- Heimatverein Greven

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Heimatverein Greven e. V.
Entnazifizierung in Greven
GREVEN - Mit dem Einmarsch kanadischer und englischer Truppen am 31. März 1945
fand die zwölfjährige NS-Herrschaft in Greven ihr Ende. Danach war „Aufräumen“ angesagt,
einmal ganz pragmatisch, denn durch die Sprengung des Munitionslagers in der Gronenburg
waren die Straßen mit Glassplittern übersät, zum anderen sollten alle Nazianhänger aus Amt
und Würden gejagt und notfalls bestraft werden. Als
erste Amtshandlung setzten die britischen Militärs in
Greven einen neuen Bürgermeister ein. Es war der
Münsteraner Oberregierungsrat Paul Braschoß, der
sich zu diesem Zeitpunkt gerade in Greven aufhielt.
Er hatte die ersten harten Maßnahmen durchzuführen, die ihn nicht gerade beliebt machten. Wider alle
Erwartung beließen die Engländer alle Beamten und
Angestellten vorerst im Amt. Dahinter steckten pragmatische Erwägungen; sie befürchteten ansonsten
ein Chaos. Allmählich ging die Besatzungsmacht an
die Beseitigung nationalsozialistischer Relikte. Aus
der Gemeindebücherei wurden die Bücher mit NSIdeologie entfernt und auch die meisten Schulbücher
fielen unter den Index, sodass die Schulen für Jahre
praktisch ohne Lehrmittel waren. Und in den Klassen
wurden wieder Kreuze aufgehängt und der Religionsunterricht erhielt seinen alten Stellenwert.
Foto Karl Körholz, 1. SPD-Vorsitzender und Fraktionschef nach dem
Kriege
Dann
fingen die Engländer an, Grevener NS-Belastete aufzuspüren und zu bestrafen. Der
Hauptschuldige, Ortsgruppenführer Kohleppel,
hatte sich der Festnahme durch Flucht entzogen. (Er verstarb 1951 bei einem Verkehrsunfall
in Dortmund.)
An Kohleppels Haus statuierten die englischen
Soldaten jedoch ein Exempel: Sie schossen es
in Brand. Am 23. Mai kam es zur Verhaftung
einer Gruppe Belasteter, alles bedeutende Grevener, lediglich einer der Gruppe, ein führender
NS-Funktionär blieb bis 1948 in Haft. Ab September 1945 lief dann die erste Fragebogenaktion, über die man Auskünfte über die Verstrickung der Bevölkerung mit der Nazi-Herrschaft
erfahren wollte. War es zunächst ein vierseitiger Fragebogen, so wurde der 1946 durch einen zwölfseitigen abgelöst. Entnazifizierungsausschüsse auf örtlicher und auf Kreisebene
wurden gebildet, sie hatten die Befragten nach
fünf Kategorien einzuordnen. Sanktionen hatten
die in den ersten vier Eingeordneten zu erwarten. Der öffentliche Dienst war für sie so gut wie
Fragebogen zur Entnazifizierung
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ausgeschlossen. Gegen die Zusammensetzung der Ausschüsse auf Ortsebene protestierten
vor allem die SPD-Vorstände von Greven und Reckenfeld. Grevens SPD-Vorsitzender Karl
Körholz wandte sich vehement gegen die Aufnahme eines früheren Stahlhelmmitglieds.
Doch vergebens. Nach Meinung des Kreis-Entnazifizierungsausschusses war besagter Kandidat „aufgrund persönlicher Kenntnisse trotz seiner Mitgliedschaft im Stahlhelm ein überzeugter Gegner des Hitlerregimes“. Die Zeit der Entnazifizierung war auch die Zeit der berühmten „Persilscheine“.
Wer nach Kategorie III
oder IV eingeordnet war,
der versuchte durch
möglichst viele positive
Leumundszeugnisse
den Ausschuss zu beeinflussen. Gefragt waren natürlich insbesondere „Persilscheine“ von
offensichtlichen
Regimegegnern, wie es
Karl Körholz von der
SPD einer war. Dessen
Ehrenerklärung nützte
wohl auch einem Lehrer
bei der Wiedereinstellung, der immerhin das
Ein „Persilschein“
Amt eines Propagandaleiters der NSDAP in
Greven innehatte. Propagandaleiter sei der nur geworden, schrieb Körholz am 12. Februar
1947, „weil der damalige Ortsgruppenleiter Lehrer Kohleppel einen starken Druck auf die
Lehrpersonen ausgeübt hat“. Wer in den Kategorien I und II eingeordnet wurde, hatte auf
jeden Fall mit Strafverfolgung zu rechnen. Für die nach Kategorie III Entnazifizierten galt
automatisch Bewegungsbeschränkung, Konten- und Vermögenssperre und Verlust des passiven und aktiven Wahlrechts. Bei den ersten freien Wahlen am 15. September 1946 waren
222 Grevener als „politisch Vorbelastete“ vom Wahlrecht ausgeschlossen. Übrigens wurden
die Entnazifizierungsverfahren erst mit Landesgesetz vom 12. Februar 1952 beendet. jp
Erschienen in der Grevener Zeitung am 17. April 2010.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors Peter Jalufka.
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