Den Tod zeigen Neue deutsche Farbenlehre Die letzte wahre Diva

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Den Tod zeigen Neue deutsche Farbenlehre Die letzte wahre Diva
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Tages-Anzeiger – Dienstag, 13. Oktober 2009
Analyse
Joan Collins Der «Denver Clan» machte sie berühmt; jetzt hübscht sie für einen TV-Sender Frauen auf. Von Bettina Weber
Die letzte wahre Diva
Sie sei, schrieb sie einst über sich selbst,
als Kind so hinreissend hübsch gewesen, dass ihre Mutter ein Schildchen
mit der Aufschrift: «Bitte küssen Sie
mich nicht» an den Kinderwagen habe
kleben müssen. So ein Kind, das versteht sich von selbst, gehört ins Showbusiness. Und da ging sie dann auch
hin, Joan Collins, wo sie mit ihrer Rolle
als Alexis Carrington in der Seifenoper «Denver Clan» Fernsehgeschichte
schreiben sollte.
Keine andere war so eiskalt und
gleichzeitig so verrucht, keine benutzte die Insignien der Achtziger –
eckige Schulterpolster und exzessives Make-up – derart effektiv wie sie:
nämlich als Waffen. Aaron Spelling,
der Produzent von «Denver Clan», sagte
über sie: «Niemand ausser Joan hätte
diese Rolle spielen können. Joan war
Alexis.» Die Rolle machte sie zur
bestbezahlten Fernseh-Schauspielerin
jener Zeit, brachte ihr einen Golden
Globe Award und sechs Nominierungen
dafür ein.
Mittlerweile ist Collins 76 und hat
eine neue Aufgabe: Heute Abend
wird sie auf dem britischen Sender ITV1
das Erscheinungsbild von drei
Frauen optimieren. «Joan Collins does
Glamour» heisst die Sendung folgerichtig; die weiblichen Mitglieder der
Familie Littlefair aus Plymouth wird
sie mit modischen und schminktechnischen Tricks und Tipps verhübschen, auf dass Grossmutter Eileen,
Mutter Mary und Teenager-Tochter
Holli selbst fernab eines roten Teppichs
ein wenig Glamour versprühen.
«Smarten them up» nennt Collins das,
und die nötige Kompetenz soll ihr
niemand absprechen.
Collins, zum fünften Mal verheiratet,
selbstverständlich mit einem 32
Jahre jüngeren Mann, mit einem Gleichaltrigen mag sie sich nicht abgeben,
ist ja noch äusserst munter. Nicht nur
das, sie sieht auch nicht viel älter aus
als damals: Stets perfekt geschminkt
und frisiert und gekleidet, zwar immer ein winziger Hauch zu viel von allem, aber immer ganz die Diva; noch
nie hat jemand Collins in flachen Schuhen gesehen. Das, findet sie, sei sie
der Öffentlichkeit schuldig. Sie ist ein
Star von altem Schrot und Korn, von
ihr gibt es keine Bilder, die sie mit strähnigem Haar und ohne Make-up zeigen, und nie wird sie zulassen, dass es
solche geben wird. Es ist ihr ohnehin
ein Graus, dieses Jeans-TurnschuhT-Shirt-Ding, das sie überall auf den
Strassen sieht. Dass die Frauen nicht
mehr aus sich machen, so unelegant
und unweiblich daherkommen. Dabei,
sagt sie, könne jede gut aussehen, es
brauche gar nicht viel Aufwand und
man fühle sich doch gleich viel besser. Collins wäre indes nicht Collins,
wenn da nicht noch der knochentrockene Nachsatz wäre: «Nun, das Ganze
verkompliziert sich natürlich ein wenig, wenn Sie übergewichtig sind.»
Sie ist nicht nur eine der letzten wirklich glamourösen Ikonen der Achtziger, die Frau verfügt auch über eine
Menge britischen Humor und genauso viel Selbstironie, zudem ist sie
klug. Sie ist nicht daran zerbrochen,
dass sie ihren beruflichen Höhepunkt
nach dem Ende von «Denver Clan»
1989 hinter sich hatte – auch nicht daran, dass sie nun für immer Alexis
sein würde. Sie hat einfach unbeeindruckt weitergemacht. Und das
nicht mit peinlichen Schlagzeilen einer
Verzweifelten, sondern als Autorin
von Romanen, als Kolumnistin bei den
britischen Zeitungen «Daily Mail»
und «Times» sowie beim konservativen
Politmagazin «Spectator», mit Gastrollen in Serien und, klar, einem
Fitnessvideo – als 60-Jährige. Glaubwürdiger könnte also die GlamourNachhilfe für Plymouth nicht sein.
