Interview vom 05.09.2015

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Interview vom 05.09.2015
KU LT U R
S a m s t a g , 5 . S e p t e m b e r 2 0 1 5 – N r. 2 0 4
Die Welt von
orthodoxen
Juden
Ein feinfühliges Buch
WÜRZBURG (ani)
Die 19-jährige
Chani und der 20-jährige Baruch
heiraten. Aber eigentlich kennen sie
sich kaum. Sie haben sich erst dreimal gesehen, bevor er ihr einen Antrag gemacht – und sie angenommen
hat.
Chani und Baruch sind orthodoxe
Juden. Sie wohnen im London des
21. Jahrhunderts, doch ihr Leben
unterscheidet sich stark von dem anderer Jugendlicher. Chani trägt auch
im Sommer hochgeschlossene Kleidung und blickdichte Strumpfhosen. Ihr Vater ist Rabbi, ihre Mutter
hat acht Töchter zur Welt gebracht
und ist den ganzen Tag nur mit Kochen und dem Haushalt beschäftigt.
Ein Leben, dass auch Chani bald führen soll – wenn sie denn endlich
einen Gatten findet.
Doch Chani ist nicht leicht an den
Mann zu bringen: Sie ist zwar
hübsch und klug, gilt aber auch als
aufmüpfig und wählerisch – und
stammt aus einer armen Familie.
Nicht unbedingt
die besten Voraussetzungen,
um in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde
eine gute Partie
zu
machen.
Doch dann sieht
Baruch sie – und
verliebt sich. Seine Eltern sind
von seiner Wahl
alles andere als
begeistert. Doch Baruch schafft es,
seinen Willen durchzusetzen – und
sich zum ersten Mal in seinem Leben
ein Stückchen Freiheit zu erkämpfen. Aber wie geht es weiter? Können
zwei Fremde wirklich miteinander
glücklich werden?
Eve Harris hat jahrelang an katholischen und jüdisch-orthodoxen
Mädchenschulen in London gearbeitet. „Die Hochzeit der Chani
Kaufman“ ist ihr erster Roman. Darin nimmt sie ihre Leserschaft mit in
eine Welt, die den meisten Menschen völlig fremd ist: das Leben in
einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde. Sie beschreibt sehr genau und
einfühlsam, welche Werte man dort
teilt, was wichtig ist und mit welchen Problemen die Menschen zu
kämpfen haben.
Ihre Romanfiguren sind keine Rebellen, die alles infrage stellen und
alte Traditionen über Bord werfen,
sondern Menschen, die glauben,
zweifeln und manchmal auch verzweifeln – und die es schaffen, sich
in ihrem strengen Alltag kleine Freiheiten zu schaffen. Ein ungewöhnlich feinfühliges und kluges Buch.
Eve Harris: Die Hochzeit der Chani
Kaufman (Diogenes, 464 S., 16 Euro)
Das Denkmal des
Andrea Camilleri
Autor wird 90 Jahre alt
ROM (dpa) Mit dem liebenswerten,
etwas spröden Kommissar Salvo
Montalbano hat sich Andrea Camilleri sein eigenes Denkmal geschaffen. „Er wird erst ein Ende finden,
wenn auch ich aufhöre“, sagte der
Autor über seine berühmte Romanfigur. Erst mit fast 70 gelang dem Sizilianer mit seinen Montalbano-Krimis der Durchbruch, mehr als 20 Bücher rund um den kauzigen Kommissar hat Camilleri seitdem geschrieben. An diesem Sonntag,
6. September, feiert der Autor seinen
90. Geburtstag.
Camilleri gilt längst auch als kritische Stimme Italiens, vor allem die
distanzierte Betrachtung der Probleme der Gesellschaft des Landes in
seinen Romanen fällt auf. Mehr als
30 Millionen Exemplare wurden in
aller Welt verkauft.
Die Figur des Commissario Montalbano ähnelt Camilleris Vater, der
fiktive Schauplatz Vigàta in Sizilien
seinem Heimatort Porto Empedocle,
einer süditalienischen Küstenstadt.
Während seines Philosophie-Studiums veröffentlichte er erste Erzählungen und Gedichte. Später arbeitete er vor allem als Theaterregisseur,
TV-Produzent und Drehbuchautor,
war an zahlreichen Krimi-Serien für
das italienische Fernsehen beteiligt.
