Untersuchungsmethoden zum Nachweis des

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Untersuchungsmethoden zum Nachweis des
DIAGNOSTIK + THERAPIE
Untersuchungsmethoden zum Nachweis
des vorzeitigen Blasensprungs
Frank C.-K. Chen, Joachim W. Dudenhausen
In etwa jeder zehnten Schwangerschaft kommt es zum vorzeitigen Blasensprung. In neun von zehn Fällen kann durch die
Klinik eine eindeutige Diagnose gestellt werden. In den übrigen Fällen ist der sichere Nachweis des vorzeitigen Blasensprungs notwendig, um richtig über das weitere Vorgehen entscheiden zu können. Was leisten hier die biochemischen
Schnelltests?
Ein vorzeitiger Blasensprung tritt in
etwa 7–14% aller Schwangerschaften
auf, bei 1–2% vor der vollendeten 37.
SSW (1). Der klinische Nachweis von
Fruchtwasserabgang gelingt in etwa
90% aller Fälle. Für die verbleibenden ist eine diagnostische Methode,
die zur Sicherung der Diagnose „vorzeitiger Blasensprung“ führt, unerlässlich, da eine solche vor allem in
frühen Schwangerschaftswochen mit
umfangreichen therapeutischen Konsequenzen einhergeht (indizierter Abort vor 20 vollendeten SSW, Antibiotika-Therapie, Lungenreifeinduktion,
i.v.-Tokolyse, Verlegung in ein Perinatalzentrum vor 34 vollendeten SSW,
Geburtseinleitung in Terminnähe; 2).
Bleibt der vorzeitige Blasensprung
unentdeckt, besteht die Gefahr, dass
sich ein Amnioninfektionssyndrom
entwickelt.
Als diagnostischer „Goldstandard“ gilt
die Instillation einer IndigokarminLösung in die Amnionhöhle im Rahmen einer Amniozentese und der anschließende Nachweis des Farbstoffs
von vaginal. Wegen ihrer Invasivität
verbietet sich jedoch der routinemäßige Einsatz dieser Methode.
Klinisch einsetzbare Nachweismethoden müssen also folgenden Anforderungen gerecht werden: Sie sollten als Bedside-Test mit schneller und
wenig invasiver Ergebnisfindung dienen können, dabei das Fruchtwasser
von anderen Körperflüssigkeiten (Blut,
Sperma, Scheidensekret, Zervixsekret)
eindeutig unterscheiden (hohe Spe-
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zifität) sowie den sicheren Nachweis
eines stattgehabten Blasensprungs
auch bei kleinen Fruchtwassermengen (hohe Sensitivität) liefern können (s. Kasten).
Für den klinischen Nachweis ist in
einigen Fällen eine Spekulum-Untersuchung notwendig. Als Untersuchungsmethode ist die Sensitivität
eingeschränkt bei Mikroläsionen der
Fruchtblase oder einzeitigem Blasensprung ohne weiteren Fruchtwasserabgang und die Spezifität bei entzündlich bedingter Hypersekretion
von Vaginalsekret wie bei Zervizitis.
Auch die transabdominale Sonographie ist nur ergänzend hilfreich und
wäre falsch positiv bei perfusionsbedingtem Oligohydramnion oder bei
der Darstellung einer normalen Fruchtwassermenge, falsch negativ beim Ab-
gang nur kleiner Fruchtwassermengen.
Bestimmung des pH-Werts
Eine schon seit etwa 75 Jahren angewandte Methode in der Diagnostik
des vorzeitigen Blasensprungs macht
sich zunutze, dass Fruchtwasserabgang zu einer Alkalisierung des Scheidenmilieus führt, dessen pH-Wert ansonsten durch die vaginale Standortflora bei 3,5–4,5 liegt. Vorteile der
pH-Bestimmung sind die geringen
Kosten und die einfache Anwendbarkeit. Falsch positive Befunde sind jedoch häufig, da pH-Veränderungen in
der Scheide auch durch vaginale Infektionen, Geschlechtsverkehr oder
Kontamination durch Urin verursacht
werden können, sodass dieser Test
zwar einen Hinweis auf einen vorzeitigen Blasensprung geben, aber diese Diagnose nicht sichern kann. Bei
richtiger Anwendung, d.h. pH-Testung
der Vaginalflüssigkeit aus dem hinteren Scheidengewölbe über das hintere Spekulum, kann aber ein Blasensprung relativ sicher ausgeschlossen werden (hoher negativ prädiktiver Wert).
Der ideale Test sollte …
Farnkraut-Test
n den Abgang auch kleiner Mengen
Fruchtwassers nachweisen
(Sensitivität),
n Fruchtwasser sicher von anderen
physiologischen Flüssigkeiten
(Blut, Samenflüssigkeit, Zervixsekret) unterscheiden (Spezifität),
n mit einem für die Patientin und
den Arzt vertretbaren Aufwand
(Spekulum-Einstellung, vaginale
Untersuchung)
n und möglichst schnell zu einem
Ergebnis führen (Bedside-Test).
