte mit der Medikamentengabe völlig nachgelassen. Die morgendliche Rasur wurde nur teilweise bis gar nicht vorgenommen, an Waschen oder Zähneputzen war nicht zu denken. Also habe ich diese Aufgabe übernommen. Dabei hatte ich großes Glück, dass mein Mann dies alles ohne weiteres zuließ. Nur das Zähneputzen gestaltet sich schwierig, weil er immer auf die Zahnbürste biss, so dass ich nicht weiterputzen konnte. Betreuung in der Tagesstätte Die Zeit der Aggressionen hätten wir wohl ohne die Tagesstätte „Rosengarten“ in Allach bei München nicht überstanden. Ca. ein halbes Jahr nach der Diagnosestellung begann mein Mann in eine Tagesstätte zu gehen. Geholfen, diese Tagesstätte 23 zu finden, hatte uns die Alzheimergesellschaft, die mir viele Telefonate damit abgenommen hatte. Zunächst bestand das Problem darin, wie ich meinen Mann dazu bekomme, die Tagesstätte zu besuchen. Die Leiterin der Tagesstätte hatte dann die gute Idee, uns zum Kaffee zu besuchen und meinen Mann in die Tagesstätte einzuladen. Unser Bangen war völlig unbegründet. Mein Mann ging vom ersten Tag an sehr bereitwillig in den Rosengarten. Anfangs war sein Besuch in der Tagesstätte auf einen Tag in der Woche beschränkt, aber im Laufe der Zeit erhöhten wir den Besuch von Mal zu Mal, bis er schließlich um 7.00 Uhr abgeholt wurde und gegen 17.00 Uhr wieder nach Hause kam. Vorteil des Besuchs der Tagesstätte für meinen Mann bestand vor allem darin, dass er eine Struktur in seinem Alltag wieder gefunden hatte. Auch konnte er dort bei alltäglichen Dingen helfen. Er durfte zum Beispiel mit zum Einkaufen, trug die Einkaufstaschen, leerte die Spülmaschine etc. Er konnte sich nützlich machen, wenn er dies wollte. Zu alledem wurde dort seine Persönlichkeit respektiert. Dadurch, dass er schon in die Tagesstätte ging, als er noch einigermaßen gut sprechen konnte, wussten die Betreuerinnen auch in den Zeiten, als er nur noch nuschelte, was er ausdrücken wollte und konnten so auf ihn eingehen, was ihn wiederum sehr glücklich machte. Die letzte Zeit und der Tod Es gab eine sehr schöne Veränderung: Mein Mann verhielt sich wieder sehr freundlich und zeigte auch Zuneigung. Wenn ich ihm beim Essen half, legte er den Arm um mich und lächelte mich dabei an. Beim Ein- oder Aussteigen aus dem Auto hielt er mir die Tür auf. Dabei beeilte er sich, fing sogar zu rennen an, um vor mir an der Tür zu sein. Nachts war es jedoch anstrengender geworden, da er unruhiger wurde und vermehrt aufstand. Er lief in der Wohnung herum, ging 24 auf die Toilette oder schaute nach den Kindern. In den letzten beiden Nächten vor seinem Tod, versuchte er nachts mit mir zu sprechen, aber leider konnte ich seine Worte nicht verstehen, sie waren zu undeutlich. Auch die Inkontinenz war wieder aufgetreten. Aufgrund der Schwierigkeiten beim Essen, der starken Verschleimung und der immensen Gewichtabnahme ist es meinem Mann merklich schlechter gegangen. Am 12. August 2004 wurde er wie gewohnt abgeholt, um in die Tagesstätte gefahren zu werden. Schon am Morgen bemerkte ich, dass er irgendwie schwach wirkte. Ich versuchte ihm Frühstück zu geben. Anschließend musste ich jedoch mehrere Hände voll Schleim aus seinem Mund entfernen. Während des Tages rief ich auch in der Tagesstätte an, um mich nach ihm zu erkundigen. Aber da war noch alles in Ordnung. Am Abend folgte schließlich der Anruf, dass mein Mann zusammengebrochen war, wiederbelebt und ins Krankenhaus gebracht worden war. Er hatte einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten. Alles war sehr schnell gegangen, von einer Sekunde auf die andere. Einen Tag später konnte er sanft entschlafen. Obduktion des Gehirns Schon im Laufe der Erkrankung hatte ich mich dazu entschlossen, eine Obduktion des Gehirns meines Mannes durchführen zu lassen. Diese Entscheidung ist mir zur Lebzeiten meines Mannes nicht leicht gefallen. Immer wieder hatte ich große Zweifel. Als jedoch mein Mann gestorben war, ist mir bewusst geworden, dass er seinen Körper nicht mehr benötigt und dieser nur noch als Hülle übrig bleibt. Von diesem Augenblick an hatte ich einer Obduktion gegenüber keine Bedenken mehr und bereue diese auch bis heute in keiner Weise. 25 Besondere Schwierigkeiten aufgrund des jungen Alters und des schnellen Verlaufes Wunschvorstellungen und Anregungen Im Nachhinein habe ich mir Gedanken darüber gemacht, welche Lücken für meine Kinder und mich während der Erkrankung bestanden. Ein großes Problem war während des Krankheitsverlaufes für mich die Zeit. Vollzeit arbeiten, Haushalt, Kinder, die Betreuung meines Mannes und noch nebenbei der nicht enden wollende Formularkrieg. Allem 100 % gerecht zu werden war nicht möglich. Perfektion konnte also nicht der Maßstab sein. Aufgrund des Zeitmangels und des schnellen Krankheitsverlaufes lief ich wohl immer einen Schritt hinter der Krankheit hinter her. Anstelle vorausschauend zu handeln, musste erst immer etwas passieren, bis ich reagierte: Zum Beispiel wusste ich, dass ich den Küchenherd umrüsten müsste. Bevor ich dazu kam, ist es fast zu einem Brand gekommen. Mein Mann hatte sich Maultaschen heiß machen wollen, wurde abgeholt und hatte vergessen, den Herd auszuschalten. Kurz vor dem Entstehen eines Brandes konnte dieser durch die herbeigerufene Feuerwehr verhindert werden. Mehrmals ist es auch passiert, dass wir nicht mehr in die Wohnung hineinkamen, da mein Mann den Schlüssel von innen stecken gelassen hatte. Nur mit einem Dietrich ließ sich die Wohnungstür wieder öffnen. Hier wäre ein rechtzeitiges Auswechseln des Schlosses mit beidseitiger Schließung notwendig gewesen. Ein letztes Beispiel, dass die Krankheit schneller war als meine Bemühungen, war, dass mein Mann aufgrund seiner Schluckstörung und Verschleimung einen Termin im Krankenhaus hatte. Bevor wir jedoch diesen Termin wahrnehmen konnten, starb mein Mann, eine Woche zuvor. Für Kinder/Jugendliche bestehen derzeit noch keine Gesprächsgruppen, was meiner Meinung aber sehr wichtig wäre. 26 Mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und Betreuung für junge Demenzerkrankte. Das Verbot des Autofahrens sollte nicht allein dem Pflegenden überlassen werden; die Gefahr, dass der Kranke aggressiv und wütend reagiert, dass er sein Vertrauen in die Bezugsperson verliert, ist zu groß. Hier würde ich mir eine andere Vorgehensweise wünschen. Was ich mir - vielleicht als Vision - vorstellen könnte, wäre eine Art Patenschaft. Dabei denke ich nicht an eine finanzielle Patenschaft, sondern an jemanden, der bereit ist und die Zeit hat, einer Familie beim Ausfüllen der vielen Formulare zu helfen und vielleicht auch mal den einen oder anderen Behördengang übernehmen kann. Dank Zum Schluss möchte ich noch diese Gelegenheit nutzen, um mich ganz herzlich zu bedanken: • für Spenden, die ich erhalten habe und für die Betreuung meines Mannes nutzen konnte, • bei den betreuenden Ärzten für ihre Unterstützung • bei meinen Freunden für ihre Gespräche und Hilfen • bei der Tagesstätte, die jederzeit flexibel reagiert hat, die die Persönlichkeit meines Mannes respektiert hat und in der sich mein Mann wohl gefühlt hat, und dafür, dass ich ihr meinen Mann guten Gewissens anvertrauen konnte. • bei der Alzheimer-Gesellschaft, an die ich mich jederzeit wenden konnte und die mir mit Rat und Tat zur Seite stand, • und nicht zuletzt bei meinen Töchtern, die jederzeit ihren Papa und auch mich unterstützt haben, ihrem Vater jederzeit behilflich waren und ihn zum Lachen brachten oder trösteten, vor allem dafür, dass es ihnen gelungen ist, sich in seine neue Welt einzulassen und ihn dort abzuholen, wo er sich gerade befand. Meinen ganz herzlichen Dank für all` diese Unterstützung. 