Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
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Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Freie Universität Berlin Forschungsbericht: SARS-Berichterstattung in Regionalzeitungen. Journalistische Qualität in Abhängigkeit von der Größe der Wissenschaftsredaktion basierend auf der gleichnamigen Magisterarbeit von Anne Vorbringer 2004 Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Arbeitsbereich Wissenschaftsjournalismus Univ.-Prof. Winfried Göpfert Tel.: (+49 30) 838-70300 www.kommwiss.fu-berlin.de/wissjour.html www.wissenschaftsjournalismus.de [email protected] Zusammenfassung 1 Zusammenfassung (Kapitel 11 der Magisterarbeit) Die Berichterstattung über medizinische Themen in den Medien erfährt von den Rezipienten eine besondere Aufmerksamkeit und nimmt innerhalb des Wissenschaftsjournalismus eine wichtige Stellung ein: Medizinthemen stehen ganz oben auf der Agenda der Wissenschaftsjournalisten. Dies ist besonders darauf zurückzuführen, dass die Gesundheit des Einzelnen ein emotional stark besetztes Thema ist und medizinische Sachverhalte jeden Leser direkt oder indirekt betreffen können. Innerhalb der Ärzteschaft, aber auch im kommunikationswissenschaftlichen Diskurs, ist die Medizinberichterstattung immer wieder Gegenstand zahlreicher Kontroversen. Hier stoßen verschiedene Interessen aufeinander: Die Journalisten haben den Leser im Blick und wollen ihm wissenschaftliche Sachverhalte verständlich und unterhaltsam nahebringen, während Mediziner die wissenschaftliche Kompetenz der schreibenden Zunft anzweifeln und der Berichterstattung Simplifizierung und Sensationali-sierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen vorwerfen. Die vorliegende Untersuchung hat Veröffentlichungen über eine Thematik analysiert, die innerhalb des Medizinjournalismus einen hohen Stellenwert einnimmt: die Berichterstattung über Infektionskrankheiten. Am Beispiel der atypischen Lungenentzündung SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom), die im November 2002 in Südchina ausbrach und von dort aus weiter verbreitet wurde, wurde die journalistische Qualität der Berichterstattung dreier Regionalzeitungen und der Deutschen Presse-Agentur untersucht. Die Zeitungen „Ostsee-Zeitung“, „Münchner Merkur“ und „Der Tagesspiegel“ haben unterschiedlich stark ausgebaute Wissenschaftsressorts: Die „Ostsee-Zeitung“ beschäftigt keine Wissenschaftsjournalisten, beim „Münchner Merkur“ arbeitet eine fest angestellte Medizinredakteurin und der Berliner „Tagesspiegel“ verfügt mit sechs festen Wissenschaftsjourna- Zusammenfassung listen über eine sehr gut ausgebaute Redaktion, die sich hinsichtlich ihrer personellen Stärke mit denen der großen überregionalen Zeitungen Deutschlands vergleichen lässt. In der dpa-Zentrale in Hamburg betreuen zwei Wissenschaftsjournalisten medizinische Themen. Im Zeitraum vom 15. März bis zum 15. April 2003 wurden Artikel und Meldungen, die sich schwerpunktmäßig mit SARS befassten, mit den Mitteln quantitativer und qualitativer Inhaltsanalysetechniken untersucht. Dabei wurden 300 Text-einheiten identifiziert, von denen 201 Einheiten mit je 22 Variablen analy-siert wurden (dpa-Meldungen: 13 Variablen). Eine herausragende Rolle nahm die SARS-Berichterstattung im „Tagesspiegel“ ein, der die meisten Artikel (77) veröffentlichte. Nur die dpa publizierte mehr Beiträge: Sie gab im Untersuchungszeitraum 131 Meldungen über SARS heraus, von denen 32 in die Untersuchung einbezogen wurden. Hinsichtlich der formalen Merkmale zeigte sich in den Zeitungen eine gewisse Einseitigkeit. Informationsorientierte Darstellungsformen bestimmten die SARS-Berichterstattung, während meinungsbetonte journalistische Genres kaum genutzt wurden. Bei den Meinungsäußerungen