Musikermedizin Popmusiker auf Tournee – ein Interview
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Musikermedizin Popmusiker auf Tournee – ein Interview
Musikphysiologie und Musikermedizin 2001, 8. Jg., Nr. 4 159 Musikermedizin Popmusiker auf Tournee – ein Interview S. Ehrchen, Hamburg „...und der Banddoktor macht seinen Koffer auf und er gibt uns die Sachen, die uns munter machen...“? Zusammenfassung Abgesehen von einigen Untersuchungen zum Drogenkonsum in der englischsprachigen Literatur werden gesundheitliche Probleme von Popmusikern von der Musikermedizin kaum thematisiert. In den Standardwerken der Musikermedizin fehlen größtenteils sogar die Beschreibung von gängigen Instrumenten und Spieltechniken, wie sie von Pop-Bands benutzt werden (vgl. Voigt 1995:76). Darum möchte ich – für eine wissenschaftliche Zeitung vielleicht ungewöhnlich - mit einem Interview die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken. Aber wenn die harten Daten fehlen, ist ein Interview ein probates Mittel, um einen Anfang zu machen. Das folgende Interview wurde mit Johannes Wessels, Konzertund Tournee-Veranstalter, und Hauke Steinhof, örtlicher Veranstalter (beide epm entertainment gmbh, Hamburg) geführt. Themen waren Tournee-Organisation, gesundheitliche Probleme, Drogenkonsum, Versicherung und medizinische Versorgung von Popmusikern auf Tournee. Schlüsselwörter Pop-Musiker auf Tournee, Tour Organisation, gesundheitliche Probleme, Drogen, Versicherung, medizinische Versorgung Summary Pop musicians on tour – an interview Apart from some research on drug consume through the English speaking literature the health problems of popular musicians are hardly any theme for musicians medicine. In the standard literature on musicians medicine even the description of usual instruments and playing techniques, as used by pop bands are largely missing. Therefore I try to give some attention to this theme via an interview, although this might be unusual in a scientific newsletter. But when the hard facts are missing , an interview is a proven form. The following interview I made with Johannes Wessels, tour-manager and Hauke Steinhof, local manager (both epm entertainment, Hamburg). Our themes were tour-organisation, healthproblems, drug consume, insurance and medical care for popular musicians on tour. Keywords Pop musicians on tour, tour organisation, health problems, drugs, insurance, medical care Das Interview Wie sieht der normale Alltag einer Band auf Tour aus? JW: Das ist ein riesiger Stressfaktor: Man spielt auf der Bühne zusammen, man ist Tag und Nacht im Bus zusammen. Ich habe oft in den Nightlinern (Bussen) geschlafen. Das sind Bettchen, halbe Hängekojen. Man hängt sich einfach auf der Pelle. Da gibt es zum Beispiel Experimente mit Ratten: Wenn Tiere auf einem zu kleinen Territorium gehalten werden, werden sie krank. Das ist bei Menschen genauso. So eine Tour dauert manchmal ein Jahr, Beispiel Welttournee: 3 Monate USA, 2 Monate Europa, dann kommen Asien, Japan, Australien. Es gibt keinen festen Rhythmus durch die Zeitumstellung beim Fliegen, spätes ins Bett kommen, nachts manchmal Party machen, manchmal gar nicht schlafen. Also Stress, Stress von allen Seiten. Auf die Dauer wird das Immunsystem einfach anfälliger. Das bedeutet wieder Stress für den Körper. Irgendwann sind die Leute nur noch erschöpft. Erschöpfungszustände, das ist das Schlimmste überhaupt auf Tournee. Dann kommt noch einer mit einer kleinen Infektion 160 S. Ehrchen – Popmusiker auf Tournee – ein Interview und schon geht es auf die Stimmbänder. Dann ist die Frage, was passiert: Entweder Cortison drauf und es geht weiter - oder Antibiotika und 2-3 Tage pausieren? Das haben wir gerade mit einem Sänger aus den USA erlebt: Große Köln-Arena, 12.000 Leute, nach 2 Dritteln des Konzertes merkt er, es geht nicht mehr, und hat das