Abstratcs der Vorträge - Potsdam Graduate School

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Abstratcs der Vorträge - Potsdam Graduate School
Linksperiphere Adverbiale im Deutschen – Ein empirische Untersuchung zu Abfolgerestriktionen von Adverbialen
Oliver Bunk
Institut für Germanistik
Prof. Dr. Heike Wiese
In der generativen Grammatik werden Konstituenten in Abhängigkeit von ihrer syntaktischen Funktion
bestimmte Strukturpositionen im Strukturbaum zugeschrieben. Während über die Positionierung von
Subjekten und Objekten im Allgemeinen Einigung herrscht, gestaltet sich die Frage nach den Basispositionen von Adverbialen als besonders schwierig. Grund dafür ist beispielsweise die große Heterogenität der adverbialen Klassen und der damit verbundenen unterschiedlichen syntaktischen Eigenschaften. Auch die starke Verbindung zur Semantik stellt für generative Modelle ein Problem dar, da hier
Syntax als von allen anderen sprachlichen Modulen losgelöst aufgefasst wird (vgl. Chomsky, 1957,
Chomsky, 1977). In der Literatur finden sich unterschiedlichste Vorschläge zur Adverbialsyntax, die
Adverbiale entweder als freie Adjunkte (vgl. Fanselow & Felix, 1990, Radford, 1988), als Komplemente
(vgl. Hetland, 1992), als an bestimmte Positionen gebundene Adjunkte (vgl. Frey, 2005), oder als eigene
funktionale Projektionen in festen Strukturpositionen (vgl. Cinque, 1999) analysieren.
In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit der Frage der Basisreihenfolge von Adverbialen
in generativen Syntaxmodellen. Dafür überprüfe ich theoretische Annahmen und teste sie mithilfe unterschiedlicher empirischer Methoden, ohne auf introspektive Grammatikalitätsurteile zurückzugreifen,
wie es in den oben genannten Arbeiten weit verbreitet ist. In Lesezeitexperimenten wird die Verarbeitung und in Fragebogenstudien die Akzeptabilität verschiedener Adverbialsequenzen untersucht, um
davon Rückschlüsse auf die syntaktische Struktur zu ziehen. Von besonderer Bedeutung sind dabei
Sätze, in denen linkspheriphere Adverbiale nicht-kanonische Wortfolgen auslösen, wie in (1):
(1) Ja, dann ich empfehle Ihnen das Hotel Loccumer-Hof. (TüBa-D/S, s27942)
Ausgehend von dieser Struktur werden Experimente zum Auftauchen von sententialen und nicht-sententialen Adverbialbestimmungen in unterschiedlichen Positionen der linken Satzperipherie durchgeführt und in die Diskussion zur Basisposition von Adverbialen einbezogen.
Mit der Dissertation möchte ich eine Brücke zwischen Syntaxtheorie, syntaktischer Variation
und Psycholinguistik im Bereich der Adverbialsyntax schlagen. Dabei sollen einerseits empirisch fundierte Erkenntnisse zur Adverbialsyntax mit Fokus auf satzinitialen adverbialen Elementen im Deutschen geliefert und anderseits ein Beitrag zur Diskussion grundsätzlicher Verarbeitungsmechanismen
des menschlichen Sprachverarbeitungssystems und der Diskrepanzen zwischen kanonischen Strukturen
und normativer Grammatik geleistet werden.
Literatur
Chomsky, N. (1957): Syntactic Structures. Den Haag: Mountin & Co.
Chomsky, N. (1977): Reflexionen über die Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Cinque, G. (1999): Adverbs and Functional Heads. A Cross-Linguistic Perspective. New York:
Oxford University Press.
Fanselow, G./ Felix, S. W. (1990): Sprachtheorie. Eine Einführung in die Generative Grammatik.
Band 1: Grundlagen und Zielsetzungen Göttingen: UTB.
Frey, W. (2005): Pragmatic properties of certain German and English left peripheral constructions.
In: Linguistics, 43(1): 89–129.
Hetland, J. (1992): Satzadverbien im Fokus. Tübingen: Gunter Narr.
Radford, A. (1988): Transformational grammar: A first course, Bd. 1. Cambridge: Cambridge University Press.
