Armut kotzt mich an
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Armut kotzt mich an
Bericht | Text | Fotos: Sascha Benedikt Idziaszek „ Armut kotzt mich an !“ Vom anstrengenden Leben eines Blenders Er sitzt am Tresen einer der renommierten Gaststätten direkt am Prinzipalmarkt. Münsters „Gute Stube“ ist auch seine. Ein anstrengender Arbeitstag liegt hinter ihm, das merkt man: Sein schwarzer Nadelstreifenanzug und die offensichtlich teuren italienischen Schuhe wirken nicht mehr ganz so sauber; dafür glänzt die Rolex am Handgelenk. Mit drei Firmen im In - und Ausland ist Maximilian K. (Name von der Redaktion geändert) „gut im Geschäft“ - wie er sagt - und kann sich dem zufolge fast alles leisten, wie er meint. ~- Redakteur Sascha Benedikt Idziaszek hat sich mit ihm auf ein Bier getroffen und festgestellt, dass eigentlich manches doch so ganz anders ist. Es ist der pure Zufall, dass wir uns an diesem Abend treffen. Max, so soll ich ihn ab sofort nennen, hat schon einige Biere intus, wie sein Deckel verrät. „Nach einem anstrengenden dreizehn Stunden Tag muss so was schon mal sein“, erklärt er mir, nachdem er meinen Blick bemerkt. Wir kommen ins Gespräch. Er sei mit einer kleinen Firma für Medizintechnik in der der Nähe von Warendorf angefangen, mittlerweile gehören ihm drei. Den Heimatstandort seiner Firma habe er schon vor Jahren aufgegeben, erläutert er mir. „Mittlerweile habe ich drei neue“, so Max mit sichtlichem Stolz und beginnt aufzuzählen: „Einen im Ruhrgebiet, einen in der Umgebung von Toulouse und einen auf der Insel, in Wales.“ Fast 2000 Mitarbeiter habe „ der Boss“ - wie sie ihn in der Firma nennen - inzwischen. Mir drängt sich die Frage auf, was er denn dann in Münster mache, denn offensichtlich ist Maximilian am Tresen kein Unbekannter. Er winkt ab, „der FMO ist ja nicht weit, ich habe meinen eigenen Fahrer, und sonst gibt es ja auch noch Taxen, außerdem habe ich eine kleine 14 Wohnung in der Nähe von Münster“. Er erzählt mir von spannenden Reisen, aber auch von seinen anstrengenden Arbeitstagen. „Inzwischen“, sagt er mir, „mit meinen inzwischen fast fünfzig Jahren lasse ich es ruhiger angehen, dafür habe ich meine Leute.“ Ich höre Ihm aufmerksam zu, trotzdem macht sich langsam ein gewisser Zweifel breit: Für meinen Geschmack ist es doch alles, was er sagt, sehr dick aufgetragen, aber ich mache Abstriche, er ist offensichtlich ein netter Kerl und kann gut erzählen. Mir bleibt nur der Part des aktiven Zuhörers, ab und zu ein „Aha !“ und „Verstehe ich nicht !“ reichen schon aus ,und er sprudelt drauflos. Meistens geht es um die Arbeit, um seine Hobbys - Golf oder Tennis - und ums Reisen: Norderney und Sylt sind seine Lieblingsorte, sagt er mir, „ich überlege gerade, ob ich mir auf der Insel ein Häuschen zulege“, bemerkt Max mit einem gewissen Lächeln. Es ist spät, und langsam wird es mir dann doch zu viel, mit zunehmendem Alkoholgenuss trägt „der Boss“ doch mehr und mehr auf. Ich bekomme Torschlusspanik, als ich auf meine Stadtwerke - App schaue, den Nachtbus möchte ich auf keinen Fall nehmen; also zahlen und Rückzug. Maximilian K. tut es mir gleich. Wir tauschen unsere Mailadressen aus: Meine kritzele ich auf den Bierdeckel, er reicht mir eine Hochglanzvisitenkarte, mit der süffisanten Bemerkung: „Wenn de mal `nen Job brauchst, scheue dich nicht, mich zu kontaktieren.