handelte es sich in der Hauptsache um referierte, selten um Stellungnahmen von Journalisten selbst. Lediglich im „Tagesspiegel“ finden sich häufiger qualifizierte Meinungsbeiträge in Kommentar- oder Interviewform. Der Forderung nach dem Hinzuziehen von Experten in medizinwissenschaftlichen Beiträgen kommt nur „Der Tagesspiegel“ nach, der in zwei Kommentaren und einem Interview Wissenschaftler zu Rate zieht. Seine Berichterstattung enthält auch den höchsten Anteil redaktionell verfasster Beiträge, während die „Ostsee-Zeitung“ hauptsächlich auf Agenturmel-dungen zurückgreift. Die Veröffentlichungen der medizinischen Fachpresse wurden, abgesehen von einer Meldung der dpa, überhaupt nicht berück-sichtigt, obwohl es bereits zu einem frühen Zeitpunkt Publikationen in der renommierten medizinischen Fachpresse gegeben hat. Die analysierten Beiträge waren sachlich und inhaltlich mehrheitlich richtig. Die geringste Fehlerquote weist die Berichterstattung des „Tagesspiegel“ auf. In der Negativbewertung besteht insgesamt gesehen eine gewisse Zurückhaltung, die neutrale Berichterstattung wird von allen untersuchten Me- 2 Zusammenfassung dien vorgezogen. Positive Nachrichten wie die Genesung von SARSPatienten oder Fortschritte bei der Suche nach dem Erreger dominieren gegenüber angsterzeugenden Formulierungen. Dennoch durchzogen auch unzutreffende Einschätzungen die Berichterstattung aller untersuchten Medien. So wurde im Zusammenhang mit SARS des Öfteren von einer hochansteckenden Krankheit oder einem hochinfektiösen Erreger gesprochen, eine Formulierung, die ebenso falsch wie verzerrend ist. Lediglich im „Tagesspiegel“ erfolgt eine Berichtigung und damit die korrekte Darstellung der bisherigen Erkenntnislage: SARS ist nur bei intensivem Kontakt übertragbar und betrifft daher hauptsächlich medizinisches Personal, das unzureichend geschützt zur Behandlung von SARSPatienten eingesetzt wurde. Insgesamt ist die Berichterstattung des „Tagesspiegel“ aktueller, akkurater, verständlicher, differenzierter und ganzheitlicher als die der anderen untersuchten Medien. Die SARS-Berichterstattung der dpa war ebenfalls von hoher Qualität, insbesondere hinsichtlich der Transparenz, der Vielfalt der Standpunkte und der medizinischen Aktualität der dargestellten Ereignisse. Besonders in der „Ostsee-Zeitung“ konnte hingegen eine gewisse Parallele zur AIDS-Berichterstattung festgestellt werden: Es wird über die Angst vor der Ansteckung geredet, die Benennung von übertragungsrelevanten Faktoren gerät dabei jedoch ins Hintertreffen. Insgesamt kann die Grundannahme dieser Arbeit, nämlich dass mehr Wissenschaftsjournalisten in der Redaktion auch eine höhere Qualität der Berichterstattung über medizinische Ereignisse garantieren, bestätigt werden. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Informationsqualität sowie die Einschätzungskompetenz mit einem zunehmend ausgebauten Wissenschaftsressort steigt. Neben der reinen Faktenvermittlung gelingt es auch in den meisten Fällen, eine Einordnung zu liefern. Den Lesern des „Tagesspiegel“ wird ein realistisches Einschätzungsvermögen über die Krankheit und entsprechende Präventionsmöglichkeiten vermittelt. Experteninterviews und -kommentare sowie ein hoher Grad an Transparenz erhöhen die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung. 3 Zusammenfassung Die Forderung nach der Mitarbeit von Wissenschafts- und in diesem Fall ausgebildeten Medizinjournalisten im tagesaktuellen Journalismus kann als Fazit nur unterstrichen werden. Es hat sich gezeigt, dass vorhandenes Wissen, aber auch die Kenntnis des wissenschaftlichen Forschungs-prozesses unnötige Ängste verbannen kann und eine Verunsicherung der Bevölkerung vermeiden hilft. Eine vorschnelle, allzu ergebnisorientierte Berichterstattung, die