Ein liebenswerter, treuer Begleiter in der Türkei: Der Ford Transit

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Ein liebenswerter, treuer Begleiter in der Türkei: Der Ford Transit
TÜRKEI
07. Juni 2007
Kultfahrzeug
Ein liebenswerter, treuer Begleiter in der Türkei: Der Ford Transit
In der Türkei ist der Ford Transit eines der beliebtesten Autos. In der Region Mardin liegt der Marktanteil sogar
bei 100 Prozent. Ein Erlebnisbericht...
Wie ein stolzer Kapitän thront Hüsseyin
Cakmak auf der Sitzbank seines Ford
Transit. Fest umfassen seine Hände das
dünne Lenkrad. Nur ganz selten berührt
der Mann mit dem dunkelblauen Hemd
die Rückenlehne. Aufrecht hockt Cakmak während der Fahrt auf dem Polster.
Sogar in den engen Gassen des Basars
von Mardin bewegt der 70jährige sein 21
Jahre altes Auto ganz ohne Hektik. Routiniert manövriert er vorbei an Ständen,
auf denen Orangen in der Sonne leuchten. Allein aus seinen Armen schöpft der
kleine Mann die Kraft, die er zum Lenken und Schalten braucht
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ihrer täglichen Begleiter. Im Mai 2007 hat
Ford in der Nähe des Provinzflughafens
von Mardin einen nagelneuen ShowRoom mit Werkstatt hingesetzt. Ein
Transporter lädt drei neue Modelle ab. Jedes Fahrzeug ist bereits verkauft.
Türkischer Tiertransport – natürlich
per Transit
Doch die Herzkammer der Transitzone
pocht woanders, ein paar Kilometer weiter, im Werkstatt-Viertel. Wie fast überall
in der Türkei ist auch in Mardin jede
Branche in einem eigenen Stadtteil untergebracht. Verschwitzte Mechaniker gucken aus dunklen Werkstatthöhlen. Der
brüchige Beton vor ihren Garagen ist ölgetränkt. Hebebühnen und Richtbänke
gibt es kaum. Statt dessen ausgediente
Räder zum Aufbocken und einen Amboss, 400 Kilogramm schwer.
Aufrecht, würdevoll und mit viel Stolz. So
fahren sie alle, die Transitkapitäne der
Türkei. Im Osten des Landes schippern
jede Menge davon herum. Der FordTransporter ist aus dieser Gegend nicht
wegzudenken. Nirgendwo sonst auf der
Welt hat der seit 1953 gebaute Klassiker einen höheren Marktanteil als hier in der
Region Mardin.
Hüsseyin Cakmak (70) fährt seit 21 Jahren denselben Ford Transit. Unfallfrei, wie er sagt.
Heimat, sechs Jahre lang. Ein kleines
Stück davon liegt jetzt direkt vor seiner
Haustür, in Ostanatolien. „Oft sieht es
hier aus wie auf dem Kölner Werksgelände“, sagt der Rentner mit den sanften Augen. Dann geht er aus dem Dorfcafé zur
Straße. Ein Transit parkt hier neben dem
anderen.
Himmel Anatoliens, versorgt die Menschen. Ganz so wie der Fluß, an dem er
tagtäglich lang fährt.
Der Lieferwagenfahrer: Abdul Salam
Akan beliefert die Restaurants der Region
mit Trinkwasser und die Bergdörfer mit
Schuhen, Obst und Gemüse.
Die Hauptstadt aller Transit ist Akarsu.
Das Dorf nahe der syrischen Grenze ist eine reine Transitzone. Der aus der Türkei,
Belgien und England stammende Wagen
hat in dem Örtchen einen Marktanteil
von 100 Prozent (Türkei gesamt: 27,1 Prozent). Fast alle der rund 6000 Menschen leben von den 30 hier zugelassenen Transit. Die meisten verdienen als Sammeltaxis, als Dolmuş, Geld. Auf vielen Motorhauben prangt ein großes Herz mit der
Aufschrift Dostlar (Freunde). Und es
stimmt: Die Ford-Lastesel sind der Herzschlag der Türkei. Gerade einmal 65 von
1000 Türken besitzen ein eigenes Auto,
ohne den Dolmuş wäre Mobilität auf dem
Land kaum vorstellbar. Der Taxi-Transit
führt zur Arbeit, ins Freibad, zu Verwandten, zur Schule.