SWT
WUES - Seite 6
Eine 19-Jährige singt Fragen
Schweinfurter Nachsommer: Mit Ami Warning eröffnet eine trotz ihrer gerade mal 19 Jahre schon
erstaunlich reife Sängerin und Liedschreiberin das Festival. Im Interview erzählt sie auch von ihrem Vater Wally.
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I
Das Gespräch führte
MATHIAS WIEDEMANN
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hr Vorname wird mit normalem, sozusagen deutschem A ausgesprochen,
nicht etwa englisch wie der von Amy
Winehouse. Ami kommt von Amira.
Ami Warning, 19, Singer-Songwriterin aus
München, eröffnet am 11. September den
Schweinfurter Nachsommer. Als Tochter des
Münchner Reggae-Musikers Wally Warning
ist sie schon im Mutterbauch mit Musik aufgewachsen, wie sie mal in einem Interview
gesagt hat. Sie tritt immer noch viel zusammen mit ihrem Vater auf, hat aber als Musikerin längst ihren eigenen Weg eingeschlagen.
Ihre Songs bauen mit sehr sicher eingesetzten, bewusst schlichten musikalischen Mitteln sehr intensive Stimmungen auf. Ami
Warning stellt singend die einfachsten Fragen, die am schwierigsten zu beantworten
sind: Wer bin ich? Wie finde ich meinen
Weg? Was ist im Leben wichtig?
FRAGE: Die Zeitung „Die Welt“ hat im Januar
geschrieben „Das wird ihr Jahr“ – also Ami Warnings Jahr. Wie ist es bisher?
AMI WARNING: Gut. Ich kann mich nicht beklagen. Gerade sind wir dabei, die ersten
Songs für die neue CD aufzunehmen.
Es gibt eine Textzeile bei Ihnen, die lautet „Got to
be myself all the Time“ – ich muss immer ich
selbst sein. Könnte das Motto Ihrer Arbeit sein,
oder?
WARNING: Ja, das versuche ich – mir selber
treu zu bleiben. Und auch in meinen Texten
möglichst viel von mir selbst einzubauen.
Wie kriegt man raus, wer man überhaupt ist?
Wenn man durchs Leben geht, wenn man Lieder
schreibt?
WARNING: Bei den Liedern ist es so, dass ich
Dinge aufschreibe, die mich berühren, die
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„Wer bin ich, welchen Weg
soll ich gehen? Soll ich auf mein
Herz hören oder auf den Kopf ?“
Ami Warning
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mich bewegen. Egal, ob das jetzt was Trauriges ist oder eine Botschaft, die ich für wichtig
halte. Die Texte sind einfach ich.
Klingt nach einem einfachen Konzept.
WARNING: (lacht) Ja, das ist es auch.
Man liest permanent, dass Sie schon „bemerkenswert reif“ sind für Ihr Alter. Geht einem das irgendwann auf die Nerven?
WARNING: Nö – das ist ja ein Kompliment. So
was finde ich nett, wenn das Leute meinen.
Sie haben zu „Follow“ ein Video in Ihrem Badezimmer gemacht. Sie stehen den ganzen Song vor
dem Spiegel und durchleben unterschiedlichste,
teils extreme Emotionen. Als ich das zum ersten
Mal gesehen habe, bin ich richtig erschrocken. Es
hat etwas Verstörendes in seiner Radikalität. Was
haben Sie für ein Verhältnis zu dem Video?
WARNING: Ich hatte spontan die Idee und
fand, dass die gut zu dem Song gepasst hat –
zur Suche nach sich selbst. Man sieht sich im
Spiegel und fragt sich verzweifelt: Wer bin
ich, welchen Weg soll ich gehen? Soll ich auf
mein Herz hören oder auf den Kopf? Das
wollte ich ausdrücken, und da kam die Idee
mit dem Spiegel.
Sie thematisieren oft eine Zerrissenheit, auch
beim Thema Beziehungen. „You’re a Blessing
and a Curse“ – du bist ein Segen und ein Fluch.
Empfinden Sie sich selbst als zerrissen?
WARNING: Eigentlich nicht. Es gibt immer
wieder Lebenssituationen, in denen es eine
Zerrissenheit gibt. In denen Entscheidungen
zu treffen sind, bei denen man im Zwiespalt
ist. Aber ich würde mich nicht als zerrissene
Person bezeichnen. Das Thema ist stark, und
deswegen baue ich es immer wieder gerne in
Songs ein. Ich mache eher Songs aus traurigen Gefühlen heraus. Da fällt mir einfach
mehr ein.