den angemessenen Vermutungscharakter früher medizinischer Erkenntnisse ignoriert, leistet dieser Verunsicherung und daraus möglicherweise resultierenden Fehleinschätzungen Vorschub. Der medizinische Fortschritt entwickelt sich in der Regel in vielen kleinen Schritten und nicht über Nacht. Dem wird die Berichterstattung in den Massenmedien oftmals nicht gerecht. Gerade beim Auftreten neuer Infektionskrankheiten wie AIDS oder SARS wird ein sensibler Umgang mit neuen Informationen als unerlässlich erachtet. Denn die Medien nehmen bei der SARS-Berichterstattung eine verantwortungsvolle und wichtige Position ein. Die Verhinderung einer weiteren Ausbreitung von Infektionskrankheiten hängt neben Quarantäne- und Schutzmaßnahmen, Behandlungsmöglichkeiten und Präventivstrategien von ärztlicher Seite zu einem beträchtlichen Teil davon ab, wie gut die Massenmedien die Öffentlichkeit informieren und Verhaltenshinweise veröffentlichen. Dass die Berichterstattung über SARS auch emotional bestimmt ist und damit die Kritikfähigkeit des Rezipienten einschränkt, steigert die Verantwortung der Journalisten, nur fundierte und substanzielle Aussagen auch als gesichert zu bezeichnen. Wann diese journalistische Sorgfaltspflicht eingehalten wird, das lässt sich nicht quantifizieren. Doch der Hinweis auf unterschiedliche Meinungen und die Argumentationen der jeweiligen Seiten sollte nicht unterbleiben. Auch in der Wissenschaft herrschte schließlich Uneinigkeit über das Wesen von SARS und seine optimale Prävention und Behandlung. Dieser, dem hohen Grad an fehlendem Wissen bei dem Auftreten neuartiger Viruserkrankungen geschuldete Umstand, findet sich auch in den Redaktionen wieder und sollte nicht verheimlicht werden. Schließlich stellen Vermutungen und vorsichtige Formulierungen dem tagesaktuellen Journalismus noch lange kein Armutszeugnis aus. Denn der Öffentlichkeit 4 Zusammenfassung ist weder mit verfrühten Hoffnungen noch mit dem Schüren von Ängsten weitergeholfen. Trotz einiger aufgedeckter Mängel in der SARS-Berichterstattung kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die Untersuchungsergebnisse die Hauptkritikpunkte, denen sich der Medizinjournalismus ausgesetzt sieht, nicht erfüllen. Von in der Mehrheit sensationell geprägten und inhaltlich falschen Darstellungen kann nicht gesprochen werden. 5 Zusammenfassung 6 Grafiken mit Prozentangaben 80% Häufigkeit 60% 40% 20% 0% Nachricht Bericht Ostsee-Zeitung 45,16% 48,39% Münchner Merkur 29,51% 68,85% 1,64% Tagesspiegel 22,08% 58,44% 7,79% Ostsee-Zeitung Reportage Interview Kommentar 6,45% 1,30% Münchner Merkur 10,39% Tagesspiegel Abbildung 21: Journalistische Gattung 20% 15% 10% 5% 0% Tagesspiegel Münchner Merkur Son stig e WH O ntur Age Pol itik Med ien St u die I RK BN I Ostsee-Zeitung Kei ne Arz t, W isse nsc h. Häufigkeit 30% 25% Abbildung 22: Quellen der Berichterstattung Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Wirtschaft Lokales 3,28% 1,64% 5,19% 16,88% Titelseite Politik Ostsee-Zeitung 25,81% 58,06% Münchner Merkur 32,79% Tagesspiegel 10,39% Ostsee-Zeitung Weltspiegel Seite 3 Sonstige 6,45% 3,23% 6,56% 37,70% 18,03% 10,39% 55,84% 6,45% Münchner Merkur 1,30% Tagesspiegel Zusammenfassung 7 Abbildung 23: Rubriken Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Redaktion dpa And. Agentur Ostsee-Zeitung 9,68% 54,84% 25,81% Münchner Merkur 42,62% 29,51% 21,31% 3,28% Tagesspiegel 59,74% 15,58% 15,58% 2,60% Ostsee-Zeitung Red./dpa Red./And Agentur Experte Keine Angabe 9,68% 3,28% 3,90% Münchner Merkur 2,60% Tagesspiegel Abbildung 24: Autoren Häufigkeit 60% 40% 20% 0% Aufm. Titelseite Titelseite 3,28% 1. Seite Rubrik Aufm. Sonstige Sonstige 22,58% 22,58% 29,03% 27,87% 29,51% 31,15% 1,64% 6,56% 10,39% 18,18% 42,86% 12,99% 15,58% 