Call for Papers – PhDay 2016
Stefano Grosso ([email protected])
Rechtfertigende Macht. Zur Logik des Kampfs um Anerkennung
Grosso, Stefano
Philosophisches Seminar, Universität Heidelberg
Betreuer: Prof. Dr. Anton Friedrich Koch
Was einige Terroranschläge mit den im Rahmen der Flüchtlingskrise ausgeübten Widerständen gemeinsam haben, ist folgender Umstand: Stets handelt es sich um soziale Konflikte, die
typischerweise in Namen der ›Anerkennung‹ – etwa eigener Religion, Nation, Kultur und
Identität – geführt werden. Allerdings beschränken sich diese sogenannten ›Kämpfe um Anerkennung‹ nicht auf solche Ereignisse allein. Hierzu gehören nämlich unter anderem
Protestkundgebungen für die gesetzlich anerkannte gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft, angemessene Entlohnung hinsichtlich geleisteter Arbeit, Achtung sexueller Orientierung und Gültigkeit von Rechten. Derartige Konflikte stehen aufgrund ihrer bewirkten negativen Gefühlsbewegungen nach wie vor auf der Tagesordnung der politischen Öffentlichkeit
und zahlreicher philosophischer Debatten. Es ist diese bedeutsame aktuelle Situation, die dem
zeitgenössischen Sozialphilosophen Axel Honneth den Anlass zur Analyse der Kämpfe um
Anerkennung liefert. Die erfolgreiche Lösung dieser Kämpfe, so Honneth in seiner weltweit
bekannten Anerkennungstheorie1 , hat für ›soziale Fortschritte‹ zu sorgen, auf Basis derer bislang ausgeschlossene Subjekte nun anerkannt und in soziale Beziehungen einbezogen werden.
Durch das Stiften von Anerkennung erfährt das Soziale eine Steigerung der Lebensqualität,
die soziale Inklusion und Selbstverwirklichung umfasst; insofern ist von Fortschritt die Rede.
Mein Dissertationsprojekt nimmt Bezug auf diese Überlegungen Honneths. Zum einen
versucht es, sie im Hinblick auf die Behandlung der Frage fortzusetzen, unter welchen Bedingungen bei diesem Typus sozialer Konflikte eine Lösung durch Anerkennung gefunden werden und auch scheitern kann – wie etwa bei den Terroranschlägen hinsichtlich der involvierten Tätergruppen. Hierfür stelle ich einen innovativen und durchaus neutralen Begriff
sozialer Macht auf, den ich in Verbindung mit dem philosophisch-analytischen Konzept
›rechtfertigende Gründe‹ bringe. Diesen Begriff nenne ich folglich ›rechtfertigende Macht‹.
Zum anderen erklärt mein Projekt die Folgen, die eine durch diese Macht gefundene Lösung
nach sich zieht. An dieser Stelle stellt es die Zeitdiagnose vor, wonach soziale Fortschritte in
westlichen Gesellschaften aus der Ausübung von rechtfertigender Macht resultieren.
Der Vortrag behandelt einen ausgewählten Themenbereich des erklärten Projekts, bei dem
gezeigt wird, wie rechtfertigende Macht mit Kämpfen um Anerkennung umgeht. Dafür sind in
erster Linie die Voraussetzungen dieser Kämpfe zu verdeutlichen. Anschließend ist eine Definition von rechtfertigender Macht zu liefern. Im Mittelpunkt dieser Konflikte steht Anerkennung, die laut Honneth ein Bedürfnis nach Soziabilität und Inklusion offenbart – und nicht
nach Herrschaft und Exklusion.2 Der rechtfertigenden Macht liegt eine intersubjektive Praxis
der Rechtfertigung zugrunde, bei der eine Beeinflussung von Konfliktteilnehmern durch
Gründe stattfindet, die sie selbst als gerechtfertigt annehmen. Es ist die Fähigkeit, solch eine
Beeinflussung zu bewirken, die rechtfertigende Macht kennzeichnet und eine erfolgreiche
Konfliktlösung ermöglicht, angesichts derer die erwünschte Anerkennung erlangt wird.
1 Axel
2 Axel
Honneth, Kampf um Anerkennung, Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1992.
Honneth, »Soziologie der Kritik oder Kritische Theorie? Ein Gespräch mit Robin Celikates«, in: Rahel
Jaeggi/Tilo Wesche (Hg.), Was ist Kritik?, Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 89f.
Potsdam Graduate School - PhDay 2016
Abstract
Arbeitstitel: Kunst und Körper. Performativität und politische Emotionen bei Judith Butler und Martha C.
Nussbaum im Spiegel gesellschaftspolitischer Gegenwartskunst
Name: Melanie Nazmy-Ghandchi, M. A.
Institutszugehörigkeit: Universität Potsdam/ Institut für Philosophie
Betreuerin: Prof. Dr. Marie-Luise Raters
Ziel: Im Rahmen meiner Dissertation entwickle ich für visuelle gesellschaftspolitische Gegenwartskünste eine
pragmatische Kunsttheorie zur Vulnerabilität des Körpers. Dabei lautet meine These, dass Kunst heute vor allem
dann politisch ist, wenn sie den verletzbaren Körper als universal-anthropologische Konstante in den Fokus ihrer
künstlerischen Verhandlung stellt.
