Die Veränderungen der Wiener jüdische Gemeinde in der

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Die Veränderungen der Wiener jüdische Gemeinde in der
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Die Veränderungen der Wiener jüdische Gemeinde
in der Zwischenkriegszeit 1918 bis 1938
von Evelyn Adunka1
Wien besaß vor der Shoah die größte deutschsprachige und nach Warschau und Budapest
die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas. Zu ihrem Ruhm und ihrer einzigartigen
Kreativität trugen sowohl das Zusammentreffen zwischen Ost- und Westjudentum als auch
die besondere Liebe der Juden zu Wien und zur österreichischen und deutschsprachigen
Kultur bei. Die Juden in Wien bis zum Jahr 1938 gehörten zu den Gründern des Zionismus,
der
Psychoanalyse,
einer
Weltliteratur,
einer
musikalischen,
medizinischen,
wissenschaftlichen und religiösen Tradition, die mit Recht bis heute berühmt und bedeutend
sind.
Die neuzeitliche Wiener jüdische Gemeinde blickte dabei auf eine besonders kurze
Geschichte zurück und erhielt erst 1867 die Rechtsgleichheit. 1847 lebten 1600 Juden in
Wien; 1869 40 000, 1900 147 000. Der demographische Höhepunkt der Gemeinde wurde
1923 mit 201 513 Wiener Juden erreicht; 1934 war die Zahl auf 176 034 Personen
gesunken.
Das Wiener Judentum bewahrte im Gegensatz zu Deutschland trotz aller Spannungen
immer die Einheitsgemeinde. Dies war das besondere Verdienst des ursprünglich liberalen,
später gemäßigt orthodoxen Wiener Oberrabbiners Isak Noa Mannheimer und aller seiner
Nachfolger bis zur Gegenwart.
Mit dem berühmten Wiener Minhag (oder Wiener Ritus), in dem die Predigt eine zentrale
Rolle spielte und die hebräische Sprache und die Gebete für Zion beibehalten wurden,
konnte die Spaltung der Gemeinde wie in Ungarn und in Teilen Deutschlands verhindert
werden.
Mannheimer übersetzte das traditionelle Gebetbuch, lehnte die Orgel ab und führte die
Mädchenkonfirmation ein. Auch spätere Versuche, die Orgel in den Tempeln der
Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien einzuführen, scheiterten. Eine wichtige Rolle im
Wiener Minhag spielte die Musik. Der aus Hohenems in Vorarlberg stammende erste Wiener
Oberkantor Salomon Sulzer erneuerte mit seinem zweibändigen Werk “Shir Zion” den
Synagogalgesang und seine Kompositionen wurden von zahlreichen aschkenasischen
Synagogen weltweit übernommen.
Äußeres Zeichen dieser exemplarischen Modernisierung und Ästhetisierung des jüdischen
Gottesdienstes ist der 1826 eingeweihte, bis heute verwendete Wiener Stadttempel
(zusammen mit den Gedenktafeln und -stätten im Foyer).
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Es handelt sich hier um ein Vortragsmanuskript
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Die rund 180 000 bis 200 000 Juden, die von 1918 bis 1938 (in den zwanziger Jahren) als
Mitglieder der Kultusgemeinde (IKG) in Wien lebten, lassen sich nicht so einfach als
assimiliert beschreiben, wie es meist in der Literatur und in den Erinnerungen geschieht.
(Wirklich assimilationswillige Wiener Juden traten aus der IKG aus, ließen sich taufen oder
gingen Mischehen ein).
Politisch standen viele Juden den Sozialdemokraten nahe; sie wählten die Partei, vor allem
auch wegen der mangelnden politischen Alternativen. Die Liberalen waren sehr schwach; die
Konservativen, Christlichsozialen waren mehr oder weniger offen antisemitisch. Die
Jüdischnationale Partei Robert Strickers erreichte bei den Wahlen zur konstituierenden
Nationalversammlung
im
Februar 1919 7605
Stimmen und
Stricker wurde
zum
Abgeordneten gewählt. Bei den Neuwahlen im Oktober 1920 erhielt die Partei 18063
Stimmen, aber aufgrund des geänderten Wahlrechts, das kleinere Listen benachteiligte, und
der Zersplitterung der jüdischen Stimmen wegen eines zweiten Kandidaten (Rudolf SchwarzHiller) wurde Stricker nicht mehr wiedergewählt.
Die Mitglieder der IKG konnte man im großen und ganzen in drei große weltanschauliche
Lager einteilen: Unionisten (die Anhänger der Union österreichischer Juden), Zionisten und
Orthodoxe.
Die Konflikte zwischen diesen Gruppierungen waren unendlich; die Beziehungen zwischen
ihren Vertretern und Anhängern bestanden oft nur auf persönlicher Basis.
Die polemische Schärfe und die Wortwahl, mit der sie ihre Angriffe führten - vor allem auch
die ständigen diffamierenden Vergleiche mit den frühen Nationalsozialisten - , erscheinen
uns aus heutiger Sicht unpassend und unverständlich.
Allen gemeinsam, auch den Zionisten, aber war die Verbundenheit mit Österreich, wo sie
sich zuhause fühlten. Gemeinsam war ihnen auch ihre pluralistische Identität, die
Verbundenheit mit der österreichischen Kultur auch bei jenen Wiener Juden, die religiös
blieben, die sich zwar partiell akkulturierten, aber nicht assimilierten.
Nun zu den Gruppierungen im einzelnen:
Die Union Österreichischer Juden wurde 1885 als Österreichisch-israelitische Union u.a. von
Rabbiner Joseph Samuel Bloch, dem berühmten Bekämpfer der Ritualmordlegende August
Rohlings, gegründet. Sie setzte sich ein umfangreiches Aufklärungsprogramm und einen
systematisch organisierten Rechtsschutz zum Ziel. (Die Gründung des CV in Dtld, mit dem
die Union eng zusammenarbeitete, folgte erst 1893).
Der Advokat Sigmund Zins beschrieb 1910 als die Aufgabe der Union: Die Hebung des
Judentums in fremden und in den eigenen Augen, den Kampf nach Innen gegen die
schmachvolle Selbstpreisgebung und Erniedrigung, und die Wiedergewinnung der beinahe
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ganz entfremdeten jüngeren Generation für die ruhmreichen, vieltausendjährigen Traditionen
des Judentums.
Von 1903 bis 1918 war als Vertreter der Union Alfred Stern der mächtige und despotische
Präsident der IKG. Er war vorher als langjähriger Gemeinderat einer der Gegner Karl
Luegers; außerdem war er der Onkel des Operettenkomponisten Oscar Straus. Stern wurde
im November 1918 vom zionistischen jüdischen Nationalrat zum Rücktritt gezwungen. Der
Nationalrat wurde, inspiriert vom Völkermanifest von Kaiser Karl im Oktober 1918, kurz vor
der Ausrufung der österreichischen Republik, gegründet.
Die führenden Persönlichkeiten des Nationalrats waren Robert Stricker, Adolf Böhm, Isidor
Margulies, Saul Sokal, Bruno Pollack Parnau und Robert Weltsch, der kurz danach nach
Berlin ging.
Eine der wichtigsten Forderungen des Nationalrats betraf die Demokratisierung und
Ausweitung des Wahlrechts; sie wurde nur teilweise erfüllt. Die Kurie der Höherbesteuerten
wurde gestrichen, aber das Wahlrecht blieb an die österreichische Staatsbürgerschaft
gebunden. Frauen blieb das passive Wahlrecht verwehrt; das aktive Wahlrecht konnten sie
nur ausüben, wenn sie selbständig erwerbstätig waren.