25,81% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Aufm. Rubrik Tagesspiegel Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Tagesspiegel Abbildung 25: Platzierung der Artikel 50% Häufigkeit 40% 30% 20% 10% 0% 1 Spalte 2 Spalten 3 Spalten 4 + Spalten Ostsee-Zeitung 41,94% 22,58% 22,58% 12,90% Münchner Merkur 39,34% 21,31% 6,56% 32,79% Tagesspiegel 31,17% 38,96% 11,69% 18,18% Ostsee-Zeitung Abbildung 26: Umfang der Artikel Münchner Merkur Tagesspiegel Zusammenfassung 8 Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Ohne Bild 1 Bild Ostsee-Zeitung 64,52% 35,48% Münchner Merkur 54,10% 32,79% 13,11% Tagesspiegel 45,45% 36,36% 7,79% Ostsee-Zeitung 2 Bilder Münchner Merkur 3 + Bilder 10,39% Tagesspiegel Abbildung 27: Bebilderung der Artikel 100% Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Ohne Kasten Ostsee-Zeitung 80,65% 19,35% Münchner Merkur 67,21% 31,15% 1,64% Tagesspiegel 58,54% 32,93% 8,54% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Grafik Tagesspiegel Abbildung 28: Layouttechnische Hervorhebungen 120% Häufigkeit 100% 80% 60% 40% 20% 0% Tagesaktuell Aktuell Nicht aktuell Ostsee-Zeitung 83,87% 12,90% 3,23% Münchner Merkur 100,00% Tagesspiegel 100,00% Ostsee-Zeitung Abbildung 29: Aktualität Münchner Merkur Tagesspiegel Zusammenfassung 9 100% Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% 0 Fehler 1 Fehler 2 Fehler Ostsee-Zeitung 87,10% 9,68% 3,23% Münchner Merkur 83,61% 11,48% 4,92% Tagesspiegel 89,61% 10,39% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Tagesspiegel Abbildung 30: Akkuratheit 100% Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Vielseitig Fakten Ostsee-Zeitung 54,84% 45,16% Münchner Merkur 68,85% 31,15% Tagesspiegel 80,52% 19,48% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Tagesspiegel Abbildung 31: Verständlichkeit 60,00% Häufigkeit 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00% Undifferenziert Differenziert Nicht zuzuordnen Ostsee-Zeitung 16,13% 45,16% 38,71% Münchner Merkur 21,31% 34,43% 44,26% Tagesspiegel 20,78% 54,55% 24,68% Ostsee-Zeitung Abbildung 32: Differenziertheit Münchner Merkur Tagesspiegel Zusammenfassung 10 Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Negativ Positiv Neutral Ostsee-Zeitung 17,39% 28,26% 54,35% Münchner Merkur 15,73% 16,85% 67,42% Tagesspiegel 13,08% 14,95% 71,96% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Tagesspiegel Abbildung 33: Bewertung und Einschätzung 50% Häufigkeit 40% 30% 20% 10% 0% 1 Standpunkt 2 Standpunkte 3 + Standpunkte Ostsee-Zeitung 38,71% 22,58% 38,71% Münchner Merkur 42,62% 18,03% 39,34% Tagesspiegel 37,66% 18,18% 44,16% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Tagesspiegel Abbildung 34: Vielfalt der Standpunkte 50% Häufigkeit 40% 30% 20% 10% 0% Einseitig Politik Wirtschaft Nicht zuzuordnen Ostsee-Zeitung 30,30% 12,12% 21,21% 36,36% Münchner Merkur 38,46% 20,00% 15,38% 26,15% Tagesspiegel 30,68% 26,14% 29,55% 13,64% Ostsee-Zeitung Abbildung 35: Ganzheitlichkeit Münchner Merkur Tagesspiegel Zusammenfassung 11 100% Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Vergleich Kein Vergleich 9,68% 90,32% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur 4,92% 95,08% Tagesspiegel 11,69% 88,31% Ostsee-Zeitung Münchner Merkur Tagesspiegel Abbildung 36: Einschätzung des Gefahrenpotenzials 120% Häufigkeit 100% 80% 60% 40% 20% 0% Internet Telefon Kein Service Ostsee-Zeitung 3,23% Münchner Merkur 8,20% 3,28% 88,52% Tagesspiegel 2,60% 1,30% 96,10% Ostsee-Zeitung 96,77% Münchner Merkur Tagesspiegel Abbildung 37: Service 100% Häufigkeit 80% 60% 40% 20% 0% Fernreisen Übertragung Sonstige Keine Ostsee-Zeitung 19,35% 3,23% 77,42% Münchner Merkur 21,21% 10,61% 68,18% Tagesspiegel 20,88% 24,18% Ostsee-Zeitung Abbildung 38: Verhaltensempfehlungen 3,30% Münchner Merkur 51,65% Tagesspiegel