27 „Meine Frau ist an FTD erkrankt“ Schwerpunkt: Heim Marco Schoeller Einleitend möchte ich Ihnen kurz die Person meiner Frau Michaela vorstellen. Geboren 1962, schwierige Kindheit bedingt durch ein Alkoholproblem des Vaters, Ausbildung zur Arzthelferin, Heirat mit mir 1989, Geburt unserer beider Kinder 1990 und 1992. Erste Anzeichen bemerkten wir 2003 im Januar an ihrem 41sten Geburtstag; es waren Sprachstörungen. Eine Freundin von uns, von Beruf Ärztin, sprach mich an, da sie ein Alkoholproblem bei meiner Frau vermutete (wegen der lallenden Aussprache). Als ich ein solches definitiv ausschließen konnte, vereinbarten wir mit meiner Frau einen stationären Aufenthalt, zur Durchführung einer Testreihe, damals noch zum Ausschluss einer schweren Erkrankung gedacht. Am 23. Juni 2003 nach Abschluss sämtlicher Tests und Computer-Tomographien wurde uns die Diagnose FTD mitgeteilt mit der Bitte, noch eine Zweitmeinung einzuholen. Diese Zweitmeinung fand dann hier im Klinikum Rechts der Isar statt. Sie kam zu dem gleichen Ergebnis. Da wir uns anfänglich mit der Aussage „es gibt wenig Medikamente und keinerlei Hoffnung auf Heilung“ nicht zufrieden geben wollten begann eine Odyssee durch sämtliche namhafte Krankenhäuser Deutschlands, bis hin zu einer amerikanischen Vereinigung namens „best doctors“, welche gegen Bezahlung das komplette Krankheitsbild in einen Computer eingibt. Dann erhält man die Beurteilung der führenden Ärzte auf dem jeweiligen Fachgebiet amerikaweit Aber auch diese Hoffnung endete an dem Punkt, wo wir erkennen mussten, dass die Krankheit nicht aufzuhalten war. Da es mein Wunsch und der unserer Kinder war, meine Frau solange es nur irgendwie geht zu Hause zu behalten, ließen wir ihr jeden nur erdenklichen Freiraum. Die sich im weiteren Verlauf ergebende Problematik ähnelt sehr stark der von Herrn Parol mit einer Ausnahme: meine Frau war zu keinem Zeitpunkt aggressiv, sondern das krasse Gegenteil, sie zog sich bei Konflikten immer zurück. Es folgten die gleichen schweren Entscheidungen wie bei Hr. Parol: 1. Entzug des Autos 2. Entzug der Bankkonten 28 3. Ausgabe eines tägl. kleinen Taschengeldbetrages für weitere ritualisierte Einkäufe und dem Besuch unserer Eisdiele. Nach einer Reihe von schweren Stürzen teils zu Hause, teils in den öffentlichen Verkehrsmitteln und den Hinweisen von Nachbarn und Freunden, dass meine Frau sich als Fußgängerin im Straßenverkehr dramatisch selbst gefährdend verhalten würde, fingen wir in der Familie an, uns mit einer Lösungsfindung zu beschäftigen. Das war der Moment, an dem wir uns erstmalig mit dem Gedanken „Betreuung“ beschäftigten, jedoch diesen Gedanken nicht wirklich aufkeimen ließen. Jedoch bemerkten wir, dass wir nicht mehr nur alleine entschieden. Auf einmal redeten Freunde, die Schwiegereltern und Nachbarn mit. Es fielen Sätze wie: „Während wir mit deiner Frau in die Eisdiele gehen, gehst du auf den Golfplatz“ oder die Nachbarn beschwerten sich, dass meine Frau in ihren Gärten permanent Blumen schneiden würden. Man könnte die Anzahl dieser Beispiele beliebig fortsetzen. Fakt ist, man kommt an den Punkt, an dem man sich für eine Veränderung der Situation entscheiden muss. Ich für meinen Teil begab mich auf die Suche nach einer Einrichtung für junge Demenzkranke, leider ohne großen Erfolg. Eine Einrichtung in unmittelbarer Nähe unserer Wohnung für psychisch kranke junge Frauen nahm meine Frau auf – jedoch einen Tag später kam die Absage mit dem Argument, das Krankheitsbild meiner Frau passe nicht zu dem der übrigen Frauen und somit wäre das Risiko von Übergriffshandlungen seitens dieser Frauen zu groß und daher nicht verantwortbar. Die nächste Einrichtung in der sich jüngere Menschen aufhielten, war eine Einrichtung für organisch erkrankte Patienten sowie Schädel-Hirn-TraumataPatienten, meist nach Unfällen. Diese Einrichtung nahm meine Frau auf und sie gaben sich auch wirklich jede erdenkliche Mühe. Gescheitert ist dieses Projekt letztlich an meiner Frau: sie verließ immer wieder die Räume, um zu rauchen. Die Gruppenleiter folgten ihr dann und mussten den Rest der Gruppe alleine lassen. Dies führte zu Unmut unter den anderen Teilnehmer, welche ja ernsthaft an der Verbesserung ihres Zustandes arbeiteten. Extrem machte sich dies auch in der Tagesabschlussgruppe „autogenes Training“ bemerkbar, wo meine Frau den Sinn nicht mehr erkannte und laut vor sich hin sprach. Dies führte dann in der Konse29 quenz auch wieder zu einer Beendigung des Aufenthaltes. In diesem Fall für mich absolut nachvollziehbar und ich bin heute noch dankbar für die tolle, geleistete Arbeit. Also begann die Suche wieder nach etwas Neuem. Resignativ beugte ich mich der Tatsache, dass ich mich jetzt wohl mit einer Tagestätte mit ausschließlich älteren Patienten abfinden müsste. Die weitere Problematik war, dass eine solche Einrichtung zwingend mit einem Fahrdienst ausgestattet sein musste, da ich als Berufstätiger keinerlei Möglichkeiten der Beförderung hatte. Dieses K.O.-Kriterium schränkte die Suche ein. Ein weiteres großes Thema war die Pflegeeinstufung. Wenn man sich mit der Thematik „Pflegegesetz“ beschäftigt, stellt man recht bald fest, dass der Gesetzgeber bei der Abfassung des Pflegegesetzes die Problematik „Demenz“ wohl wenig beachtet hat. Mein erster Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass meine Frau die meisten Verrichtungen des täglichen Lebens noch gut bewältigen könnte. Erst der Einspruch führte zur Einstufung in Pflegestufe I. Ich würde mir wünschen, dass der Gesetzgeber nachbessert und der Medizinische Dienst akzeptiert, dass die geleisteten Verrichtungen allesamt nachkontrolliert bzw. nachgearbeitet werden müssen, so z.B. die gesamte Körperpflege. Die Zeiten von getürkten Pflegeprotokollen und geimpften Demenzkranken sollten ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Zurück zum Thema Suche: Gelandet sind wir dann in derselben Einrichtung wie Hr. Parol, nämlich im Rosengarten. An dieser Stelle auch von mir einen herzlichen Dank an Frau Brandtner, die für alle Notsituationen immer eine Lösung parat hatte. Aber auch diese Zeit ging wegen der zunehmenden Verschlechterung des Zustandes meiner Frau zu Ende. Die Nachtstunden mit ihrer starken Nachtaktivität führten bei mir zu einem massiven Schlafdefizit und die zweite Problematik war, dass unsere Kinder und hier besonders unsere pubertierende Tochter die Wochenenden mit Freunden verbringen wollten und nicht mehr mit ihrer Mutter die Eisdiele besuchen oder zu Hause auf sie aufpassen. Auch ich hatte das Dilemma einerseits der Rat der Ärzte, bei allem auch an mich zu denken, zum anderen das Problem meiner Frau gerecht zu werden. Also nahm man Hilfe von Freunden in 30 Anspruch, was zu oben erwähnter Problematik führte. Für einen Menschen, der noch nie auf Hilfe Dritter angewiesen war, war dies eine neue Erfahrung, aber vor allem keine Dauerlösung. Außerdem wurde die Stimmung zu Hause zunehmend aggressiver und die Frage kam auf, ob wir noch in der Lage waren die Betreuung zu gewährleisten. Also beschlossen unsere Kinder und ich im Sommer 2005, dass sich etwas ändern müsste. Unsere erste Idee war eine osteuropäische Pflegerin in unserer Wohnung aufzunehmen. Also startete ich eine intensive Suche. Ich war so auf diese Idee fixiert, dass ich auch immer in meiner Angehörigengruppe in der Münchner Alzheimergesellschaft sowie mit deren Vorsitzenden Frau BayerFeldmann