Paris, 24. November 2012 Semaines Sociales de France 87

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Paris, 24. November 2012 Semaines Sociales de France 87
Paris, 24. November 2012
Semaines Sociales de France
87. Sitzung
Parc Floral de Paris
FRAUEN UND MÄNNER IN DER KIRCHE
Maria Voce
Präsidentin der Fokolar-Bewegung
Sehr gern habe ich die Einladung angenommen, an dieser Diskussion teilzunehmen. Das
Thema ist in der heutigen Zeit von besonderer Bedeutung: „Wie ist der wachsende Beitrag
anzuerkennen, den die Frau der Kirche geben kann und bereits gibt? Was ist ihre Rolle in
einer Institution, in der die Hierarchie ausschließlich männlich ist?“
Bevor ich praktisch auf dieses Thema eingehe, möchte ich auf eine wichtige Voraussetzung
hinweisen: die Rolle von Mann und Frau ist zu verstehen im Licht des göttlichen Plans für die
Menschheit.
„Gott schuf also den Menschen als sein Abbild“ (Gen 1,27). Die Menschen sind dazu gerufen,
an Seinem innersten Leben teilzuhaben und eine Gemeinschaft gegenseitiger Liebe zu leben
nach dem Vorbild Gottes, der Liebe ist und Dreifaltigkeit. Die Würde von Mann und Frau
gründet somit auf Gott den Schöpfer.
Hat die Frau keinen Zugang zu einer kirchlichen Karriere, so besitzt sie andererseits das
größte der Charismen, die Liebe. Sie spiegelt sich in Maria wider, dem Geschöpf, das die
Liebe auf hervorragende Weise verwirklicht hat. Wir werden darauf zurückkommen.
Nach dem Beitrag des Theologen Alphonse Borras möchte ich die Erfahrung der FokolarBewegung weitergeben, die von einer Frau gegründet wurde, Chiara Lubich.
Die Fokolar-Bewegung ist eine Bewegung mit einer christlichen Spiritualität und dem Ziel
der Einheit. Damit ist sie eine Antwort auf das letzte Gebet Jesu: „Alle sollen eins sein.“ Sie
ist stark gemeinschaftlich geprägt und gründet vor allem auf dem Gebot der gegenseitigen
Liebe als Basis und unverzichtbare Voraussetzung der Einheit. „Liebt einander wie ich euch
geliebt habe.“ Das ist in aller Kürze, was die Mitglieder der Fokolar-Bewegung beseelt. Diese
gegenseitige Liebe hat eine Bedingung, ein Maß: „wie ich euch geliebt habe.“ Jesus liebte bis
zum Tod am Kreuz. Auf die gleiche Weise sollte die gegenseitige Liebe den Punkt erreichen,
etwas von sich zu geben, kleine oder große Dinge. Das Maß der Liebe ist ohne Maß zu lieben.
Liebe darf nicht auf wenige Menschen beschränkt bleiben, sie muss sich an jeden richten, sich
öffnen für Dialoge – ökumenisch, interreligiös und mit Menschen ohne religiöse
Zugehörigkeit.
Hier einige wichtige Daten zur Entstehung und Entwicklung der Fokolar-Bewegung. Sie
entstand 1943 während des Zweiten Weltkriegs. Während Roger Schutz in Frankreich die
Gemeinschaft von Taizé gründete, begann Chiara Lubich in Trient (Italien) mit einigen
Freunden eine radikale Erfahrung im Leben des Evangeliums. Damals hätte sich niemand
ausmalen können, welche Zukunft dieses Abenteuer haben würde.
Die Bewegung entwickelte sich – wie viele andere Werke – in einem langen Prozess interner
und externer Reifung. Ihre neue Spiritualität und Organisation reiften gemeinsam.
Anfangs bestand sie aus einer Gruppe junger Frauen, die sich entschieden, ihr Leben für ein
Ideal einzusetzen, das keine Bombe zerstören könnte. Heute ist die Fokolar-Bewegung in 192
Ländern verbreitet, mit fast zwei Millionen Freunden und Förderern, meist Katholiken. Es
gibt Tausende von Christen aus 350 Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, viele Gläubige
anderer Religionen, darunter Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus und Sikhs… und auch
Menschen ohne religiöse Überzeugungen.
Sie alle haben verschiedene Formen der Zugehörigkeit. Es gibt Menschen, die sich mit
Gelübden festlegen und in Gemeinschaft in einem „Fokolar“ leben. Fokolar ist im
Italienischen die Feuerstelle. Es ist der Name, der in der Anfangszeit von der Umgebung
verwendet wurde, um die entstehende Gruppe zu bezeichnen.