Sterns Nachfolger wurde 1920 der von der Union aufgestellte Oberstabsarzt Alois Pick.
Obwohl die Zionisten bei den nachfolgenden Kultuswahlen immer größere Wahlerfolge
erlangten behielt die Union bis 1932 die Mehrheit im Kultusvorstand. 1932 wurde der
ionistische Rechtsanwalt Desider Friedmann Präsident der IKG. Er wurde 1944 in Auschwitz
ermordet.
Die Zionisten zersplitterten sich in folgende Gruppierungen: Allgemeine, radikale,
demokratische Zionisten, Adolf Stand Klub, Judenstaatspartei, Misrachi, Revisionisten, Poale
Zion und dessen Nachfolgepartei 1934 Binjan Haarez.
In Wien wurde 1918 das erste Palästinaamt gegründet; von 1920 bis 1935 wanderten
8425 österreichische Juden nach Palästina aus.
Zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Wiener Zionisten gehörten Robert Stricker, (er
war 1919/20 auch kurzfristig Nationalratsabgeordneter der jüdischnationalen Partei) - der
Rechtsanwalt und Soziologe Leo Goldhammer, die Rechtsanwälte und langjährigen
Gemeinderäte Leopold Plaschkes, der in Palästina starb, und Jakob Ehrlich, der 1938 im KZ
Dachau ermordet wurde.
Jakob Ehrlich war 1925 als Präsident des zionistischen Landeskomitees Gastgeber des
Zionistenkongresses im Wiener Konzerthaus, auf dem damals eine blau-weisse Fahne
gehisst wurde. Der Kongress wurde begleitet von schweren antisemitischen Unruhen und
davon, dass die sozialdemokratische Stadtverwaltung eine offizielle Teilnahme oder
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Begrüßung verweigerte. Bürgermeister Karl Seitz begründete diese Entscheidung damit, daß
er keine konfessionelle Veranstaltung begrüßen könne.
Jakob Ehrlich nahm in seiner Begrüßungsrede in einer berührenden Verteidigung seiner
Heimatstadt auf die antisemitischen Umtriebe Bezug: “[...] verallgemeinern Sie nicht,
identifizieren Sie nicht die hochgesittete Bevölkerung dieser Stadt mit einem kleinen Häuflein
irregeführter, schlecht beratener, verhetzter Leute. Wien ist die Stadt einer hohen, feinen
Kultur, in Wien ist eine schwer arbeitende, schwer geprüfte Bevölkerung; in Wien ist eine alte
glänzende Zivilisation, deren Glanz nicht verdunkelt werden kann durch die Streiche der
Gasse.”
Unter den vielen zionistischen Journalisten und Historikern, die in Wien wirkten, seien
erwähnt: Adolf Böhm, Yomtow Ludwig Bato, Nathan Michael Gelber, Mendel Singer, Meir
Henisch, David Rothblum, Arthur Freud, Siegfried Schmitz und Julius Löwy.
Mit der Ausnahme von Böhm, der nach einem Nervenzusammenbruch 1941 in Wien starb,
emigrierten alle 1938/39 nach Palästina.
Die Orthodoxie war einerseits gespalten in die Anhänger der berühmten, 1864 eingeweihten
Schffschul, deren Mitglieder sich vor allem aus Juden aus Ungarn rekrutierten. (Der erste
Rabbiner der Schiffschul war Salomon Spitzer, ein Schwiegersohn des berühmten
Preßburger Rabbiners Chatam Sofer, des Begründers der modernen Ultraorthodoxie).
Seit 1897 war ihr Oberrabbiner Isaia Fürst, der 1943 in London starb. Andererseits in die
sogenannten Polischen rund um den 1893 eingeweihten Polnischen Tempel mit dem seit
1899 amtierenden, 1936 verstorbenen Rabbiner Mayer Mayersohn. (Ein Nachfolger wurde
nicht mehr genannt).
1912 wurde in Kattowicz die Aguda Israel, die Weltorganisation der orthodoxen Juden,
gegründet; an der Gründung nahmen sowohl der Präsident der Wiener Aguda Wolf
Pappenheim als auch Rabbiner Fürst teil. Pappenheim war der Sohn des Präsidenten der
Pressburger jüdischen Gemeinde Hermann Pappenheim; sein Bruder Siegfried war der
Vater von Bertha Pappenheim. Von 1920 bis 1932 war er Mitglied des Kultusvorstands.
In Wien befand sich bis 1938 auch das von Pinchas Kohn geleitete Hauptbüro der Aguda
ebenso wie die Leitung des Keren Hathora, des Erziehungsfonds der Aguda, der Jeschiwot,
u.a. die Zentraljeschiwa in Lublin unterstützte.
Dem Keren Hathora stand Leo Deutschländer vor. Er war der Sohn eines Berliner Rabbiners
und arbeitete in Kowno in Litauen während des ersten Weltkriegs zusammen mit Joseph
Carlebach und Pinchas Kohn in einer von den deutschen Militärbehörden eingerichteten
jüdischen Schulabteilung und gründete dort ein jüdisches Gymnasium. Ab 1923 lebte er in
Wien, wo er ein Mitglied der Stumperschul und der B’nai B’rith Loge “Eintracht” war. Als
bekannter Goetheforscher war er auch ein Mitglied des Goethevereins, der bei seinem Tod
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eine schwarze Fahne aushängte. 1923 veröffentlichte er das Buch Goethe und das Alte
Testament.
Die zweite große Leistung Deutschländers war der Aufbau der Beth Jakob Schulen, das
religiöse Erziehungswerk für orthodoxe jüdische Mädchen. Dessen Gründung geht auf Sara
Schenirer zurückging und war ebenfalls mit Wien verbunden. Die gebürtige Krakauerin Sara
Schenirer lebte während des Ersten Weltkriegs in Wien. Hier hörte sie die Predigten von
Rabbiner Shmuel Flesch in der Stumperschul, die auf sie einen unauslöschlichen Eindruck
hinterließen und sie mit der Gedankenwelt und dem Erziehungswerk der Neoorthodoxie
bekannt machten.
Die Aguda etablierte auch ein umfangreiches soziales Hilfswerk, das unter der Leitung des
bekannten Kunsthistorikers Max Eisler stand. Er war ao. Professor für Kunstgeschichte an
der Universität Wien und befasste sich auch mit Fragen jüdischer Kunst und mit der
modernen Synagogenarchitektur.
1923 und 1929 fanden in Wien die beiden ersten Weltkongresse der Aguda, genannt
Kennesio Gedaulo, statt, mit 900 bzw. 3000 Delegierten. Der zweite Kongress ging auch in
die Literatur ein und wurde von Soma Morgenstern in seinem Roman “Der Sohn des
verlorenen Sohnes” beschrieben.
Weiters lebten während des Ersten Weltkriegs rund 60 chassidische Rebbes in Wien, von
denen nicht alle in Wien blieben. Unter den berühmtesten waren der Czortkower in der
Heinestraße, der 1933 starb, der Kopecziner in der Rueppgasse und der Boyaner
Rebbe.
