Codename _Sven_ - als Spender in einer

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Codename _Sven_ - als Spender in einer
05.05.2010
Abendzeitung - Codename "Sven" - al…
http://ww w.abendzeitung.de/panorama/97488
03. Apr. 2009, 17:01
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Codename "Sven" - als Spender in
einer Münchner Samenbank
Mikroskopaufnahme in 700facher Vergrößerung: In einer
Ladung Samenflüssigkeit liefern sich bis zu 160 Millionen
Spermien ein Rennen.
Foto: az
80 Euro pro Schuss: Die Münchner Cryobank braucht dringend Männer unter 40
und über 1,80. Was die erleben, testet ein AZ-Reporter.
MÜNCHEN - Was hatte ich eigentlich erw artet? Das Moulin Rouge? Rote Kissen,
indirekte Beleuchtung, Duftkerzen? Jetzt stehe ich in einem kleinen,
w eißgekachelten Raum mit Toilette, Handtuchspender und Badezimmerspiegel.
Alleine. Nur „die gierige Cindy“ und „die vernachlässigte Larissa“ sind noch bei mir.
Wo soll das enden?!
Aber lieber der Reihe nach. „Recherchiere doch mal, ob die Wirtschaftskrise auch die
Samenbanken betrifft“, w itzelt vor Wochen mal ein Kollege. Das ernste und
überraschende Ergebnis der Recherche lautet jedoch: Ja!
Das hat allerdings nichts mit w ilden Spekulationen auf den internationalen
Samenmärkten zu tun, sondern mit Angebot und Nachfrage: Immer mehr Paare,
jedes Jahr mehrere Tausend, bei denen es auf natürlichem Weg nicht klappt,
künstliche Befruchtung und andere Methoden nicht wirken, verlangen heute nach
Spendersamen, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Und immer w eniger Männer
spenden. Schwellenangst, falsche Vorstellungen von einer Art Großmolkerei, in der
sich trainingshosentragende Talkshowstammgäste die verschmutze Klinke in die
Hand geben, sind laut Ärzten einige der Ursachen. Die AZ macht den Selbstversuch.
Das „Material“ wird immer schlechter, klagt die Ärztin
Die größte Münchner Samenbank in Solln sucht inzw ischen via Internet
(www .cryobank-muenchen.de) nach Spendern. Zuerst muss ich einen Fragebogen
ausfüllen, Alter (unter 40), Größe (möglichst über 1,80 Meter), Gew icht und
Schulabschluss angeben, ein Foto hochladen – und abschicken!
Zwei Tage später meldet sich die Samenbank, man sei interessiert, ich soll
vorbeikommen und fünf Tage vorher sexuell enthaltsam leben. Die Praxis des
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renommierten Münchner Gynäkologen Wolf Bleichrodt liegt im Sollner „Medicenter“,
das eine Lobby wie ein Luxushotel hat. Als ich den Fahrstuhl betrete, kommt mir ein
junger Mann entgegen, unsere Blicke treffen sich, und irgendwie habe ich das
Gefühl, er weiß genau, warum ich hier bin. Peinlich.
Noch schlimmer fühle ich mich am Empfang. Wie immer sitzen da nur junge, hübsche
Mädels. „Ich, ähm, möchte...“ Dann kommt auch schon Vera Putterlik, die DiplomBiologin. Sie schaut mich genau an, will wissen, ob meine Haare gefärbt sind, notiert
die Körpergröße, stuft mich als „athletisch-leptosom“ ein und beginnt einen
erschütternden Exkurs über das perfekte Sperma, dessen Volumen (mindestens
zwei Milliliter), Geruch (Kastanienblüten!), Beweglichkeit und Form. Jedes Jahr werde
es schlechter, klagt sie. Warum, darüber streiten die Forscher noch. Umwelteinflüsse
gelten als w ahrscheinlich. Nur bei einem Drittel der Spender sei das „Material“, w ie
sie es mäßig liebevoll nennt, gut genug.
Jeder Spender bekommt einen Codenamen
Ich fühle mich ein bisschen unter Druck gesetzt, bin aber durch eine Nadel im Arm
etwas abgelenkt: Alle Bewerber w erden nämlich auf Cytomegalie, Toxoplasmose,
Mucoviszidose und viele andere komische Wörter getestet.
Zum ersten Mal im Leben bekomme ich einen „Codenamen“, der Spender bleibt ja
anonym, außer den Medizinern gegenüber. Frau Putterlik macht das auf ihre Weise,
sucht nach Ähnlichkeiten zur Schauspielern und Sportlern. „Wir haben einen Derrick
und einen Nadal“, erzählt sie nicht ohne Stolz. Ich werde „Sven“ – w egen des
Skispringers. Naja.
„So, w ollen Sie Zeitschriften?“ Bevor ich nach der „Bunten“ frage, wird mir klar, um
w as es jetzt geht. Die Biologin drückt mir noch eine „Anleitung zur Sperma-Abgabe“
in die Hand (so geht das also) und begleitet mich ins „Arbeitszimmer“, an dessen Tür
das gleiche Schild hängt w ie vor Hotelzimmern: „Bitte nicht stören". Was nun folgt,
ist gar nicht so einfach, obwohl alles extrem sauber ist, nach den
Vernichtungsfeldzügen von „General Bergfrühling“ duftet und die Animierhefte dem
Sujet entsprechend gew ählt sind („Maya und Anna balgen sich fast um das
Sperma“).
Danach geht’s zu Dr. Wolf Bleichrodt, der mit allen Interessenten intensive
Gespräche führt. Er, Typ w eißhaariger Robert Redford, fragt mich nach Lebenszielen
und Lieblingsfilmen. Er muss es genau w issen, sucht er doch den passenden
Spender fürs Paar aus.
Wichtig sei, dass sich der „soziale Vater“ in dem Kind w iedererkenne und nicht
ständig erinnert w erde, dass es nicht von ihm stammt. Konkret: „Ist der Mann ein
brünetter Technikfreak, kommt als Spender kein Blonder in Frage, der den ganzen
Tag Hölderlin liest“, sagt Bleichrodt.
Mit 18 darf sich das Kind nach der Identität erkundigen
Nun muss ich zu seiner Tochter, der Psychologin Constanze Bleichrodt, die der
attraktiven Comicfigur Betty Boop ähnelt und hier regelmäßig Träume von einem
lukrativen Nebenjob zerstört. 80 Euro „Aufwandsentschädigung“ gibt’s pro Schuss
(400 Euro zahlt das Paar). Nur insgesamt 12 Spenden dürfen es sein und maximal
zehn Kinder entstehen, um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass sich
irgendwann zufällig Geschw ister verlieben.
Sie klärt mich über die rechtliche Lage auf. Kurz gesagt: Meine Identität bleibt
geheim. Das Kind darf sich allerdings mit 18 Jahren, weiß es Bescheid, bei der
Samenbank nach meinem Namen erkundigen. Zahlen muss ich nach bisheriger
Rechtspraxis aber nicht. Vor einem deutschen Gericht hat seit Einführung der
Samenspende vor rund 100 Jahren noch nie ein Kind auf Unterhalt geklagt. Die
genauen Bestimmungen sind im Spendervertrag ersichtlich, den man sich in Ruhe zu
Hause durchlesen sollte.
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Dass ich am Ende die Recherche Recherche sein lasse, hat eher mit einem anderen
Punkt zu tun: Der Spender erfährt generell nichts über die „Folgen“, ich könnte in
fünf, sechs Jahren also nur mutmaßen, ob eines der Kinder auf dem Spielplatz
vielleicht mein eigenes ist.
Timo Lokoschat
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