Es gibt Männer- und Frauenfokolare, die jeweils in Gemeinschaft leben. Auch verheiratete
gehören zu diesen Fokolargemeinschaften, mit gleichen Rechten und Pflichten. Sie legen
allerdings keine Gelübde ab, sondern „Versprechen“.
Es gibt auch Menschen, die der Bewegung auf andere Weise angehören. Es sind die,
Freiwilligen, wie wir sie nennen, und die jungen Leute, die sich auf unterschiedliche Weise
binden gemäß ihrem Alter. Es gibt Priester, Seminaristen, Ordensmänner und Ordensfrauen
und sogar Bischöfe, die zur Fokolar-Bewegung gehören.
Es gibt verschiedene Formen eines übergreifenden Engagements. Es sind Aktivitäten, in
denen sich Mitglieder der Bewegung jenseits ihres spezifischen Weges einbringen:
Familienbewegung, Neue Gesellschaft, Jugend für eine geeinte Welt, Pfarrbewegung, etc.
Wie ist es möglich, dass all diese Menschen eine einzige Familie, eine einzige Bewegung
bilden? Wie fasst man sie zusammen? Die Fokolar-Bewegung legt mehr Wert auf das Leben
als auf die Strukturen, obwohl wir wissen, dass sie hilfreich sind. Wir betonen die Qualität der
Beziehungen – der gegenseitigen Liebe – gegenüber der unterstützenden Struktur. Dennoch
ist die Bewegung inzwischen eine internationale Organisation geworden mit dem Zentrum in
Rom, das sich auf ähnliche Weise in den verschiedenen Teilen der Welt wiederholt, wo die
Bewegung Fuß gefasst hat. Die zentrale Struktur, die von der Generalversammlung der
Bewegung gewählt wird, besteht aus je zwei Ko-Leitern – einem Mann und einer Frau – für
jede Realität der Bewegung. Sie bilden den Generalrat der Bewegung bzw. den Zonenrat auf
lokaler Ebene. Die Präsidentin steht an der Spitze der Bewegung, die sie gemeinsam mit dem
Ko-Präsidenten leitet, ihrem ersten und engsten Mitarbeiter.
Es gab mehrere Phasen seit der ersten diözesanen Anerkennung, die im Jahr 1947 stattfand,
bis zur päpstlichen Anerkennung der Statuten der Bewegung 1990.1 Ich will jetzt nicht dabei
verweilen, wie sich die Fokolar-Bewegung entwickelt und in der ganzen Welt verbreitet hat.
Ich möchte nur sagen, dass während all dieser Jahre die Kirche die Bewegung geprüft hat,
insbesondere in Bezug auf die Gegenwart einer Frau, Chiara Lubich, als Gründerin und
Präsidentin. Es gab viele Versuche, die Bewegung zu annektieren oder sie unter die Obhut der
kirchlichen Hierarchie zu stellen. Am Anfang schien es, dass die Leitung der Bewegung ein
Mann sein sollte, möglichst ein Priester. Chiara, zusammen mit der ganzen Bewegung,
weigerte sich immer instinktiv, dem zuzustimmen, obwohl sie einen unbedingten Gehorsam
gegenüber der Kirche in ihrem institutionellen Charakter zeigte. Chiara hatte größte Achtung
vor dem Satz des Evangeliums „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk 10,16), der die Autorität
der Hierarchie begründet. Es schien ihr jedoch, dass ein Mann bei der Führung dieses Werkes
dessen Wesen verändert hätte. Chiara wusste besser als irgendjemand anders, dass es ein
Werk Gottes war. Dies verdeutlicht, dass die Anerkennung der Frau in der Kirche eine Art
„Kampf“ erfordert, das heißt Treue sich selbst gegenüber, gegenüber dem eigenen Gewissen
und gegenüber dem Plan Gottes. Für Chiara hatte der „Kampf“ die Merkmale eines „OsterEreignisses“, d.h. von Tod und Auferstehung, in dem sich der Plan Gottes zeigte, Sein Wille
über die Rolle der Frau.
Dieser lange Reifungsprozess gipfelte in der erwähnten weiblichen Präsidentschaft.