direkt gesprochen habe. Frau Bayer-Feldmann ergriff, Gott sei Dank, die Initiative und bat mich um ein Einzelgespräch, in dem sie mir sehr genau die große Problematik der häuslichen Pflege eines Demenzkranken schilderte bzw. mir aus ihrem Erfahrungsschatz heraus darlegte, dass solche Kräfte einfach mit der Doppelbelastung Pflege und Haushalt schnell überfordert wären und die Fluktuation deshalb sehr hoch wäre. Ein weiterer Aspekt wäre, dass eine zusätzliche, fremde Person im Haushalt wäre, was die freie Bewegungsmöglichkeit der Familie doch enorm einschränken würde. Eine idealisierte Problemlösungsvorstellung platzte wie eine Seifenblase. Also hielten wir wieder Familienrat ab und beschlossen im September 2005 meine Frau in ein Heim zu geben. Wenn Sie das Buch von Eleanor Cooney „Ich hörte dich so gerne lachen“ kennen, wissen Sie was so eine Entscheidung bedeutet. Es ist, glaube ich, für jeden Angehörigen eines Demenzkranken der Moment, vor dem er sich am meisten fürchtet und den man am meisten verdrängt. Engagiert ging ich das Problem an, unterstützt durch einen Fragebogen sowie Adressmaterial von der Münchner Alzheimergesellschaft. Weitere Adressen bekam ich über die psychiatrische Universitätsklinik München. So ausgestattet machte ich mich auf die Suche. Ich führte zahlreiche Gespräche mit Angehörigen, wählte aus meinen Listen vorab Häuser aus, die nach Abzug der Pflegekassenleistung noch finanzierbar waren, - auch so ein Problem, welches leider in die Entscheidungsfindung mit hinein spielt. Es gibt Häuser, die einem äußerst gut gefallen würden, leider aber persönlich nicht finanzierbar sind. Dieser Punkt ließ mich Häuser vorab auswählen, welche sich ausschließlich außerhalb Münchens befanden. Ich besuchte 12 Häuser, füllte meine Fragebogen 31 aus, sprach teilweise mit Bewohnern, fuhr mit Freunden und Familienangehörigen in die Häuser, die in die engere Wahl kamen, um Meinungen von dritter Seite zu bekommen und entschied mich nach meiner Meinung intensivster Recherche für ein Seniorenheim in Landshut. Mit ein Grund war übrigens, eine jüngere Bewohnerin (38 Jahre, MS-erkrankt) in der Nachbarschaft zu meiner Frau. Mitte November zogen wir meine Frau dorthin um. Was soll ich Ihnen sagen. Es war ein Flop!! Die Station, auf der meine Frau untergebracht war, war meines Erachtens überfordert mit ihrem Krankheitsbild. Die versprochenen Ergotherapiemaßnahmen fanden so gut wie nie statt. Mit das Schlimmste waren jedoch die immer häufiger werdenden Stürze meiner Frau und die damit verbundenen stationären Krankenhausaufenthalte. Bei meinem Besuch anlässlich ihres 44. Geburtstages fand ich eine fixierte, verstörte Frau vor und kann nur sagen, dass meinen Kindern dieser Anblick ihrer Mutter, Gott sei Dank, erspart geblieben ist. Eine weitere Aufzählung von Dingen, die mir missfallen haben, will ich uns ersparen, entscheidend war für mich, dass mir das Vertrauen in die Einrichtung verloren gegangen ist und ich feststellte, dass es ohne dieses keine Zukunft mehr geben konnte. Ein weiterer, wichtiger Aspekt war, dass unsere Kinder und ich feststellten, dass die Entfernung doch ein Hindernis darstellte. Die Besuche fanden einmal in der Woche, meist am Sonntag statt und hatten leider den Charakter einer Pflichtveranstaltung. Es ist leider oft so, dass die Theorie häufig von der Praxis abweicht und man vieles erst in der Praxis erfährt und kennen lernt. Was ein eklatantes Problem für mich darstellte war, dass ich das Vertrauen in meine Entscheidungsfindung total verloren hatte und somit Angst hatte, ein weiteres Mal zu versagen und das Ganze nochmals auf dem Rücken meiner Frau auszutragen. Trotzdem begaben wir uns wieder auf die Suche. Diesmal unter der Prämisse, etwas in München bzw. in unmittelbarer Umgebung zu finden. Ja und dann spielte uns der große Zufall in die Karten. Eine Bekannte einer unserer sehr guten Freundinnen war mit einem von der Stadt geförderten Projekt beschäftigt und kam so mit einer Einrichtung in Berührung, von der sie überzeugt war, dass diese etwas für meine Frau sein könnte. Nach mehreren Gesprächen 32 waren unsere Kinder und ich uns einig, es in diesem Haus zu probieren. Die oben angesprochene Angst war zwar da, jedoch hatte ich in diesem Fall auch ein äußerst gutes Bauchgefühl, was mir zugegebenermaßen bei Landshut gefehlt hatte. Es handelte sich um eine betreute Wohngemeinschaft mit insgesamt 8 Patienten bzw. Senioren, welche mittels ambulanten Pflegediensten rund um die Uhr betreut sind. Das Ganze befindet sich in einer wunderschönen 300qm Altbauwohnung, keine 500 Meter von unserer Wohnung entfernt. Es herrscht ein familiäres Klima, die Gemeinschaft kocht und wäscht zusammen und unternimmt Ausflüge. Die ergotherapeutischen Maßnahmen funktionieren und die Betreuung ist äußerst liebevoll. Bei Toilettengängen braucht meine Frau nur zu rufen und sofort führt sie jemand auf die Toilette. Sätze wie „jetzt bleiben sie mal sitzen, sie haben doch eine Windel an“ gibt es in diesem Hause nicht. In den vier Wochen, in denen meine Frau in dieser Einrichtung lebt, ist sie kein einziges Mal bisher gestürzt: sie schläft jetzt nicht mehr im Bett, sondern auf einer Matratze auf dem Boden. Die wesentlich häufigeren Besuche kommen zum einen meiner Frau zu Gute und fördern zum anderen den Dialog mit den Pflegekräften, was wiederum das Vertrauen enorm stärkt. Für den Moment sind wir mit unserer Odyssee am Ende angelangt. Wir können durchatmen und versuchen in die Restfamilie so etwas wie Normalität zu bringen. Ich glaube, ohne die Kinder ginge es mir bedeutend schlechter: daher lieber die Problematik des Alleinerziehenden, als alleine mit der Problematik dazustehen. Enden möchte ich mit meinem Vortrag mit ein paar Sätzen meines Lieblingsdichters „Antoine de Saint-Exupery“; sie haben es mir erleichtert, mit diesem Schicksalsschlag umzugehen: „Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müsste im Leben alles glatt gehen. Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.“ 33 Erstberatung nach Diagnosestellung Bettina Förtsch In die Sozialberatung des Zentrums für kognitive Störungen des Klinikums rechts der Isar in München kommen die Patienten und Angehörigen, nachdem sie bei den Ärzten der Ambulanz waren und über ihre Erkrankung aufgeklärt worden sind. Meist vergeht eine gewisse Zeit, bis der „Schock der Diagnose“ ein wenig verdaut ist und Angehörige von diesem Angebot Gebrauch machen. Das Beratungsangebot gilt für alle Betroffenen und ihre Angehörigen, egal unter welcher Art von Demenz sie leiden und wie weit die Krankheit bereits fortgeschritten ist. Oft sind es Patienten mit der Alzheimer-Krankheit, die vor allem durch Gedächtnis- und Orientierungsprobleme beeinträchtigt sind. Es kommen aber auch Familien in die Beratung, bei denen ein Teil von einer frontotemporalen Demenz betroffen ist. Es gibt in der Beratungssituation einige Fragen, die für alle Demenzerkrankungen von Bedeutung sind und die immer angesprochen werden. Oft passen jedoch die Informationen und Angebote, die Menschen mit frontotemporaler Demenz und ihre Angehörigen brauchen, nicht optimal. Dann ist es wichtig, die besonderen Bedürfnisse im Einzelfall beim Aufzeigen von weiterführender Unterstützung zu berücksichtigen. Die Anliegen und Punkte, die im Beratungsgespräch Thema sind, sind vielfältig und können im Einzelnen sehr individuell sein. Wesentliche Inhalte einer Erstberatung sollten aber zwei Dinge sein. Zum einen die Klärung wichtiger rechtlicher Fragen und zum anderen das Aufzeigen von weiterführenden Hilfen. Bei beiden Schwerpunkten werden nun einige Themenbereiche kurz erläutert. Es werden die Gemeinsamkeiten angesprochen, die bei allen Formen von Demenz wichtig sind, und es wird auch auf die besonderen Probleme eingegangen, die eine frontotemporale Demenz mit sich bringen kann oder die dort beachtet werden müssen. 