Individualität ist Trumpf
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Individualität ist Trumpf
WIRTSCHAFT & SOZIALES Seite 6 폷 13. März 2006 Thüringen mittendrin KOMMENTAR Denkpause Von Bernd JENTSCH Selbst die alten Rituale taugen nicht mehr. So galten stundenlange Verhandlungen die ganz Nacht hindurch für viele Jahre als ein untrügliches Zeichen dafür, dass Tarifverhandlungen unmittelbar vor der Einigung stehen. Am frühen Morgen ist es dann den Verhandlungsführern beider Seiten vorbehalten, mit müdem Gesichtsausdruck die frohe Botschaft zu verkünden. Wer darauf gehofft hatte, sieht sich nach dem Spitzentreffen in der Tarifauseinandersetzung des öffentlichen Dienstes nun allerdings eines Besseren belehrt. Hört man jetzt die Statements beider Seiten − nach der verkündeten Denkpause in den Verhandlungen −, fragt man sich besorgt, wie sie es überhaupt vierzehn Stunden unter einem Dach ausgehalten haben. Ein Zerfall der Tarifgemeinschaft der Länder würde die Lage nur weiter zuspitzen. Gefragt ist Bewegung auf beiden Seiten und ein tragfähiger Kompromiss, der die Streiks schnell beendet. T C WI1 Für den Fremdenverkehr des Landes zahlt sich die lange Aufbauarbeit jetzt offenbar aus Die gestern beendete Internationale Tourismus-Börse (ITB) sorgt für neuen Optimismus in der Branche. Von Wolfgang SUCKERT BERLIN. Die weltgrößte Reisemesse besuchten 160 000 Menschen, 18 000 mehr als 2005. Die Zahl der Fachbesucher stieg nicht nur um 12,6 Prozent, sondern es waren auch 15 Prozent mehr „Entscheider“ in den Messe- hallen unterwegs. Das sind Manager, deren Unterschrift reines Geld wert ist. Schätzungsweise wurden auf der Messe Kontrakte im Wert von fünf Milliarden Euro geschlossen. Die Chefin der Thüringer Tourismus-Gesellschaft, Bärbel Grönegres, zeigte sich zufrieden über den Verlauf der Messe-Tage. Die jahrelange Aufbauarbeit scheine sich auszuzahlen. Alle wichtigen Partner waren da, so dass Kundenpflege inzwischen zum wich- tigsten Messegeschäft wurde. Die Vertreter der Deutschen Zentrale für Tourismus in NeuDelhi suchten den Kontakt zu den Thüringern, um gemeinsame Strategien abzustimmen. Chinesen und Inder dominieren im nächsten Jahrzehnt das weltweite Reisegeschehen. Zum Messegeschäft der Busunternehmer gehört es inzwischen, auf der ITB für die Erfurter Domstufenfestspiele zu buchen. 100 Prozent verkaufte Karten gehören zum Standard- Ziel der Erfurter Veranstalter. „Der Mond“, Carl Orffs erstes Bühnenwerk, entfaltet die nötige Anziehungskraft für 2006. Kurzfahrten zu einem Kulturhöhepunkt, so hat die Marktforschung festgestellt, sind die Wachstumsbranche an sich. Kerstin Scharf von der Tourist-Information Weimar bietet mit dem Open-Air-Konzert „Französische Nacht“ am 1. Juli etwas an, was im Trend liegt. 1000 Sitzplätze und 3000 weitere mit Picknick-Möglichkeit im Park sind ein Kulturerlebnis, das gesucht wird. Wenn das Musical zum 800. Geburtstag der heiligen Elisabeth von Thüringen nicht gerade erst im Entstehen wäre, Andreas Volkert von der Wartburg hätte bereits massenhaft Tickets verkaufen können. Abgesandte der BUGA 2007 in Gera und Ronneburg bekamen in Berlin eine Ahnung davon, dass Bundesgartenschauen ein treues Publikum besitzen, das gepflegt werden will. ZAHL DES TAGES KarstadtQuelle will mit dem Verkauf von Immobilien seine sämtlichen Schulden tilgen und dadurch jährliche Zinsbelastungen im dreistelligen Millionenbereich einsparen. „Wir haben immer erklärt, wir wollen deutlich über drei Milliarden Euro bekommen“, sagte Konzernchef Thomas Middelhoff im Interview mit der „Wirtschaftswoche“. Es sei nicht „unmöglich“, vier Milliarden Euro für die Immobilien zu erlösen. Geplant ist ein Verkauf der Warenhausimmobilien in einem Paket, das anschließend zurückgemietet werde. KURZ & BÜNDIG KÜRZUNGEN. Die Länder wollen die milliardenschweren Kürzungspläne des Bundes im Nahverkehr stoppen. Man lehne die von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück beabsichtigten Kürzungen von 2,3 Milliarden Euro bis 2009 ab, heißt es im Beschluss der SonderVerkehrsministerkonferenz. RÜCKGANG. Der Internationale Autosalon in Genf ist auf deutlich geringeres Interesse gestoßen als im Vorjahr. Rund 674 000 Personen besuchten die Ausstellung − deutlich weniger als im Rekordjahr 2005, als noch 747 700 Besucher kamen. BAUSPARTE. Neben dem unter Auftragsmangel leidendem Bergbaubereich ist nach Informationen der Berliner Zeitung auch die Bausparte des Herner Baukonzerns HeitkampDeilmann-Haniel von der Insolvenz bedroht. VERFAHREN. Laut einem Zeitungsbericht droht die EU-Kommission in Brüssel mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien, weil die Regierung in Madrid eine Übernahme des spanischen Energieversorgers Endesa durch die deutsche Eon blockieren will. VERWERTUNG. Sportrechtevermarkter Arena muss bei der Weiterverwertung der Fernseh-Rechte für die Fußball-Bundesliga keinen Widerstand des Bundeskartellamts fürchten. DIESEL. General Motors will einem Zeitungsbericht zufolge künftig deutlich mehr Autos mit Dieselmotoren anbieten und damit auch in den USA der dort bislang noch kaum verbreiteten Technologie zum Durchbruch verhelfen. VORSTAND. Der zum Jahreswechsel ausgeschiedene Bahn-Vorstand Klaus Daubertshäuser arbeitet als Lobbyist für seinen ehemaligen Arbeitgeber. LADENSCHLUSS. Die Mehrheit der Bundesländer will laut „Focus“ nach einer Föderalismusreform die Laden- Öffnungszeiten werktags komplett freigeben. BLICKFANG: Die Talbrücke „Wilde Gera“ der Thüringer-Wald-Autobahn A 71 bei Gräfenroda gehört zu den Favoriten für den Deutschen BrückenTA-Foto: S. FROMM baupreis. Der wird heute Abend in Dresden erstmalig in zwei Kategorien mit jeweils drei nominierten Bauwerken verliehen. Erwartungen übertroffen Thüringen-Ausstellung erwies sich erneut als Publikumsmagnet / Umsatzplus gegenüber Vorjahr erzielt Die Thüringen-Ausstellung bleibt ein Besuchermagnet. Bei der 16. Auflage − die gestern Abend ihre Pforten auf dem Erfurter Messegelände schloss − wurden die Erwartungen übertroffen. Die Veranstalter zeigten sich überaus zufrieden. Von Bernd JENTSCH ERFURT. Beim Blick aus dem Fenster am Samstagmorgen sei ihr schon ein wenig bange gewesen, bekennt Constanze Kreuser zum Abschluss der Messe. Die Geschäftsführerin der die Thüringen-Ausstellung veranstaltenden RAM Regio Ausstellungs GmbH sagt das mit Blick auf die Schneemassen, die durchaus angetan waren, den einen oder anderen davon abzuhalten, nach Erfurt zu fahren. Immerhin nehmen viele Besucher der Schau eine lange Anfahrt in Kauf, um die Messe zu besuchen. Das hat eine Umfrage unter der Gästen in diesem Jahr erneut bestätigt. Doch die Sorgen der Messe-Managerin erwiesen sich rasch als unbegründet. Wie schon am Auftaktwochenende füllten sich die drei Messehallen im Tagesverlauf und der Strom der Besucher riss nicht ab. Einige Unentwegte ließen es sich selbst nicht nehmen, im Schneesturm am Samstag gegen 18.00 Uhr vor dem Haupteingang der Erfurter Messe ein Feuerwerk zu verfolgen, dass der erstmals parallel zur Thüringen-Ausstellung durchgeführten Messe für Hochzeiten und Feierlichkeiten gewidmet war. Die war nur eine von insgesamt vier Messen in der Messe. Ein Konzept, das offenbar aufging und ebenso wie die Thementage zum Besucheransturm in diesem Jahr erheblich beitrugen. Dabei wurden selbst die optimistischen Erwartungen der Veranstalter noch übertroffen. Nach dem Auftaktwochenende nach Maß, dass den besucherstärksten Samstag wie auch den besucherstärksten Seniorentag am Montag beinhaltete, zeigte sich RAM-Regio-Geschäftsführer Eberhard Kreuser bei der Halbzeit der diesjährigen Thüringen-Schau noch zurückhal- tend. „Sie wissen, wir sind mit Zahlen immer ein wenig vorsichtig“, antwortete Eberhard Kreuser auf die Frage nach den angestrebten Besucherzahlen bei dieser sechzehnten Auflage der Thüringen-Ausstellung. Er sei recht zuversichtlich, dass es