“ Mir reicht es. Mit 20 Euro habe ich meine Zeche beglichen. Herrn K. scheint es nicht zu stören, dass er das Vierfache hinblättern muss und auch noch locker 10 Euro Trinkgeld übrig hat, „hier ist das Essen halt ein wenig teurer“, bemerkt er noch, als er die zwei restlichen Fünfer des gerade abgegebenen Hunderters in der Hosentasche verschwinden lässt und lauthals hinter der Servicekraft her brüllt „...und ein Taxi bitte!“ Wieder wundere ich mich, bis zum Taxistand sind es nur ein paar Meter zu Fuß. „Ich latsche doch nicht durch die Kälte“, scheint er meine Gedanken zu erraten. Nach wenigen Minuten stehen wir beide mitten auf dem Prinzipalmarkt in der münsteraner Kälte. Während wir auf unsere Fahrzeuge warten - ich zu meinem Ärger nun doch auf den Nachtbus - Maximilian auf seinen Taxi-Chauffeur, kann ich mich nicht mehr zurückhalten und sage ihm, dass ich von seinen Geschichten nichts - rein gar nichts - glaube. Und wieder bin ich verwundert: Alexander K. - „der Boss“ poltert weder los, noch droht er mir Schläge an, - ich hatte mich auf so etwas eingestellt. Er klappt nur lässig den Kragen seines dunklen Kaschmirmantels hoch, zuckt mit den Schulter, bemerkt kurz „dann ist das halt so“ und marschiert, nun doch, in Richtung Taxistand. Noch im Bus macht sich Ärger breit: Musste ich gleich so reagieren? Hatte ich überhaupt Recht? Eigentlich kann ich meiner Erfahrung und Menschenkenntnis vertrauen, aber plötzlich zweifele ich. Am nächsten Morgen ist fast alles vergessen, es bleibt eine rudimentäre Erinnerung an einen skurrilen Abend, mehr nicht. Das sollte sich nach fast vierzehn Tagen ändern: Der abendliche Blick in den Account zeigt mir, neben zahlreichen anderen Mails, eine, die ich nicht zuordnen kann, und ich mache genau das, was man eigentlich vermeiden sollte, ich öffne sie. Es eine Nachricht von Alexander K., der sich mit mir an einem „neutralen“ Ort treffen möchte. Ihn hat meine Aussage sehr beschäftigt, er habe erfahren, dass ich journalistisch arbeite und möchte seine Geschichte erzählen, schreibt er mir. Zwei Tage später sitze ich ihm in einem Cafe am Aasee gegenüber. Er mit einem Bier, ich mit einem Cappuccino. „Musste mir erst einmal Mut antrinken“, sagt er mit gesengtem Blick. Ich zucke mit den Schultern. „Firmen gibt es nicht, und alles andere auch nicht“, beginnt er sofort zu erzählen und schiebt hinterher „alles Lug und Trug, und eigentlich bin ich nichts weiter als ein Blender.“ Tatsächlich sieht er heute ganz anders aus: Unrasiert, ungekämmt, der Sweater und die Jeans sind auch nicht mehr so ganz neu, nur die Rolex „ein Imitat“, beichtet er , glänzt wie eh und je. Verwundert bin ich schon über seine Geschichte, aber nicht überrascht, meine Menschenkenntnis hat mich also doch nicht im Stich gelassen. Er erzählt weiter: Tatsächlich habe er eine kleine Firma besessen „lassen wir mal den Ort weg und sagen wir mal, sie befand sich im nördlichen Münsterland“, beginnt er seine Story. Es war auch kein Laden für Medizintechnik, sondern ein Installateurbetrieb, sagt er mir und erzählt, dass er das Geschäft von seinem Vater übernommen hatte und alles ganz gut lief. „Handwerk hat ja goldenen Boden, dachte ich noch, und trotzdem war nach zehn Jahren alles weg“, so der „Boss“ der ja eigentlich keiner ist. Warum das so gekommen ist, wisse er selber nicht mehr so richtig, sagt er, eins weiß er nur genau: „Für mich begann damit der Abstieg und damit mein Dilemma, oder besser