In den dreißiger Jahren radikalisierten sich die jüngeren Anhänger der Schiffschul und
bemühten sich analog zur deutschen Trennungsorthodoxie um die staatliche Anerkennung
für eine eigene orthodoxe Kultusgemeinde. Sie verhandelten erfolgreich mit Bundeskanzler
Dollfuß, wurden auch von dem einflußreichen, mit Alma Mahler-Werfel befreundeten
Prälaten Johannes Hollnsteiner unterstützt, erhielten jedoch von seinem Nachfolger Kurt von
Schuschnigg keine Unterstützung.
Der Zionist Zwi Perez Chajes wurde 1918 als Nachfolger Moritz Güdemanns Wiener
Oberabbiner. Er stammte aus einer prominenten Rabbinerfamilie aus Brody; sein Großvater
Zwi Hirsch Chajes war ein berühmter Talmudist. Er erhielt in Lemberg und an der Israelitisch
theologischen Lehranstalt (ITLA) seine Smicha. Ab 1902 lehrte er am italienischen
Rabbinerseminar in Florenz und von 1912 bis 1918 wirkte er als Oberrabbiner von Triest.
Chajes wurde mit seinem Wirken zu dem Vermittler zwischen Tradition und Moderne,
Ostjudentum und Westjudentum und war vor allem bei den Wiener jüdischen Jugend
überaus populär. Als bedeutender Bibelwissenschafter und zionistischer Politiker, vor allem
aber aufgrund seines Engagements für eine materielle Regeneration des durch den Ersten
Weltkrieg geschwächte Wiener Judentums war er eine Ausnahmeerscheinung und ein
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Glücksfall für das Wiener Judentum. Sein Tod 1927 mit nur 51 Jahren war ein besonders
schwerer Schlag für die Wiener jüdische Gemeinde.
Nach seinem Tod kam es zu einer Vakanz; aus internen Gründen wurde erst 1932 dessen
Nachfolger David Feuchtwang ernannt. Er starb bereits 1936, war ebenfalls ein Gelehrter
und Ehrenpräsident der Misrachi. Feuchtwang war der Sohn des Landesrabbiners von
Mähren Meir Feuchtwang; studierte in Wien und Berlin und war seit 1903 Rabbiner in Wien.
Er war Ehrenpräsident der Misrachi, Lehrbeauftragter des Beth Hamidrasch und des
Religionslehrerseminars, Redakteur der Zeitschrift Freie Jüdische Lehrerstimme und
profilierte sich durch zahlreiche Publikationen als Judaist und Historiker des Wiener
Judentums. Als Rabbiner in Währing hatte er auch enge Kontakte zm Jakob Wassermann,
Arthur Schnitzler und Richard Beer-Hofmann.
Der letzte Wiener Oberrabbiner vor der Shoah Israel Taglicht stammte aus der Slowakei,
studierte in Berlin und wirkte seit 1893 als Rabbiner in Wien, im Schmalzhoftempel, im
Turnertempel und im großen Tempel in der Tempelgasse. Er war der Autor des Werkes Die
Nachlässe der Wiener Juden im 17. und 18. Jahrhundert. Taglicht wurde von den Nazis
gedemütigt und starb 1943 in Cambridge.
1936 hatten alle Tempel und Bethäuser zusammen 29 200 Sitzplätze. Zu den Hohen
Feiertagen mietete die IKG weitere temporäre Räumlichkeiten mit 22 000 Plätzen.
Die 19 großen Tempel wurden in der Zeit von 1823 bis 1929 erbaut. Mit ihrer monumentalen,
eindrucksvollen Architektur, den Türmen und prächtigen Fassaden prägten sie das Wiener
Stadtbild und standen einst - scheinbar gleichberechtigt - neben den großen, noch heute
sichtbaren und benutzten Kirchen.
Von den anderen Wiener Rabbinern seien erwähnt: Max Grunwald, der Begründer der
jüdischen Volkskunde, Moses Rosenmann, der Biograph Jellineks und Mannheimers,
Kalman Kupfer, Abraham Weiner und Israel Zwi Kanner, die alle nach Palästina/Israel
auswanderten.
Sie wirkten in 94 Wiener Synagogen und Bethäusern, die alle mit Ausnahme des
Stadttempels im Novemberpogrom 1938 verbrannt wurden.
In den zwanziger Jahren erlebte die jiddische Literatur und das jiddische Theater eine kurze
Renaissance. (Sie wurde in den letzten Jahren in Österreich in einigen Publikationen
wiederentdeckt). Folgende jiddische Autoren lebten damals in Wien: A.M.Fuchs, Mendel
Neugröschel, Ber Horowitz, Shmuel Jankev Imber, Mosche Silburg, Moshe GrossZimmermann, Mendel Singer, Melech Chmelnizki, David Königsberg und Melech Rawitsch.
Sie publizierten in jiddischen Zeitungen und Zeitschriften wie Kritik, Wiener Morgenpost, Die
neue Zeit und im Verlag Der Kwall. (Auch Anhänger des Bund und der Poale Zion, unter
ihnen Josef Kissman, Ber Borochow und Michl Kohn, publizierten in Wien in jiddischer
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Sprache). Es gab Verbindungen zu Jung Wien, zu Peter Altenberg, Ernst Waldinger, Alfons
Petzold und zu expressionistischen Autoren wie Albert Ehrenstein, mit dem die jiddischen
Autoren die Herausgabe einer Anthologie planten.
Die Freie jüdische Volksbühne, die von 1915 bis 1923 existierte, inszenierte Stücke und
Schalom Asch, Peretz Hirschbein, Scholem Aleichem und David Pinski. Die 1927
gegründeten Jüdischen Künstlerspiele existierten bis 1938. Abisch Meisels, der später in
London lebte, schrieb für die “Jüdischen Künstlerspiele” 1928-1937 die Revuen Auf nach Tel
Aviv, Die Wiener Rebbyzin, Ohne Zertifikat nach Palästina, Hallo! Hallo! Hier Radio
Jerusalem, Chassene im Städtel und Kol Nidre im Galuth. Seine Revue “Von Sechistow bis
Amerika” in 15 Bildern (mit zahlreichen Anspielungen auf Interna der Kultusgemeinde) wurde
2000 neu übersetzt und publiziert. Wien war in den frühen zwanziger Jahren auch ein
Zentrum des jiddischen Films. Molly Picon begann hier ihre Karriere mit “Ost und West” und
“Das Judenmädl”. Rudolf Schildkraut spielte im historischen Monumentalfilm “Theodor Herzl.
Der Bannerträger seines Volkes”, geschrieben von Heinrich Glücksmann, dem langjährigen
Dramaturgen des Deutschen Volkstheaters.
Die Gründe für die kurzlebige Renaissance des Jiddischen, für die wachsende Akzeptanz
der Zionisten sowie deren kontinuierliche Wahlerfolge bei den Kultuswahlen waren auch
demographische Veränderungen. Während des Ersten Weltkriegs strömten über 70 000
jüdische Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina nach Wien, wo nach 1918 24-30 000
blieben,
obwohl
die
Politik
dies
nicht
beabsichtigte.
Der
sozialdemokratische
Landeshauptmann von Niederösterreich Albert Sever erließ einen Ausweisungsbefehl, der
aus technischen und organisatorischen Gründen nicht ausgeführt werden konnten.
Der bereits erwähnte Jüdische Nationalrat existierte zwei Jahre lang, von 1918 bis 1920 und
entfaltete in dieser Zeit in seinem Büro auf der Taborstraße 20A als eine Parallelinstitution
zur IKG mit rund
500
Mitarbeitern
eine
intensive
Tätigkeit. Er unterhielt eine
Rechtsschutzabteilung, eine Berufsberatung, eine Soldaten- und Beamtenfürsorge, ein
Unterrichtsamt und ein Amt für Gewerbeförderung. Das Organistionsamt für soziale Arbeit
wurde von der berühmten Sozialarbeiterin Anitta Müller-Cohen geleitet.
