Projekt VERA - Schulentwicklung NRW

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Projekt VERA - Schulentwicklung NRW
Projekt
Prof. Dr. A. Helmke ⋅ JunProf. Dr. I. Hosenfeld
Universität Koblenz - Landau,
Fachbereich Psychologie, Campus Landau
Fortstraße 7 ⋅ 76829 Landau
! 06341-280-118 / -119 ⋅ FAX 06341-280-217
Email: [email protected]
WWW: http://www.uni-landau.de/vera/
VERA
VERgleichsArbeiten
in der Grundschule
in Deutsch und Mathematik
Handreichung zur Analyse der Falschlösungen
1.
Fehlerkultur und Fehleranalyse – allgemeine Hinweise
Ausgangspunkt ist die pädagogische und fachdidaktische Diskussion über Fehlerkultur. Damit ist,
verkürzt dargestellt, Folgendes gemeint:
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2.
Bei der Aneignung neuen Wissens treten häufig Fehler auf, insbesondere dann, wenn Lernende sich
aktiv um ein Verstehen bemühen. Da Fehler oft einen Schritt auf dem Weg zu einem tieferen
Verständnis darstellen, werden sie in Lern- und Aneignungsphasen des Unterrichts als
Selbstverständlichkeit zugelassen. Sie sind nicht Anlass für Sanktionierung oder gar Beschämung,
sondern werden als Lernchance gesehen. Dieses pädagogische Prinzip ist gerade in Grundschulen
bereits vielfach Teil des alltäglichen Unterrichts.
Fehlerkultur darf allerdings nicht zum Fehlerkult werden. Auch wenn Fehler anfänglich Lernchancen
bieten, müssen sie im weiteren Lernprozess beseitigt werden, sonst werden sie zu Lernbarrieren. Das
heißt, Mängel, Lücken und fehlerhafte Elemente im Wissen können den Lernfortschritt und die
praktische Nutzung des Gelernten massiv beeinträchtigen.
Daraus folgt die Notwendigkeit einer sorgfältigen und rechtzeitigen Diagnose von Fehlern, bevor sich
diese verfestigen. Auf der Ebene einzelner Schüler ist dies selbstverständlicher Teil des
Unterrichtsalltags. Dagegen werden spezifische Besonderheiten der eigenen Klasse oft nicht
wahrgenommen, da kein öffentlich zugänglicher Vergleichsmaßstab verfügbar ist.
Hierin liegt ein großes diagnostisches Potenzial der Rückmeldung bei VERA: im Vergleich der
Auftretenshäufigkeit von Falschlösungen in Ihrer Klasse mit denen einer Referenzgruppe
(Normierung 2005) und den Ergebnissen in Parallelklassen. Es besteht somit die Möglichkeit der
Beschreibung und Analyse von Fehlermustern auf der Ebene der gesamten Schulklasse. Das für eine
Klasse resultierende Fehlermuster gibt Hinweise auf im Unterricht „vernachlässigte“ Aspekte und
kann folglich als Bestandteil der Evaluation von Wirksamkeit des Unterrichts verstanden werden.
Darüber hinaus soll mit den Fehlerbeschreibungen und Ursachenhypothesen ein Beitrag zu einem
tieferen Verständnis der den Fehlern zugrunde liegenden Prozesse geleistet werden. Die Beschreibungen und Hypothesen werden – wo immer deren Bildung sinnvoll möglich war – zu den jeweils
zwei typischen Falschlösungen einer (Teil-)Aufgabe in den Korrekturanweisungen mit angegeben.
VERA will und kann letztlich nur Beschreibungen liefern – und damit die Grundlage für
Interpretationen und gegebenenfalls didaktische Konsequenzen in den Schulen bieten. Mit dem
Begriff „Fehleranalyse“ ist also in diesem Zusammenhang die Beschreibung der Typikalität (oder
Repräsentativität) klassenspezifischer Falschlösungen gemeint.