gesagt, die Zwickmühle: Firma weg, Frau weg, Haus weg und zur Belohnung ein Berg Schulden“, erzählt Max traurig. Er erzählt mir, dass er schließlich aus seinem Heimatort weggezogen ist und nun in einem Ortsteil von Münster auf 40 Quadratmetern wohnt und schließlich Harz IV beantragen musste. „Mit über fünfzig“ - sein Alter hat er auch ein wenig geschönt - „und kaputtem Rücken will dich doch keiner mehr haben“, ist ihm die Resignation anzumerken. Soweit eine Geschichte, wie sie wahrscheinlich zu Hunderten in Deutschland vorkommt und - so bedauerlich es klingt - fast normal ist, denke ich. Wieder scheint Alexander K. meine Gedanken zu erraten: „Du fragst dich bestimmt, was ich mit Dilemma und Zwickmühle meine?“ Recht hat er, und ich höre gespannt und ungläubig weiter zu: Er sei immer schon ein „Lebemann“ gewesen, wie er sagt, und habe eigentlich über seine Verhältnisse gelebt: Porsche, teure Anzüge, Reisen, alles kein Problem, berichtet er mir. „Einen Teil meines Standards wollte und will ich auch als Harz IVer nicht aufgeben, also gebe ich vor, jemand zu sein, der ich nicht bin. Du hast mich ja erlebt,“ sagt er und in seiner Stimme schwingt so etwas wie Stolz mit. In Münster halten ihn viele wirklich für den „großen Manager“, ist er sich sicher und erzählt von seiner Taktik, dieses Bild aufrecht zu erhalten: „Ich gehe nie am Monatsanfang raus, das sieht aus, als hätte es gerade Geld gegeben, außerdem wechsele ich häufiger die Lokalität, und natürlich achte ich immer drauf, dass ich gut angezogen bin.“ Nur einmal sei er fast „aufgeflogen“, wie er es nennt: In seiner damaligen Stammkneipe in der Nähe der Promenade tauchte auf einmal sein alter Kegelklub auf, und einige wollten mit ihm ins Gespräch kommen, „da habe ich mich ganz schnell aus dem Staub gemacht“, sagt er und berichtet weiter, dass er peinlich genau darauf achtet, dass ihm keiner zu nahe kommt und fügt traurig hinzu, „wahrscheinlich habe ich deshalb keine Freunde und keine Familie mehr.“ Herr K. legt großen Wert darauf, dass keiner zu Schaden kommt, wie er es nennt. Klauen oder andere außer sich selbst betrügen kommt für ihn nicht in Frage. „Obwohl“, schränkt er ein, „vor Jahren hatte ich schon Glück, da wäre ich fast wegen `Einmiet-Betrugs` festgenommen worden.“ In einem großen bayrischen Hotel hatte er sich unter falschem Namen und, wohl wissend, die Rechnung nicht bezahlen zu können, eingemietet und es sich gut gehen lassen. „Natürlich bin ich aufgeflogen, und Gott sei Dank hat mich damals mein Bruder rausgehauen, der inzwischen nicht mehr lebt“, so Alex schmunzelnd und doch nachdenklich. Wenn er an den restlichen Monat denkt, wird Ihm schon anders, sagt er und zählt die Tage an den Fingern ab. „Noch fünfzehn Tage, das heißt für mich fünfzehnmal Konserve.“, bemerkt Alexander ironisch, um gleich nachzulegen: „Tja, wer mit einem Harz IV-Satz meint, große Sprünge machen zu müssen, darf sich nicht wundern.“ Unweigerlich drängt sich mir die Frage auf, ob er nicht mal daran gedacht habe, mit offenen Karten zu spielen und sein Leben zu ändern. Er zuckt mit den Schultern und meint, gedacht habe er daran schon, aber er habe sich an sein Leben gewöhnt und er brauche einfach den „Kick des reichen Mannes“, wie er es nennt und bringt sein Leben mit einem Satz auf den Punkt: „Ich weiß, dass ich arm bin - und das nicht nur materiell- aber, ganz ehrlich: Armut kotzt mich an!“ # 15