Der jüdische Nationalrat und der 1918 gewählte neue zionistische Oberrabbiner Zwi Perez
Chajes engagierten sich auch in der Neugründung pädagogischer Institutionen.
Das Unterrichtsamt des Nationalrats wurde von Bernhard Geiger geleitet, der vor allem als
Gelehrter bekannt war; er unterrichtete von 1919 bis 1938 als außerordentlichter Professor
iranische und indische Philologie an der Universität Wien. 1938 emigrierte er in die USA, wo
er 1955 mit dem Ehrendoktorat des Jewish Theological Seminary ausgezeichnet wurde und
1964 starb.
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Chajes rettete in den zwanziger Jahren die neuen Institutionen und die 1893 gegründete
Israelitisch theologische Lehranstalt (ITLA), das Wiener Rabbinerseminar, vor dem
wirtschaftlichen Zusammenbruch, indem er in den USA, wo er mit Stephen Wise und George
A. Kohut zwei einflußreiche Fürsprecher hatte, Geld für sie sammelte.
Wise war mit Wien bereits aus der Zeit seiner Jugend persönlich verbunden. Er verbrachte
1892/93 einige Monate in Wien, wo er unter Oberrabbiner Adolf Jellinek studierte, sein
persönlicher Assistent wurde und von diesem die Smicha erhielt.
1922 gründete Stephen S. Wise und George A. Kohut in New York das Jewish Institute for
Religion, das bis zu seiner Fusion 1950 mit dem Hebrew Union College bestand.
Kohut und Wise wollten damals auch Oberrabbiner Chajes für die Leitung des neuen
Instituts in die USA holen. Wise kam für entsprechende Gespräche persönlich nach Wien
und verhandelte auch mit Rabbiner Max Grunwald und Samuel Krauss von der ITLA.
Zu den Neugründungen gehörten:
Das Hebräische Pädagogium; es ging aus den von Siegfried Bernfeld gegründeten
Pädagogischen Kursen hervor.
Dessen erster Leiter war Harry Torczyner. Er lehrte ab 1913 als Privatdozent hebräische
Philologie an der Universität Wien und wurde 1919 an die Lehranstalt für die Wissenschaft
des Judentums in Berlin berufen. 1933 wurde er auf Empfehlung von Bialik an die
Hebräische Universität von Jerusalem, an den neu eingerichteten Lehrstuhl für die
hebräische Sprache, berufen und nannte sich fortan Naphtali Herz Tur-Sinai.
1921 wurde Abraham Sonne sein Nachfolger. Sonne stammte aus Przemysl und studierte
ab 1908 in Wien und Berlin. 1914 ging er nach Jerusalem, um am hebräischen
Lehrerseminar in Jerusalem zu unterrichten; er erlitt jedoch einen Unfall und kehrte noch im
gleichen Jahr nach Wien zurück. Von 1919 bis 1921 lebte er in London als Generalsekretär
der zionistischen Exekutive und enger Berater Chaim Weizmanns. 1938 floh er nach
Palästina, wo er 1950 starb. Sonne ging in die österreichische Weltliteratur ein; er war
befreundet mit Elias Canetti, Hermann Broch, Arthur Schnitzler, Richard Beer Hofmann und
Arnold Schönberg.
Weiters unterrichteten im Pädagogium noch Zwi Diesendruck und Salo W. Baron. Dieser, ein
Absolvent der ITLA, wurde 1926 von Stephen S. Wise und George Alexander Kohut auf
Empfehlung von Chajes in die USA geholt und 1929 an den neugestifteten Lehrstuhl für
jüdische Geschichte der Columbia University berufen. Er übernahm in der Folge nach
Chajes frühen Tod dessen Rolle als Garant und einflußreicher Fürsprecher der bedrohten
ITLA.
Diesendruck verließ Wien 1927 und starb 1940. Er unterrichtete am Jewish Institute of
Religion in New York und an der Hebräischen Universität und wurde 1930 als Nachfolger
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von David Neumark Professor für jüdische Philosophie am Hebrew Union College in
Cincinnati. Er war Herausgeber des Hebrew Union College Annual und Vizepräsident der
American Academy Jewish Research.
In den frühen zwanziger Jahren lebte auch Salman Rubaschow in Wien und unterrichtete am
Pädagogium jüdische Geschichte. Rubaschow wurde als Zalman Shazar von 1963 bis 1973
dritter Präsident des Staates Israel.
Das 1919 nach dem Vorbild des jüdischen Gymnasiums in Lodz gegründete jüdische
Realgymnasium (später Chajes) Gymnasium wurde koedukativ geführt und von
Direktor Viktor Kellner, der von Chajes nach Wien geholt wurde, geleitet. Kellner
unterrichtete bis zum Ersten Weltkriegs am hebräischen Gymnasium in Jaffa. Über seine
pädagogischen Grundsätze sagte er 1919: “Der Unterricht muß ein Gesinnungsunterricht in
dem Sinne werden, daß er die Jugend zur wahren Menschlichkeit erzieht. Die Menschlichkeit
aber ist ein jüdisches Ideal”. Oberrabbiner Chajes ergänzte: “Unsere neue jüdische
Mittelschule ist eine im höchsten Sinne des Wortes moderne Schule und frei von allem
Chauvinismus. [...] Keinesfalls aber bauen wir eine Mauer zwischen uns und den anderen.
Unser Schulwerk wird es geradezu erst ermöglichen, daß Juden und Nichtjuden einander
verstehen lernen.” Kellner stammte aus Böhmen und war ein Mitglied des berühmten Prager
zionistischen Studentenvereins Bar Kochba. Robert Weltsch schrieb über ihn: “Er war schon
damals eine Autorität. Im Bar Kochba war er so etwas wie eine oberste Instanz. Man hatte
Vertrauen in seine äußerste Sachlichkeit, sein scharfes Urteil, seine ethische Haltung.” Er
übersetzte zionistische Literatur aus dem Hebräischen ins Deutsche und war gleichzeitig ein
Anhänger von Karl Kraus. Berühmt wurde sein Ausspruch 1938: “Man wird länger Schma
Jisroel als Heil Hitler sagen!” Er starb 1970 in Israel, wo er weiterhin sehr viel publizierte und
unterrichtete.
Die Schule hatte ständig mit Raum- und Geldnot zu kämpfen und ist allen Schülern und
Schülerinnen, die bis heute durch Rundschreiben und Reunionen verbunden sind, in
prägender Erinnerung.
Chajes gründete 1920 auch das Religionslehrerseminar stand unter der Leitung von Moritz
Rosenfeld, dem späteren Biographen von Chajes. 1939 emigrierte Rosenfeld über Italien
nach Chile, wo er von 1940 bis 1950 als Rabbiner von Santiago wirkte und 1951 im Alter von
75 Jahren starb.
Weitere berühmte Institutionen der IKG in der Zwischenkriegszeit waren:
Die Israelitisch theologische Lehranstalt (ITLA) wurde nach dem Vorbild des jüdisch
theologischen Seminars in Breslau bereits 1893 gegründet. Sein langjähriger Rektor war bis
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zu seinem Tod 1931 Adolf Schwarz, der vor seiner Berufung nach Wien von 1875 bis 1893
als Stadt- und Conferenzrabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde von Karlsruhe wirkte.