Kontext: Die weltpolitischen Ereignisse der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts (9/11 und die internationale
Bankenkrise) haben zu einer andauernden neuen Politisierung der Künste geführt. Oft erschöpft sich diese jedoch
in symbolhafter Sprache und Codes (vergleiche beispielsweise das aktuelle „Mahnmal“ für Geflüchtete des
Künstlers Ai Weiwei, bei dem der Künstler die Säulen des Konzerthauses am Berliner Gendarmenmarkt mit
Schwimmwesten aus Lesbos auskleidet), nicht selten auch in selbstreferentiellen Narrativen. Gleichzeitig
entstehen in dieser Kunstsparte aber auch Werke, die auf die Verletzbarkeit und damit Würde des menschlichen
Körpers aufmerksam machen. Für diesen Strang der politischen visuellen Gegenwartskunst soll eine Kunsttheorie
entstehen, bei der anstelle des ethischen Mitgefühls nun ein genuin politisch-ästhetisches Miterleben tritt. Die
aktuelle Weltwirklichkeit mit ihren neuen kommunikationstechnologischen Möglichkeiten und unzähligen
Teilöffentlichkeiten scheint indes eine solche Theorie nötig zu machen, wenn wir John Deweys pragmatische
Ästhetik heranziehen, die Kunst als verkörperte Erfahrung betrachtet, die als ’Ideal der Versöhnung’ aller
Menschen zu einer stabileren Weltverantwortungsgemeinschaft beiträgt. Partikulares, Privates wächst vor dem
verschlungenen Hintergrund der sich zunehmend globalen, unmittelbarerer verhandelnden Öffentlichkeit
allerdings immer mehr zu Universellem aus. Somit ändert sich auch der Erlebnis- und Erfahrungskontext
Kunstschaffender – philosophische (nicht mediale) Erfahrungen adäquat politisch-künstlerisch zu verkörpern,
wie soll das heute gehen?
Problem: Das Problem beziehungsweise die Forschungsfrage, die in diesem sich verändernden Bezugsgewebe
also aufscheint, lautet: Kann es visuelle gesellschaftspolitische Kunst unter den komplexen Bedingungen der
Globalisierung geben?
Lösung: Meine Antwort darauf heißt: Ja, weil wir einen Leib haben, in dessen verletzbaren Grenzen wir uns
kulturunabhängig widererkennen. Eine Kunst, die sich mit dieser gesellschaftlichen normativen Konstituierung
des Körpers befasst, ist im ureigensten Sinne politisch.
Referenzautorinnen: Ein wiederkehrendes Motiv derartiger künstlerischer Positionen, die sich mit dem Körper
auseinandersetzen, ist die Zeitlichkeit beziehungsweise gesellschaftliche Geschichtlichkeit von Konventionen,
die als Ausformungen performativer Einschreibungen in den subjektiven und gesellschaftlichen Körper in
ästhetische Erscheinung treten. Im Zentrum solcher Kunstwerke steht die Frage nach Fragilität und Vulnerabilität
von individueller und kollektiver Identität – angewandte und mittlerweile öffentlich verhandelte Begriffe, die in
den Werken von Judith Butler und Martha C. Nussbaum gewichtige Rollen einnehmen, weswegen ich sie als
Refenrenzautorinnen einbinde. Bei Nussbaum konzentriere ich mich dabei auf ihre Kritik am Anti-Essentialismus
(und Ethnozentrismus), Grundlage für ihre offene Liste der menschlichen Grundbefähigungen, aber auch ihre
Abhandlungen zum Thema Behinderung. Bei Butler finden sich die meisten hierfür relevanten Anschlusspunkte
selbstverständlich in ihren queer-theoretischen Überlegungen, aber auch in ihren aktuellen Essays zur Frage des
kontigenten Körpers und Krieg.
Beispiele: Als visuell-künstlerisches Hauptwerk für die zu entwickelnde Theorie werde ich eine von mir als
Konzeptkünstlerin entwickelte Objektinstallation besprechen, die aus einem mit menschlichem Haar
geschriebenen Text besteht – diese werde ich bei meinem Vortrag vorstellen. An einigen zentralen Stellen
möchte ich zudem ausgewählte Arbeiten anderer zeitgenössischer Künstler*innen einflechten.
Literatur (Auswahl): Augé, Marc: Nicht-Orte, München 2010. Butler, Judith: Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt/M. 2005. Dies., Krieg und
Affekt, Zürich, Berlin 2009. Nussbaum, Martha C.: Die Grenzen der Gerechtigkeit. Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit, Frankfurt/M.
2010. Dies., Gerechtigkeit oder Das gute Leben, Frankfurt/M. 1999. Raters-Mohr, Marie-Luise: Intensität und Widerstand. Metaphysik,
Gesellschaftstheorie und Ästhetik in John Deweys Art as experience, Bonn 1994. Rebentisch, Juliane: Theorien der Gegenwartskunst (zur Einführung),
Hamburg 2013. Żmijewski, Artur: Trembling Bodies. Conversations with Artists, Bytom/ Berlin 2010.