Chiara Lubich, die sich immer eine Frau als Präsidentin der Fokolar-Bewegung gewünscht
hatte, sprach darüber mit Johannes Paul II. und fragte ihn, ob es möglich sei, diese Bedingung
in die allgemeinen Statuten aufzunehmen. Die Antwort des Papstes war eindeutig: „Ich würde
das für sehr gut halten“.2
Dieser weiblichen Präsidentschaft, die in den Statuten festgelegt ist, kommt sehr große
Bedeutung zu: sie weist auf die notwendige Unterscheidung zwischen der Macht der Leitung
und der Bedeutung des Charismas hin. Es unterstreicht, dass für die Leitung einer Bewegung
in erster Linie nicht so sehr die Qualitäten der Autorität oder der Organisation erforderlich
sind, sondern ein Charisma. Es ist eine Botschaft, die sich an die Kirche richtet, um den
Vorrang der Liebe zu unterstreichen, ein Vorrang, der nicht das Monopol der Frauen ist. Die
weibliche Präsidentschaft ist eine Neuheit in der Kirche und in den Kirchen und weist
innovative Richtungen auf: Es ist wichtiger zu lieben als organisieren zu können. Eine Frau
kann das genauso gut wie der Mann. Genauer gesagt: Die Frau hat aufgrund ihrer
Veranlagung zur Mutterschaft eine große Fähigkeit zur Liebe. Es ist eine intime und
physische Fähigkeit, die sie innerlich verstehen lässt, was andere erfahren, mitfühlen lässt,
was andere fühlen, wie nur eine Mutter es kann.
Das alles ist also keine Frage der Macht. Die eigentliche Macht liegt in der Beziehung der
gegenseitigen Liebe, die die Gegenwart von Jesus in unserer Mitte hervorbringt, wie es in der
Präambel unserer Statuten geschrieben steht: „Die gegenseitige und beständige Liebe, die die
Einheit und die Gegenwart Jesu in der Gemeinschaft ermöglicht, ist für die Angehörigen des
Werkes Mariens die Grundlage ihres Lebens in jedem seiner Aspekte: Sie ist die Norm aller
Normen, die Voraussetzung für jede andere Regel.“
Ich war mir dessen sehr wohl bewusst, als ich gewählt wurde, und es ist meine tägliche
Erfahrung als Präsidentin einer so umfassenden Bewegung. Es ist nicht einfach, von einer
Gründerin wie Chiara Lubich das Amt zu übernehmen. Aber sie hat uns ein Testament
hinterlassen: Jesus selbst, gegenwärtig unter denen, die in Seinem Namen versammelt sind.
Wie ich bereits kurz nach meiner Wahl erklärt habe, hatte ich keinen anderen Wunsch als
tiefe Beziehungen der Einheit mit allen Menschen der Bewegung aufzubauen, auf allen
Ebenen, inklusive der Leitungsebene, damit nicht ich es bin, die das Werk von Chiara
weiterführt, sondern damit es durch das Charisma geleitet wird, das sie uns gegeben hat.3
Wir sind uns bewusst, dass all dies nicht von selbst geht, denn unter den vorhandenen
Unterschieden gehört der zwischen Mann und Frau nicht zu den geringsten.
Schon die Tatsache, eine vollkommen paritätisch besetzte Leitung zu haben, auch auf lokaler
Ebene, ist nicht einfach. Aber wenn man etwas auf der Basis dieser Einheit aufbaut, bewirkt
es eine grundlegende Veränderung in der Beziehung von Mann und Frau.
Ich hatte die Gelegenheit, zu Mitgliedern der Bewegung über die Beziehung von Mann und
Frau zu sprechen. Ich wünschte mir, dass die Fokolarinnen (geweihte Frauen) sich bewusst
werden, dass es für einen Mann heroisch ist, nach Jahrhunderten der faktischen Bestätigung
seiner Autorität eine uneingeschränkte Gleichstellung mit der Frau anzuerkennen.
Wir wissen, dass wir noch am Anfang des Weges sind. Die Einheit zwischen Mann und Frau
ist immer in einem unsicheren Gleichgewicht.
Der eine muss immer neu den Wert des anderen entdecken. Beide sollten nicht vergessen,
dass die Verschiedenheit ein Reichtum ist und nicht müde werden, immer wieder den
Königsweg des Dialogs einzuschlagen. Die Bewegung will bezeugen, dass die
Menschheitsfamilie die Möglichkeit hat, „eins“ zu sein. Dazu muss sie notwendigerweise
Einheit voraussetzen, eine Einheit, die zuerst zwischen dem männlichen und der weiblichen
Verantwortlichen aufgebaut wird.
Die Fokolar-Bewegung wird auch „Werk Mariens“ genannt, denn es ist Marias spirituelle und
menschliche Aufgabe, der Welt Jesus zu geben.