Dessen Sohn Arthur Zacharias Schwarz war ab 1913 Rabbiner des Müllnertempels und ab
1933 zugleich Rabbiner des Schopenhauertempels. Er veröffentlichte die bibliographischen
Standardwerke Die hebräischen Handschriften der k.u.k. Hofbibliothek in Wien (1914), Die
hebräischen Handschriften der Nationalbibliothek in Wien (1925) und Die hebräischen
Handschriften in Österreich (Band 1, 1931). Der zweite Band dieses Werkes wurde von
Schwarz in Wien noch zum Druck vorbereitet, konnte aber in Wien nicht mehr erscheinen
und auch von ihm nicht mehr fertiggestellt werden. Aus dem geretteten Manuskript
publizierten Samuel Loewinger und Ernst Roth 1973 in Israel und den USA den zweiten
Band. 1938 wurde er verhaftet und schwer gefoltert. Im Februar 1939 konnte er auswandern;
er starb jedoch 17 Tage nach seiner Ankunft in Palästina an den Folgen der Folterungen.
Seine Tochter Tamar heiratete 1937 in Palästina Teddy Kollek.
Die beiden bekanntesten Professoren der ITLA waren Salomon Krauss und Viktor
Aptowitzer; beide starben in hohem Alter im Exil; Krauss 1948 in Cambridge und Aptowitzer
1942 in Jerusalem. Krauss war auch der letzte Rektor der ITLA.
Aptowitzer wurde 1871 in Tarnopol geboren. Er studierte an der ITLA und lehrte an ihr seit
1909 als Nachfolger Meir Friedmanns Bibelexegese, Midrasch, Religionsphilosophie und
Talmud. 1910 erhielt er eine Berufung an das Hebrew Union College, 1917 an das JTS,
1930 nach Breslau. Krauss stammte aus Ungarn und lehrte ab 1906 an der ITLA. Im großen
Gegensatz zu Aptowitzer stand sein großes innerjüdisches Engagement. Er war u.a. Mitglied
der B’nai B’rith Loge “Eintracht”, Gründer und langjährige Präsident des Vereins für jüdische
Geschichte und er plädierte 1919 in der Schrift Zur Orgelfrage vergeblich für den Einbau
oder den Gebrauch von Orgeln in Wiener Synagogen. 1922 erhielt er von Stephen S. Wise
eine Berufung nach New York. Er wurde wiederholt zu Vorträgen an die Hebräische
Universität in Jerusalem eingeladen, wo er besonders mit Josef Klausner in Verbindung
stand. 1941 wurde er vom Hebrew Union College mit dem Ehrendoktorat
ausgezeichnet.
Unter den weiteren Lehrbeauftragten der ITLA in der Zwischenkriegszeit befanden sich
Alexander Kristianpoller und Israel Taglicht.
Unter den Absolventen der ITLA befanden sich zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten der
jüdischen Welt, unter ihnen die Oberrabbiner von Rumänien, Jassy, Genf, Lausanne, Brünn,
Südafrika, Finnland, und Rabbiner von Wien, Lemberg, Linz, Innsbruck, Königsberg.
Sie unterrichteten an der Hebräischen Universität, an der Bar Ilan Universität, der Universität
Tel Aviv, der Ben Gurion Universität, am Leo Baeck College London, am Jewish Theological
Seminary in Chiago, am Dropsie College, am Jewish Theological Seminary und der Yeshiwa
University.
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Das Maimonides Institut wurde 1924 von Armand (Aaron) Kaminka gegründet. Er wurde
1866 in der Ukraine geboren. Mit 14 Jahren ging er nach Berlin, wo er am orthodoxen
Rabbinerseminar und an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums studierte.
Nach seiner Ordination arbeitete er als Rabbiner in Frankfurt an der Oder, in Prag und in
Esseg in Slawonien. 1900 ging er nach Wien, wo er als Nachfolger von Friedrich Salomon
Krauss Generalsekretär der Israelitischen Allianz wurde. 1921 veröffentlicht er das Buch
Meine Reise nach Jerusalem. Ab 1926 unterrichtete er auch als Privatdozent an der
Universität Wien. Eine Festschrift zu Kaminkas 70. Geburtstag 1937 listete 351
wissenschaftliche Publikationen auflistete. 1938 war er vier Wochen lang verhaftet; nach
seiner Freilassung flüchtete er nach Palästina, wo er für seine Übersetzungen griechischer
und lateinischer Klassiker ins Hebräische den Tschernichowskypreis erhielt. Armand
Kaminka starb 1950 in Tel Aviv.
Neben Kaminka unterrichteten am Maimonides Institut u.a. die Rabbiner Moses Zickier,
Moriz Bauer und Moses Horowitz. Dieser wurde 1934 als Nachfolger seines Vaters
Oberrabbiner von Stanislau und wenige Jahre später ein Opfer der Shoah.
Sein Nachfolger wurde Salomon Rapoport (Rappaport), ein Absolvent der ITLA. Rappaport
wurde 1905 in Lemberg geboren und floh nach dem “Anschluß” nach Südafrika, wo er
Rabbiner in Johannesburg und u.a. Direktor des Departments for Hebrew Studies der
Universität von Witwatersrand wurde und 1986 starb.
Rappaports Vater Samuel Rappaport (Rapoport) war Gutsbesitzer und Rabbiner in Zloczow
und einer der Gründer der Misrachi in Galizien. Er publizierte über Spinoza und
Schopenhauer und von 1917 bis 1923 in Martin Bubers Zeitschrift Der Jude die Serie “Aus
dem religiösen Leben der Ostjuden”. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte er in Österreich. 1943
wurde er im KZ Belzec ermordet.
Der Rechtsanwalt Nissan Goldstein unterrichtete am Maimonides Institut talmudische
Rechtswissenschaft. Er stammte aus Przemysl, wo er “im Alter von zwölf Jahren fast den
ganzen Talmud so gut wie wörtlich auswendig beherrscht hatte.” Bis zu seiner Übersiedlung
nach Wien während des Ersten Weltkriegs war er orthodoxer Rabbiner in Rohatyn und
Bibliothekar der Kultusgemeinde in Lemberg. Er starb 1933.
Zu den ältesten pädagogischen jüdischen Institutionen gehört das Beth Hamidrasch. Seine
Gründung 1863 wurde durch eine Spende Jonas von Königswarters ermöglicht. Sein
traditioneller Name (“Haus des Lernens”, wie es im Rahmen von traditionellen Synagogen
besteht) erweckte den trügerischen Anschein, als ob es sich um eine tradtionelle, orthodoxe
Institution handelte. Sein Gründer war der Wiener Prediger Adolf Jellinek. Das Beth
Hamidrasch war eine Art Volkshochschule und frei zugängliche Lehranstalt für alle
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Interessierten, darunter auch für angehende Rabbiner. Sein berühmtester Schüler war der
amerikanische Gelehrte und Begründer des konservativen Judentums Salomon Schechter.
1889 bezeichnete es die liberale Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums
als Vorbild.
Über seine normalen Schüler ist wenig bekannt. Umso bedeutender waren einzelne seiner
Schüler, die später eminente Rabbiner und Gelehrte wurden. Unter ihnen sind zu nennen:
Adolf Kurrein, Salomon Schechter, Adolf Frankl-Grün, David Feuchtwang und Nehemia Brüll,
der spätere liberale Rabbiner von Frankfurt.