Ein weiterer Test basiert auf der Tatsache, dass auf einem Objektträger
ausgestrichenes und getrocknetes
Fruchtwasser zu einem mikroskopisch
sichtbaren farnkrautartigen Muster
kristallisiert (3). Sobald das Fruchtwasser jedoch durch Beimengungen
von Urin, Sperma, Mekonium oder
Blut verunreinigt ist, lässt sich das
typische Muster nicht mehr nachweisen, wodurch es zu einer hohen Rate an falsch negativen Befunden
kommt. Falsch positive Befunde kommen durch Kristallisation des Zervixschleims zustande, z.B. bei Nicht-
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Schwangeren in der proliferativen
Phase des Zyklus, sind aber selten.
So erfordert dieser Test ein gewisses
Know-how und ist leicht störanfällig.
Bei nachgewiesenem Farnkraut-Phänomen kann jedoch ziemlich sicher
von einem stattgehabten Blasensprung ausgegangen werden (hoher
positiv prädiktiver Wert).
Proteine im Fruchtwasser
Diese Unsicherheiten bei den erwähnten klinischen Tests führten zur
Entwicklung von biochemischen
Schnelltests auf im Fruchtwasser enthaltene lösliche Proteine. Für vier Proteine wurden Abstrichtests entwickelt:
a-Fetoprotein, fetales Fibronectin,
Insulin-like Growth Factor Binding
Protein-1 und plazentares a-Mikroglobulin-1. Da zu den ersten beiden
keine Schnelltests auf Fruchtwasser
mehr verfügbar sind, sollen diese nur
anekdotisch erwähnt werden.
n a-Fetoprotein
Das a-Fetoprotein wird von den fetalen Nieren sezerniert und ist im
Fruchtwasser in Konzentrationen vorhanden, die um das 10-Fache höher
liegen als im mütterlichen Serum,
sodass Kishida et al. einen Abstrichtest entwickelten (4). Physiologisch
schwankende Konzentrationen im
Fruchtwasser im Schwangerschaftsverlauf sowie der geringe Konzentrationsunterschied zum mütterlichen
Serum standen der Etablierung eines
klinischen Schnelltests entgegen.
n Fetales Fibronektin (fFN)
Das fetale Fibronektin wird durch den
Embryo bzw. den Feten produziert,
sodass es während aller Schwangerschaftsphasen im Fruchtwasser nachzuweisen ist. Dies machte sich der
klinische Schnelltest ROMCheck, ein
Membran-Immunoassay, zunutze (Fa.
Adeza; 5). Allerdings wird das fetale
Fibronektin auch freigesetzt bei einer beginnenden Desintegration des
Chorions von der mütterlichen Dezidua, zu der es durch mechanische oder
proteolytische Veränderungen der chorioamnialen Grenzschicht, z.B. bei
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Wehentätigkeit oder aszendierenden
Infektionen, kommen kann. In solchen Fällen muss mit falsch positiven Resultaten gerechnet werden, sodass sich die Bestimmung des fetalen Fibronektins eher als Marker für
eine drohende Frühgeburt eignet denn
als Marker für den vorzeitigen Blasensprung. Ein entsprechender
Schnelltest ist in Deutschland auch
verfügbar (QuikCheck fFN, Biomar
GmbH, Marburg).
n Insulin-like Growth Factor
Binding Protein-1 (IGFBP-1)
IGFBP-1 wird in der fetalen Leber und
der mütterlichen Dezidua produziert
und ist identisch mit Plazentaprotein12 (6). Es bindet spezifisch Insulinlike Growth Factors, die eine wichtige Rolle beim Wachstum des Feten
und der Plazenta spielen (7). Zwischen der 11. und 16. SSW kommt es
zu einem Anstieg im Fruchtwasser um
den Faktor 4.000–5.000; danach fällt
das IGFBP-1 bis zum Termin leicht ab
(8). Die Konzentrationen im mütterlichen Serum liegen mit 58–600 µg/l
um das 100–1.000-Fache unterhalb
der Spiegel im Fruchtwasser (9).
Der auf dem Markt erhältliche Schnelltest actim PROM, entwickelt von der
Firma Medix Biochemica (Kauniainen,
Finnland, Vertrieb durch Alere GmbH,
Köln) besteht aus einem Abstrichtupfer und einem nach dem Prinzip
der gängigen Schwangerschaftsschnelltests funktionierenden immunochromatographischen Assay. Nach
dem Abstrich wird der Tupfer in ein
Röhrchen mit Probenpuffer gegeben,
in das das Teststäbchen eingetaucht
wird. Mithilfe von monoklonalen Detektionsantikörpern, die selektiv an
IGFBP-1 binden, und sogenannten
Fang-Antikörpern, die den Komplex
entlang einer definierten Linie binden, wird ein positives Ergebnis durch
eine blaue Indikatorlinie sichtbar gemacht. Ab einer Konzentration von
etwa 25 µg/l ist diese erkennbar. Der
korrekte Ablauf des Tests wird durch
eine Kontrollbande angezeigt (s.
