Kein Kinderspiel – Kinderrechte in den Philippinen 1

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Kein Kinderspiel – Kinderrechte in den Philippinen 1
Kein Kinderspiel – Kinderrechte in den Philippinen 1
Kinder gelten in den überwiegend christlich geprägten Philippinen als Geschenke Gottes, nicht nur weil
sie die Zuneigung der Eltern zueinander zeigen, sondern auch, weil sie eine wichtige Altersvorsorge
sind. In einem Land, in dem es so gut wie keine Sozialversicherung, Krankenversicherung und
Rentenversicherung gibt, funktioniert die Familie wie eine Art Sozialamt: von den Kindern wird erwartet,
so früh wie möglich im Haushalt oder bei der Arbeit zu helfen.
Die philippinische Bevölkerung ist sehr jung. 2009 waren über 35 Prozent der 92 Millionen Filipinos
und Filipinas unter 14 Jahre alt (Deutschland: 13 Prozent). Das Durchschnittsalter im Land lag 2009
bei 22,5 Jahren (Deutschland: 43,8 Jahre). Durchschnittlich bringt eine philippinische Frau in ihrem
Leben 3,18 Kinder zur Welt, in Deutschland sind es im Vergleich dazu nur 1,37 Kinder. Diesen
Kinderreichtum sieht man auf fast jeder Straße in den Philippinen. Kein Bus oder Jeepney (öffentliches
Verkehrsmittel in den Philippinen), der nicht voller Schüler/innen und Student/innen ist.
1. Gesetze über die Rechte von Kindern in den Philippinen
Die Philippinen haben am 26. Januar 1990 die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet. Dieses
internationale „Übereinkommen über die Rechte des Kindes" wurde am 20. November 1989 von
den Vereinten Nationen (engl. United Nations, kurz UN) in New York verabschiedet. Mit ihrer
Unterschrift haben sich die Philippinen dazu verpflichtet, die Rechte der Kinder anzuerkennen und zu
verwirklichen. Sie müssen der UN einen regelmäßigen Bericht vorlegen, wie sie mit der Umsetzung
der Kinderrechte vorankommen. „Kinder" sind nach der UN-Kinderrechtskonvention alle Kinder und
Jugendlichen bis 18 Jahre.
Neben diesem internationalen Übereinkommen gibt es in den Philippinen einige nationalen Gesetze,
die sich mit dem Schutz und den Rechten von Kindern befassen.
Im philippinischen „Gesetz zum Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen" (engl. Child and
Youth Welfare Code of the Philippines) ist zum Beispiel festgeschrieben, dass Kinder und
Jugendliche das Recht auf eine angemessene Ernährung, Bildungsmöglichkeiten und Schutz vor
Gewalt, Ausbeutung und Vernachlässigung haben.
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„Vernetzte Erde. Das Projekt für Schulen“, Tatort- Straßen der Welt e.V., Köln, 2010, S. 78ff.
Das philippinische Kinderschutzgesetz (engl. Special Child Protection Act) verbietet die
Inhaftierung von Kindern.
Die philippinische Regierung hat in Bezug auf Kinderrechte gemeinsam mit UNICEF eine
Kinderrechtsbewegung („Child Friendly Movement") ins Leben gerufen, welche sich die Erfüllung
der Kinderrechtskonvention auf den Philippinen zum Ziel gesetzt hat. Dadurch werden Kinderrechte
auf den Philippinen zunehmend thematisiert, deren Erfüllung ist allerdings angesichts der
zahlreichen Formen von Missbrauch, Vernachlässigung und Ausbeutung von Kindern auf den
Philippinen immer noch in weiter Ferne.
2. Kinderarbeit
Zwar verbietet das philippinische Arbeitsgesetz, dass Kinder unter 15 Jahren arbeiten. Gefährliche
Arbeit ist für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre verboten. Allerdings bietet das Gesetz ein großes
Schlupfloch: es unterscheidet zwischen „akzeptabler Beschäftigung" Minderjähriger und Kinderarbeit im
Allgemeinen. Darüber hinaus gestattet das Gesetz Kinderarbeit, wenn sie von den Eltern erlaubt wird.
In einem armen Land wie den Philippinen besteht zwischen gesetzlichen Vorschriften und der
gesellschaftlichen Realität ein großer Unterschied. Obwohl es zahlreiche Gesetze zum Schutz von
Kindern in den Philippinen gibt, wird ihre Umsetzung von staatlicher Seite oft nicht überwacht (siehe
Kasten zu Gesetzen über die Rechte von Kindern).
Im Bereich der Kinderarbeit heißt das: Trotz eines Verbotes von Kinderarbeit haben nach der letzten
aktuellen Zählung aus dem Jahr 2001 vier Millionen Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren gearbeitet.