Das gilt wahrscheinlich für die meisten Songs
überhaupt. Der Anstoß ist einfach stärker. Worüber sollte man auch schreiben, wenn man zufrieden auf dem Sofa liegt?
WARNING: (lacht) Genau so ist es.
Es gibt ein Video von 2012 zu „Waiting“. Da
haben Sie damals drunter geschrieben „Ein
selbstgeschriebenes Lied, freue mich über Rückmeldungen“. Das ist jetzt drei Jahre her – inzwischen hat sich einiges getan.
WARNING: Es ist wahnsinnig viel passiert, das
stimmt. Die erste CD, die erste richtige Tour,
viele Reisen, neue Erfahrungen.
Alles gute Erfahrungen oder auch schlechte?
Ami Warning: „Es ist schwierig, mich auf eine Richtung festzulegen.“
WARNING: Vor allem gute. Aber beim Schrei-
jetzt ein Mix aus verschiedenen Sachen ist.
Ruhige, gefühlvolle Stücke mit Gitarre. Jetzt
gerade nehmen wir eins auf, das tanzbar und
fast ein bisschen karibisch ist. Es ist schwierig,
mich auf eine Richtung festzulegen. Ich
schreibe einfach die Lieder und nehme sie
auf, und dann kommt ein buntes Gemisch
dabei raus.
Die Aufmerksamkeit ist enorm gewachsen, es
kommen wieder Vergleiche, etwa mit Tracy
Chapman. Haben Sie das Gefühl, Sie müssen vermeiden, wie dieses oder jenes Vorbild zu klingen?
WARNING: Ich habe schon das Gefühl, dass
ich genug Eigenes in mir habe. Der Mensch
sucht oft nach irgendwas, das er schon kennt,
mit dem er es vergleichen kann. Ich glaube,
das ist bei vielen Leuten so: Man sagt sich, ah,
das klingt jetzt wie dies oder wie das. Ich mache meine Sachen und lasse die Leute dann
selbst entscheiden, nach was es für sie klingt.
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ben hatte ich früher nicht im Hinterkopf,
dass das für eine CD ist. Ich hab’s einfach gemacht. Dadurch, dass ich jetzt weiß, dass ich
ein neues Album mache und wieder auf Tour
gehe, spüre ich einen ganz leichten Druck.
Das ist wahrscheinlich normal, wenn man
das als Beruf machen will.
Wie wird denn die zweite CD klingen im Vergleich zur ersten?
WARNING: Wir haben nun die ersten Lieder
aufgenommen, und ich finde, dass es schon
„Ich mag es gern,
wenn es intim klingt.“
Ami Warning
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Es gibt ein witziges Interview, in dem Ihr Vater
sagt, dass er immer am liebsten mehr Sound und
opulentere Produktion hätte, und dass Sie dann
immer sagen, Sie wollen weniger und einfacheren
Sound. Bleiben Sie dabei?
WARNING: Da bleibe ich dabei. Ich glaube, so
was ändert sich auch nicht so schnell. Ich
mag es gern, wenn es intim klingt. Klein, einfach und nicht so bombastisch.
FOTO: KONRAD FESTERER
Sie werden immer wieder auf Ihre Stimme angesprochen. Ich war auch super gespannt, wie Sie
sich anhören, wenn Sie ans Telefon gehen. Es ist
unheimlich schwer, zusammenzubringen, wie Sie
singen und wie Sie sprechen – das eine sehr dunkel, das andere viel heller. Haben Sie mal ausprobiert, was für einen Tonumfang Sie in Ihrer Stimme haben?
WARNING: Meine Chorlehrerin in der Schule
hat das mal getestet, aber ich weiß es jetzt,
ehrlich gesagt, gar nicht mehr.
Ziemlich groß, oder?
WARNING: Ja. Es geht ziemlich tief jedenfalls.
Und es scheint, als fühlten Sie sich beim Singen
auch in der Tiefe am wohlsten.
WARNING: Doch. Höhe wäre mal eine Möglichkeit, aber zu Hause fühle ich mich schon
in der Tiefe.
Karten für das Konzert von Ami Warning am
Freitag, 11. September, 19.30 Uhr, in SKF-Halle
410 und alle anderen Nachsommer-Termine
unter ü (09 31) 60 01 60 00, Infos im Internet
unter www.nachsommer.de

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