Maria ist Beispiel und Modell für jeden Christen. Ihre Rolle, ihre spezifische Aufgabe besteht
darin, Jesus in sich aufzunehmen (bei der Verkündigung), ihn zur Welt zu bringen
(Weihnachten, die Geburt), ihn groß zu ziehen und für ihn zu sorgen (es sind die 30 Jahre
seines Lebens im Verborgenen), ihn der Welt bekannt zu machen (durch die Darstellung im
Tempel) und ihn gehen zu lassen, damit er seine Mission erfüllt (es ist die Episode, in der
Jesus verloren geht und dann von Maria und Josef wiedergefunden wird inmitten der
Gesetzeslehrer). Aber die Trennung hört dort nicht auf. Maria steht am Fuß des Kreuzes und
gibt ihren Sohn, damit die Welt das Leben hat. Sie ist auch zugegen bei der Geburt der
Kirche, als sie Jesus Christus gibt „eingesetzt als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung
von den Toten“ (Röm 1,4). Maria ist hier nicht diejenige, die befiehlt, sondern die umfasst.
Sie umfasst alle Mitglieder der Kirche, inklusive Petrus und der Apostel.
Aber Maria, „die Frau“, die zugleich die ganze Menschheit repräsentiert, ist nicht nur der
Prototyp der Frau, sondern auch des Mannes. Daher ist niemand, weder Mann noch Frau,
entbunden von der Pflicht zu lieben. Aber „lieben“ bedeutet, unseren Nächsten zu dienen wie
Jesus es gezeigt hat: „Wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“ (Mk 10,44).
Das ist der Weg, wie eine harmonische und tiefe Zusammenarbeit zwischen Männern und
Frauen auf der Basis einer gläubigen Gemeinschaft verwirklicht werden kann. Eine
Zusammenarbeit, die auf das Evangelium gründet, das Mann und Frau Modelle bietet, an
denen sie sich orientieren: Jesus und Maria.
Es ist nicht einfach zu beschreiben, wie und auf welche Weise unsere Bewegung als Modell
für andere dienen kann. Sicherlich sind die Fokolare mehr als ein einfaches Beispiel, wenn sie
die die Beziehung zwischen Männern und Frauen in Einheit leben. Sie sind ein Faktor der
Veränderung für die Kirche, in der sie ihr Engagement leben.
Ich weise darauf hin, dass die Erfahrung unserer Bewegung es Chiara Lubich ermöglichte,
verschiedenen kirchlichen Bewegungen und Vereinigungen ihre Unterstützung anzubieten bei
der Formulierung der Statuten im Hinblick auf die kirchliche Anerkennung.
Ich möchte noch Ihre Aufmerksamkeit auf einige Vorbedingungen der Beziehung von Mann
und Frau lenken. Vor allem scheint mir wichtig, dass man sich nicht in eine Beziehung von
Macht stellt, sondern eines Dienstes, eines gemeinschaftlichen Dienstes. Das ist einer der
Schlüssel für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Aber gleichzeitig muss man paradoxerweise
an der eigenen Identität festhalten und vorangehen, ohne Zustimmung oder Anerkennung zu
erwarten.
Wir müssen uns auch bewusst machen, dass jede kirchliche Struktur nicht für sich selbst
existiert, sondern für das Wohl der Menschheit, in die sie eingebunden ist. Wir dürfen uns
also nicht auf uns beschränken, sondern unseren Horizont erweitern, um zu sehen, wo wir
helfen und welches Zeugnis wir geben können.
Das sind in Kürze die Früchte unseres Lebens in der Fokolar-Bewegung. Ich bin mir bewusst,
dass es nicht erschöpfend war und ich stehe zur Verfügung, um auf ihre Fragen zu antworten
oder Präzisierungen zu geben, auf die sie mich gerne hinweisen.
Ich danke Ihnen.
1
Die Statuten wurden aktualisiert und 2007 anerkannt.
Während der Audienz am 23. September 1985 cf. Werk Mariens, Allgemeines Statut, Art. 98, Bem. 23.
3
Unsere Statuten bringen dies sehr treffend zum Ausdruck: „Die Präsidentin soll ständig bemüht sein, das Ideal
des Werkes zu verkörpern, indem sie die Rolle Marias als Mutter der Einheit widerspiegelt für die ihr
anvertrauten Personen sowie für alle, die auf irgendeine Weise berufen sind, diesem Werk anzugehören. Die
Präsidentin soll vor allem den Vorsitz der Liebe führen, denn sie soll die Erste in der Liebe sein, das heißt die
Erste im Dienst an ihren Schwestern und Brüdern, entsprechend dem Wort Jesu: „Wer bei euch der Erste sein
will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,44). Als Hüterin des Feuers in jeder Gemeinschaft des Werkes Mariens
soll die Präsidentin bereit sein, selbst ihr Leben hinzugeben, damit im Werk die Einheit niemals verloren geht.“
(Werk Mariens, Allgemeines Statut, Art. 82).
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