Konzert abgebrochen. Er hatte eine Infektion im Hals, die auf die Stimmbänder überging. Dann hat er sich gleich mit Antibiotika vollgepumpt, 2 Tage Pause gemacht, und dann ging´s wieder. Und das Konzert wurde nach 3 Tagen nachgeholt. Wenn ein Patient unter normalen Umständen mit solchen Symptomen in eine Praxis kommt, wäre ein Arzt nicht unbedingt bereit, so starke Medikamente zu geben. Habt Ihr es erlebt, daß Ärzte sich weigern, solche Medikamente zu verschreiben? JW: Ja, das haben wir erlebt. Aber wir kennen mittlerweile Ärzte, die den Lebenswandel und die Problematik des Tourens kennen. Die sehen ein: „The show must go on“. Wenn wir einen Anruf von der Band bekommen: „Unser Sänger ist heiser oder unser Gitarrist hat eine Sehnenscheidenentzündung, dann versucht unser örtlicher Veranstalter, einen geeigneten Arzt zu finden, der vor allem bereit ist, ins Hotel zu kommen oder zum Soundcheck in die Halle. Denn die Künstler haben keine Zeit, sich ins Wartezimmer zu setzen. Das wollen die auch nicht. Im Laufe der Jahre haben wir durch Hörensagen Ärzte kennen gelernt, die zugänglicher sind. Vor allem jüngere Ärzte haben Verständnis für unsere Situation. Wenn eine Band ein Jahr lang auf Tour ist: Wann beginnen erfahrungsgemäß die Erschöpfungszustände? Großen, die schon alles mitgemacht haben, früher oft ganz unten waren und wissen: Wenn ich mich nicht fit halte, dann geht es nicht mehr lange. Es gibt aber auch Künstler, die leben nach dem Motto „... und der Banddoktor macht seinen Koffer auf / und er gibt uns die Sachen, die uns munter machen“ (frei nach Udo Lindenberg). Es gibt eben solche und solche. Wie sieht es mit Drogen und Aufputschmitteln aus? JW: Das ist alles nicht mehr so wie früher. Früher hieß es: „Ja, eine Rock´n´ Roll Band... Die nehmen Drogen“. Das ist heute Quatsch. Harte Drogen sind out, das nimmt kein Mensch mehr. Eine richtige Profiband, die auf Welttournee geht, würde das auch gar nicht aushalten. Da haben eher weiche Drogen wie Haschisch-Renaissance. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Aber wir sehen wirklich mehr Erschöpfungszustände, und da schwören die meisten auf Vitamin B. Was die Musiker sonst an Aufputschmitteln nehmen, bekommen wir als Veranstalter nicht mit. Manchmal kann man aber ahnen, dass da so einiges mit an Bord ist. Gibt es eine Instrumentengruppe, die besonders häufig erkrankt? JW: Ja, das sind mit Abstand die Sänger, weil die fast täglich 2 Stunden lang und teilweise extrem laut singen müssen. Bei den anderen Instrumenten - Gitarristen, Bassisten usw. - ist das gleich verteilt. Die haben eventuell Sehnenscheidenentzündungen der Hand. Und die Verletzungsgefahr durch spitze Gegenstände auf der Bühne trifft alle gleich. Wie sind die Musiker versichert? JW: Das kommt darauf an. Viele Künstler bereiten sich auf eine Tour auch körperlich vor. Mick Jagger z.B. bereitet sich vor, indem er schon Monate vorher Sport treibt, Joggen geht, sich richtig fit macht. Und je fitter jemand ist, wenn er die Tour beginnt, um so länger hält er auch durch. Die großen Künstler, die es sich leisten können, haben oft ihren Masseur oder Osteopathen dabei. Die müssen nicht mehr persönlich zum Soundcheck, das machen andere für sie. Die können sich dann nachmittags im Wellness-Bereich vom Hotel ein bisschen fit machen. Oder sie haben ihr eigenes FitnessStudio dabei. Aber das sind wirklich nur die JW: Sie sind in ihrem eigenen Land krankenversichert. Wir Veranstalter haben eine Ausfallversicherung. Dazu müssen die Musiker eine sog. Health-Information ausfüllen, in der Erkrankungen, ärztliche Behandlungen, Drogenkonsum und durch den Künstler verursachte Ausfälle in den letzten 3 Jahren abgefragt werden. Es gibt aber auch Künstler, die einfach nicht mehr versicherbar sind. Wenn jemand z.B. durch ein chronisches Rückenproblem immer wieder Ausfälle verursacht, spielt die