34 1.) Klärung rechtlicher Fragen Ein wichtiger rechtlicher Punkt, wenn man mit der Diagnose einer Demenz konfrontiert ist, ist die Frage der Vorsorge in rechtlicher Hinsicht, beispielsweise mit einer Vollmacht. Bei allen Demenzformen ist es empfehlenswert, in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung rechtzeitig die wesentlichen Dinge für die Zukunft festzulegen. Eine entsprechende Vorsorgevollmacht ist also immer dann anzuraten, wenn ein naher Angehöriger oder eine sonstige Person des absoluten Vertrauens später im eigenen Sinne rechtlich verbindlich handeln können soll. Eine Schwierigkeit hinsichtlich der Vorsorgevollmacht bei Patienten mit frontotemporaler Demenz kann die fehlende Krankheitseinsicht sein. Auch sind die Betroffenen oft noch verhältnismäßig jung und sehen die Notwendigkeit nicht ein. Es bleibt dann bei Bedarf nur das Instrument der „gesetzlichen Betreuung“, die beim zuständigen Vormundschaftsgericht in einem aufwändigen Verfahren beantragt werden muss. Man kann diese bürokratische Zusatzbelastung als Angehöriger nur mit einer vorhandenen, gültigen Vollmacht vermeiden. Ein weiteres Thema in der Beratung ist der Anspruch jedes Demenzkranken auf einen Schwerbehindertenausweis mit den entsprechenden Merkzeichen vom Versorgungsamt. Ab einem gewissen Schweregrad der Erkrankung besteht dieser Anspruch bei allen Formen von Demenz. Er kann den Betroffenen eine Reihe von steuerlichen und nichtsteuerlichen Vorteilen bringen. Bei noch berufstätigen Patienten mit frontotemporaler Demenz ist immer auch ein wichtiges Argument für den Schwerbehindertenausweis die damit verbundene Erleichterung bei einem evtl. Rentenantrag. Die Berentung spielt gerade bei Patienten mit frontotemporaler Demenz eine wichtige Rolle, denn die Kranken sind den komplexen Anforderungen des Berufslebens oft schon im beginnenden Stadium nicht mehr gewachsen. Besteht kein Anspruch auf Krankengeld mehr, und ist man nicht mehr in der Lage, seinen Beruf mehr als drei Stunden täglich auszuüben, gilt man als erwerbsgemindert. Es kann dann die sog. „Erwerbsminderungsrente“ beim zuständigen Rentenversicherungsträger beantragt werden. In der Praxis gibt es für die Betroffenen dabei nicht selten Probleme, so dass zur weiterführenden Beratung immer an den VdK 35 verwiesen werden kann, der bei einem solchen Verfahren unterstützend zur Seite steht. Patienten mit einer frontotemporalen Demenz sind meistens verhältnismäßig jung und stehen oft mitten im Berufsleben. Da vielen von ihnen jegliche Krankheitseinsicht fehlt, verstehen sie nicht, warum sie nicht mehr arbeiten sollen. Gleichzeitig kommt es aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten und Problemen beim Bewältigen von komplexen Vorgängen schnell zu Reibereien und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Ist der Erkrankte der Alleinverdiener in einer Familie mit Kindern in Schule oder Ausbildung, kann eine vorzeitige Berentung zu dramatischen finanziellen Einbußen führen, die eine Familie durchaus existentiell bedrohen können. Lösungen oder Bewältigungsmodelle sind sehr schwierig zu finden und können immer nur im individuellen Kontext gesucht werden. Ein weiterer Punkt in der Beratung kann je nach Schweregrad der Erkrankung auch der Anspruch des Patienten auf Leistungen aus der Pflegeversicherung sein. Die dafür nötige Einstufung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen orientiert sich in erster Linie am Hilfebedarf des Betroffenen bei den körperlichen Verrichtungen. Diese sind bei der frontotemporalen Demenz zunächst gar nicht oder nur minimal beeinträchtigt. Deswegen ist die Bewilligung einer Pflegestufe oft eine äußerst mühsame und für die Angehörigen im anstrengenden Alltag sehr belastende Angelegenheit. Die örtlichen Alzheimer Gesellschaften bieten in diesem Bereich sehr hilfreiche Beratung und Unterstützung im konkreten Fall an. 2.) Aufzeigen weiterer Hilfen In einem zweiten Teil der Erstberatung werden die Betroffenen und ihre Angehörigen über weiterführende Unterstützungs- und Betreuungsangebote informiert, die es für Demenzkranke und ihre Angehörigen gibt. Im Alltag sind gerade bei der frontotemporalen Demenz die Familien durch die oft massiven Auswirkungen der Erkrankung sehr belastet und stoßen schnell an die Grenzen des Machbaren. Es ist daher sehr wichtig, viele Informationen über Möglichkeiten der Entlastung zu haben und die entsprechenden Anlaufstellen zu kennen. 36 Da im Anschluss ausführlich über diese Hilfsangebote informiert wird, werden an dieser Stelle nur einige Punkte beispielhaft herausgegriffen und es wird versucht, dabei auf die besonderen Bedürfnisse von Patienten mit frontotemporaler Demenz und ihren Angehörigen einzugehen. Es kann z.B. eine große Erleichterung im Alltag bedeuten, wenn Demenzkranke eine teilstationäre Einrichtung besuchen können. Gemeint sind hier zeitlich begrenzte Formen der Versorgung in Tagesstätten oder Tagespflegen. Diesen Angeboten ist gemeinsam, dass die Betreuung in der Regel in Gruppen von eher älteren Menschen stattfindet. Beides ist als Rahmenbedingungen für Patienten mit frontotemporaler Demenz nicht optimal, denn zum einen haben die meist viel jüngeren Erkrankten wenig Interesse, mit so viel älteren Menschen an einer Gruppe teilzunehmen. Zum anderen ist die Gruppenstruktur aufgrund der manchmal sehr schwierigen Symptome im Verhalten der Erkrankten nicht unbedingt die ideale Form der Betreuung. Dennoch ist es immer wichtig, den Einzelfall zu betrachten, sowohl von der Symptomatik der Betroffenen, als auch von den Gegebenheiten der Betreuungsmöglichkeiten her. Man könnte vielleicht die grobe Einschätzung versuchen, dass es eher non-verbale Gruppenangebote sind, in denen sich Patienten mit frontotemporaler Demenz aufgehoben fühlen, z.B. Gruppen, die Bewegung und Motorik zum Inhalt haben oder auch kreative Angebote, wo gestaltet oder gemalt wird. Im stationären Konzept des „Alzheimer-Therapiezentrums Bad Aibling“ ist die Kunsttherapie beispielsweise wichtiger Bestandteil des Programms. Es gelingt dort den Kunsttherapeuten immer wieder, auch sehr schwierige Patienten mit frontotemporaler Demenz gut in die Gruppe zu integrieren. Die Neurologische Klinik Bad Aibling bietet ein vierwöchiges Reha-Angebot für alle Formen von Demenz. Die Behandlung ist für Patienten zusammen mit ihren Angehörigen gedacht und zielt darauf ab, die Alltagsbewältigung der Familien so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Man geht dort sehr individuell auf die einzelnen Betroffenen und ebenso auf die Angehörigen und ihre Bedürfnisse ein. Durch Empfehlungen von Therapieformen, die sich in Bad Aibling bewährt haben, wird versucht, auch über den Aufenthalt hinaus dauerhafte Wirkungen zu erreichen. 37 Ein wichtiger Punkt, der nicht vergessen werden darf, ist der Hilfebedarf der Kinder in den manchmal jungen Familien von Frontotemporal Erkrankten. Als kleines Kind oder auch als Jugendlicher dieser schweren Krankheit eines Elternteils zusehen zu müssen und die belastenden Auswirkungen tagtäglich im Familienalltag zu spüren zu bekommen, ist unvorstellbar schwierig und kann leicht zu massiven Problemen bei den Kindern führen. Auch hier ist es wichtig, im Einzelfall abzuwägen, ob und wenn ja welche Form der Unterstützung gebraucht wird. Denkbar wären z.B. Angebote wie Einzeltherapien der Kinder oder auch familientherapeutische Begleitung sowie Gespräche in einer Familien- oder Erziehungsberatungsstelle. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Hilfe hat das zuständige Jugendamt, denn im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes haben Familien in krankheitsbedingten Notsituationen Anspruch auf die sog. „Hilfe zu Erziehung“. Diese Hilfe kann unterschiedlich ausgestaltet sein und richtet sich nach dem Bedarf im Einzelfall. Manchmal ist die Demenzerkrankung bei Patienten unserer Ambulanz schon so weit fortgeschritten, dass die Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst die geeignete Art der Entlastung ist. In den Großstädten wie in München gibt es vereinzelt Pflegedienste, die sich auf die Pflege von dementiell erkrankten Patienten spezialisiert haben. Diese berücksichtigen dann z.B. die besonderen Probleme bei frontotemporaler Demenz dahingehend, dass sie bei starker motorischer Unruhe oder Aggressivität des Patienten immer nur zu zweit in die Pflegesituation gehen. Ein wichtiges Thema, das in der Erstberatung immer angesprochen wird, sind die Unterstützungs- und Beratungsangebote für die Angehörigen im weiteren Verlauf der Erkrankung. Es kann beispielsweise für einen Angehörigen die passende Entlastung bedeuten, regelmäßig an einer entsprechenden Selbsthilfegruppe teilzunehmen, wie sie hier in München seit längerem existiert. Eine Vielzahl von verschiedenen Formen der psychosozialen Begleitung für Angehörige bieten die örtlichen Alzheimer Gesellschaften an. 38 Abschließen möchte ich meinen Beitrag mit einem Bild vom Viktualienmarkt in München, das ein Patient mit frontotemporaler Demenz im fortgeschrittenen Stadium von einer Postkarte abgezeichnet hat. Man kann sich vorstellen, wie stolz er darauf war, das so gut hinbekommen zu haben. Man kann sich auch die Zufriedenheit des Angehörigen darüber vorstellen, wie sinnvoll und produktiv der Erkrankte über einen längeren Zeitraum damit beschäftigt war. 39 Begleitung der Angehörigen während des Krankheitsverlaufs Christine Zarzitzky Alzheimer Gesellschaft München e.V. Bevor ich mit meinem Beitrag beginne, möchte ich mich zuerst bei den Akteuren bedanken, die heute auf unbürokratische Weise die Betreuung der Erkrankten organisiert haben, damit ihre Angehörigen beruhigt an dieser Tagung teilnehmen können. Der Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Tagespflege „Die Herbstlaube“, unserer ehrenamtlichen Helferin aus dem Helferkreis und der „Stiftung Adventskalender“ der Süddeutschen Zeitung, für die Übernahme der Betreuungskosten. Die meisten Unterstützungs- und Beratungsangebote wurden vorwiegend für Angehörige von Patienten mit der Alzheimer-Krankheit (AK) konzipiert. Noch relativ wenig Berücksichtigung findet, dass sich die Frontotemporale Demenz in vielen Bereichen von der AK unterscheidet und zusätzliche bzw. andere Belastungen für die Angehörigen mit sich bringt. Belastungen der Angehörigen bei Alzheimer- und Frontotemporaler Demenz - Fortschreitende Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten - Zunehmende Pflegebedürftigkeit - Allmählicher Verlust eines geliebten Menschen - Verbitterung über das eigene Schicksal - Gesundheitliche Folgen durch die Dauerbelastung - Isolation - Finanzielle Belastung Zusätzliche Belastungen für die Angehörigen bei FTD - Das relativ junge Alter der Betroffenen 40 - Vergleichsweise geringe Häufigkeit von FTD - Verhaltensauffälligkeiten von Beginn der Erkrankung an Das meist relativ junge Alter der an FTD – Erkrankten führt häufig zu zusätzlichen Belastungen für die Angehörigen. Viele Betroffene üben noch eine Berufstätigkeit aus, sind finanzielle Verpflichtungen eingegangen und haben Zukunftspläne gemacht. Es leben oft noch schulpflichtige Kinder in den Familien, für sie sind die Verhaltensänderungen besonders schwer zu verstehen und zu verarbeiten. Untersuchungen haben gezeigt, dass 92% der Familien Probleme mit den Kindern haben, die sich meist in Verhaltensauffälligkeiten und Schulschwierigkeiten zeigen. Bisher gibt es auch noch kaum befriedigende Antworten über den Verlauf, die Behandlungsmöglichkeiten und Verlaufsprognose der FTD. Durch das vermeintlich geringe Auftreten der Erkrankung finden Angehörige noch wenige Möglichkeiten mit anderen in Austausch zu treten. Spezielle Broschüren für Angehörige sind nicht vorhanden. Auch in der Fachliteratur gibt es zum Thema Frontotemporale Demenz kaum ausführliche Informationen. Das Verhalten der an FTD- Erkrankten entspricht nicht dem typischen Bild der Demenz, das vor allem durch die Symptome der Alzheimer Krankheit geprägt ist. Die Verhaltensauffälligkeiten die sich durch das Krankheitsbild ergeben machen es den Angehörigen besonders schwer entlastende Angebote, wie z.B. Tagesstätten, in Anspruch zu nehmen. Auch das Personal in den Institutionen ist damit meist überfordert. Begleitung der Angehörigen – Was ist möglich? - Beratung und Information - Angehörigenseminare - Angehörigengruppen - Gruppen für Kinder und Jugendliche - Familientherapeutische Begleitung 41 Für Angehörige ist es nach Erhalt der Diagnose wichtig, möglichst umfassende Informationen über die Krankheit und die damit verbundenen Auswirkungen zu erhalten, damit sie sicherer im Umgang mit den Erkrankten und auch in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Dies kann durch Beratung und Teilnahme an einem Angehörigen-Seminar geschehen. In der Gemeinschaft von Angehörigen-Gruppen (z.B. Selbsthilfegruppen) finden viele wieder Kraft und seelisches Gleichgewicht, können eigene Erfahrungen weitergeben und damit Anderen neue Perspektiven eröffnen. Das Klinikum für Psychiatrie der Technischen Universität München hat eine erste Selbsthilfegruppe für Angehörige von Patienten mit Frontotemporaler Demenz gegründet. Interessierte Angehörige können sich bei der Alzheimer Gesellschaft München (Tel. 089/47 51 85) melden. Wünschenswert wären auch Gesprächsgruppen für Kinder und Jugendliche, für die es bisher nur im Zusammenhang familientherapeutischer Begleitung Unterstützung gibt. Im Rahmen der Münchner Informationskampagne „Verstehen Sie Alzheimer?“ können sich am 17. November 2006 Kinder und Jugendliche bei einem Informationsabend über Demenzerkrankungen informieren und sich untereinander austauschen. Angebote, die Angehörige entlasten können - Individuelle Therapiemaßnahmen für die Betroffenen (Musik-, Tanz-, Kunsttherapie, Logopädie und Ergotherapie) - geschulte HelferInnen (nach § 45c SGB XI) - ambulante Pflegedienste - individuelle Betreuung in stationären und teilstationären Einrichtungen Als weitere Entlastung wünschen sich viele Angehörige, dass sie von Ärzten und Behörden mit ihren Anliegen ernst genommen werden, die Erkrankung in der Öffentlichkeit mehr Aufklärung und Akzeptanz findet und die einschlägigen Berufsgruppen entsprechende Fortbildungen erfahren. 42 Hilfe und Selbsthilfe im Internet Ingrid Höhnel Ich bin Ingrid Höhnel. Ich wohne seit 1997 in Radeberg, das liegt ca. 15 km östlich von Dresden. Doch die längste Zeit meines Lebens lebte ich in Dresden und fühle mich dort nach wie vor zu Hause. Dresden ist nicht nur Elbflorenz die Stadt der Künste die Stadt mit dem Zwinger und der Frauenkirche, sondern auch eine Stadt der Wissenschaften und vor allem der Elektronik So wie München schnell mit Siemens in Verbindung gebracht wird, so hatte Dresden bis 1990 Robotron: die Firma, die in der DDR für Forschung und Entwicklung der Bürotechnik stand. Mein Mann war während der 38 Berufsjahre seines Lebens als Diplom-Ingenieur in der Entwicklung und Produktionsvorbereitung elektronischer Geräte – Bürotechnik, Computer u.