Robert Walser, Für die Katz : Kafka, Kleine Fabel

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Robert Walser, Für die Katz : Kafka, Kleine Fabel
Robert Walser, Für die Katz
Ich schreibe das Prosastück, das mir hier
entstehen zu wollen scheint, in stiller Mitternacht, und ich schreibe es für die Katz, will
sagen, für den Tagesgebrauch.
Die Katz ist eine Art Fabrik oder Industrieetablissement, für das die Schriftsteller täglich,
ja vielleicht sogar stündlich treulich und emsig
arbeiten oder abliefern. Besser ist, man liefere,
als übers Liefern bloss undienliche und übers
Dienen plaudertäschelige Lavereien oder Diskussionen zu veranstalten. Hie und da dichten
sogar Dichter für die Katz, indem sie sich sagen, sie fänden es gescheiter, etwas zu tun, als
dies zu unterlassen. Wer für sie, diesen Kommerzialisiertheitsinbegriff etwas tut, tut es um
ihrer rätselhaften Augen willen. Man kennt die
Katz und kennt sie nicht; sie schlummert, und
im Schlaf schnurrt sie vor Vergnügen, wer sie
sich zu erklären sucht, steht vor einer undurchdringlichen Frage. Obwohl die Katz anerkanntermassen etwas wie für die Bildung eine Gefahr ist, scheint man ohne sie nicht existieren
zu können, denn sie ist die Zeit selbst, in der
wir leben, für die wir arbeiten, die uns Arbeit
gibt, die Banken, die Restaurants, die Verlagshäuser, die Schulen, das Immense des Handels,
die phänomenale Weitläufigkeit des Warensfabrikationswesens, alles dies und noch mehr,
falls ich, was in Betracht kommen könnte, der
Reihe nach aufzählen wollte, was ich für überflüssig halten würde, ist Katz, ist Katz. Katz ist
für mich nicht nur das, was für den Betrieb
taugt, was für die Zivilisationsmaschinerie irgendwelchen Wert hat, sondern sie ist, wie ich
bereits sagte, der Betrieb selber, und bloss das
dürfte sich eventuell herausnehmen, nicht für
die Katz bestimmt sein zu wollen, was sogenannten Ewigkeitswert aufweist, wie beispielsweise die Meisterwerke der Kunst oder
die Taten, die hoch über das Summen, Brummen, Sausen, Brausen des Tages hinausragen.
Was von Abneigung und Vorliebe, anders gesprochen, von der Katz, die gewiss ein eminentes Etwas ist, nicht verzehrt oder aufgegessen
wird, das, so wird man sich einbilden können,
sei bleibend, lande ähnlich einem Fracht- oder
Prachtschiff im Hafen fernliegender Nachwelt.
Mein Kollege Binggeli schriftstellert meines
Erachtens nach in jeder Hinsicht für die Katz,
obschon er äusserst anspruchsvoll schreibt und
dichtet. In bezug auf die Katzlichkeit seines
zweifellos an sich vorzüglichen Schaffens befindet sich Dinggeläri, dem eine hinreissendschöne Frau ehelich angehört, der famos speist
und isst, täglich prächtig spaziert, eine romantisch gelegene Wohnung bewohnt, insofern in
einem eklatanten Irrtum, als er in einem fort
meint, die Katz mache sich nichts aus ihm.
Während sie ihn als den Ihrigen betrachtet, gibt
er sich Mühe, zu denken, sie halte ihn für ungeeignet, was keineswegs Tatsachen entspricht.
Ich nenne die Mitwelt Katz; für die Nachwelt erlaube ich mir nicht, eine familiäre Bezeichnung zu haben.
Oft wird die Katz missverstanden, man
rümpft die Nase über sie, und gibt man ihr etwas, so begleitet man diese Beschäftigung mit
durchaus nicht wohlangebrachter Auffassung,
indem man hochmütig sagt: "Es ist für die
Katz", als wären nicht alle Menschen von jeher
für sie tätig gewesen.
Alles, was geleistet wird, erhält zuerst sie; sie
lässt sich's schmecken, und nur was trotz ihr
fortlebt, weiterwirkt, ist unsterblich.
(entstanden 1928/29)
Franz Kafka, Kleine Fabel
»Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß
ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der
Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern
eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon
im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel
steht die Falle, in die ich laufe.« – »Du mußt
nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze
und fraß sie.
(entstanden November/ Dezember 1920)

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