gelinge, die Marke von 60 000 Messegästen zu überbieten, erklärte der Messemacher noch am Eröffnungswochenende. In der Tat wäre schon das ein Plus zum Vorjahr gewesen, in dem rund 58 000 Besucher bei der Ausstellung gezählt wurden. In der Wochenmitte strahlten die beiden Geschäftsführer bereits Bilanz nach neun Messetagen 70 Prozent der BesuIm Bausektor waren Die Besucherzahl lag cher reisten laut einer 97 Prozent der Aus2006 um rund 20 ProUmfrage über 50 Kilome- steller „sehr zufrieden“, im zent über jener der voranter zu der Messe an. Gartenbereich sogar 100. gegangenen Ausstellung. Rund ein Drittel der Die ersten Aussteller Knapp 93 Prozent der Aussteller waren mit 629 Aussteller hat in haben schon Verträge dem Erfolg ihrer Messebe- diesem Jahr mehr Umsatz für die Teilnahme an der teiligung „sehr zufrieden“. gemacht als 2005. Messe 2007 unterzeichnet. eine gewisse Zufriedenheit aus und berichteten von einer Zunahme der Besucherzahl um etwa 15 Prozent. Aber selbst dies erwies sich im Nachhinein noch als vorsichtige Schätzung. Als sich gestern die Hallentore endgültig schlossen, waren es gut 20 Prozent mehr Besucher als vor Jahresfrist, die auf das Messegelände gekommen waren, knapp 70 000. Angesichts dieser Zahlen erscheint die hohe Quote der zufriedenen Aussteller durchaus als logisch. Zumal deren Umsatz zum Vorjahr ebenfalls zulegen konnte. Zahlreiche Aussteller haben daher ihre erneute Teilnahme an der Thüringen-Ausstellung im kommenden Jahr bereits in Aussicht gestellt. Die dann 17. Auflage der, nach Angaben der Veranstalter, größten Verbrauchermesse Thüringens soll erneut im März stattfinden. Den genauen Termin können sich Interessierte bereits vormerken: Die Messe beginnt am 3. März 2007 und dauert bis zum 11. März 2007. Individualität ist Trumpf Unternehmen in Thüringen (632): Eisenacher Firma wächst mit Software für den Mittelstand Er ist Stammgast auf der CeBIT und entsprechend sensibel, was die Stimmung in der IT-Branche betrifft. „Die ist gut“, fühlt sich Olaf Börner an die Boomzeiten der New Economy erinnert. Von Ines KLEIN HANNOVER/EISENACH. Es war 1991, als der Eisenacher den Schritt in die Selbstständigkeit wagte. Zunächst allein, doch seit 1998 geht es stetig bergauf, erzählt der Unternehmer, der mittlerweile Chef von neun Mitarbeitern ist. Tendenz steigend. Denn das Systemhaus, das die Software der My Factory GmbH aus dem friesischen Jülich auf Kundenwunsch zuschneidet, wächst. 2005 erzielte das Team von Olaf Börner eine Million Umsatz. Ein neuer Rekord, den es in diesem Jahr zu knacken gilt, auch mittels zweier neuer Mitarbeiter, die Olaf Börner einstellen will. Doch dabei hat er ein Problem: „Ich finde nur schwer passendes Personal, die Guten zieht es in den Westen“, DATEN: Software auf Glitzerscheiben bieten CeBIT-Hostessen. TA-Foto: A. VOLKMANN sagt er und zeigt Verständnis, schließlich könne man dort weit mehr verdienen. Seit zwei Jahren kooperiert Olaf Börner mit der My Factory GmbH, die 800 Mitarbeiter zählt, darunter 25 Softwareentwickler. Ihr Hauptkunde ist der Mittelstand. Jene, von Marktführern wie SAP oder Intershop, lange Zeit vernachlässigte Klientel. Sie ist zahlenmäßig groß, aber auch sehr kostenbewusst. „Das ist unsere Chance“, sagt Frank Türling von Soft- VISITENKARTE 쎲 Unternehmen: EDV-Service Olaf Börner, Eisenach 쎲 Beschäftigte: Neun feste Mitarbeiter 쎲 Angebot: IT-Dienstleistungen für Firmen und Verwaltungen, Schulungen 쎲 Umsatz: eine Million Euro ware Factory, die im Jahre 2005 um gut 25 Prozent gewachsen ist. Man zähle jetzt 400 Kunden. Einen Großteil dazu habe Olaf Börner beigetragen, der der beste Vertriebspartner in Deutschland sei. Dass nunmehr auch das Jenaer Unternehmen Intershop mit seiner Software um mittelständische Firmen buhlt, bereitet Olaf Börner, der einst in Jena Mathematik studiert hat, wenig Sorgen. „Das war abzusehen. Die Großen waren schnell ver- sorgt, da braucht es neue Märkte“, so der