Die IKG übernahm das Protektorat über den Verein und bewilligte eine spärliche Subvention.
1866 hatte der Verein 190 Mitglieder.
Wie Jellinek waren auch die beiden ständigen Lektoren, die das Beth Hamidrasch in den
ersten Jahrzehnten prägte, Isaak Hirsch Weiß und Meir Friedmann, waren nicht orthodox.
Weiß und Friedmann gaben von 1881 bis 1889 die wissenschaftliche Zeitschrift Bet Talmud
heraus. Isaak Hirsch Weiß stammte aus Groß-Meseritisch in Mähren und studierte an den
Jeschiwot von Trebitsch, Eisenstadt und Nikolsburg. In hebräischer Sprache publizierte Weiß
Gedichte und eine fünfbändige Geschichte der jüdischen Tradition. Er starb 1905 im Alter
von 90 Jahren.
Meir Friedmann stammte wurde in dem Karpathendorf Horost als Sohn des dortigen
jüdischen Schankwirts Jeremia Friedman geboren. Mit 19 Jahren wurde er zum Rabbiner
ordiniert. Friedmann lebte persönlich orthodox und war zugleich ein begeisterter Bergsteiger.
Viele seiner Werke veröffentlichte er unter dem Namen Ish Schalom. In seinen letztem
Lebensjahren entwickelte er Sympathien für den Zionismus.
1878 erhielt er eine Berufung an das Hebrew Union College in Cincinnati. 1882 erhielt er
eine Berufung nach Berlin, aller Wahrscheinlichkeit nach an die Hochschule für die
Wissenschaft des Judentums.
Friedmann
fungierte
auch
als
Bibliothekar
des
Beth
Hamidrasch
und
als
Gefangenenseelsorger der IKG. Ab 1893 lehrte er zusätzlich an der ITLA; erst ab diesem
Zeitpunkt waren die materiellen Sorgen der Familie gebannt. Er starb 1908.
Langjähriger Lektor des Beth Hamidrasch war Simon Rubin. Er wurde 1865 in Kolbuszowa in
Galizien geboren, spezialisierte sich auf den Vergleich zwischen talmudischem und
römischen Recht und starb 1945 in Leeds.
Weitere Lehrbeauftragte waren Armand Kaminka (von 1900 bis 1924), Adolf Schwarz,
Samuel Krauss, Moses Rosenmann und Israel Taglicht.
In den dreißiger Jahren lehrten auch Zwi Taubes, Benjamin Murmelstein und Moses
Zickier, Alexander Kristianpoller und Hirsch Jakob Zimmels am Beth Hamidrasch.
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Das 1895 gegründete Jüdische Museum war das erste jüdische Museum der Welt. Es wurde
1895 auf Anregung von Baurat Wilhelm Stiassny gegründet. Stiassny, der Erbauer
zahlreicher
Synagogen,
darunter
des
Wiener
Polnischen
Tempels
und
des
Jubiläumstempels in Prag, war 28 Jahre lang Wiener Gemeinderat, 1994/95 Stadtrat und 30
Jahre lang Mitglied des Wiener Kultusvorstands.
Stiaßny war der erste Präsident des Trägervereins des Museums, der “Gesellschaft für
Sammlung und Conservirung von Kunst- und historischen Denkmälern des Judenthums”.
Stiaßnys Nachfolger wurde der berühmte Begründer der Ohrenheilkunde Adam Politzer,
dessen Nachfolger; 1920 folgte ihm in dieser Funktion Salomon Frankfurter, Direktor der
Universitätsbibliothek, nach. Die berühmte “Gute Stube” des Museums, eine osteuropäische
“Schabbatstube”, wurde von den Malern David Kohn und Isidor Kaufmann eingerichtet. Bis
zu seinem Tod 1921 war Isidor Kaufmann auch Vizepräsident des Museums.
Das Museum hatte mit ständigen Raumproblemen zu kämpfen; 1923 übersiedelte es in sein
letztes Domizil, einige unzulängliche Räumen in der Malzgasse im zweiten Bezirk, obwohl es
damals bereits 3400 Objekte hatte. Kustos des Museums war bis 1938 Jakob Bronner, der
nach 1938 in Haifa lebte, der Onkel des bekannten Kabarettisten Gerhard Bronner.
Erst 1989 wurde in Wien wieder ein jüdisches Museum eröffnet; das neue Museum ist
jedoch keine Institution der IKG, sondern das jüdische Museum der Stadt Wien.
Die Bibliothek der IKG im Umfang von ca. 50 000 Bänden, die ab 1919 von dem berühmten
Gelehrten und Historiker Bernhard Wachstein (1868-1935)geleitete wurde.
1922 veröffentlichte Wachstein Die Grabschriften des alten Judenfriedhofes in Eisenstadt.
1926 folgte der zweite Band Urkunden und Akten zur Geschichte der Juden in Eisenstadt
und der sieben Gemeinden. Zusammen mit dem in Wien lebenden Gelehrten Alfred Landau
gab er 1907 den Band Jüdische Privatbriefe aus dem Jahre 1619 heraus. 1912 und 1917
folgten Die Inschriften des alten Judenfriedhofes in Wien.
1922, 1927 und 1931 veröffentliche Wachstein das dreibändige Werk Zur Bibliographie der
Gedächtnis- und Trauervorträge der hebräischen Literatur.
1931 publizierte er eine Bibliographie über die Literatur über die jüdische Frau mit einem
Anhang Literatur über die Ehe. In den B’nai Brith Mitteilungen für Österreich publizierte er
1932/33 die dreiteilige Serie “Diskussionsschriften über die Judenfrage. Das neue Gesicht
des Antisemitismus”.
Stellvertretender Direktor der Bibliothek war der Anthroposoph, Publizist und Übersetzer aus
dem Hebräischen Ernst Müller, der 1954 im englischen Exil starb.
Wachsteins Nachfolger wurde 1936 keiner der großen Gelehrten, die sich angeblich für
diese Stelle bewarben, sondern Moses Rath. Dieser war vorher Buchhändler, unterrichtete
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am Religionslehrerseminar und verfasste das vielbenutzte hebräische Lehrbuch Sfat Amenu;
seine Ernennung sorgte für besonders bittere Kontroversen.
Das Allgemeine Österreichisch-Israelitische Taubstummen-Institut: Es wurde 1844 in
Nikolsburg gegründet und war vermutlich die erste jüdische Institution dieser Art. 1852
übersiedelte es nach Wien, wo es 1858 ein eigenes, dreigeschossiges Gebäude im dritten
Bezirk bezog. Von 1845 bis zu seinem Tod 1899 wurde das Institut von Joel Deutsch
geleitet. Deutsch verfaßte zahlreiche Lehrbücher über die Erziehung von Taubstummen und
eine Geschichte des Instituts.
Deutsch hatte zahlreiche prominente Schüler, darunter den Direktor des städtischen
Taubstummeninstituts in Wien Döbling Adalbert Lehfeld und die Direktoren der israelitischen
Taubstummeninstitute in Budapest, London und in den USA Leopold Grünberger, Simon
Schöntheil und David Grünberger.
Sein Nachfolger Moritz Brunner, der das Institut bis 1908 leitete, war Mitherausgeber und
Mitredakteur der 1919 eingestellten Zeitschrift Eos. Zeitschrift für die Erkenntnis und
Behandlung jugendlicher Abnormer und stellvertretender Vorsitzender des Vereins
österreichischer Taubstummenlehrer.
