Schlaf, mein Papagei, schlaf! Quelle: WP

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Schlaf, mein Papagei, schlaf! Quelle: WP
Schlaf, mein Papagei, schlaf!
Es ist jetzt 11 Uhr, und der Vormittag neigt sich
dem Ende entgegen. Meine Vögel hatten zwei
Stunden Freiflug, und allmählich kehrt Ruhe in
die Gruppe ein. Nach einem ausgedehnten
zweiten Frühstück suchen sich die ersten einen
geeigneten Sitzplatz und machen es sich dort
gemütlich. Dem Singen, Plappern und Rufen
folgt bald ein entspanntes Schnabelknirschen,
und der eine oder andere Papagei murmelt leise
vor sich hin. Dies ist meine liebste Zeit des
Tages, denn meine gefiederten Freunde zeigen
mir, dass es ihnen gut geht und dass sie zufrieden sind. Langsam gleitet der eine wie der andere hinüber in einen leichten Mittagsschlaf, und
schließlich ist es still.
Papageien werden in der Regel mit Aktion, Spiel
und Spaß verbunden. Der extrovertierte Charakter einiger Arten hat dazu geführt, dass wir
Attribute wie Schlaf oder Ruhe selten mit
Papageien in Verbindung bringen. Dabei machen Schlaf- und Ruhephasen einen erheblichen
Teil eines Papageientages aus. Die restliche Zeit
des Tages ist, zumindest im Freiland, mit Futtersuche, Gefiederpflege oder Sozialkontakten
gefüllt. In der Haltung ersetzt das Spiel mit dem
Halter oder aber mit Spielzeug einen Teil der
Futtersuche. Dabei folgen Papageien einem inneren Rhythmus, der die Ruhephasen vorgibt.
Dieser so genannte „zirkadiane Rhythmus“ (24Stunden-Rhythmus) lässt sich nicht von außen
beeinflussen und ist vermutlich angeboren.
Papageien brauchen also ihren Schlaf, und ihr
Körper sorgt dafür, dass sie diesen auch erhalten. Ähnlich wie Säugetiere weisen auch Vögel
zwei Schlafphasen auf. Der „Slow Wave Sleep“
(SWS), ein tiefer und traumloser Schlaf, zeichnet
sich durch Hirnwellen mit relativ hoher
Spannung aus, die im Elektroenzephalogramm
(EEG), also bei der Messung der Hirnströme, gut
zu erkennen sind. Der SWS ist die wichtigste
Phase des Schlafes, denn in dieser Phase erholt
sich das Gehirn. In der Schlafphase des „Rapid
Eye Movement“ (REM-Schlaf, „schnelle Augenbewegung“) sind die Hirnwellen relativ spannungsschwach und ähneln dem Wellenmuster
Quelle: WP-Magazin 3/2007
der Wachphase des Gehirns. Die REM-Phase hat
ihren Namen von den schnellen Augenbewegungen, welche diese Phase häufig begleiten. Das
Träumen findet zumindest beim Menschen in
der REM-Phase statt. Man nimmt an, dass sich
in der REM-Phase das Gedächtnis entwickelt
und dass Erlerntes dann verarbeitet wird.
Schlafen Papageien, erleben sie immer erst die
SWS-Phase, bevor sie in die REM-Phase wechseln. Dies ergibt Sinn, denn ein erholtes Gehirn
kann erlebte Sinneseindrücke sicherlich besser
verarbeiten als ein gestresstes. Insgesamt
scheint die REM-Phase bei Papageien kürzer zu
sein als bei Säugetieren oder vielen anderen
Vögeln. Auch dies könnte eine Anpassung an das
Leben als potentielles Beutetier sein, denn der
Papagei könnte im Freiland jederzeit aufgrund
eines Angriffs geweckt werden. Wäre er zur
Verarbeitung von Informationen auf lange und
durchgehende REM-Schlafphasen angewiesen,
wäre er eine leichte Beute.