ä. tätig. Auch ich arbeitete fast 20 Jahre dort, allerdings in der Planung und Abrechnung für Import und Export – also ich nutzte die Erzeugnisse, an deren Entwicklung mein Mann beteiligt war. Daher ist es nicht so verwunderlich, dass wir dann auch bei der Erkrankung unseres Familienoberhauptes den Computer nutzten. Im Mai 2000 hatten die Veränderungen an meinem Mann einen Punkt erreicht, wo ich es für richtig hielt, einen Arzt zu konsultieren. Unser Internist ließ ein CT machen und überwies meinen Mann zum Neurologen. Natürlich war auch das MRT wenig aussagefähig: starke Faltungen, altersbedingte Veränderungen und als ich mich nicht damit zufrieden gab, wurde mir zu starke Dominanz vorgeworfen. Dass wir dann doch noch zu der Diagnose „Frontotemporale Demenz / Morbus Pick“ kamen und zu allen weiteren Behandlungsschritten, ist nur guten Beziehungen und glücklichen Zufällen zu verdanken. 43 Erstes Beispiel: Unser Sohn nutzte den Computer, um mit Hilfe des Internets Informationen und Erklärungen über die Erkrankung des Vaters zu finden um damit seinem Vater zu helfen. Bei einer ähnlichen Veranstaltung wie heute sprach mein Sohn dann Herrn Professor Dr. Kurz an und von ihm bekamen wir eine ausführliche Studie zum Thema Frontotemporale Demenz. Zweites Beispiel: Eine Freundin gab mir den Rat, zum Sozialamt zu gehen und mich beraten zu lassen: Eine Vorsorgevollmacht, das Wissen über diverse rechtliche Seiten und der Hinweis auf die Selbsthilfegruppen der Alzheimer Gesellschaft waren dann das Ergebnis und meine dringlichsten nächsten Aufgaben. Und noch ein drittes Beispiel: Bei einer Familienfeier beobachtete ein Gast meinen Mann und gab mir dann den dringenden Rat, Sorge zu tragen, dass mein Mann ergotherapeutische Hilfe bekommt, um seine Beweglichkeit möglichst lange zu erhalten. Das waren drei Beispiele aus unserem Erleben mit dieser Krankheit und ich könnte diese Reihe noch ziemlich lange fortsetzen. Mein Sohn kam dann auf die Idee dies alles zusammen zu fassen und ins Internet zu stellen. Dabei ermöglichte ihm die Alzheimer Gesellschaft den Zugang und einige von Ihnen kennen seine Homepage vielleicht schon. Jedenfalls waren wir sehr erstaunt darüber, dass seine Seite schon nach kurzer Zeit zu den „Top ten“ der zehn meist besuchten Seiten zu diesem Thema gehörte und vor allem die Resonanz beeindruckte uns sehr. Aus den ca. 100 E-Mails, die mein Sohn bekam, wissen wir, dass fast alle, die mit der Diagnose Frontotemporale Demenz / Morbus Pick konfrontiert werden, ähnliches erlebten und erleben: Die erschreckenden Erscheinungsformen der Krankheit die Hilflosigkeit der Angehörigen und oft die Inkompetenz und den Zeitmangel bei Ärzten und Krankenkassen Was kann das Internet nützen und wie können wir damit helfen? Diese Frage möchte ich aufgliedern: 1. Hilfe für mich, während mein Mann krank war 44 2. Hilfe für Angehörige, die vor dem gleichen Problem stehen und aus unseren Aufzeichnungen und Erfahrungen Informationen übernehmen können 3. Hilfe für Krankenkassen, Ärzte und Pflegeeinrichtungen Zur Hilfe für mich: Mein Sohn hat manchmal E-Mails, die er von Besuchern seiner Homepage bekam, an mich weiter geleitet, wenn er das Gefühl hatte, ein Gespräch könnte vielleicht dem Schreiber helfen. Mir tat es gut, mich über Erlebnisse beim Pflegealltag mit gleichermaßen Betroffenen auszutauschen. Oft hilft ja schon das Zuhören um sich besser zu fühlen. Ich lebte allein mit meinem Patienten und ich war auch nicht immer stark genug, alles zu verstehen und wegzustecken. Wir haben eine intakte große Familie und viele Freunde. Wenn ich darum bat, war immer jemand bereit zu helfen. Doch im Alltag ist man allein und die Verantwortung kann man auch nicht abgeben. Darum tat immer auch ein Gespräch mit einem völlig Fremden, der unter ähnlicher Belastung stand, sehr gut. 2. Zur Hilfe für andere Betroffene: Wir haben uns bemüht, unsere Erfahrungen zu sortieren, aufzulisten und etwas zu beschreiben. • solange mein Mann noch mobil war, brauchte ich Hilfe, um Schaden zu verhindern oder zu minimieren. • die vielen Dingen, die meinem Mann in der späteren Phase seiner Krankheit das Dasein etwas erleichtert haben. Ich bin überzeugt, dass wir damit schon Manchem helfen konnten. Und nun zum 3. Teil: meine Zukunftsvision Diese Krankheit wurde vor über 100 Jahren beschrieben und sie existiert immer wieder. Sie verläuft meist so wie Arnold Pick sie 1892 beschrieb und Patienten und deren Angehörige müssen dieses Schicksal ertragen: Eine wirksame Medizin für den Patienten gibt es nicht und die möglichen Hilfsmittel sind zum großen Teil dem Zufall und der Findigkeit der Angehörigen überlassen. 45 Was soll nun das Internet daran ändern? Medizin haben die Kranken dann immer noch nicht, aber das Los der Angehörigen, die von der Krankheit fast mehr betroffen sind als die Patienten, könnte erleichtert werden. Die Patienten können ihr Leid wenigstens nicht mehr empfinden – jedenfalls hat mein Patient mir diesen Eindruck fast bis zum Schluss vermittelt- Zur Zeit konzentriert sich jede mögliche Hilfe unserer Gesellschaft nur auf den Patienten. Und was ist mit dem Angehörigen, der zwangsweise dem Patienten das weitere Leben über einige Jahre ermöglichen muss? Was würde ich mir dabei vorstellen? Man müsste und könnte doch den medizinischen Bereichen, die derartige Krankheiten diagnostizieren, ein Reglement an die Hand geben: 1. Steht die Diagnose zweifelsfrei fest, dann müssen die Angehörigen ausgebildet werden. Für alle ist es selbstverständlich, dass die Angehörigen mit dem Problem zurechtkommen werden. Die Angehörigen sind gezwungen mit dieser Krankheit umzugehen und sie müssen lernen, wie man pflegt. Pflegen ist ein schwerer Beruf und auch Angehörigen ist das nicht angeboren. Die Empfehlung, die wir vom MDK Sachsen im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Kur in Bad Aibling zur erhaltenden Rehabilitation für Patienten mit Angehörigen bekamen: ..“Eine Schulung der Ehefrau sollte ambulant durch den betreuenden Arzt erfolgen.“ Das ist utopisch! Welcher betreuende Arzt hätte wohl dafür Zeit? 2. Die Notwendigkeit der Genehmigung einer Pflegestufe ergibt sich während des Krankheitsverlaufes. Die Kriterien für die Pflegestufen sind für körperlich schwache Menschen gemacht und greifen bei der „24 Stunden Betreuung“, der unsere Patienten bedürfen, nicht. Übergreifende Definitionen könnten den Krankenkassen die Handhabe zur Genehmigung geben und den Angehörigen das minutiöse 4 wöchentliche Pflegetagebuch vor jedem Besuch des MDK ersparen. 46 3. Neurologen sind nicht nur in den Neuen Bundesländern knapp und auch nicht jeder ist für diese Krankheit spezialisiert. Wenn nun die Neurologen, die sich auf diese Hirnerkrankung spezialisiert haben, ihre Spezialisierung auf einer Internetseite anbieten, dann bliebe vielen Angehörigen die Suche nach einem Spezialisten erspart, ein behandelnder Hausarzt könnte seinen Patienten gezielt überweisen und Kliniken und Pflegeeinrichtungen könnten sich professionellen Rat holen. 