Wie lassen sich Unterschiede in den
Fehlerprozentsätzen interpretieren?
Faustregel: Ein Fehler muss in einer Klasse von mindestens zwei bis drei Schülerinnen oder Schülern
mehr bzw. weniger gemacht worden sein als in einer durchschnittlichen Klasse (Referenzwert aus der
Normierung), um inhaltlich interpretiert werden zu können. In sehr kleinen Klassen (weniger als 10
Schüler) muss der Fehler von mindestens einer Schülerin oder einem Schüler mehr bzw. weniger
gemacht worden sein.
1
Handreichung zur Analyse der Falschlösungen bei VERA
3.
Wie lassen sich Schülerfehler erklären?
Was für schulische Leistungen gilt – sie sind von sehr vielen Faktoren simultan bedingt – gilt auch für die
Falschlösungen, die ja lediglich die Kehrseite einer erfolgreichen Leistung darstellen. In der schulinternen
didaktischen Diskussion über mögliche Ursachen a) des Abschneidens Ihrer Klasse in einzelnen
Teilbereichen und b) der Häufung bestimmter Falschlösungen sehen wir einen interessanten Ansatzpunkt,
um die VERA-Ergebnisse für die Verbesserung des Lehrens und Lernens zu nutzen. Nachstehend ist ein
einfaches Raster zur Anregung von Diskussionen aufgeführt, das selbstverständlich keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erhebt.
• Auf Schülerseite:
mangelnde Vorkenntnisse
geringe Anstrengung („es gibt ja sowieso keine Note“)
mangelndes Instruktionsverständnis (z.B. Ankreuzen mehrerer Kästchen bei einer Aufgabe)
mangelnde „Testschläue“, z.B. bei Multiple-Choice-Formaten das Auslassen von Aufgaben statt
dem Ankreuzen der „vermutlich“ richtigen Lösung
• Auf Unterrichts- und Lehrerseite:
Der jeweilige Stoff ist im Schuljahr noch nicht bzw. lange nicht mehr unterrichtet worden.
Das relative Gewicht der drei Bereiche (Geometrie, Sachaufgaben, Arithmetik) weicht in Ihrer
Klasse vom Durchschnitt ab.
Bestimmte Kompetenzen und Fertigkeiten sind im Unterricht zu wenig – oder nicht nachhaltig
genug – thematisiert worden, z.B. Prozesse des Schätzens, „Plausibilitätschecks“ etc.
Ihr Unterricht basiert auf Lehrwerken, die eine geringe inhaltliche Nähe zu den von der KMK
beschlossenen Bildungsstandards bzw. den neuen Rahmenplänen und Kerncurricula besitzen.
4.
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5.
Wie lassen sich die Erkenntnisse aus dem
klassenspezifischen Fehlerprofil pädagogisch nutzen?
Thematisierung im Gesamtkollegium, der Stufenkonferenz oder schulübergreifend
Verankerung im Qualitätsprogramm (Fehleranalyse als fachdidaktisches Werkzeug der Diagnose
unterrichtlicher Wirkungen)
wiederholtes Vorgeben der Vergleichsarbeiten oder eines Teiles davon (z.B. der problematischen
Aufgaben), um eventuelle Lern- und Leistungsfortschritte zu überprüfen
systematische Variation derjenigen Aufgabenanforderungen, bei denen Schwächen zu konstatieren
waren, durch Konstruktion neuer Aufgaben
Anwendung der Methode des „lauten Denkens“ bei der Lösung von Aufgaben, die besonders häufig
falsch oder nicht gelöst werden, um den (falschen oder ungünstigen) Denk- oder Rechenweg zu
identifizieren. („Laut denken“ heißt, dass die Schülerin/der Schüler alle Gedanken, Einfälle und
Überlegungen bei der Lösung einer Aufgabe laut aussprechen soll.)