Fullhouse: Viele Transit sind
Sammeltaxis (Dolmuş).
Schattenparker: Davut Usar schont den
Lack seines Transit aus dem Jahre 1980
Am Ufer des nahen Beyazu lässt Abdul
Salam Akan seine Fanfarenhupe singen.
Beyazu heißt weißes Wasser. Von den
braunen Bergen tastet sich der Fluß hinab in die grüne Ebene Ostanatoliens.
Meist ruhig, manchmal reißend. Am Ufer
kleben graue Dörfer, vor Imbissbuden
grillen Männer Bachforellen, frisch gefangen aus den klaren Fluten. Frauen hinter bunten Schleiern tunken Schafwolle
ins Wasser, an dem sich im Tal die grüne
Pfefferminze satt trinkt. 1,3 Millionen Kilometer hat Akans 20 Jahre alter Transit
in dieser Idylle schon gelassen, sein bisheriges Autoleben. Die kräftige Sonne
hat den Lack bleich gemacht wie eine alte Jeans.
Die Türkei ist ohne den Transit kaum
denkbar. Es ist ein Kreislauf. Weil so viele
davon durchs Land rollen, sind die Ersatzteillager voll. Was wiederum daran
liegt, dass die Nachfrage so hoch ist.
Welche Teile oft kaputtgehen, wissen die
Männer der örtlichen SammeltaxiZentrale am besten: hagere Typen in sauber gebügelten Hemden. „Stoßdämpfer
und Frontscheiben. Die gehen oft zu
Bruch“, sagt einer von ihnen. Das Glas
springt, wenn die Männer mit ihren Kisten über die Krater-Pisten holpern. Ihren
Wagen haben die Fahrer liebevolle Slogans und Namen verpasst: „Blondie“,
„Feldherr“ oder „Mach’s noch einmal“
steht in Klebebuchstaben auf dem Lack
Werkstattbesitzer Davut Usar kennt beim
Transit jede Schraube. Der Mann mit
dem dicht gewachsenen Schnäuzer bekommt alles wieder hin. Der Beweis
parkt Lack schonend im Schatten. Ein roter Minibus, Baujahr 1980, 177.000 Kilometer, immer noch die erste Kupplung.
„Mit dem Wagen sind meine Frau und ich
zur Hochzeit gefahren, den gebe ich nicht
her – niemals“, sagt der 56jährige. Unter
pechschwarzen Augenbrauen blitzen seine wachen Augen, voller Stolz. Denn sein
Transit ist für Davut Usar mehr als nur
ein Gefährt: Er ist sein Gefährte.
Kaum da, schon weg: Das neueste TransitModell ist in der Region Mardin bereits
ausverkauft.
Vor der Dorfschänke von Akarsu stoppt
ein mit Brennholz beladener PritschenTransit. Zwei junge Männer werfen
staubtrockene Äste auf den Asphalt –
Brennholz für die Backöfen der Familien.
„Jeder macht hier sein eigenes Fladenbrot“, sagt Mete Ibrahim. Seit 36 Jahren
lebt der 70jährige im Transitdorf. Vorher
hat er bei Ford in Köln gearbeitet. Erst
am Band, später als Dolmetscher für seine Landsleute. Deutschland war seine
Schmuckstück: ein 2,5-Liter-Diesel.
Heute hat der Kleinlaster Schuhe geladen. Aufgetürmt bis unters Dach liegen
die Kartons auf den bunten Sitzen. Morgen werden Apfelsinen und Kräuter für
die Dörfer oben in den Bergen an Bord
sein. Der Transporter, so hellblau wie der
Drei Generationen: Der Charme wächst mit dem Alter.

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