4. Erst einmal sieht das kostenaufwendig aus, doch es könnten auch teure Fehler vermieden werden. Die Angehörigen, die hiervon profitieren würden, sind auch Krankenversicherte. Sie sind nicht körperlich erkrankt, haben aber ganz persönlich die Krankheit zu erleiden. Verehrte Anwesende, ich danke Ihnen dafür, dass Sie zugehört haben. Ich wünschte mir, dass meine Gedanken aufgegriffen werden und dass ich mit meiner Reise quer durch Deutschland zu dieser Tagung dazu beitragen konnte, um das Los aller von dieser Krankheit Betroffenen zu erleichtern. Mein Sohn machte mit seiner Internetseite einen Anfang und es wäre gut, wenn dieser Weg von professioneller Seite weiter beschritten würde. Vielleicht wäre das eine Aufgabe für eine Universität? Kontakt: http://www.pick-demenz.de/ 47 Der schwierige Heimalltag – die (Nicht-)Integration von Menschen mit Frontotemporaler Demenz Dr. Jan Wojnar, Hamburg 1. Probleme mit der Diagnostik. Frontotemporale Demenz wurde bereits 1892 unter der Bezeichnung „Picksche Krankheit“ oder „Morbus Pick“ beschrieben, galt jedoch lange Zeit als eine recht seltene, schwerste Form präseniler degenerativer Hirnerkrankung mit therapeutisch unbeeinflussbaren Veränderungen der Persönlichkeit und des Verhaltens. So glaubte man noch 1973, dass... “die Picksche Atrophie zu den schwersten Hirnabbauerkrankungen gehört, die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung notwendig machen, deren Atmosphäre aber natürlich ungünstig beeinflussen, ohne dass psychopharmakologische, milieu- oder soziotherapeutische Bemühungen etwas ausrichten können“ (Schulte & Tölle, 1973). Therapeutischer Nihilismus und immer noch mangelnde Informationen über das klinische Bild der frontotemporalen Degenerationen und deren Verläufe haben dazu geführt, dass die Ursache der Störungen nicht erkannt wird und die Betroffenen nicht selten in der Anfangsphase der Erkrankung mit Verdacht auf eine Alkoholabhängigkeit, abnorme Persönlichkeitsstörung oder schizoaffektive Psychose psychiatrisch behandelt werden und später mit der Diagnose einer atypischen Form der Alzheimerkrankheit in Pflegeeinrichtungen untergebracht werden. Obwohl frontotemporale Degenerationen nach neueren epidemiologischen Angaben mit ca. 10% die vierthäufigste Demenzursache nach Alzheimerkrankheit, vaskulären Demenzen und Demenz von Lewy-Body-Typ stellen und bei Erkrankungsbeginn vor dem 65sten Lebensjahr mit 40% fast so häufig wie Alzheimerkrankheit vorkommen (Ratnavalli et al., 2002), finden sich in stationären Pflegeeinrichtungen kaum Bewohner mit dieser Diagnose. Dabei werden bei etwa 60% der Kranken ausgeprägte Verhaltensstörungen mit psychomotorischer Unruhe, Aggressivität und Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus beobachtet (Snowden et al., 2001), die neben dem noch relativ jungem Alter der Betroffenen bei Erkrankungsbeginn, zu den wichtigsten Risikofaktoren für Institutionalisierung innerhalb von 5 Jahren gehören (Strain et al., 2003). Die Lebenserwartung der Menschen mit frontotemporaler Demenz ist von der Begleitsymptomatik abhängig. Mutismus, neurologische 48 Symptome und Einschränkungen der Sprachbildung sind mit einer höheren Sterblichkeit verbunden. Die Kranken mit schweren Verhaltensauffälligkeiten und affektiven Störungen wie Antriebsstörungen, Depressivität, Euphorie und Zwänge leben dagegen deutlich länger (Gräsbeck et al., 2003), was auch die Wahrscheinlichkeit einer Institutionalisierung im Verlauf der Erkrankung erhöhen müsste. Es kann wohl angenommen werden, dass in allen stationären Pflegeeinrichtungen Kranke mit frontotemporalen Degenerationen leben, aber meistens in Folge falscher psychiatrischer Diagnose nicht adäquat medizinisch behandelt und betreut werden. 2. Frontotemporale Degeneration und stationäre Pflegeeinrichtung. Eine falsche oder fehlende Diagnose kann unangenehmen Folgen für die Kranken mit frontotemporaler Degeneration haben. Ihre Distanzlosigkeit, ihre abnehmende Fähigkeit zur sozialen Anpassung mit Normüberschreitungen und Verantwortungslosigkeit, verletzende Bemerkungen, Neigung zu mimischen, gestischen und verbalen Imitationen, Utilisation, d.h. Neigung zum ungehemmten Gebrauch von Gegenständen, die anderen gehören, sowie stereotype Verhaltensweisen mit anhaltendem Klopfen, Pfeifen, Singen, Rufen, erzeugen bei Mitbewohnern und Pflegepersonal gereizte Stimmung und ablehnende Haltung dem Kranken gegenüber. Häufig wird unterstellt, dass das störende Verhalten wohlüberlegt ist, um die Umgebung bewusst zu provozieren. Wenn der Kranke z.B. in kurzen Zeitabständen vorbeikommt und fragt, wann es Mittagessen geben wird, nach der Antwort „Um 12 Uhr!“ auf seine Armbanduhr schaut und sagt „also in einer Stunde und zwanzig Minuten“ und ergänzt „und Kaffee gibt es um vier Uhr!“, wird nicht mehr an eine Demenzerkrankung oder ungewollte, zwanghafte Störung geglaubt. Mit Demenz wird meistens fortgeschrittenes Alter, ausgeprägte Störungen des episodischen Gedächtnisses sowie zeitliche und örtliche Desorientierung assoziiert. Demenzkranke können auch Emotionen wie Ärger, Traurigkeit oder Ekel erkennen (Lavenu et al., 1999) und reagieren oft adäquat, was sie sympathischer und „weicher“ erscheinen lässt, als Menschen mit frontotemporaler Demenz, die eher den Spiegel negativer, abweisender Emotionen ihrer Umgebung vor Augen halten. Sie lassen sich kaum in Gruppenaktivitäten einbinden, stören beim Essen, Singen und Tanzen, reagieren aggressiv auf Zurückweisung, scheinen jedoch durch Zuwendung kaum erreichbar zu sein und werden oft (vielleicht unbewusst) „bestraft“ durch Verlegung ins Krankenhaus oder durch Behandlung mit Psychopharmaka, die 49 zwar zur Dämpfung von Unruhe und Aggressivität bei anderen Demenzformen zugelassen sind, bei dieser Erkrankung jedoch schwere Nebenwirkungen (bei ca. 33% der Behandelnden) erzeugen können (Pijnenburg et al., 2003). 3. Adäquate stationäre Versorgung für Menschen mit frontotemporaler Degeneration. Dass die Fragen nach einer angemessenen stationären Betreuung dieser Kranken erst jetzt aktuell werden, ist wohl durch die immer noch weit verbreitete Annahme bedingt, es handle sich nur um seltene Einzelfälle, die überwiegend ambulant, durch Angehörige versorgt werden. Das Durchschnittsalter beim Erkrankungsbeginn liegt bei 58 Jahren (35 bis 75 Jahre) (Diehl und Kurz, 2002), viele Betroffene sind zunächst noch berufstätig, haben noch relativ junge Angehörige und (wie bereits oben dargestellt) werden lange Zeit unter falschen Diagnosen behandelt, gehören also nicht zu den typischen Bewohnern der Pflegeeinrichtungen. Die Fachliteratur beschäftigt sich überwiegend mit Fragen der diagnostischen Abgrenzung frontotemporaler Degenerationen von anderen Demenzformen, mit Lokalisierung degenerativer Prozesse, die zu typischen Veränderungen der Persönlichkeit der Kranken und ihres Verhaltens führen (Dubois & Levy, 2004), sowie der Suche nach geeigneten Medikamenten zur Behandlung von diesen Störungen. Es fehlen fundierte Konzepte einer angemessenen Betreuung für Menschen mit einer frontotemporalen Degeneration im ambulanten Bereich und in den stationären Pflegeeinrichtungen. Meistens gilt diese Form der Demenz als Ausschlusskriterium für die Aufnahme in Wohnbereiche für Demenzkranke. Mitarbeiter von Einrichtungen für Demenzkranke mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten sind im Umgang mit sehr unruhigen, aggressiven und jede Hilfe ablehnenden Demenzkranken erfahren. Angesichts fehlender Gruppenfähigkeit, einer erheblichen psychomotorischen Unruhe, stereotypen und aufdringlichen Verhaltensmustern, häufigen verbal und tätlich aggressiven Ausbrüchen, die mit „üblichen“ therapeutischen Maßnahmen nicht beeinflusst werden können, sind sie jedoch schnell überfordert. In den wenigen vorliegenden Publikationen wird immer noch eine langfristige