Bizepssehne oder nicht, ist hier die Frage
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Bizepssehne oder nicht, ist hier die Frage
Bizepssehne oder nicht, ist hier die Frage Filou ist ein Border Collie Rüde, der seit Sommer 2009 an einer Schulterlahmheit vorne links leidet. Er zeigte die Lahmheit vor allem sehr stark auf der Wendung und auch beim Einlaufen. Unter Belastung war die Lahmheit nicht stärker. Dieses Problem wurde zuerst dem Haustierarzt vorgestellt und anschliessend in einer Klinik. Auf Grund der klinischen Symptome und des Verlaufs stellte man die Diagnose „Bizepssehnenentzündung“. Zur Sicherung der Diagnose wurde auch ein Ultraschall gemacht, auf dem man die Veränderungen im Bizepssehnenbereich ausmachen konnte. Da die Diagnose bestätigt wurde, versuchte man zuerst eine konservative Therapie. Das Buggelenk sowie die Peripherie der Bizepssehne wurden mit Kortison infiltriert. Nach der ersten Injektion verbesserte sich die Lahmheit für knapp drei Wochen und kam dann anschliessend wieder voll zurück. Diese Therapie wurde noch zweimal wiederholt, aber ohne klinische Verbesserung der Lahmheit. Da die konservative Therapie keinen Erfolg brachte, wurde eine chriurgische Therapie in Erwägung gezogen. Die Besitzerin tat sich mit diesem Entscheid schwer und so holte sie sich bei mir eine Zweitmeinung ein. Nach der Erhebung der Anamnese(Krankheitsgeschichte) wurde das Gangbild des Hundes untersucht und auf Video aufgenommen. Es war sehr auffallend, dass die Schulterfreiheit der linken Schultergliedmasse deutlich eingeschränkt war gegenüber rechts, auch zeigte der Hund einen Wendeschmerz, der atypisch war für die Erkrankung der Bizepssehne. Bei der orthopädischen Untersuchung fiel einerseits die deutliche Muskelatrophie der Schultermuskeln auf, andererseits aber auch die Verkrampfung der unteren Halsmuskeln, der Pektoralmuskulatur (Brustmuskel) und des Deltoidmuskels (Schultermuskel). Auffallend waren die Befunde der rechten Hintergliedmasse. Bei der Nachfrage stellte sich heraus, dass der Hund vor zwei Jahren an dieser Gliedmasse hinten rechts ebenfalls lahm ging ohne dass dafür eine Erklärung gefunden wurde. Anschliessend an die orthopädische Untersuchung wurden zum Ausschluss in der Diagnostik noch aktuell Röntgen von der Hals und Schulterregion sowie der Beckenregion gemacht. Somit konnte der Verdacht, der sich im Laufe der Untersuchung aufzeichnete erhärtet und bestätigt werden. Der Hund hat nicht eine Bizepssehnenentzündung sondern zwei regionale Schmerzprozesse. Nun zur Erklärung: Als erstes Problem war die alte Lahmheit hinten rechts vorhanden. Eine alte Verletzung im Bereich Lendenwirbelsäule und Hüfte rechts veranlasste den Hund, die Gliedmasse hinten rechts zu entlasten. Der Besitzerin ist nicht aufgefallen, dass der Hund versetzt nach links läuft. Somit musste die linke Schultergliedmasse über all die Zeit diesen chronischen Schmerz der Hinterhand kompensieren. Durch ein zweites stumpfes Trauma im Sommer 2009 war nun die linke Schultergliedmasse nicht mehr in der Lage die Entlastungshaltung zu kompensieren. In der Folge begann der Hund vorne links zu Hinken. Leider hat man sich nun nur auf die Schultergliedmasse vorne links konzentriert und hat das orthodynamische System Körper nicht genügend berücksichtigt. Die Befunde des Ultraschalls sind nur die Folge der langen Kompensationshaltung mit der Verlagerung des Gewichts auf die linke Körperseite. Die Befunde des Ultraschalls beschreiben nur die Folgen der Kompensation, nicht aber die vorliegende Klinik. Ein zweiter Grund liegt darin, dass die Schulter des Hundes anders als beim Mensch aufgebaut ist. Beim Hund ist die Schultergliedmasse als Synsarkose (Weichteilverbindung) an den Rumpf angemacht. Dadurch ist diese Verbindung eher instabil und sehr anfällig für orthostatische und orthodynamsiche Veränderungen. Wenn man einen zu kleinen Schuh trägt, bekommt man nach längerer Zeit beim Laufen Blasen. Diese Situation ist für Jedermann klar. Dass eine Überlastung/ Entlastung im Körper zu Veränderungen an Sehnen, Bänder und Gelenken führt, ist leider für viele Besitzer immer sehr schwierig nach zu vollziehen. Leider ist Filou kein Einzelfall. Pro Jahr habe ich 70 – 100 Hunde die wegen chronischer Bizepssehnenentzündung vorgestellt werden, die trotz Therapie (Gelenksinjektionen, Physiotherapie, Entzündungshemmer etc.) nicht ausheilen können. Diese Fälle sind in der Regel sehr dankbar. Bei Filou war die Ausheilungszeit knapp sieben Wochen. Seither ist dieser Hund lahmfrei. Meistens brauchen die Hunde 6 bis 9 Wochen Ausheilungszeit und anschliessend einen kontinuierlichen Aufbau.