Versicherung irgendwann nicht mehr mit. Die sind dann weg vom Fenster. Musikphysiologie und Musikermedizin 2001, 8. Jg., Nr. 4 161 Wie werden die Bands auf Tournee betreut? zialen Kontakte. Sowohl innerhalb der Band wie auch zu den Freunden zu Hause. HS: Es gibt einen Tour-Betreuer, der sich ausschließlich um das Wohlergehen der Band kümmert: Von der neuen Hose bis zur AutoHupe. Der trägt dann alle Forderungen der Band an die örtlichen Veranstalter - z.B. an mich - weiter. Aber die Bands haben natürlich das Problem, dass sie ständig in neuen Orten mit neuen Leuten zusammenkommen und nicht wissen: Meinen die´s gut, meinen die´s schlecht, meinen die´s ernst. Das hängt aber auch davon ab, wie man auf die Leute zugeht. Wenn man ihnen von vornherein das Gefühl gibt, man tut sowieso alles für sie, kommen sie auch viel schneller zur Ruhe und haben nicht mehr so hochgestochene Wünsche und lassen eher mit sich reden. Wenn eine Band schon lange auf Tour ist, kommt aber irgendwann mal ein Tiefpunkt, und dann kommen auch die besonderen Wünsche. Was hier im Interview unter anderem deutlich wird – nämlich die Belastungen, denen Popmusiker auf Tourneen ausgesetzt sind – findet sich auch schon als Beobachtung bei Winspur (1998:3): „Indeed the touring rock and pop musician may have an even harder physical existence than the orchestral player“. Wünschenswert wäre eine auf die spezielle Situation der Popmusiker zugeschnittene, d.h. äußerst flexible, medizinische Versorgung. USamerikanische Organisationen wie MusiCares, das Musicians´ Assistance Program (MAP) u.a., die sich zwar überwiegend mit der Drogenproblematik beschäftigen, könnten hierbei aufgrund ihrer Organisationsstruktur und Erfahrung als Vorbild dienen. „The goal is to create a culture of recovery across all aspects of the music industry“ (Raeburn, 2000:15). Wieviel Pausen werden auf einer Welttournee eingeplant? HS: Da gibt es keine Regelung. Bei einer Welttournee hängt das vom Management ab. Das Management bekommt aus allen Ländern von den Tournee- und Club-Veranstaltern die möglichen Termine. Und dann wird entschieden: Das geht, das geht nicht, und hier brauchen die Musiker einen Tag Pause. Man berücksichtigt möglichst, dass eine Band nicht eine Woche am Stück spielen sollte. Und man versucht, eine vernünftige Tour mit kurzen Fahrtzeiten hinzubekommen. Und die Top-Acts können sich Pausen leisten und die Kleinen spielen durch? HS: Ja natürlich. Je kürzer eine Tour ist, um so geringer sind die Kosten. Jeder verschenkte Show-Tag kostet Geld, und das ist für die kleinen Bands viel entscheidender. Die müssen darauf gucken, dass sie ihr Geld wieder einspielen und die Tour möglichst schnell durchziehen. Die können sich auch kein Hotel leisten, sondern sind wirklich nur im Bus unterwegs. Es gibt kleine Bands, die erst mal - um bekannt zu werden - alles spielen müssen, was geht. Die nehmen jeden Ort im In- und Ausland, den sie erreichen können. Die sind dann problemlos ein Jahr auf Tour. Man kann das etwas stückeln, so dass die Musiker auch mal ein, zwei Wochen zu Hause sind. Aber sie können sich trotzdem auf nichts anderes konzentrieren. Darunter leiden dann auch die so- Literatur 1. Voigt A: Bibliographie in Decker-Voigt HH, Hrsg. „Mich macht krank, was ich liebe“. Lilienthal/ Bremen: Eres, 1995 2. Raeborn SD: Psychological issues and treatment strategies in popular musicians: Part one. Med. Probl. Perform. Art. 14:171-179, 1999. 3. Raeborn SD: psychological issues and treatment strategies in popular musicians: Part two. Med.Probl. Perform. Art. 15: 6-16, 2000. 4. Winspur I: Pop and rock musicians. In: Ian Winspur: The musicians hand. London: Martin Dunitz, 1998 Anschrift der Autorin Susanne Ehrchen Physiotherapeutin und Jazz-Sängerin Rehazentrum Nord Stettinerstr. 16 20457 Hamburg Tel. 040/ 523 30 28 Fax 040/ 38 19 07 Mail: [email protected]