Without a Trace
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Without a Trace
„Without a Trace“ Benoît Broisat – Cyrill Lachauer – Gabriel Rossell Santillán 14. Januar bis 05. März 2011 Galerie Jette Rudolph, Berlin Eröffnungsrede Katharina Weinstock Dass ethnographische Feldforschung und archäologische Spurensuche künstlerische Methoden sein können, das wissen wir spätestens seit Hal Foster. In seinem 1996 erschienenen Essay „The Artist as Ethnographer“ lanciert er eine junge Künstlergeneration, welche in ethnografischer Manier kulturelle und historische Perspektivwechsel einübt. Der Künstler-Ethnograph wählt einen Untersuchungsgegenstand und tritt als teilnehmender Beobachter in dessen Kultur ein: Er lernt seine Sprache und Geschichte kennen. Jenseits von abstrakten Recherche und untrennbar ineinander. Konzepten persönliche Die fließen Erfahrung Ausstellung Installationsansicht Galerie Jette Rudolph wissenschaftliche gleichberechtigt „Without a und Trace“ versammelt drei Positionen, die diesen Diskurs zugleich vorantreiben und erweitern. Cyrill Lachauer ist selbst studierter Künstler und Ethnologie – und ein geübter Spurensucher. Für seine Arbeit „Te Vake and the Swallow“ hat er sich auf die Fährte eines Vogel-Emblems begeben: Am Anfang stand ‚Te Vakeʼ – eine Tätowierung der Maori. Sie zeigt einen stilisierten polynesischen Fregattvogel, der bei den Maori als Symbol für sichere Heimkehr galt. Britische Seefahrer brachten die Tätowierung von den Maori mit in ihre Heimat. Da die britischen Tätowierer den neuseeländischen Vogel nicht kannten, interpretierten sie das Tattoo fortan als Schwalbe, an deren Gestalt sie sich erinnert fühlten – und die traditionelle europäische Seefahrer-Tätowierung der Schwalbe war geboren! „Te Vake and the Swallow“ ist ein Beispiel dafür, wie sich ausgehend von einem Tattoo, das sich der Künstler in Neuseeland stechen ließ, eine komplexe Narration über interkulturelle Transfer- und 1 Transformationsprozesse entwickeln kann: Eine Narration darüber, wie kulturell codierte Objekte durch Kontextverschiebungen formale und semantische Metamorphosen vollziehen können. Dass der polynesische Fregattvogel in der britischen Übersetzung zur Schwalbe mutierte, weist modellhaft auf ein grundlegendes Problem der Ethnologie hin: Das Problem der Erkenntnis des kulturell ‚Anderenʼ – ohne es zu assimilieren. Projiziert doch unser Blick immer schon eigene kulturelle Codes auf den Gegenstand der Betrachtung. Was man somit als den blinden Fleck der Ethnologie bezeichnen könnte, macht Lachauer für seine eigene Kunstpraxis fruchtbar, indem er ihn nicht zu überwinden versucht, sondern geradezu affirmiert. Der Kunstgriff von Arbeiten wie „Santa Cruz“ besteht darin, dass er seinen Gegenstand in einer Art semantischem Spiel zum Changieren bringt: Bei einem Besuch im hiesigen Ethnographischen Museum erweckte ein antikes polynesisches Schild mit geschwungen-spitz zulaufenden Enden seine Aufmerksamkeit. Als eine dieser suggestiven Formen, die ihren Betrachter gleichermaßen fesseln und beunruhigen, brachte sie seine Imagination in Gang. Im freien Spiel der Assoziationen besetzte der Künstler den fremdartigen Gegenstand – gemäß einer formalen Analogie – mit dem Namen der nordamerikanischen Surf City: Santa Cruz. Cyrill Lachauer Santa Cruz, 2010 Baryt Pigmentdruck, 125 x 82 cm In Anlehnung an die berühmten Worte Gertrude Steins „A rose is a rose is a rose“ kann man somit über die Arbeit „Santa Cruz“ sagen: „A shape is a shield is a surfboard“. Die Welt der Dinge erschöpft sich nicht in kulturell determinierten Bedeutungszuweisungen. Dinge haben vielmehr eine wechselnden eigene, Konzepte widerständige und Existenz Klassifikationen, – die jenseits der wir sie auf applizieren. Im Sinne des von Paul Valéry in den 20er Jahren geprägten ‚objet ambiguʼ ist jedes Ding potentiell ambivalent, rätselhaft und unerschöpflich vieldeutig. Einen Gegenstand ästhetisch wahrzunehmen heißt – Valéry zufolge – nichts Anderes, als den Blick für das Fremde und Rätselhafte an ihm zu öffnen. Wo Cyrill Lachauer auf ethnographische Spurensuche geht, da erinnert die Methode, die Benoît Broisat für seine Serie „Témoins“ anwendet mehr an eine Jagd: Der Jagd nach einem Objekt des Begehrens! Als 2 Diptychen komponiert, besteht jeder ‚Témoinʼ aus der Gegenüberstellung einer Zeitschriftseite mit einem Objekt. Die Logik der Zusammenstellung folgt (so könnte man sagen) der Logik des Barthschen ‚punctumsʼ: In seiner fotografietheoretischen Schrift „Die Helle Kammer“ beschäftigt sich Roland Barthes mit Wahrnehmungsweisen von Fotografie. Das ‚punctum’ einer Fotografie ist das