Liebe Konfirmandinnen, Konfirmanden, Eltern und Verwandte, liebe
Transcription
Liebe Konfirmandinnen, Konfirmanden, Eltern und Verwandte, liebe
1 Predigt an Jubilate: Apg 17,22-34 Liebe Gemeinde, Religion oder besser sagt man heute: Spiritualität ist wieder sehr modern und gefragt. Menschen suchen nach Sinn, nach Lebensberatung, nach Halt in einer immer hektischeren und unübersichtlicheren Welt. Was früher ganz klar durch Traditionen geregelt war ist heute alles möglich, aber nicht mehr geregelt und schon gar nicht mehr klar. Wir hinterfragen alles und haben in den letzten Jahrzehnten alle möglichen Traditionen und Konventionen abgeschafft ohne dafür etwas besseres zu haben. Der Erfolg daran ist, dass nun alle wieder neu zum Suchen des richtigen Wegs, des individuellen Stils und Sinns verpflichtet sind oder eben haltlos und leider oft auch vermeintlich sinn- und hoffnungslos vor sich hinleben. Hier bekommt Spiritualität und Lebensberatung einen sehr gefragten Rang. Und tatsächlich, beim Stöbern in einer Buchhandlung kann man dabei schon interessante Entdeckungen machen. Da gibt es eine große, eigene Abteilung „Religion“. Vor dem Regal eine große Auslage, die von Buddhafiguren geziert wird. „Mit Buddha das Leben meistern“ wird angeboten; „Meditieren für Anfänger“, „Der Kleine Taschenbuddhist”, mehrere Bücher des Dalai Lama stapeln sich, der von einem Plakat herunter freundlich und lächelnd eine friedliche Welt verheißt: „Das Buch der Menschlichkeit: Eine neue Ethik für unsere Zeit“. Dazwischen Räucherstäbchen, tibetische Gebetsflaggen und andere wichtige religiöse Accessoires. Wer geduldig weitersucht kann ganz hinten in der Ecke auch bekannte Buchrücken mit der Aufschrift „Bibel“ entdecken. Immerhin ca. 50 cm Regalfläche mit Büchern, die sich irgendwie mit dem Christentum beschäftigen. Aber z.B. ein Gesangbuch für die anstehende Konfirmation ist nicht dabei. „Das können wir Ihnen gern bis morgen bestellen“, lautet die Auskunft der freundlichen Verkäuferin. Leicht grimmig gehe ich weiter. Unterwegs komme ich an der Praxis für Lebensberatung nach NLP vorbei. – Neurolinguistische Programmierung! „Haben Sie Schwierigkeiten in Beruf oder Beziehung?“ Wir beraten Sie gerne. Was es so alles gibt denke ich mir, als mein Blick auf ein Schaufensterplakat eines Friseursalons fällt: „Mehr Selbstbewusstsein durch gutes und gepflegtes Aussehen“, so ist es dort ganz groß zu lesen. Etwas resignativ denke ich mir: „Wie schlecht muss es mit dem Selbstbewusstsein von Menschen stehen, die nicht unter unser Hollywood-Schönheitsideal fallen?“ Mein Grimm wird immer größer. In was für einer Welt leben wir eigentlich? Ist das das „christliche“ Abendland? Ein riesiges Supermarktregal mit allen möglichen und unmöglichen religiösen und lebenskundlichen Angeboten! Alles gleichwertig nebeneinander? Ich habe einmal den guten Satz gehört: „Wo alles gleich gültig wird, wird alles gleichgültig!“ Mir sind doch auch nicht alle Frauen gleich gültig, sondern ich habe mich für eine Frau als meine Ehefrau besonders entschieden. – Alles gleich gültig, alles „egal“? 2 Und sind wir nicht an so einem Punkt bereits angelangt? Was wir an Ostern, Pfingsten oder Weihnachten feiern ist doch egal! Hauptsache ist doch, dass wir frei haben, kräftig feiern und Geschenke bekommen. Daher ist Pfingsten allenfalls noch zum Wegfahren interessant, denn da gibt’s ja leider keine Geschenke. Wundert mich, dass findige Geschäftsleute hier noch keine süßen Feuerzungen oder Tauben anbieten, um gute Geschäfte zu machen mit diesen zwei Feiertagen! Ja, so versucht jeder eben nach seiner Fasson selig zu werden und für viele ist unsere Regiswindiskirche nur noch ein kulturhistorisches Denkmal und der christliche Gott wird immer mehr zu einem unbekannten Gott, der nur noch als „höhere Macht“ oder „rätselhaftes Gefühl“ oder ähnliches betrachtet wird. Ja, schon der Theologe Schleyermacher prägte den Satz: „Der Mensch ist unheilbar religiös!“ Der Mensch ist ein zutiefst religiöses Wesen. Immer auf der Suche nach etwas Höherem, nach dem Universum, nach Gott oder wie auch immer man das nennen mag. Der Mensch scheint etwas zu brauchen, an das er sich halten kann. Eine höhere Macht, die der Existenz Sinn verleiht. Die Bücherregale der Buchhandlung zeugen davon. All diese Buddhas und fernöstliche Meditationsliteratur gäbe es nicht, wären keine Käufer dafür da. Suchende Menschen ... auf der Suche nach Glück und danach, wie sie dem Glück aufhelfen können, zu ihnen zu kommen. Auch in Athen zur Zeit des Paulus waren die Menschen auf der Suche: Unzählige Tempel und Altäre, den unterschiedlichsten Göttern geweiht, legen davon Zeugnis ab. Selbst dem „Unbekannten Gott“ war ein Altar gewidmet, damit man auch keinen vergisst. All diese Götter müssen auf rechte Weise verehrt und bedacht werden, damit ja kein Unglück über einen hereinbricht. Schon griechische Philosophen kritisieren diesen „Kult“. Und es gab Paulus. Auch er läuft durch die Stadt, sieht die vielen Götzenbilder und ergrimmt. Er beginnt mit den Philosophen zu diskutieren. „Was macht ihr da?