Die portugiesische Gitarre

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Die portugiesische Gitarre
World Of Strings
Von Adax Dörsam
Die portugiesische Gitarre
Vinho Verde, Fado, Bacalhau (Kabeljau-Küchlein) und die Nelkenrevolution – zum typisch
portugiesischen Flair gehört ebenso der Klang der „Guitarra Portuguesa“, der in Aussehen
und Klang einzigartigen portugiesischen Gitarre.
Bei der musikalischen Begleitung sticht im
Fado ein Instrument heraus: die portugiesische Gitarre. Höhenreich, kräftig und kristallklar spielt sie die Themen, Nebenmelodien
und Soli. Schon vom Aussehen fällt sie auf:
Fast wie eine zu groß geratene FlachbauchMandoline thront sie mit silbrig glänzendem
Stachelkopf bäuchlings auf dem Spieler. Für
Zupfinstrumente ungewöhnlich ist die starke
Rundung des Griffbretts. Das findet man sonst
eher bei Streichinstrumenten wie der Violine
Fotos: Dörsam
er Fado ist die eigenständigste und
urtümlichste Musik Portugals. Bei
ihm geht es nicht um die Show, sondern um Inhalt! Denn wie beim amerikanischen Blues erzählen hier die Sänger
und Sängerinnen – zumeist tief in sich versunken, die Männer oft mit den Händen in den
Hosentaschen – wunderbar inbrünstig singend
lange Geschichten aus ihrem bewegten Leben.
Wer wissen will, was das portugiesische Volk
wirklich denkt, sollte sich die Texte des Fado
zu Gemüte führen.
Portugiesische Gitarre
auch das Sekund-Intervall sind vertreten! Von
tief nach hoch wird die portugiesische Gitarre folgendermaßen gestimmt: c/C (hohes c/
eine Oktave tieferes C), g’/g (hohes g’/eine
Oktave tieferes g), a’/a (hohes a’/eine Oktave
tieferes a), d/d (beide gleich hoch)
g’/g’ (beide gleich hoch) a’/a’ (beide gleich hoch). Da kann man alle
gewohnten Akkord-Griffmuster erst
mal vergessen! Diese auf C basierende Stimmung wird Coimbra-Tuning
genannt. Die gleiche Stimmung,
ausgehend von D, nennt sich LisboaTuning.
Das Instrument ist wahrscheinlich
ursprünglich verwandt mit der Cister.
Diese ist außer der portugiesischen
Gitarre das einzige Zupfinstrument,
das nur mit Feinstimmern gestimmt
wird. Im 19. Jahrhundert war die
Verzierungen am Schallloch
Kopfplatte mit Feinstimmern Entwicklung der portugiesischen Gitarre in ihrer heute noch gebräuchoder dem Cello. Die portugiesische Gitarre
lichen Form abgeschlossen. Ihr Klang ist ähnhat, wie eine 12-String, sechs eng beieinander
lich der einer Zither, brillant und kristallklar.
liegende Doppelsaiten aus Stahl. Diese werden
Dazu kommt die einer Mandoline ähnelnde
Durchsetzungskraft im Single-Note-Spiel. Ein
passgenau gefertigt und nur mittels Feinstimtoller Sound für Solisten!
mer am Kopfende der Gitarre gestimmt. Man
schlägt die Saiten mit einem ganz normalen
Plektrum an; es gibt aber auch Fingerzupfer
Begleit-CD: Track 51
unter den Spielern.
Für Verblüffung sorgt die ungewöhnliche
Stimmung: Sowohl das Quint-, das Quart- als
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A K U S TI K GIT A RR E 3 / 1 0
Zur portugiesischen Gitarre gibt es ein
Tonbeispiel auf unserer Begleit-CD,
eingespielt von Adax Dörsam.
Die Decke ist in der Regel aus Fichtenholz,
Boden und Zargen aus Palisander, der Hals
aus Mahagoni und das Griffbrett aus Ebenholz gefertigt. Die Mensur des etwas größeren Lisboa-Modells beträgt 44 cm, die des
Coimbra-Modells 47 cm. Das hier abgebildete
Instrument liegt mit einer Mensur von 45,5
cm zwischen den beiden Urformen und wurde
oft im Studio und Live eingesetzt, etwa bei
der Xavier-Naidoo-Tournee 2009 oder auch bei
dessen MTV-unplugged-Gig in Schwetzingen
2008. Als ich im August 1996 bei einem Urlaub
in Lissabon eine portugiesische Gitarre kaufen
wollte, erfuhr ich, dass für ein Instrument von
einem guten Gitarrenbauer drei bis fünf Jahre Wartezeit keine Seltenheit sind. So lange
wollte ich nicht darben und fand nach tagelangem Suchen in den abgelegenen Winkeln
der Stadt nach vielen schlechten Exemplaren
endlich ein gutes Instrument. Allerdings hatte
ich vom Stimmen mit schwer gängigen Feinstimmern Blasen an den Fingern!
Ich wünsche mir, dieses herrliche Instrument
würde in Zukunft mehr Verbreitung finden. Hörempfehlungen: Der virtuose Carlos Paredes,
der in der sogenannten „Nelkenrevolution“ am
25. April 1974 eine große Rolle spielte. Sein
Vater Artur Paredes war schon ein bekannter
Virtuose, ebenso wie Pedro Caldeira Cabral. Die
fantastische Sängerin Cristina Branco wiederum hat in ihrer Band mit Custòdio Castelo einen absoluten Könner an der portugiesischen
Gitarre und sorgt für frischen Wind in
der Fado-Szene.

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