Behandlung in gerontopsychiatrischen Institutionen empfohlen (z.B. Annerstedt et al. 1996) und überwiegend eine sehr enge, „eins-zu-eins“, Begleitung der Kranken für notwendig gehalten (z.B. Merrilees und Miller, 2003). Von spezialisierten 50 Wohngruppen, die ausschließlich Menschen mit frontotemporaler Demenz betreuen, wird abgeraten. In den Wohnbereichen der Besonderen Stationären Dementenbetreuung in Hamburg wurden in den letzten 5 Jahren insgesamt 23 Kranke betreut, die diagnostische Kriterien einer frontotemporalen Degeneration (Neary et al., 1998) erfüllten. Nur bei 3 von ihnen wurde bereits vor der Aufnahme eine frontotemporale Demenz diagnostiziert. Alle übrigen kamen mit der Diagnose einer Alzheimerkrankheit oder Demenz unklarer Genese und konnten erst anhand der klinischen Symptomatik in der Einrichtung richtig zugeordnet werden. Die Betreuung einer relativ hohen Zahl von Patienten mit einer frontotemporalen Degeneration wurde durch falsche Diagnosen erzwungen, führte jedoch im Laufe der Zeit zu einigen interessanten Erkenntnissen. Die Beobachtungen des Verhaltens der Betroffenen, der Reaktionen anderer Demenzkranker und die Erfahrungen der Betreuungsteams zeigten, dass eine gute stationäre Versorgung dieser Kranken unter bestimmten Rahmenbedingungen durchaus möglich und für alle erträglich ist. Wenn Kranke mit einer frontotemporalen Degeneration (FTD) die Reaktionen ihrer Umgebung (auf das Verhalten der Kranken) unreflektiert spiegeln (Bild 1.), werden sie unter psychisch gesunden, kritisch und ablehnend wirkenden Menschen zwangsläufig zunehmend gereizter und aggressiver, was zu einer Eskalation der negativen Gefühle führen muss. 51 Bild 1. (nach Dubosi & Levy, 2004) Gerontopsychiatrisch gut ausgebildetes Betreuungsteam und Demenzkranke als soziale Umgebung reagieren dagegen meistens mit Geduld und Zuwendung. Demenzkranke ärgern sich selten über wiederholte Fragen oder zwanghafte Handlungen, weil sie das „soeben Gewesene“ schnell vergessen. Die anhaltenden Klagen, das Stöhnen oder Schreien halten sie oft für den Ausdruck einer schmerzhaften Erkrankung, versuchen Hilfe zu holen oder trösten zärtlich den Betroffenen. Wenn die Wohngruppe ausreichend groß ist (z.B. über 20 Bewohner), besteht bei Überforderung für alle die Möglichkeit des Rückzugs. Die meisten Kranken mit einer frontotemporalen Demenz sind noch relativ gut örtlich orientiert und finden recht sicher ihre Zimmern. Obwohl sie sich häufiger „zwischendurch“ in fremden Betten ausruhen, reagieren sie ungehalten auf Störungen, wenn sie „bei sich sind“. Es ist deshalb notwendig, sie in einem Einzelzimmer zu unterbringen. Bei guter personeller Besetzung ist es möglich, die gespannte Atmosphäre schnell durch Ablenkung des Kranken (z.B. Spaziergang oder Anbieten von bevorzugten Speisen) zu entschärfen. In einem multiprofessionellen Team können auch Musik-, Kunstoder Ergotherapeuten dem Kranken helfen, seine Affektschwankungen durch vorübergehende Fokussierung der Aufmerksamkeit auf kreative Aktivitäten zu glätten. Eine enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen ist für die Lebensqualität der Kranken mit frontotemporaler Degeneration in stationärer Betreuung unerlässlich. Die meisten Kranken freuen sich sehr über Besuche, gehen gerne Spazieren, Einkaufen oder auswärts Essen, sie können sogar das Wochenende zu Hause verbringen. Häufig werden notwendige pflegerische Maßnahmen nur dann geduldet, wenn sie von Angehörigen durchgeführt werden. Trotz aller geschilderten Maßnahmen und Anstrengungen bleiben Menschen mit frontotemporaler Degeneration sehr schwierig und belasten ihre Umgebung. Nur selten gelingt es den Demenzkranken durch viel Engagement erstaunliche Erfolge zu erzielen. So bezeichnete eine Dame mit vaskulärer Demenz eine sehr kleine Mitbewohnerin mit frontotemporaler Demenz als „gelbes Tierchen“. Das Schreien und Klopfen mit der Hand an die Wände und Tischplatten interpretierte sie als verzweifelte Versuche der Verständigung und mit bewundernswerter Geduld bemühte sie sich, „dem Tierchen“ alles zu erklären und das Sprechen beizubringen. 52 Wenn „das Tierchen“ bei Berührung versuchte, die Hand zu ergreifen und zu beißen glaubte sie, dass „es“ hungrig sei und besorgte „Leckerlis“. Sie beschützte ihr „Tierchen“ vor unfreundlichen Menschen und erlebte bereits nach wenigen Wochen eine erstaunliche Metamorphose ihres Schützlings. „Das Tierchen“ wurde freundlicher und leiser, konnte sogar „Lass das!“ und „Komm mit!“ sagen und ging gerne Hand in Hand spazieren, ohne zu beißen. Bald darauf erkannte eine andere Demenzkranke in „dem Tierchen“ (inzwischen von allen „Ella“ genannt) ihre kleine Tochter und kümmerte sich rührend um sie. Keiner dürfte „Ella“ unfreundlich ansprechen und nur „der besten Freundin“ der „Mutter“, ebenfalls einer demenzkranken Frau, hat sie erlaubt „Ella“ zu bestrafen (mit leichten Schlägen), wenn diese zu laut oder „nicht artig“ war. „Ella“ schien ihre neue Situation zu genießen (Bild 2.). Medikamente, die keine Veränderung des Verhaltens bewirkt haben, konnten weitgehend abgesetzt werden. Bild 2. Diese Erfahrungen zeigen, dass gute stationäre Betreuung Kranker mit einer frontotemporalen Demenz unter bestimmten Rahmenbedingungen möglich ist. Es ist sinnvoll: - einzelne Kranke mit frontotemporaler Degeneration in größeren Wohnbereichen für Demenzkranke mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten zu betreuen, 53 - sie unbedingt in Einzelzimmern unterbringen, - die Betreuenden (und Angehörige) mit dem Krankheitsbild und zu erwartenden Schwierigkeiten vertraut zu machen, - das Betreuungsteam multiprofessionell zusammenzustellen, - mit den Angehörigen sehr eng zusammenarbeiten und - sehr sorgfältig mit den Psychopharmaka umzugehen. 54 LITERATUR Annerstedt L, Sanada J, Gustafson L (1996) A dynamic Long-Term Care System for the demented elderly. Int Psychoger., 8: 561-574 Diehl J, Kurz A (2002) Frontotemporale Demenz. Psycho, 28: 305-308 Dubois B, Levy R (2004) Cognition, behavior and the frontal lobes. Int Psychoger, 16: 379-387 Gräsbeck A, Englund E, Horstmann V, Passant U, Gustafson L (2003) Predictors of mortality in frontotemporal dementia: a retrospective study of the prognostic influence of pre-diagnostic features. Int J Geriatr Psychiatry, 18: 594-601 Lavenu I, Pasquier F, Lebert F, Petit H, Van der Linden M (1999) Perception of emotion in frontotemporal dementia and Alzheimer Disease. Alzheimer Dis Assoc Disord, 13: 96-101 Merrilees JJ, Miller BL (2003) Long-Term Care of patients with frontotemporal dementia. JAMDA, 162-164 Neary D, Snowden JS, Gustafson L, Passant U, Stuss D, Black S, Freedman M, Kertesz A, Robert PH, Albert M, Boone K, Miller BL, Cummings J, Benson DF (1998) Frontotemporal lobar degeneration. A consensus on clinical diagnostic criteria. Neurology, 51: 1546-1554 Pijnenburg YAL, Sampson EL, Harvey RJ, Fox NC, Rossor MN (2003) Vulnerability to neuroleptic side effects in frontotemporal lobar degeneration. Int J Geriat Psychiatry, 18: 67-72 Ratnavalli E, Brayne C, Dawson K (2002) The prevalence of frontotemporal dementia. Neurology, 58: 1615-1621 Schulte W, Tölle R (1973) Psychiatrie. Springer Verlag, Berlin Heidelberg, New York, S: 269 Snowden JS, Bathgate D, Varma A (2001) Distinct behavioural profiles in frontotemporal dementia and semantic dementia. J Neurol Neurosurg Psychiatry, 70: 323-332 Strain LA, Blandford AA, Mitchell LA, Hawranik PG (2003) Cognitively impaired older adults: Risk profiles for institutionalization. Int Psychoger., 15: 351-366 55