Abb. 1), sodass zwei blaue Linien für
einen positiven Test sprechen.
Der Nachweis von IGFBP-1 hat sich
in verschiedenen klinischen Studien
(10–12) als valider Test für den vorzeitigen Blasensprung erwiesen mit
Sensitivitäten von 74–100% und Spezifitäten von über 83–95%, da auch
Verunreinigungen mit Blut oder Sperma das Testergebnis nicht verfälschen.
n Plazentares a-Mikroglobulin-1
(PAMG-1)
PAMG-1 wurde 1975 erstmals im
Fruchtwasser entdeckt (13). Seine
Konzentrationen im Fruchtwasser
schwanken zwischen 2.000 und
25.000 ng/ml, wobei die Abhängigkeit von der Schwangerschaftsdauer
bisher nicht untersucht wurde. Der
Nachweis von PAMG-1 erfolgt im Rahmen eines Schnelltests (AmniSURE,
über AmniSURE GmbH, Wetzlar) nach
dem gleichen Prinzip, das sich auch
actim PROM zunutze macht, jedoch
mit drei monoklonalen Antikörpern.
Die Nachweisgrenze ist laut Herstellerangaben so niedrig, dass schon sehr
geringe Mengen an Fruchtwasser (0,2
bis 2,5 µl in 1 ml Vaginalsekret resultierend in 5 ng/ml in der Probenlösung) zu einem positiven Ergebnis
führen sollen. Die klinische Handhabung entspricht der beim actim PROM,
wobei ein positives Testergebnis durch
Abb. 1: actim PROM
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zwei rote Linien und ein negatives
durch eine rote Linie angezeigt wird
(s. Abb. 2). Laut Herstellerangaben
ist dabei keine Spekulum-Untersuchung notwendig. In zwei Studien zur
Validität von AmniSURE wurden mit
dem Test Sensitivitäten von 98–99%
und Spezifitäten von 88–100% erreicht (14, 15).
Klinischer Einsatz
Wenn man von etwa 5–10% fraglichen
Fällen ausgeht, so kann nach unseren
eigenen und den Daten anderer Studien nur in etwa der Hälfte dieser Fälle die Diagnose eines vorzeitigen Blasensprunges sicher gestellt werden.
Für die verbleibenden Fälle sollte dann
ein auf einem biochemischen Proteinnachweis basierender Schnelltest
durchgeführt werden.
Um die Sensitivität der beiden in
Deutschland erhältlichen Schnelltests
actim PROM und AmniSURE zu vergleichen, führten wir eine Studie
durch, in der wir anhand klinisch gewonnenen Fruchtwassers bei 20 Frauen mit geplanten primären Kaiserschnitten und 20 Frauen mit klinisch
sicherem Blasensprung die Fruchtwasserproben verdünnten und untersuchten, bis zu welchem Verdünnungsgrad actim PROM und AmniSURE
Fruchtwasser noch zu detektieren ver-
mochten. Dabei zeigte sich der AmniSURE in 75% (15/20 bzw. 16/20) der
Fälle um mindestens eine Verdünnungsstufe überlegen in der Detektion kleinster Fruchtwassermengen (16).
Auch in einer noch laufenden prospektiven klinischen Studie an bislang 60 Schwangeren mit Verdacht
auf einen vorzeitigen Blasensprung
zeigte sich der AmniSURE mit einer
Sensitivität von über 95% gegenüber
etwa 80% beim actim PROM diesem
überlegen. Im Allgemeinen kann aus
diesen noch unveröffentlichten Daten für beide Tests gesagt werden,
dass, wenn kein Blasensprung vorliegt, dieser sicher ausgeschlossen
werden kann (Spezifität von jeweils
100%). Liegt ein okkulter Blasensprung vor mit Mikroläsion der Fruchtblase und nur einmaligem Abgang von
Fruchtwasser oder Abgang von nur
minimalen Mengen, so muss beim
AmniSURE in etwa jedem 20. Fall damit gerechnet werden, dass ein Test
falsch negativ ist und somit der vorzeitige Blasensprung nicht erkannt
wird, während dies beim actim PROM
in jedem 5.–6. Fall zutrifft.
In den wenigen klinisch fraglichen
Fällen sind die verfügbaren Schnelltests sicher in der Diagnostik, dabei
der AmniSURE etwas besser als der
actim PROM.
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Für die Autoren
Dr. med.
Frank C.-K. Chen
Klinik für Geburtsmedizin
Charité – Universitätsmedizin
Berlin
Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
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