Kolumne Corina Caduff
Den Tod zeigen
Ein paar aufgereihte Leichensäcke –
das Bild kehrt
regelmässig wieder, wie etwa
jüngst bei der
Katastrophe
in Sumatra. Der
verhüllte Tod ist das Äusserste, was
die Medien uns zumuten. Das scheint
uns richtig, weil wir davon ausgehen, dass das Zeigen von Toten etwas
Würdeloses hat. Doch gibt es immer
wieder Versuche, diese Haltung infrage
zu stellen.
So finden sich im Internet Galerien
mit Fotos von Totgeborenen, Hunderte Bilder von toten Säuglingen reihen sich hier aneinander. «Stillborn
Babies», wie man auf Englisch sagt.
Diese Fotos sind, wie Grabsteine,
angeschrieben mit den Namen der
Babys und ihrem in eins fallenden
Geburts- beziehungsweise Todesdatum. Sie zeigen kleine tote Leiber,
eingewickelt in weiche helle Kleider.
Manche Gesichter sind fleckig, verfärbt,
bisweilen übersät mit Pusteln oder
Geschwulsten. Nur selten sind auch
Eltern auf den Bildern zu sehen. Auf
einem Foto schaut eine Mutter, das tote
Kind an der Brust, entschlossen, ja
fast trotzig in die Kamera, als wolle sie
sagen: Schaut her, ich habe ein totes
Kind, und ich bin imstande, euch das
bei vollem Bewusstsein zu sagen.
Meist aber liegen die toten Babys
allein in Wiegen oder auf Betten.
Bisweilen sind diese Liegestätten in
digitaler Nachbearbeitung auch als
Wolken dargestellt. Manchmal tragen
die kleinen Leichen Flügel.
Man klickt sich durch, fast wagt man
nicht zu atmen, Bild für Bild, seriell,
schweigend, still. Die Sammlungen dieser Totenbilder machen einen
sprachlos, und sie sind selber sprachlos, denn tatsächlich kann man ja zu
neugeborenen Toten nur schwerlich
Text machen. Ihr einziger Nachruf
ist das Bild. Es bezeugt etwas Unbegreifliches, das die Eltern aber dennoch
anzunehmen gewillt sind, indem sie uns
ihre kleinen toten Kinder zeigen.
Dass Fotos von «Stillborn Babies»
kollektiv archiviert und ausgestellt
werden, ist neu. Das Fotografieren von
erwachsenen Toten hingegen war
einstmals durchaus an der Tagesordnung, im 19. und zu Beginn des
20. Jahrhunderts war die Totenfotografie ein anerkanntes Auftragsgenre. Vorläufer waren die seit dem
Altertum bekannte Totenmaske und
auch das gemalte Totenporträt, welches
in der Renaissance aufkam. Mit der
zunehmenden Industrialisierung des
Bestattungswesens allerdings, das
den Tod mehr und mehr ausser Sichtweite brachte, sind diese Genres verschwunden. Heute haftet dem Fotografieren von Toten der Ruch des
Makabren, des Skandalösen an, sei es
bei Naturkatastrophen oder seien es
die Fotogalerien von «Stillborn Babies».
Trotzdem werden Tote immer wieder gezeigt – das wohl prominenteste
Beispiel aus der Kunstgeschichte sind
die vielen Porträts, die Hodler von
seiner krebskranken, sterbenden und
schliesslich toten Geliebten Valentine Godé-Darel um 1914/15 gemalt hat.
Die amerikanische Starfotografin
Annie Leibovitz veröffentlichte unlängst zwanzig kleinformatige Fotos,
die die bekannte Autorin Susan Sontag –
2004 verstorben, eine langjährige
Gefährtin von Leibovitz – auf der Totenbahre zeigen. Und in diesem Frühjahr hat die Schweizer Fotografin Elisabeth Zahnd Legnazzi einen Band mit
Fotos ihrer sterbenden sechsjährigen
Tochter Chiara herausgebracht, die
im Jahr 2000 einem Hirntumor erlegen
ist («Chiara – eine Reise ins Licht»);
das Fotobuch öffnet Türen zum Tod,
für die man nicht genug Danke sagen
kann. Gleichwohl muss sich Zahnd in
einem Interview die Frage gefallen
lassen, ob sie nicht «als Künstlerin Profit
aus dem Sterben ihres Kindes» ziehe.
Wenn Künstler unmittelbar mit dem
Tod konfrontiert sind, machen sie
einfach nur das, was sie am besten können: Sie greifen zu Kamera oder Pinsel, sie schreiben oder komponieren;
Dienstagskolumne Corina Caduff wechselt
sich ab mit Ex-Preisüberwacher Rudolf
Strahm und dem politischen Kommentator
Michael Hermann.
das ist ihre Art, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, ihn zu berühren und
für uns darstellbar zu machen.
Denken Sie jetzt daran, Bilder von
«Stillborn Babies» zu googlen, oder
wollen Sie die Fotos von Chiara sehen?
