Die Arbeit des Elisabethenwerks in Indien und die Ecopop

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Die Arbeit des Elisabethenwerks in Indien und die Ecopop
Die Arbeit des Elisabethenwerks in Indien und die Ecopop-Initiative
Hintergrund-Informationen von Damaris Lüthi, Elisabethenwerk, Projektverantwortliche Indien
Die Ecopop-Initiative, die Ende November zur Abstimmung kommt, will die Umwelt in der
Schweiz erhalten, indem sie die Einwanderung auf 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung pro
Jahr einschränkt; jährlich 10 Prozent der Entwicklungszusammenarbeit sollen zudem in die
freiwillige Familienplanung investiert werden.
Gründe für die Umweltbelastung
Die Umweltbelastung in der Schweiz hat in erster Linie mit unserem Lebensstandard zu tun,
nicht mit der Bevölkerungszahl. Die Verknüpfung mit der Familienplanung in Ländern der
Entwicklungszusammenarbeit des Bundes ist nicht relevant, weil eine grosse Mehrheit der
jährlichen Einwanderer aus Europa stammt: Im Jahr 2012 waren das 67,5 Prozent, während
lediglich 2,9 Prozent der Zuwanderer aus Afrika kam, 6,2 Prozent aus Amerika, 6,8 Prozent
aus Asien sowie 16 Prozent Schweizer waren, die aus dem Ausland zurückkehrten. Keinem
käme es in den Sinn, in EU-Ländern oder in den USA Familienplanung zu propagieren. Angesichts der tiefen Einwanderungszahlen aus den Ländern der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit würden dortige Massnahmen zur Familienplanung für die Migration in
die Schweiz statistisch kaum ins Gewicht fallen und hätten somit keine Auswirkung auf die
Erhaltung der hiesigen natürlichen Lebensgrundlagen.
Familienplanung in Indien
Ein weiterer Punkt ist jedoch die Anmassung der Initiative, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in die Bevölkerungspolitik der ärmeren Länder eingreifen zu wollen. Familienplanungsinitiativen zählen seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil nicht nur von öffentlichen
und privaten Entwicklungsprogrammen, sondern auch von staatlichen Bemühungen in den
Entwicklungsländern. So wurde zum Beispiel in Indien, einem Schwerpunktland der FrauenErmächtigungsarbeit des Elisabethenwerks, das Problem einer möglichen Bevölkerungsexplosion bereits anfangs des 20. Jahrhunderts erkannt. Mit der Unabhängigkeit des Landes im
Jahr 1947 wurde auch die Familienplanung zum Thema. In den 1950er Jahren entstanden
die ersten staatlichen Programme, die unter anderem Verhütungsmittel einführten. In den
60er Jahren wollte die Regierung das Bevölkerungswachstum bis in die 70er Jahre von 4,1
auf 2,5 Prozent verringern. Mitte der 70er Jahre wurde dann das Bevölkerungsproblem in die
Schullehrpläne aufgenommen, und im Rahmen des Notstandsregimes von Indira Gandhi von
1975-77 führte die Regierung bei der armen Bevölkerungsschicht gar eine Zwangssterilisations-Kampagne durch; zudem durften Angestellte im öffentlichen Dienst nicht mehr als zwei
Kinder haben. Leider hatte die Bevölkerung allgemein eine ablehnende Haltung gegenüber
Verhütungsmitteln. Die Zahl der Paare, die angaben, Verhütungsmittel zu benutzen, stieg
zwischen 1972-1993 von 12 Prozent auf 43 Prozent an, aber viele unter ihnen begannen erst
damit, nachdem sie zwei Söhne hatten, also erst nach der Geburt mehrerer Töchter. Die
Fruchtbarkeitsrate ging von 5,2 Kindern pro Frau (1971) auf 3,6 (1991) zurück; 2006 betrug
die Rate noch rund 2,7. Zurzeit beträgt die Bevölkerungszunahme 1,4 Prozent, was nur wenig über dem Weltdurchschnitt liegt, aber in absoluten Zahlen einem jährlichen Bevölkerungszuwachs von 15 Millionen entspricht. Die Bevölkerung nimmt nicht mehr wegen der
Geburten zu, sondern dank der gestiegenen Lebenserwartung, seit sich die Gesundheit der
Menschen in Indien deutlich verbessert hat: Während die durchschnittliche Lebenserwartung
1971 lediglich 45 Jahre betrug, beträgt sie heute 68 Jahre. Auch heute noch werden männliche Nachfahren bevorzugt, so dass weiterhin Mädchen abgetrieben oder kurz nach der Geburt getötet werden. Es gibt jährlich bis zu 10'000 Fälle von Kindstötung, was ein Grund für
das Frauendefizit in vielen Regionen Indiens ist.