Wenn ein Papagei fest schläft, sind beide Augen
geschlossen und ist die Nackenmuskulatur
erschlafft. Der Kopf sinkt beim Einsetzen der
REM-Phase langsam nach vorn, und der Papagei
wird vermutlich träumen. Am Ende der REMPhase wird der Kopf plötzlich nach oben gehoben, aber der Vogel wacht nicht auf. Er wechselt
nun erneut in die SWS-Phase und schläft zu
Ende. Bei einem ausgedehnten Schlaf drehen
Papageien den Kopf um 180° ins Gefieder und
schieben ihn unter die Schulterfedern.
Die im Vergleich kürzeren Zeiten der REM-Phasen bei Papageien scheinen nicht die einzigen
Anpassungen an ein Leben als Beutetier zu sein.
Im Gegensatz zu uns Menschen können manche
Tiere mit nur einer Gehirnhälfte schlafen (unihemisphärischer Schlaf). Dies ist vielen Tierliebhabern von den Meeressäugetieren bekannt.
Während dieser Form des Schlafes ruht lediglich
eine Hälfte des Gehirns, während die andere
aktiv ist. Unihemisphärischen Schlaf findet man
in den meisten Ordnungen der Vögel, besonders
häufig aber bei Vögeln, die lange Wanderungen
unternehmen, die über Wasser fliegen, und bei
Beutevögeln. Auch unsere Papageien schlafen
bisweilen mit nur einer Hirnhälfte, während die
andere nach wie vor aktiv ist. Die Augen sind in
diesem Fall geöffnet.
Welche Bedeutung haben diese Erkenntnisse
für uns in der Heimvogelhaltung? Viele unserer
Papageien stammen aus der Äquatorregion. In
diesem Gebiet verzeichnen wir eine Tages- und
Nachtgleiche, das heißt, es ist 12 Stunden hell
und 12 Stunden dunkel. Je nach Verbreitungsgebiet verschiebt sich dieses Verhältnis ein
wenig. Unsere Papageien haben sich im Lauf
ihrer Entwicklung an diesen Tagesrhythmus
angepasst und sind daher, wie wir eben gesehen
haben, mit ihrem Körper darauf eingestellt. In
unseren Haltungen stellt uns dies manchmal vor
Probleme, denn wir müssen gewährleisten, dass
unsere Papageien ihrem natürlichen Rhythmus
folgen können. Unser eigener Tagesablauf ist
meist geprägt durch acht Stunden Schlaf und
längere Phasen, in denen wir arbeiten, essen
oder unseren Freizeitaktivitäten nachgehen. Die
meisten Halter, die nicht im Schichtdienst tätig
sind, gehen zwischen 22.00 und 0.00 Uhr zu Bett
und beginnen den Tag zwischen 6.00 und 7.00
Uhr. Viele Papageien leben im Mittelpunkt der
Familie, und ihr Käfig steht im Wohn-Ess-Bereich. Dies ist auch gut so, denn Papageien brauchen Familienanschluss wie die Luft zum Atmen.
Dort, wo Aktion, Spiel und Spaß ist, wollen sie
aktiv teilnehmen oder zumindest zuschauen. Ist
kein zusätzlicher Schlafbereich für die Vögel vorhanden, passt sich der Papagei unwillkürlich an
den Tagesablauf seiner Halter an. Aus den benötigten 12 Stunden Nachtruhe werden dann
schnell lediglich acht Stunden. Das bedeutet
einen Schlafmangel von dreißig Prozent!
Schlafmangel kann verheerende Folgen haben.
In Experimenten mit Labortieren wurde schon
vor langer Zeit festgestellt, dass Schlafentzug
zum Tod führen kann. Schlafmangel erzeugt
„negativen Stress“, und dieser macht aggressiv.
Nervosität, Unruhe und Konzentrationsschwäche sind weitere Folgen von Schlafmangel. Wie
wirkt sich dieser Umstand also auf unsere Heimvögel aus, wenn sie zwar abends abgedeckt werden, aber nach wie vor noch Personen in dem
Zimmer, in dem sie schlafen sollen, fernsehen,
spielen und sich unterhalten? [...]
Copyright: Hildegard Niemann, PBC
Der vollständige Artikel ist im WP-Magazin 3/2007 erschienen. Diese Ausgabe ist
gegen Einsendung von EUR 4,– in Briefmarken der Deutschen Post beim ArndtVerlag, Brückenfeldstraße 28, 75015
Bretten, bestellbar.