Aufblitzen von etwas Überraschendem an ihr, welches den Betrachter in eine unbestimmte innerliche Erregung versetzt. So kann ein unbedeutendes fotografisches Detail in unserer Wahrnehmung die Dynamik eines punctums annehmen – wenn es unseren Blick in einer Benoît Broisat Témoin #6 (Torus), 2010 Weise fesselt, dass dieser immer zu ihm wieder zurückkehren muss, sobald er es einmal entdeckt hat. Das Objekt (so banal es auch sein mag) entfaltet quasi fetischhafte Qualitäten und vor allem: Handlungsmacht! Denn nun schließt sich eine aufwändige Suche nach dem Besitzer des abgebildeten Originalgegenstands an: Eine detektivische Recherche, die über zahlreiche Stationen und Personen führen kann und die ein feinmaschiges Netz von Erzählungen und Korrespondenzen um den Gegenstand entspinnen. Um beispielsweise an die Flagge des Grand Palais zu gelangen, musste Broisat nicht nur den Techniker ausfindig machen, der für das Dach des Palais zuständig ist, sondern auch langwierige diplomatische Gespräche mit der Direktion führen, da eine Verunglimpfung des Nationalsymbols unter Strafe steht. Die heterogenen Dinge der seit 2009 wachsenden Sammlung haben – wie der französische Titel der Serie nahelegt – den Charakter von Beweisstücken. „Beweisstücken wofür?“ möchte man fragen. Doch die Antwort erübrigt sich, so unmissverständlich artikuliert sie sich in der Arbeit selbst: Aus der alltäglichen Flut massenmedialer Bilder heraus wird eines davon auf seine reale Verankerung in der gegenständlichen Wirklichkeit zurückgeführt. Ausgehend von der zwischen Bild und Objekt bestehenden Referenzbeziehung wäre anzunehmen, dass sich ein wechselseitiger Authentizitätseffekt einstellt. Tatsächlich aber entsteht im Zusammenprall der konkreten physischen Erfahrung mit der medial vermittelten Erfahrung ein eigentümliches Flimmern. Das Beweisobjekt wirkt nicht beglaubigend, sondern vielmehr irritierend – wenn nicht 3 sogar dubios. Es entsteht ein ähnlicher Effekt, wie wenn man beispielsweise einem Tagesschausprecher im Supermarkt begegnet: Das Medienbild wirkt echter. Die ‚Témoinsʼ erzeugen einen verblüffenden Kontrasteffekt zwischen der Virtualität des Bildes auf der einen Seite und der Konkretion des Objekts auf der anderen. Auf diese Weise wird geradezu sinnlich erfahrbar, inwieweit die Repräsentation der Wirklichkeit durch die Medien heute die Qualität einer eigenständigen Wirklichkeit entwickelt hat. Und inwieweit wir bereits in der von Jean Baudrillard diagnostizierten ‚Hyperrealitätʼ angekommen sind, in der die Bilder und Zeichen der Massenmedien nicht länger auf reale Inhalte und Ursachen verweisen, sondern nur noch auf Oberflächen – und sich selbst. Der mexikanische Künstler Gabriel Rossell Santillán betreibt in seiner Videoarbeit „Paradise Incorporated“ sozusagen die geistige Archäologie eines in Vergessenheit geratenen genius loci. Lange, meditative Einstellungen versetzen uns in die verschlafene Hafenstadt Topolobampo: Eine typische industrielle Einöde, in der Hafenarbeiter und Natur ganz der Logik mechanischer Abläufe und dem Rhythmus der Verladekräne unterworfen zu sein scheinen. Die monotonen visuellen Eindrücke mischen sich mit dem allgegenwärtigen Geschrei eines Gabriel Rossell Santillán Paradise incorporated, 2011 HD on DVD, 8:42 min Möwenschwarms, der sich gierig um Fischreste streitet. Es ist die darüber geblendete Textebene, welche das Sichtbare auf das Vergangene, Imaginäre hin öffnet: Sie erzählt mit den Worten von Rey Reynolds vom tragischen Scheitern einer sozialistischen Zukunftsvision. Der amerikanische Ingenieur Albert Kinsey Owen hatte das heutige Topolobampo Mitte des 19. Jahrhunderts für sich entdeckt – auf der Suche nach dem geeigneten Ausgangspunkt einer neuen Eisenbahnroute, die über Mexikos Sierra Madre bis in die USA führen sollte. Als dafür keine Genehmigung erteilt würde, widmete sich der idealistische Sozialist Owens einem nicht weniger kühnen Projekt: Der Konzeption und Gründung einer kommunistischen Kolonie in Topolobampo. Die sichtbare Realität der Filmbilder kontrastiert hart mit dieser Vision. Nichts erinnert mehr an die Idylle des einstigen Naturhafens, die 4 Owens so sehr in ihren Bann zog. Owens Vision und Menschenbild wirken träumerisch-naiv und anachronistisch. Letztlich ist doch (so könnte man in Anlehnung an Thomas Hobbes scherzhaft sagen) der Mensch dem Menschen eine Möwe: Selbst im Kollektiv herrschen Fressneid und Egoismus. Das Hafenszenario eignet sich erstaunlich gut als Allegorie für den ‚real existierenden Kapitalismusʼ – und als melancholische Hintergrundfolie für Rossell Santilláns Memento Mori einer erstorbenen Utopie. 5