Böblingen: Hanno Kluge erhält den Sebastian-Blau

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Böblingen: Hanno Kluge erhält den Sebastian-Blau
Böblingen: Hanno Kluge erhält den
Sebastian-Blau-Preis „Auf Schwäbisch
umswitchen“
Stuttgarter Zeitung, Haasis, Kathrin, 07.06.2014 16:18 Uhr
Heimatpfleger: Hanno Kluge Foto:
Böblingen – - Für seine Werke hat Hanno Kluge schon einige Auszeichnungen erhalten, allein
zwei Mal den Sebastian-Blau-Preis. Die Ehrennadel des Arbeitskreises Heimatpflege erhielt er
nun für seinen ehrenamtlichen Einsatz – als Mitbegründer des Vereins Schwäbische Mund.art, als
Brückenbauer zu den alemanischen Kollegen von der Muettersproch-Gesellschaft und
hauptsächlich als Antreiber des Projekts „Mundart in der Schule“. Um die Zukunft des
Schwäbischen macht sich der 68-Jährige keine Sorgen: Der Dialekt liegt seiner Meinung nach im
Trend.
Herr Kluge, was bedeutet Ihnen Heimat?
Viel. „Heimat ist da, wo man dich versteht“, heißt ein Buch von mir. Ich definiere Heimat über
die Sprache, aber auch über das Gefühl, die Zuneigung. Heimat ist nicht unbedingt nur da, wo ich
herkomme, sondern auch dort, wo ich mich wohlfühle. Man kann eine neue Heimat finden.
Ist der Böblinger Stadtteil Dagersheim Ihre Heimat?
Ich bin gebürtiger Sindelfinger, aufgewachsen in Böblingen und bin, als ich geheiratet habe, nach
Dagersheim gezogen. Ich wohne allerdings auch noch im Südschwarzwald. Als meine Frau vor
drei Jahren starb, habe ich mir überlegt, ganz dorthin zu ziehen. Es war aber dann nicht
notwendig und nicht möglich. Weil Dagersheim eben ein Stück Heimat geworden ist. Manchmal
komme ich mir jedoch vor, wie wenn ich in einem früheren Leben ein Schwarzwälder gewesen
wäre.
Obwohl man dort kein Schwäbisch spricht.
Mit Alemannisch komme ich sehr gut zurecht. Ich pflege ja den Kontakt zu alemannischen
Mundartdichtern und hatte dort schon Auftritte. Das Publikum hat zwar gelacht, als es hörte, dass
ein Schwabe auf die Bühne kommt. Das liegt daran, dass viele den Dialekt nur als
Transportmittel benützen. Sie wollen damit Effekte erzielen, Gelächter eben. Im Mundart-Theater
ist das zum Beispiel oft der Fall – mit einer Anhäufung von Schimpfwörtern. Aber ich mag es
nicht, wenn die lustigen Dinge unter die Gürtellinie gehen.
Was wollen Sie mit dem Dialekt erreichen?
Nichts. Ich will damit leben. Wenn man vor Publikum Lyrik bringt, die auch schwere Inhalte hat,
dann merken die Leute: Das sind seine Gedanken, der steckt da ehrlich dahinter. Dann wird man
angenommen – auch von Alemannen. Natürlich macht man Witze und Neckereien untereinander.
Aber man versteht sich.
Und die Jugendlichen, verstehen die Sie auch, wenn Sie mit Ihrem Projekt „Mundart in der
Schule“ kommen?
Die Jugendlichen reden an der Schule zwar eher in der Standardsprache, aber im Freundeskreis,
in der Familie switchen sie auf Schwäbisch um, wie man auf Neudeutsch sagt. Ich bin für
Zweisprachigkeit. Mundart gehört nicht ans Gericht oder in die Bank. Ich kenne einen Lehrer, der
redet im Deutschunterricht auf Hochdeutsch und im Sport Dialekt. Das finde ich gut.
Wird Schwäbisch wieder gern gehört?
Die Zeiten, als die Schwaben sich nicht getraut haben, den Mund aufzumachen, wenn Sie etwa in
Berlin waren, sind zum Glück vorbei. Wir können umschalten. Und wenn man das schwäbische
Idiom heraushört, macht uns das nichts mehr aus.
Woher kommt das neue Selbstbewusstsein?
Ich denke, das liegt an Thaddäus Trolls Buch „Deutschland deine Schwaben“. Das hat einen
dermaßenen Erfolg gehabt. Vorher galten wir als dumme Suppenschwaben, als behäbig. Der
zweite Grund ist natürlich dieser Werbeslogan „Wir können alles außer Hochdeutsch“. Der ist bei
den Schwaben zwar nicht so gut angekommen, hat dafür in der ganzen Bundesrepublik
eingeschlagen. Zum Dritten taucht Schwäbisch verstärkt in der Werbung auf. Wie bei
Schwabenbräu. „Foll subbr“ oder „sabbrlodd“ steht auf den Plakaten. Schwäbisch liegt offenbar
im Trend.
Ist dieser Trend in der Mundart-Szene zu spüren?
In unserem Verein hatten wir einen enormen Zuwachs, wir sind jetzt mehr als 200  Mitglieder,
davon ist die Hälfte künstlerisch aktiv. Im Ländle gibt es momentan zehn Stammtische für
Mundart-Auftritte. Und es sind viele Junge dabei. Klasse finde ich zum Beispiel die Gruppe
Subber Sach, die haben zunächst auf Englisch gesungen und sind auf Schwäbisch umgestiegen.
Und was gibt es von Ihnen auf Schwäbisch zu hören?
Ich mag besonders die leisen Sachen. Ein kurzes Beispiel? Hier, es heißt Ehrenwort: „Ii saag
neggs weidr, saidr. Und weidr saidr neggs. Däam koosch draua.“
Das klingt, als wäre Ihnen das Dichten auf Schwäbisch in die Wiege gelegt worden.  .  .
Schwäbisch schwätzen kann jeder, aber schreiben nicht unbedingt. Als ich 1980 damit
angefangen habe, dachte ich, das kann ich. Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass ich es doch
nicht so gut kann. Man muss zu seinen Wurzeln zurückkehren. Wenn die geschriebene Mundart
hochwertig sein soll, unterliegt sie außerdem bestimmten Kriterien. Etwa die Lokalisierbarkeit
des Dialekts. In Böblingen sagt man zum Beispiel Wend und in Dagersheim Weed für Wind. Das
Klischee, dass im Schwäbischen an alles ein -le angehängt wird, stimmt jedenfalls nicht. Schätzle
sagt man höchsten zu einem kleinen Mädle.
Wie würden Sie Ihren Stil charakterisieren?
Ich versuche mich im literarischen Schwäbisch. Wenn man einen Satz genau so in der
Standardsprache aufschreiben kann, lohnt es sich auf Schwäbisch nicht. Aber wenn
Redewendungen und Wörter drin sind, die es in der Standardsprache nicht gibt, dann lohnt es
sich. „Ich bin gekommen“ und „i ben komma“ sind das Gleiche, aber „i ben hälenga komma“
kann man nicht einfach übersetzen. Oder „I hann dabfr gmachd“. Das bedeutet nicht tapfer,
sondern eher schnell. Gang firre, mach noore oder laof aane sind auch solche Redewendungen.
Jetzt bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Als Schwäbin verstehe ich die Begriffe zwar, aber
ich benutze sie nie. Schlimm?
Nein. Sprache verändert sich immer. Wir sprechen auch nicht mehr wie die alten Ritter. Ich habe
keine Angst davor, dass der Dialekt ausstirbt.