Die Kinder werden dabei meist viel schlechter als Erwachsene oder überhaupt nicht bezahlt. Außerdem
arbeiteten über die Hälfte der vier Millionen Kinder unter gefährlichen und gesundheitsschädigenden
Bedingungen, teilweise bis zu 15 Stunden am Tag. Auf Plantagen müssen sie die Böden umgraben,
ernten und die Pflanzen, oft ohne Schutzkleidung, mit giftigem Dünger besprüht; als Fischerjungen sind
sie schlechten Wetterverhältnissen ausgesetzt, im Bergbau werden sie in den engsten und dunkelsten
Schächten eingesetzt, wo sie stundenlang Steine schleppen müssen. Mädchen arbeiten vor allem als
Straßenverkäuferinnen, als Haushaltshilfen oder jugendliche Prostituierte.
Die Armut ihrer Familien zwingt Kinder dabei solch gefährliche und belastende Arbeit anzunehmen,
um überleben zu können.
Dies hat zur Folge, dass viele dieser arbeitenden Kinder gar nicht, oder nur unregelmäßig zur Schule
gehen. Durch die fehlende Bildung finden sie dann auch im Erwachsenenalter keinen Zugang zu guter
Arbeit und arbeiten weiter in schlecht bezahlten Jobs oder bleiben bzw. werden arbeitslos.
3. Bildung
Der Ausbildungsstand der philippinischen Kinder und Jugendlichen ist im Vergleich zu anderen
armen Ländern trotzdem relativ hoch: Die (staatliche) Grund- und Sekundarschulbildung ist kostenlos,
dies ist auch der Hauptgrund dafür, dass lediglich ca. fünf Prozent der Bevölkerung nicht lesen und
schreiben kann. Die staatliche Schulbildung ist jedoch aufgrund fehlender finanzieller Mittel und einem
Mangel an qualifiziertem Lehrpersonal nicht sehr gut. Besonders in den armen Regionen der Philippinen,
in denen Kinder und Jugendliche zum Familieneinkommen beitragen müssen, ist die Schulabbruchsrate
relativ hoch. Mehr als eine Million der philippinischen Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren gehen
gar nicht mehr zur Schule. 31,8 Prozent aller eingeschulten Kinder beenden nicht einmal die
Grundschule. In jedem dritten Dorf bzw. Stadtteil gibt es nicht einmal eine Grundschule, weshalb die
Kinder, wenn sie zur Schule gehen wollen oder dürfen, oft Kilometer weit laufen müssen. In vielen
philippinischen Dörfern (Barangays genannt) endet die Grundschulzeit bereits nach vier statt wie
gesetzlich festgelegt nach sechs Jahren.
Der Wunsch der meisten Kinder, die die Schule abgebrochen haben, arbeiten oder auf der Straße
leben ist einfach: Sie wollen wieder in die Schule gehen können, um einen guten Abschluss zu
machen, einen guten Job zu bekommen und ihre Familien unterstützen zu können.
4. Kinder auf der Straße
Was passiert mit Kindern, die von ihren Eltern vernachlässigt werden, die gezwungen sind, zu arbeiten,
die Schule abzubrechen oder aber von ihrer Familie Gewalt erfahren?
Eine Institution wie das Jugendamt in Deutschland gibt es in den Philippinen nicht. Zwar gibt es einen
nationalen Rat zum Wohle des Kindes (engl. Council for the Welfare of Children) und viele Dörfer und
Stadtteile haben gesetzlich vorgeschriebene Räte zum Schutz von Kindern (Barangay Council for the
Protection of the Child) ins Leben gerufen. Diese Räte funktionieren aber meist nicht richtig, wenn es
darum geht, Kinder vor Ausbeutung und Gewalt zu schützen.
Viele Minderjährige, die in Armut, mit familiären Konflikten oder Gewaltsituationen leben, sehen daher
keine andere Möglichkeit als von zu Hause weg zu gehen und dauerhaft oder immer mal wieder auf der
Straße zu leben. Die Schätzungen, wie viele Straßenkinder es in den Philippinen gibt, sind schwierig, und
unterscheiden sich extrem. Die niedrigste Schätzung spricht von 80.000 Straßenkindern, andere
Organisationen gehen davon aus, dass es über 1,5 Millionen Straßenkinder in den Philippinen gibt.
Ein Großteil der Straßenkinder stammt aus Großfamilien mit durchschnittlich vier bis acht Personen. Die
Straßenkinder werden meist in drei Gruppen unterteilt:
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Die Mehrheit, circa 65 Prozent, leben im Familienverbund und arbeiten auf der Straße, um zum
Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen.
Die zweite Gruppe, die rund 25 Prozent ausmacht, hat nur selten Kontakt zu den Familien und
lebt in Banden (tagalog: barkadas) auf der Straße.
Die dritte Gruppe, die sogenannten „Hardcore Children", hat jeglichen Familienkontakt
abgebrochen. Ihr Anteil liegt ungefähr bei zehn Prozent der Straßenkinder.
Viele der auf der Straße lebenden Kinder üben auch illegale Tätigkeiten (Diebstahl, Drogenhandel,
Prostitution etc. ) aus, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das setzt sie einer doppelten Gefahr aus:
Im besten Falle werden sie verhaftet und müssen ins Gefängnis. Im schlechtesten Fall werden sie Opfer
von sogenannten Todesschwadronen, die gezielt Jagd auf Kriminelle machen und diese erschießen.