Wenn man ein solches Verlangen
verspürt, wenn man das Sterben und
den Tod bisweilen sehen und wahrnehmen möchte, wenn man ihm nahekommen will, so ist das nicht gleich
als Sensationsgier abzutun, im Gegenteil, es ist ein legitimes und auch notwendiges Verlangen, eine Art Widerstand gegen die kulturelle Verdrängung der Sterblichkeit.
Corina Caduff ist Professorin an der
Zürcher Hochschule der Künste und
Literaturexpertin.
Das Jamaica-Experiment. Karikatur: Burkhard Fritsche
Jamaica & Co. Deutschlands Parteien bewegen sich – gut so, findet David Nauer
Neue deutsche Farbenlehre
Die Grünen im Saarland haben sich für
ein Bündnis mit der CDU und der
FDP entschieden. Künftig wird
Schwarz-Gelb-Grün an der Saar regieren. Eine Farbenkombination wie
auf der Flagge von Jamaica.
Was bedeutet dieser Entscheid? Auf
den ersten Blick nicht viel. Das Saarland ist politisch gesehen ein Leichtgewicht. Gerade mal eine Million Menschen leben hier. Auch flächenmässig
gleicht es einem Zwerg. Auf der
Deutschlandkarte verschwindet es fast.
Kommt hinzu: In diesem Mini-Bundesland sind die Grünen die kleinste
Partei. Bloss 5,9 Prozent der Stimmen haben sie bei den Landtagswahlen
Ende August erhalten.
Dennoch hat der Trip nach Jamaica
Signalwirkung für ganz Deutschland. Die Grünen hatten die Wahl,
Mehrheitsbeschaffer für eine bürgerliche oder für eine linke Regierung
zu sein. Sie entschieden sich zum
ersten Mal gegen ihre vermeintlich
natürlichen Verbündeten, gegen Sozialdemokraten und Linkspartei.
Die Republik ist ganz aufgeregt darüber. Wie konnte das passieren? Viele
glauben, dass Oskar Lafontaine schuld
ist an der grünen Untreue. Er hat die
Linkspartei im Nu gross gemacht und
will sich künftig im Saarland noch
stärker einmischen. Vielen Grünen
macht das Angst. Denn Lafontaine
(Übername: «Napoleon von der Saar»)
gilt als unzuverlässig, machtgierig.
Doch diese persönlichen Animositäten sind nur das eine. Es gibt auch
strukturelle Gründe für den grünen
Schwenk zu Christdemokraten und
Liberalen. In der deutschen Politik verwischen sich die Lagergrenzen zusehends. Viele Wähler der Grünen sind inzwischen bürgerlich geworden. Sie
arbeiten viel, verdienen gut, träumen
von Haus und Garten. Aber sie wollen
etwas für die Umwelt tun. Die CDU im
Gegenzug rückte nach links: Soziale
Wärme, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft – die Partei der Kanzlerin fischt
in einst exklusiv linken Gewässern.
Bereits ist die Rede von einer alten
(schwarzen) und einer neuen (grünen) Bürgerlichkeit. Die Zusammenarbeit klappt ganz gut. In Hamburg regiert die CDU seit 2008 mit den Grünen.
Oberbürgermeister Ole von Beust
(CDU) schwärmt von seinem grünen
Koalitionspartner. Nur gute Erfahrungen habe man gemacht, sagt er.
In Bewegung gerät freilich auch die
linke Hälfte des Politspektrums. Im
ostdeutschen Brandenburg stehen alle
Zeichen auf Rot-Rot, wie gestern bekannt wurde. Eine Koalition aus SPD
und der Linken dürfte demnächst regieren. Um dies zu ermöglichen, hat Die
Linke eigens ihre Spitzenkandidatin
Kerstin Kaiser geopfert. Diese war wegen ihrer Stasi-Vergangenheit für
viele Sozialdemokraten ein rotes Tuch
gewesen. Vor kurzem teilte sie
schliesslich mit, sie verzichte auf ein
Ministeramt. Der Weg ist seither frei
für eine linke Allianz.
Jamaica an der Saar, Rot-Rot in Brandenburg: Beide Beispiele zeigen,
dass sich die deutschen Parteien bewegen. Um an die Macht zu kommen,
werden starre Glaubenssätze aufgeweicht, Kompromisse gemacht.
Das ist gut so – denn es entspricht der
Realität. Aus dem 3-Parteien-System
der alten Bundesrepublik ist in den vergangenen Jahren ein 5-Parteien-System geworden. Zu Schwarz, Rot und
Gelb haben sich Grün und Dunkelrot
gesellt. Dadurch ist eine Vielzahl von
Machtformeln möglich geworden.
Manch einer in Deutschland empfindet diese neue Unübersichtlichkeit
als Bedrohung. Die Grünen im Saarland
und Die Linke in Brandenburg haben
gezeigt, was sie auch ist: Eine Chance
für den, der flexibel ist.