Stark gewachsene Mittelschicht
Am tiefsten ist die Geburtenrate in der Mittelschicht, die in den vergangenen Jahrzehnten
dank der wirtschaftlichen Öffnung des Landes stark gewachsen ist. Die indische Bevölkerung
beträgt längst mehr als eine Milliarde (2013: 1'270'272'105, letzte Volkszählung 2011), zwischen 70-153 Millionen davon, je nach Definition, gehören zur Mittelschicht. In Kalkutta beispielsweise hat sich die durchschnittliche Anzahl Kinder pro Familie in diesem Bevölkerungssegment bereits um die Jahrtausendwende auf 1,1 reduziert. Bei der Unterschicht hingegen betrug die Anzahl weiterhin 3,3 Kinder. Ein Grund dafür ist, dass der Nachwuchs bei
den armen Bevölkerungsschichten als Altersvorsorge dient, da es kein existenzsicherndes
Altersrentensystem gibt. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs leben gemäss Weltbankstatistik (2011) in Indien weiterhin 25% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze und können
sich nicht ausreichend ernähren. In ländlichen Gebieten ist der Anteil besonders hoch. Jährlich sterben gemäss Unicef in Indien 2,1 Millionen Kinder unter fünf Jahren; die Hälfte der
unter fünfjährigen Kinder ist chronisch mangelernährt (2013). Die Alphabetisierung beträgt
erst 74%, und im ländlichen Raum erhalten viele Kinder nur eine äusserst rudimentäre
Grundschulbildung.
Die Verantwortung der Kinder für ihre alternden Eltern fällt weniger ins Gewicht, sobald es
den Leuten wirtschaftlich besser geht, weshalb sich die Kinderzahl in der Mittelschicht reduziert. Die Besserstellung, wozu auch eine bessere Schulbildung, Gesundheit und Stellung
der Frauen gehören, ist somit langfristig ein wirksameres Mittel gegen das Bevölkerungswachstum als die Familienplanung.
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Verbesserte Situation der Frauen bedeutet weniger Kinder
Der bisherige Schwerpunkt des Elisabethenwerks in Indien auf ökonomische, rechtliche und
soziale Verbesserungen für Frauen wirkt sich somit letztlich auch auf das Bevölkerungswachstum aus. Dies schliesst nicht aus, dass als ergänzendes Angebot zu den einheimischen Bemühungen auch Familienplanungsangebote zu den integralen Bestandteilen unserer Ermächtigungsprojekte zählen – auch wenn das Elisabethenwerk damit gegen die päpstlichen Gebote verstösst. So führen die Projektpartner des Elisabethenwerks vor Ort, unter
ihnen auch Ordensschwestern und Priester, als Bestandteil der Mehrzahl ihrer Projekte Gesundheitsprogramme durch, die auch Familienplanung beinhalten. Dazu kommt, dass die
mehrheitlich in Frauengruppen organisierten Frauen dazu angehalten werden, Druck auf die
staatlichen Gesundheitszentren (Primary Health Centres, PHC) auszuüben, die die Versorgung flächendeckend gewährleisten müssen, und bei denen die Familienplanung Bestandteil
ihres Angebots ist. Weiter fördert das Elisabethenwerk den Zugang zu staatlichen Alters-,
Waisen- und Behindertenrenten, soweit diese in Indien, wenn auch sehr marginal, existieren.
Im Übrigen ist die Zuwanderung aus Indien in die Schweiz sehr gering mit zwischen 20012010 durchschnittlich 80 Asylsuchenden und um die 1000-1500 InformatikerInnen pro Jahr,
die von Schweizer Firmen geholt werden und jeweils nur für kurze Zeit hier arbeiten. Auch
dies verdeutlicht anhand eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt, dass das Bevölkerungswachstum eines Landes bedeutungslos ist für die Auswanderung in die Schweiz.
Quellen u.a.
- alliance sud. Ja zu nachhaltiger Entwicklung - Nein zu Ecopop! Medienmitteilung, 28. 8.
2014
- Bundesamt für Statistik (BFS). Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz. Bericht
2008
- Bundesamt für Statistik. Ein- und Auswanderung der ständigen Wohnbevölkerung nach
Staatsangehörigkeit, 2012
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/key/02/01.html (abgerufen am 9. September 2014)
- Fischer, Anja. Indien. Bevölkerung. suedasien.info, 2. Oktober 2000
http://www.suedasien.info/laenderinfos/281
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Meyer, Christian and Nancy Birdsall. New Estimates of India’s Middle Class. Technical
Note. Centre for Global Development, Peterson Institute for International Economics,
November 2012
Schweizerische Bundeskanzlei. Eidgenössische Volksinitiative „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“
http://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis406t.html
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Sen, Narayan. Differences in family planning status between the middle class and poor
in Calcutta: Reasons and remedies – a comparative study. The Journal of Family Welfare, Vol. 47, 1, 2001: 14-27
Spörndli, Markus. Schützen Kondome auch die Umwelt? WOZ Nr. 35, 28. August 2014:
5.
Swissinfo und Marc Bürgi (sda). Schweizer Firmen setzen auf indische Informatiker.
27.12.2008. http://www.swissinfo.ch/ger/schweizer-firmen-setzen-auf-indische-
informatiker/7120276
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