Vieles deutet darauf hin, dass diese Todesschwadronen ihre Tötungsaufträge von städtischen Politikern
erhalten, die damit ihre Städte „säubern" wollen, um sie sicherer zu machen.
a) Kinder in Haft
Von den Kindern, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen, fliehen viele aus schwierigen häuslichen
Verhältnissen, aus Armut und Missbrauch und brechen Schule und Ausbildung ab. Straßenkinder sind
besonders in Gefahr, festgenommen zu werden, weil sie tatsächlich oder angeblich gestohlen haben,
Drogen konsumieren oder schlicht und einfach auf den Gehwegen Karten spielen (was als Herumlungern
bestraft werden kann). Wie viele Kinder sich in philippinischen Gefängnissen befinden, ist schwer zu
schätzen. Organisationen, die sich für die Rechte der Kinder in Gefängnissen einsetzen, wird meist nicht
erlaubt die Gefängnisse zu besuchen, um sich einen Eindruck von der Situation zu verschaffen.
Die höchste Schätzung der Organisation PREDA und von UNICEF nimmt an, dass jährlich etwa 20.000
Kinder in den Philippinen inhaftiert werden. Oft geschieht dies ohne Verurteilung und Prozess. Aber
auch vor Gericht haben Kinder generell schlechte Chancen sich zu verteidigen. Erstens fehlt ihnen die
Erfahrung mit Gerichtsverfahren und zweitens werden Kinder üblicherweise für unglaubwürdige Zeugen
gehalten, wenn es darum geht, ihre Version des Tatherganges zu schildern.
In der Haft selbst wurden Kinder oft in Erwachsenengefängnissen untergebracht. Dort müssen sie sich
übervolle Zellen mit bis zu 80 bis 100 Menschen teilen. Neben sexuellem Missbrauch von ihren
erwachsenen Mithäftlingen, sind sie den schlechten Zuständen im Gefängnis hilflos ausgesetzt. Viele
werden aufgrund der seelischen Belastung, dem Essensmangel und den schlechten hygienischen
Bedingungen krank.
Einige Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), versuchen, die Situation der Straßenkinder, der
arbeitenden Kinder und der Kinder in Haft zu verbessern. Sie leisten Hilfe indem sie die Kinder über ihre
Rechte informieren, ihnen einen Platz zum Schlafen und medizinische Versorgung bereitstellen und
ihnen im Falle einer Gerichtsverhandlung einen Rechtsanwalt besorgen, der sie verteidigen kann.
2006 wurde auf den Druck von NGOs ein Gesetz verabschiedet, dass die Inhaftierung von Kindern unter
15 Jahren verbietet. Seitdem sind tatsächlich kaum noch jüngere Kinder in den Gefängnissen
anzutreffen. Aber die staatlichen Heime, in die sie inzwischen eingeliefert werden, unterscheiden sich
kaum von Gefängnissen. Eine Verbesserung gibt es in der Tat: Kinder werden nicht mehr mit
Erwachsenen zusammengesperrt.
Im philippinischen Senat gibt es seit Mitte 2012 eine Gesetzes-Initiative, die die Strafmündigkeit wieder
auf zwölf Jahre herabsetzen will, eine eindeutige und eklatante Verschlechterung der Situation von
Kindern. Verschiedene Kinderschutzorganisationen und auch der Entwicklungshilfe-Ausschuss des
Deutschen Bundestages haben sich deshalb an philippinische Parlamentsabgeordnete und Minister
gewandt, um gegen diese Initiative zu protestieren und ihre Besorgnis über die Situation der
Kinderrechte auf den Philippinen auszudrücken.
b) Keine Zeit zum Spielen? Freizeit und Freundeskreise
Natürlich sind nicht alle Kinder in den Philippinen Straßenkinder oder müssen den ganzen Tag arbeiten.
Haben die Kinder und Jugendlichen neben der Schule und/oder der Arbeit und ihren Pflichten im
familiären Haushalt noch Zeit, dann treffen sie sich mit ihren Freunden (tagalog: Barkada) um Basketball
oder Volleyball zu spielen, sie treffen sich zum Billard spielen oder verbringen ihre Zeit im Internetcafe
oder mit Fernsehen.
Gemischte Freundeskreise mit Mädchen und Jungen waren vor ein paar Jahren noch sehr selten zu
sehen, dies beginnt sich aber langsam zu verändern. Hat sich ein Liebespaar gefunden, ist es für die
Jugendlichen jedoch schwer, ihre Zuneigung zueinander auszuleben.
In der Öffentlichkeit küsst man sich nicht, Händchenhalten ist das Höchste, was erlaubt ist. Im eigenen
Zuhause ist mehr auch kaum möglich, da der Raum meist begrenzt ist. Es ist durchaus üblich, dass sich
fünf Personen ein Zimmer teilen müssen. Gibt es mehrere Zimmer, dann sind diese teils nur durch
Tücher voneinander abgetrennt.
Das Kinder und Eltern ihren eigenen Raum haben, wo sie ungestört sein können, dass ist in den
Philippinen weiterhin ein Luxus.