“ Er beginnt Fragen zu stellen und von Gott, dem Schöpfer der Welt, zu predigen. Diese werfen ihm vor, fremde Götter zu verkündigen. Und so schleppen sie ihn auf den Gerichtshügel der Stadt, wo er sich verteidigen möge. Und so hören wir ihn, den grimmigen Redner Paulus, den geschickten Redner auf dem Areopag, dessen Herz voll ist mit seiner Botschaft, von der Wahrheit Gottes, die er erfahren hat: Apostelgeschichte 17,22–34: 22Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. 23 Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. 24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. 3 25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. 26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, 27 damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. 28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts. 29 Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht. 30 Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. 31 Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat. 32 Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. 33 So ging Paulus von ihnen. 34 Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen. „Denn in ihm leben, weben und sind wir.“ Das könnte sogar das Zitat eines griechischen Philosophen sein. Paulus wird den Griechen ein Grieche, er greift ihre Art, zu denken und zu reden, auf, kommt aber ziemlich schnell und direkt auf seine Botschaft zu sprechen. Seine Botschaft, die in ihm brennt wie ein Feuer, die er nicht für sich behalten kann: Seht ihr nicht, wem ihr euer Leben verdankt: Er, Gott, der Schöpfer dieser Welt, dein Schöpfer. Größer als all deine Vorstellungskraft. Darum kannst du ihn nicht in ein Bild gießen, auch nicht in das eines Zeus oder Buddhas. Ihm verdankst du dein Leben. Ihm allein. Was mühst du dich mit nutzlosen Gebeten und Opfern für die zahllosen Götzen. Du bist auf dem Holzweg. Dein Glück, deine Seligkeit kommt wo ganz anders her. Du kannst sie nicht durch religiöse Praktiken selbst machen oder beeinflussen. Das Glück, deine Seligkeit, die Anerkennung deiner Person ist dir schon von Gott geschenkt, noch bevor du es ahnst. „Fürwahr, er ist nicht ferne von uns, in ihm leben, weben und sind wir.“ – „Gott nahe zu sein ist mein Glück!“ (Ps 73,28) Und dieser Schöpfergott ist nicht fern und unbekannt geblieben. Er hat sich der Welt vorgestellt in Jesus Christus. Als liebender Vater, als einer, der Vergebung schenkt, Versöhnung und Frieden. Jesus Christus ist nicht im Tod geblieben – er ist auferstanden und mit ihm auch wir. Gottes Liebe und Anerkennung reicht über die Grenze des 4 Todes hinweg „In ihm leben, weben und sind wir – auch über den Tod hinaus.“ Das ist die Botschaft des Paulus, die in ihm brennt und für die er eifert. Menschen sind auf der Suche nach Gott. Damals in Athen und heute in Deutschland und überall auf der Welt. Gott aber ist schon da! Er hat schon die Arme geöffnet, dass wir zu ihm kommen können – und die Welt sieht es nicht. Verstellt ist der Blick von der Plastik Buddhas und anderen hundertfachen Glücksverheißungen: das richtige politische System, die richtige Ernährung, der richtige Sport, die richtige Szene, in der ich mich bewege, die richtige Meditationspraxis, das richtige Haus, der richtige Job. Das ist alles richtig und auch wichtig. Nur eines nicht: Du findest darin nicht den Sinn deines Lebens. Nicht die Anerkennung deiner Existenz, die auch über Versagen und Schuld hinausgeht, nicht die bedingungslose Liebe: Die findest du allein bei Gott, deinem Schöpfer: „Fürwahr, er ist nicht ferne von uns, in ihm leben, weben und sind wir.“ Diese Wahrheit ist es, die auch in uns brennt. Sie ist es, die uns antreibt, sie weiterzusagen: den Kindern in der Schule, im Konfirmandenunterricht und Gottesdienst. In den Krankenhäusern und Altenheimen. Ich besuche eine 91-jährige Frau zum Geburtstag. Sie erzählt von ihrer Flucht aus Ostpreußen und sagt: „Wissen Sie, ich wurde in all diesen schlimmen Jahren immer getragen. War immer gewiss, dass Gott die Hand über mich hält. Diese Erfahrung möchte ich meinen Enkeln weitergeben.“ Da ist etwas, das uns leben lässt und dankbar sein. Da erfahren wir Menschen die Wahrheit Gottes – und erzählen diese Erfahrungen weiter. Diese Erfahrungen können ansteckend sein, zum Glauben einladen. Nicht mit Druck oder falschen Versprechungen. Das ist „Mission“ im guten Sinn: von Gottes bedingungsloser Liebe erzählen, von dem, dem wir alles verdanken. Manche werden darüber spotten, wie schon damals in Athen, „andere aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig“, schließt die Apostelgeschichte die Rede des Paulus. „Fürwahr, er ist nicht ferne von uns, in ihm leben, weben und sind wir!“ Möge uns diese Botschaft immer wieder aufs neue erreichen und ergreifen und mögen wir diese Botschaft auch immer wieder an andere weitergeben durch Wort und Tat.