Thüringer. Doch er ist skeptisch, ob das Konzept der Konkurrenz wirklich aufgeht. Man könne nicht einfach eine Software für einen Konzern schrumpfen und dem Frisörfilialisten mit nur einem Dutzend Geschäften anbieten, sagt der Experte. Neue und alte Kunden sind es auch, mit denen er derzeit auf der weltgrößten Computermesse in Hannover ins Gespräch kommt. Über 50 Termine habe er schon im Vorfeld der Messe avisiert, mehr als je zuvor. „Die Unternehmen kommen aus der Deckung, sie wollen wieder investieren und sie sind anspruchsvoller geworden“, erklärt Börner. Er sieht darin eine Herausforderung und bietet mit seinem Team auch Individuallösungen an. Die Schulungen für die Nutzer gibt es dazu und die Nachfrage ist groß, wie der Andrang auf der CeBIT beweist. Für den Kaffee zwischendurch bleibt wenig Zeit, aber irgendwann will er durch die Hallen gehen und sehen, was die Konkurrenz macht. Thüringer Allgemeine Tribunal gegen die Armut In Thüringen sind immer mehr Haushalte von Armut betroffen. Darauf machten Verdi und die Bürgerinitiative Gleichbehandlung aufmerksam, mit einem symbolischen Gerichtsverfahren. Von Mélanie VOISIN ERFURT. Pappmascheeköpfe von Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel liegen auf der Anklagebank des Tribunals gegen Armut. „Alle sind an der heutigen Beschäftigungspolitik beteiligt und somit dafür verantwortlich, dass die Menschen in die Armut getrieben werden“, erläutert Helmut Müller, VerdiMitglied und Vorstand der Mindestlohninitiative: „Mit dieser Veranstaltung wollen wir Druck auf die Landesregierung ausüben, die durch Dumpingaufträge dazu beiträgt, dass die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern.“ Thomas Mädel, der eigens aus Nordrhein-Westfalen angereist ist, kann davon ein Lied singen. Der Lkw fahrende Akademiker hat einen Arbeitsvertrag von 60 Stunden zu 5,50 Euro pro Stunde, muss aber in der Regel 350 Stunden im Monat fahren. „Wir sehen nicht mehr ein, dass diese Gesellschaft das macht, was sie mit uns macht. Bis jetzt haben wir uns zu wenig dagegen gewährt“, sagt er und begrüßt die Forderung der Gewerkschaften, einen Mindestlohn von 7,50 Euro einzuführen. In Deutschland ist die Armutsquote laut Armutsbericht der Bundesregierung gestiegen. 1993 lag sie noch bei 11,7 Prozent, zehn Jahre später schon bei 13,5 Prozent. Dieser Trend ist in den neuen Bundesländern umso schlimmer, da der Durchschnittslohn niedriger als im Westen ist. So müssen in Thüringen 58 Prozent der Arbeitnehmer mit Billig- und sogar Armutseinkommen überleben. Die prekäre Grenze werde dann überschritten, wenn ein Mensch weniger als die Hälfte des Durchschnittlohns, der in Thüringen bei 1700 Euro liegt, zum Leben hat, definiert Müller die Armut. Das Urteil des Gerichts kam nicht unerwartet: Die Verweigerung des Vergabe- und Mindestlohngesetzes sei widerrechtlich. Schering vor Übernahme BERLIN (dpa). Der Darmstädter Pharmaund Chemiekonzern Merck will das Berliner Pharmaunternehmen Schering übernehmen. Die im DAX notierte Schering AG bestätigte gestern, die Merck KGaA habe am Wochenende ein Barangebot in Höhe von 77 Euro je Schering-Aktie in Aussicht gestellt. Es gebe jedoch keine Verhandlungen über eine Fusion, das Angebot sei unaufgefordert abgegeben worden. Der Schering-Vorstand betonte, er halte die Offerte für erheblich zu niedrig. Die Berliner Schering AG betreibt in Thüringen zwei Werke in Jena und in Weimar. Weiter Druck auf Opel MÜNCHEN (dpa). Der Kampf um den Fertigungsauftrag für den 2010 geplanten Opel-Astra-Nachfolger spitzt sich laut „Automobilwoche“ zu. Saab habe gute Chancen für die Fertigung der nächsten Astra-Generation, sagte General Motors Europe-Chef Carl-Peter Forster. Das Werk Trollhättan sei superproduktiv und habe zudem ein Presswerk und eine neue Lackiererei, lobte Forster. Die Entscheidung, wo das Modell gefertigt wird, könnte zur Schließung eines der drei Astra-Werke führen. Gefährdet ist des Werk in Bochum.