1914 wurde Salomon Krenberger Direktor des Instituts. Krenberger wurde
auf dem ersten österreichischen Zionistentag 1901 in Olmütz zum Obmann des
österreichischen Landeskomitees gewählt. Er publizierte regelmäßig in der Welt und in
Blochs Österreichischer Wochenschrift, trat jedoch 1905 als Obmann des österreichischen
Landeskomitees zurück. Nach der Uganda Affäre auf dem siebenten Zionistenkongreß 1905
in Basel gründete der berühmte britisch-jüdische Schriftsteller Israel Zangwill die Jüdische
Territorialistische Organisation, abgekürzt “Ito”, die andere Territorien außerhalb Palästinas
für die verfolgten Juden sichern wollte. Krenberger schloß sich ihr an und wurde
stellvertretender Vorsitzender des von Isidor Samuely - dem Präsidenten der Union - und
Jakob Engel geleiteten, 1906 gegründeten Zentralvereins der “Ito” in Wien, der nach 1918
seine Tätigkeit einstellte.
1920 traten die Lehrer des Taubstummeninstituts in einen Streik und die Krise des Instituts
spitzte sich in den zwanziger Jahren spitzte sich immer mehr zu.
1925 stiegen die Schulden ins Unermeßliche; die Gehälter der Lehrer konnten nicht mehr
voll ausbezahlt und die Lebensmittellieferungen nicht mehr bezahlt werden. Die in diesem
Jahr einsetzenden Bemühungen Krenbergers, die Schließung des Instituts zu verhindern,
scheiterten. Krenberger wandte sich in einem Memorandum an die IKG und “an
hervorragende Persönlichkeiten Wiens” und versuchte auch, zwei leider von ihm namentlich
nicht genannte Bankdirektoren für die Rettung des Instituts zu gewinnen. Die IKG bezahlte
zwar aufgelaufene Schulden und streckte ihre Subvention vor, erklärte jedoch zugleich, daß
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sie das Institut nicht übernehmen könne und schob die Schuld an der Krise dem Kuratorium
zu. Als das Institut 1926 geschlossen wurde hatte es nur noch neun Schüler.
Von 1844 bis 1925 absolvierten das Institut 1177 Zöglinge; 757 Knaben und 420 Mädchen,
107 kamen aus Wien und drei waren katholisch, was nach den Statuten möglich war.
1927 veröffentlichte Krenberger eine Geschichte des Instituts, 1928 ließ er eine Broschüre
über das Besuchsbuch des Instituts folgen. Darin schrieb er, daß das Institut “ein Opfer des
Weltkrieges, der Zerreißung der Monarchie und der dem Kriege folgenden Geldentwertung”
wurde. 1999 veröffentlichte auch Walter Schott eine Geschichte des Instituts.
Das Israelitische Blindeninstitut, das 1872 von dem Schriftsteller, Sekretär und Archivar der
IKG Ludwig August Frankl mit der finanziellen Hilfe des Bankiers und Präsidenten der IKG
Jonas Freiherr von Königswarter gegründet wurde. Es befand sich in einem imposanten
dreistöckigen Gebäude auf der Hohen Warte, das 1871/72 von dem Wiener Architekten
Wilhelm Stiassny errichtet wurde und das heute noch steht. Bei seiner Gründung war es die
einzige und erste israelitische Blindenerziehungs- und Ausbildungsanstalt Europas.
Simon Heller, sein erster Direktor, galt als einer der führenden Blindenerzieher Europas. Er
gründete ein Institut für Späterblindete und publizierte zahlreiche Werke zu seinem
Fachgebiet. Als in New York eine Professur für Blinden-Pädagogik errichtet wurde, wurde
Heller kurz vor seinem Tod 1922 dorthin berufen, blieb jedoch in Wien.
Siegfried Altmann, sein Nachfolger, stammte aus Nikolsburg; die Autobiographie von Helen
Keller erweckte sein Interesse an der Blindenerziehung. 1925 war er ein Mitbegründer des
Heims für blinde Mädchen Providentia und 1930 gründete er ein jüdisches Blindeninstitut in
Warschau.
Von 1924 bis 1934 war er Konsulent der Stadt Wien für das Blindenwesen und von 1929 bis
1938 war er Präsident des World Council for Education of the Blind. 1934/35 gab er die
Zeitschrift Archiv für das Blindenwesen und für die Bildungsarbeit an Sehschwachen heraus.
1936 gründete Altmann die jüdische Blindenbibliothek “Alexander Hecht”,
Obwohl er ein aktiver Zionist war emigrierte er 1938 nach New York, wo er an seine
Tätigkeiten in Wien nicht mehr anknüpfen konnte.
Wie berühmt das Institut war, zeigt auch der Umstand, dass seine Schüler aus vielen
Ländern
kamen,
aus
Deutschland,
den
Niederlanden,
Rumänien,
Polen,
der
Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien und sogar aus Palästina. Einer der Absolventen
war der Prager Schriftsteller und Freund Franz Kafkas Oskar Baum.
Auch die Einträge in die Gästebücher beider Institutionen zeigen deren hohes Ansehen.
Das Jahr 1934 bedeutete einen ersten Einschnitt, der jedoch auf keine Weise mit den
Ereignissen 1938 vergleichbar war. Nach dem österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934
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kam es zur Ausschaltung der Sozialdemokratie und zur Etablierung des christlich-deutschen
österreichischen Ständestaats. Die Mandate der Poale Zion und des Bundes werktätiger
Juden wurden für erloschen erklärt. Viele ihrer Funktionäre, etwa der Kultusvorsteher und
Journalist Mendel Singer, gingen nach Palästina.
Ein Resultat der neuen Verhältnisse war der Wiedereintritt sich vorher als konfessionslos
deklarierender Juden in die IKG. Bis zur Jahrhundertwende waren die Austritte im Steigen
begriffen, danach nahmen sie schrittweise wieder ab. In den zwanziger und frühen dreißiger
Jahren rund 750 Austritte und rund 350 Eintritte pro Jahr. 1934 überstieg erstmals die Zahl
der Eintritte diejenige der Austritte; es kam zu 188 Eintritten und nur zu 49 Austritten.
Die neue Verfassung des österreichischen Staates, die sogenannte Maiverfassung, wurde
von der IKG offiziell begrüßt. Sie organisierte einen Festgottesdienst und ihr Präsident
Desider Friedmann sagte auf einer Versammlung: “Eine Verfassung, die im Namen Gottes
verkündet wird, kann nicht gegen uns Juden sein, denn auch wir sind Kinder Gottes.”
Friedmann wurde als Präsident der IKG in das neue staatstragende Gremium, den Staatsrat,
entsandt. Salomon Frankfurter, Konsulent für das Bibliothekswesen und die jüdischen
Kultusangelegenheiten in das Ministerium und Mitglied unzähliger jüdischer Gremien, wurde
in den Bundeskulturrat berufen. (Er wurde 1938 verhaftet, auf Intervention seines berühmten
Neffen, des berühmten Richters Felix Frankfurter, freigelassen und starb, nach dem Raub
seiner Bibliothek, 1941 im Alter von 85 Jahren in Wien).
Der Wiener Gemeinderat und Rechtsanwalt Jakob Ehrlich wurde als Rat der Stadt Wien ein
Mitglied der Wiener Bürgerschaft, dem Nachfolgeorgan des Gemeinderats. Seine jährlichen
Budgetreden nutzte er zu vieldiskutierten, mutigen Attacken auf die antisemitische Politik der
Stadtverwaltung.