Variation ausgewählter fehlerträchtiger Aufgaben – ein
Beispiel
Bei Aufgaben, deren Falschlösungen auf die mangelhafte Beherrschung einer spezifischen Fertigkeit,
eines Algorithmus oder auf das Fehlen einer spezifischen Kompetenz schließen lassen, bietet sich die
Variation jener Merkmale an, welche Aufgaben aus didaktischer Sicht einfach bzw. schwierig machen.
Am Beispiel von Sachaufgaben sei dies anhand eines fiktiven Beispiels exemplarisch gezeigt:
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Handreichung zur Analyse der Falschlösungen bei VERA
Originalaufgabe
Variation der Textlänge
Variation der Textkomplexität
Variation des Alltagsbezuges
Variation der Anzahl nötiger Lösungsschritte
Variation d. Anzahl zu verarbeitender Größen
Vorgabe als offene vs. geschlossene Aufgabe
gelöst
15
F1
3
F2
2
anderer
Fehler
3
nicht
bearbeitet
5
Konkret heißt dies: (1) ein zu variierendes Merkmal auswählen und (2) dieses bei verschiedenen Aufgaben
in gleicher Weise anwenden (z.B. Aufgaben mit identischer mathematischer Struktur, aber sehr kurzem
bzw. sehr ausführlichem Text).
Eine Hypothese wie „Die Aufgabe ist vor allem deshalb so schwer (bzw. wird vor allem deshalb von
Kindern mit nichtdeutschem Sprachhintergrund nicht gelöst), weil sie sehr hohe Anforderungen an das
Leseverständnis stellt“, lässt sich auf diese Weise mit einfachen Mitteln, basierend auf den VERAAufgaben, im Unterrichtsalltag empirisch überprüfen.
6.
Wo kann ich mich ausführlicher über Fehlerkultur und
„Fehleranalyse“ im Fach Mathematik orientieren?
Zur Fehlerkultur gibt es ein vorzügliches Buch von W. Althof (Hrsg.), Fehlerwelten. Vom Fehlermachen
und Lernen aus Fehlern (1999). Opladen: Leske + Budrich.
Zur Fehleranalyse gibt es viele Publikationen. Aus unserer Sicht sind für das Fach Mathematik vor allem
die Werke von Jens-Holger Lorenz hervorzuheben, siehe:
http://www.grundschule.bildung-rp.de/gs/mathematik/interviewlorenz.html
Lorenz, J.-H. (2003). Lernschwache Rechner fördern. Berlin: Cornelsen.
Lorenz, J. H. (1987). Zur Methodologie der Fehleranalyse in der mathematikdidaktischen Forschung.
Journal für Mathematikdidaktik, 8 (3), 205-228.
Lorenz, J.-H. & Radatz, H. (1993). Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht. Hannover:
Schroedel.
Daneben auch:
Gerster, H. (1982). Schülerfehler bei schriftlichen Rechenverfahren: Diagnose und Therapie. Freiburg,
Basel, Wien: Herder.
Radatz, H. & Schipper, W. (1983). Handbuch für den Mathematikunterricht an Grundschulen. Hannover:
Schroedel.
Radatz, H. (1980). Fehleranalysen im Mathematikunterricht. Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg.
Straßburg, K. (1998). Die Fehleranalyse als diagnostische Methode im Prozess des Lernens. In: Eberwein,
H. (Hrsg.): Handbuch Lernprozesse verstehen. Weinheim, Basel: Beltz.
Aus psychologischer Sicht sind nach unserer Auffassung besonders zu empfehlen:
Stern, E. (1999). Die Entwicklung des mathematischen Verständnisses im Kindesalter. Lengerich: Pabst
Publisher.
Hasemann, K. & Stern, E. (2002). Die Förderung des mathematischen Verständnisses anhand von
Textaufgaben – Ergebnisse einer Interventionsstudie in Klassen des 2. Schuljahres. Journal für
Mathematikdidaktik, 23, 222-242.
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