Auch nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuss veröffentlichte die IKG
zahlreiche Solidaritätsbekundungen. Diese Haltung führte allerdings auch zu einer
Entfremdung der vielfach links stehenden jüdischen Jugend von ihrer eigenen
Gemeinde.
Während in Deutschland bereits 1919 der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten gegründet,
wurde in Österreich erst 1932 der Bund jüdischer Frontsoldaten gegründet. Dessen
Mitgliederzahl des stieg in den folgenden Jahren kontinuierlich an und erreichte 1938 die
Zahl von rund 24 000 Mitgliedern.
Weiters war im Ständestaat der wachsende Einfluss des Legitimismus zu beobachten, einem
Trend, dem auch Teile der Wiener Juden folgten.
Generalmajor Emil von Sommer gründete nach seinem Rücktritt als Bundesführer des BJF
1934 den Bund legitimistischer Jüdischer Frontkämpfer, dessen Protektorat Otto von
Habsburg übernahm. Der Bund trat auch dem 1932 gegründeten Dachverband 60
legitimistischer Vereine namens “Eiserner Ring” zusammen. Im Oktober 1934 übernahm
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Otto von Habsburg das Protektorat. Anläßlich des 25. Geburtstages “Kaiser” Ottos
veranstalteten die Legitimisten einen Festgottesdienst im Stadttempel, an dem auch Josef
Ticho, Jakob Ornstein, Hermann Oppenheim, Alois Pick und Robert Stricker teilnahmen. Der
Gottesdienst wurde von Rabbiner Moses Rosenmann geleitet, der sich als einziger Wiener
Rabbiner offen zum Legitimismus bekannte.
Zu den Neugründungen im Ständestaat gehörte das jüdische Volksbildungsamt, die jüdische
Volkshochschule, analog zur protestantischen Volkshochschule, unter der Leitung der
Rabbiner Kalman Kupfer und Manfred Papo, und die jüdische Kulturstelle, die u.a von Oscar
Teller geleitet wurde, gleichzeitig einer der Gründer des Jüdisch-politischen Kabaretts. Die
Kulturstelle gab eine eigene Zeitschrift heraus; ihre literarische Sektion wurde von dem
später sehr bekannten Schriftsteller Alfred Werner geleitet. Leiter ihres Kuratoriums war der
Wiener Oberrabbiner David Feuchtwang. Ihre Räume am Franz Josefs Kai beherbergten
auch das Jüdische Kulturtheater.
Im Zuge des Aufbaus der ständestaatlichen Strukturen war 1936 das Österreichische
Jungvolk - als eine projektierte Staatsjugend - gegründet worden. Es wurde vom
“Bundesjugendführer” Georg Graf Thurn-Valsassina geleitet. Im Jänner 1938 kündigte
Thurn-Valsassina im Rahmen des Österreichischen Jungvolks “die Schaffung eines
jüdischen Jugendverbandes unter verantwortungsbewußter jüdischer Führung und mit den
Rechten, die dem Österreichischen Jungvolk nach dem Gesetz zustehen” an.
Es war geplant, den jüdisch-kulturellen Elternbund in diesen Jugendverband unter der
Führung von Rabbiner Emil Lehmann umzuwandeln. Aufgrund der politischen Ereignisse
und der beginnenden Vernichtung des österreichischen Judentums zwei Monate später kam
es dazu nicht mehr.
Die Literatur als Spiegel der Situation der Wiener Juden
Welche Verbindungen hatten die weltberühmten Wiener jüdischen Intellektuellen und
Schriftsteller zur jüdischen Gemeinde?
Einige Beispiele:
Felix Salten:
Er war ein aktives Mitglied der Wiener B’nai B’rith Loge “Eintracht”, in deren Rahmen er
zahlreiche Vorträge hielt; er war (1905/6) Mitglied des Ehrenkomitees der jüdischen Leseund Redehalle und Vorstandsmitglied der jüdischen Völkerbundliga. Wie Schnitzler
unterschrieb er 1922 einen Aufruf zur Unterstützung der jüdischen Volksbibliothek Zion.
1924 war er Präsident des Vereins Haruach. Verein jüdischer Forscher, Schriftsteller und
Künstler. 1924 reiste er nach Palästina, finanziert durch Paul Zsolnay. Nach der Rückkehr
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hielt er zahlreiche Vorträge über Palästina und er publizierte das Buch “Neue Menschen auf
alter Erde”.
Richard Beer-Hofmann:
Wie Salten war er eng befreundet mit dem Zionisten und Nachlassverwalter Leon Kellner.
Er war Vorstandsmitglied des Vereins der Freunde der Hebräischen Universität; unterstützte
1936 bei den Kultuswahlen die zionistische Liste und trat 1936 eine längere Palästinareise
an, bei der ihm der Strickwarenfabrikant Bernhard Altmann begleitete. Seine Tochter Mirjam
Beer-Hofmann war Fürsorgerin der sozialen Hilfsgemeinschaft Anitta Müllers und heiratete
1924 Ernst Czuczka, den leitenden Sekretärs des Organisationsamts für soziale Arbeit des
jüdischen Nationalrats.
Sigmund Freud:
So war Freud ein langjähriges Mitglied der 1886/87 gegründeten Österreichischisraelitischen Union. Als diese 1937 ihr 50jähriges Jubiläum feierte schrieb er ihr: “Meine
Sympathien sind immer bei ihnen”. Er gehörte dem Kuratorium der 1925 gegründeten
Hebräischen Universität Jerusalem an und unterschrieb 1936 auch einen Aufruf der damals
neu gegründeten Wiener Gesellschaft der Freunde der Hebräischen Universität. Wie
Bernhard Wachstein war er auch ein Mitglied des Kuratoriums des YIVO. 1928 trat er dem
österreichischen Pro-Palästina Komitee bei. 1931 gehörte er dem Ehrenpräsidium der Liga
für das arbeitende Palästina an.
Abschließend einige Bemerkungen zum heutigen Umgang und zur heutigen Historiographie.
Da es keine bruchlose natürliche Fortsetzung der jüdischen Gemeinde gibt, gibt es nur ein
relativ geringes genuines Interesse der gegenwärtigen jüdischen Gemeinde an der eigenen
Vergangenheit. Das bedeutet nicht, dass es nicht eine Fülle von Initiativen und Bemühungen
um eine historische Aufarbeitung in Form von Schulprojekten oder von seiten jüngerer
Historiker gibt. Es gibt offizielle Förderungen, aber es fehlt der natürliche Resonanzboden
und
umgekehrt
oft
auch
das
Einfühlungsvermögen
der
spät
geborenen
neuen
Historikergeneration.
Auch das Wiener jüdische Museum widmet sich nur sehr punktuell Themen jüdischer
Geschichte.
Das jüdische Bildungsbürgertum gibt es nicht mehr. Die IKG baut neue Institutionen und
Gebäude für die Zuwanderer, aber der Bruch der Tradition ist unheilbar. Auch jene Mitglieder
IKG, die sich nach 1945 an ihre einstige Größe und Bedeutung erinnerten und diese auch in
einer jüdischen Publizistik, die in dieser Form ebenfalls nicht mehr existiert, zu beschreiben
versuchten, sind inzwischen gestorben. Zwischen der jüdischen Gemeinde vor 1938 und der
gegenwärtigen Gemeinde gibt es daher nur mehr wenige von Jahr zu Jahr weniger
Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten.