Der Schriftsteller Hermann Kant
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Der Schriftsteller Hermann Kant
FWU – Literatur und Theater VHS 42 02884 30 min, Farbe Gefeiert und verdammt – Der Schriftsteller Hermann Kant FWU – das Medieninstitut der Länder ® Zur Einführung tschechische Dramatiker und Dissident, der seiner postsozialistischen Heimat für zwei wichtige Amtsperioden ganz prosaisch als Ministerpräsident diente ... Wie ist das eigentlich mit dem diffizilen Verhältnis von Geist und Macht? Gibt es Möglichkeiten, das unvereinbar Scheinende miteinander zu arrangieren? Wege, die Metternichsche Zensur in ein wohlwollendes Fördern und Lenken umzudeuten? Kann sich der Intellektuelle, der Wissenschaftler, der Künstler gar einem Staat, einer Politik, einer Ideologie andienen, ohne dabei seiner selbst – sprich seiner aus subjektiver Unabhängigkeit erwachsenden Glaubwürdigkeit– verlustig zu gehen? Wie steht es mit dem politischen Engagement des Künstlers: beschädigt es seinen Ruf, sein Werk? Sollte aber nicht auch ein Staat den Künstler angemessen in sein Machtgefüge integrieren dürfen, um als Machtapparat glaubwürdig für alle zu stehen? Aber: Es geht hier um Kant, Hermann, geboren 1926 in Hamburg; ein sprachgewandter, scharfsichtiger und genau beobachtender Erzähler einerseits, der sich selbst, seine Biografie und sein gesellschaftliches Umfeld DDR in geschliffener Prosa satirisch bricht, und zum anderen ein dem Staat dienender Funktionär: „Er schrieb gegen die Dummheit der Mächtigen und war selbst verliebt in die Macht“ – so lautet die Eingangsthese des Films; ein Biermann-Lied hat dafür die knappe Formel „Funktionär funktioniert“ geprägt ... Literatur aus Leben – Zum Film Zur Diskussion derartiger Fragen könnten zahlreiche Beispiele herangezogen werden. Der Lyriker Johannes R. Becher etwa, der im siebten Lebensjahrzehnt in der jungen DDR unter Ulbricht – sein expressionistisches Frühwerk verleugnend – zum Stalin besingenden Staatsdichter und Kulturminister avancierte. Jener Pablo Neruda, der in seinen lyrischen Gesängen die sozialistische Regierung seines Heimatlandes Chile unter Salvador Allende bis zu ihrem blutigen Sturz 1973 unterstützte. Herr von Goethe sogar, der Geheime Rat, der im Dienste des Weimarer Hofes stehend Dinge billigte und tat, die vor der Feder des Dichters Johann Wolfgang kaum Gnade gefunden hätten. Ein Günter Grass, der sich mit dem Grafiker Klaus Staeck und anderen Künstlern in Bundestagswahlkämpfen der 60er und 70er Jahre exponiert vor den Karren der Sozialdemokratie spannte und sie mit in die Regierungsverantwortung zog. Oder Vaclav Havel, der Leonore Brandts Dokumentation der MDRReihe „Lebensläufe“ versucht eine Annäherung an den Schriftsteller, den Kulturfunktionär, vor allem an den Menschen Hermann Kant, der zweifellos zu den bekanntesten „Kulturschaffenden“ – so der typische DDRAusdruck für die künstlerische Intelligenz – seines im Jahr 1990 untergegangenen Staates gehörte. Der Film bedient sich dazu mehrerer Ebenen. Da sind ganz sachlich die Stationen der Biografie. Nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft in Polen und der Sowjetunion geistig umerzogen in ein zerstörtes Land, das nach sich selbst sucht, zurückkehrend, stellt sich Kant in den Dienst der als gut erkannten, neuen Sache: Der Aufbau einer antifaschistischen, sozialistischen Gesellschaft im Osten Deutschlands. Seine Herkunft aus einfachsten proletarischen Verhältnissen ebnet (Bildungs-)Wege; Erfahrungen, die der zunächst 2 journalistisch Tätige bald literarisch verarbeitet. Da ist das für sich sprechende erzählerische Werk des Autors. Schon der erste Roman „Die Aula“ (1964) wird zum Kultbuch, passt er doch inhaltlich wie formal in eine Zeit, die nach dem Bau der Berliner Mauer und dem Propagieren einer eigenen sozialistischen Nationalkultur den großen Gesellschaftsentwurf literarisch zu zwingen sucht: „Die Spur der Steine“ (Erik Neutsch), „Ole Bienkopp“ (Erwin Strittmatter) oder „Der geteilte Himmel“ (Christa Wolf) heißen andere Gesellschaftsromane jener Jahre, in denen spezifische Ausschnitte der Gesellschaft (Industrialisierung, Kollektivierung der Landwirtschaft, Konfrontation der deutschen Staaten) durchaus nicht unkritisch, doch den Sozialismus insgesamt bestätigend, reflektiert werden. Kants „Aula“ – obligatorischer Unterrichtsstoff der DDR-Schule, auch erfolgreich in der Bühnenfassung – zeigt im humorvoll verklärten Rückblick der erzählenden Hauptfigur Trullesand den naivengagierten Aufbruch der Nachkriegsjugend in eine neue Zeit. Die Widersprüche und Konflikte haben – in der Darstellung des Autors – ihre Ursachen nicht etwa in der Gesellschaft, sondern in den Figuren selbst, in ihrer begrenzten subjektiven Ein-Sicht in gesellschaftliche Erfordernisse. Ein zeittypisches, literarisch bedeutsames Buch, das zu differenzierter Bewertung auffordert – und diese auch vier Jahrzehnte nach seinem Erscheinen noch immer erhält! So nennt Marcel Reich-Ranicki die „Aula“ im Film „ein vollkommen verlogenes Buch, denn es zeigt die DDR ... als ein glückliches, wunderbares Land des Lächelns. Aber es ist ein Buch, das anders als die Bücher vieler Autoren dieser Zeit doch etwas Kritisches über die DDR zu sagen versucht. Es versucht auch zu erklären, warum es eigentlich in meiner Sprache verlogen ist, das heißt Kant hat versucht zu erklären, warum er die Welt der DDR so sieht. Ihm schien das richtig, und es wäre eine Unterstellung, wollte man sagen, ihm schien das richtig, weil die SED es so gewünscht hat.“ Und Günter de Bruyn, einer der wichtigsten DDR-Autoren und so ganz anderer Generationsgefährte Kants, urteilt: „Eine besonders geschickte Form der Verklärung, die Unwissende für Kritik halten konnten, hatte Hermann Kant in seinem vielgelesenen Roman Die Aula gefunden, indem er die rigorosen Methoden und ideologischen Engstirnigkeiten der Anfangsjahre in putzige Kuriositäten verwandelt und die Opfer verschwiegen hatte. Ein heiterer Rückblick auf schwere und von Idealismus erfüllte Jahre wurde hier von einem Sieger gegeben, der von Schuld nichts weiß.“ 1 Dennoch: „Wenn spätere Historiker einmal wissen wollen, was die Nachkriegsgeneration mit der DDR verband, was sie zu diesem Staat hinzog, werden sie es aus diesem Roman erfahren“ 2, so der Literaturwissenschaftler Werner Mittenzwei, und selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung empfiehlt „Die 3 Aula“ inzwischen wieder als zeitgemäße Schullektüre ... Der historische Hintergrund Zu Beginn der 60-er Jahre lässt die DDR durch den Bau der Mauer in Berlin sowie durch eine sich deutlich verändernde Argumentation in Bezug auf die deutsche Nation und die deutsche Nationalkultur das Ziel eines wieder vereinten Deutschlands auch nach außen sichtbar fallen. Von nun an geht es für die DDR-Bürger vor allem darum, sich innerhalb der „Geschlossenen Gesellschaft“ (Volker Braun) des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden einzurichten. Durch Partei und Staat argwöhnisch beobachtet und teilweise rigide unterdrückt werden jegliche „Einflüsse der kapitalistischen Unkultur und Unmoral“ (Erich Honecker), die vor allem in der Jugendkultur, der Beatmusik, aber auch der Literatur, der Malerei und dem Film vermutet werden. Bezeichnend sind tendenziöse Schlagworte wie bürgerliche Dekadenz, Sektierertum oder Nihilismus. Die 11. Tagung des ZK der SED im Dezember 1965 wird zum Tribunal gegenüber unbequemen Künstlern und Intellektuellen. Walter Ulbricht gibt als Orientierung aus: „Der Schriftsteller kann nur vom Standpunkt der sozialistischen und wissenschaftlich-technischen Perspektive Kunstwerte von nationaler Bedeutung schaffen. Nur die Meisterung der marxistischleninistischen Wissenschaft und die enge Verbindung mit dem Leben des Volkes öffnen dem Schriftsteller den Weg zur Erkenntnis des Fortschrittlichen, das sich entwickelt, und zur künstlerischen Meisterschaft, die nur realistisch sein kann“. 4 Erich Honecker fordert „in allen Bereichen der Kunst den entschiedenen Kampf gegen das Alte und Rückständige aus der kapitalistischen Vergangenheit“ 5. Filme wie „Spur der Steine“ oder „Das Kaninchen bin ich“ werden verboten, Intellektuelle wie Robert Da gibt der Film dem Kant von heute breiten Raum zur rückschauenden Selbstauskunft, zur Erklärung, zur Rechtfertigung auch, ohne dass dem Betrachter die Wertung des Gesagten abgenommen würde. Eine wesentliche Qualität dieses Films: Er hält Widersprüche aus. Und da werden schließlich Zeitzeugen – Weggefährten wie kritische Beobachter – befragt, Dokumentaraufnahmen und Filmzitate montiert, Schauplätze ins Bild gesetzt. Wortlose Kommentare liefert die Kamera: Berliner Straßenszenen, die S-Bahnen und Spreebrücken, der Abriss im Zentrum der ehemaligen Hauptstadt der DDR, das leere Emblem am Staatsratsgebäude; eine Uhr zeigt 5 vor 12. Dass dies alles bei knapp 30 Minuten Filmlänge weder überladen noch flüchtig wirkt, ist der sensiblen, ruhigen und im Ergebnis offenen Grundanlage der Filmemacherin geschuldet, der man die Absicht glaubt, sie selbst wolle verstehen, „warum Kant so wurde, wie er ist“ (Filmzitat). Das Besondere in diesem Leben wird gesucht, die Leistung, aber auch die Tragik, die – mitunter nur im Blick oder Tonfall bei Kant sich andeutend – sein Wirken exemplarisch macht für ein Land, in dem sich Autoren als „Dichter im Dienst“ verstanden und dessen Führungselite von Beginn an als Devise ausgab, „Aufgabe der Künstler ist es, dem Leben vorauszueilen und durch ihr Schaffen Millionen Menschen für die großen Aufgaben des Aufbaus des Sozialismus zu begeistern“. 3 4 Havemann und Künstler wie Wolf Biermann angeprangert und geächtet. Hofiert und durch staatsnahe Autoren wie Gisela Steineckert, Heinz Kahlau oder Peter Hacks protegiert wird hingegen die FDJ-Singebewegung, die nach 1966 zu einer DDR-spezifischen Form junger, gesellschaftlich engagierter – und politisch zunehmend instrumentalisierter – Kunst geriet. noch fast im Stillen – die kritische Rockgruppe „Renft“ verboten; mehrere Mitglieder, darunter der Leipziger Liedermacher Gerulf Pannach, reisen nach Stasi-Haft in den Westen aus. Spätestens die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 macht dann öffentlich klar, wie eng die Toleranzgrenzen der DDR-Führung gegenüber kritischen Stimmen sind. Das passiert im selben Jahr, in dem der IX. Parteitag der SED unmissverständlich festlegt: „Die sozialistische Kultur und Kunst haben die Aufgabe, die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten und deren bewusste schöpferische Tätigkeit zu fördern, zur Stärkung des sozialistischen Bewusstseins und zur Ausprägung der sozialistischen Lebensweise beizutragen.“ 6 In der Folge werden zahlreiche Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, Musiker und Intellektuelle das Land in Richtung Westen verlassen; ein nicht zu verkraftender Aderlass an Ideen, Kreativität, Popularität. Die Staatsmacht selbst aber zeigt sich ebenso unbeweglich wie unbeeindruckt: „Unsere Partei bringt allen Bemühungen der Schriftsteller Verständnis und Aufmerksamkeit entgegen, die unsere sozialistisch-realistische Literatur bereichern und ihre ideologische Wirkungskraft verstärken. ... Geistiges Schöpfertum setzt in unserer Zeit voraus, das Verständnis für die Erfordernisse des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus ständig zu vertiefen und die Beziehungen zum Leben des Volkes unablässig zu festigen.“ 7 Als Honecker 1971 die führenden Ämter in Partei und Staat von Ulbricht übernimmt, ist dieser Wechsel für nicht wenige Intellektuelle der DDR mit der Hoffnung auf größere Toleranz, auf schöpferische Freiräume, auf ein offeneres geistiges Klima verbunden. Die „X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ 1973 in Ostberlin scheinen diese Tendenz zu bestätigen. Auch kritische Kunst findet nun Öffentlichkeit: Ulrich Plenzdorfs Stück „Die neuen Leiden des jungen W.“ erlebt 1972 nach erzwungenen Jahren in der Schublade am Theater in Halle seine Uraufführung, Günter de Bruyns „Preisverleihung“ und Kants Roman „Das Impressum“ entlarven satirisch das Missverhältnis von Schein und Sein im sozialistischen Alltag, Franz Fühmanns Ungarn-Tagebuch „22 Tage oder Die Hälfte des Lebens“ stellt sich der deutschen Vergangenheit auf sensiblere Weise als bisher üblich (was 1977 Christa Wolf in „Kindheitsmuster“, aber auch auf Hermann Kant mit „Der Aufenthalt“ fortführen werden), Erwin Strittmatter kann den zweiten Teil seiner „Wundertäter“-Trilogie veröffentlichen (der bald fertige dritte Teil muss allerdings bis 1980 auf die Druckfreigabe warten), die bildende Kunst bereichert den sozialistischen Realismus um neue Farben und Themen, und die Liedermacher und Rockmusiker der DDR emanzipieren sich mit selbstbewusst eigener Stimme. Doch die Hoffnung hält nicht lange vor. 1975 wird – „... der schlimmste Fehler seines Lebens“ Zum Kulminationspunkt für die klaffende Schere zwischen Macht und Geist wird das – auch in der filmischen Dokumentation ausführlich thematisierte – Jahr 1979 mit dem Ausschlussverfahren des Schriftstellerver5 bandes der DDR gegen missliebige Kollegen, darunter Stefan Heym, Erich Loest, Joachim Seyppel, Rolf Schneider. Diese sollen schlicht mundtot gemacht werden, auch wenn die kriminalisierenden Vorwürfe auf Devisenvergehen, Urheberrechtsverletzungen oder die verbotene Meinungsäußerung mittels westlicher Massenmedien lauten. Noch im Mai 1978 war Kant auf Grund einer schweren Erkrankung von der Funktion des Vizepräsidenten des Verbandes zurück getreten; nun ist er selbst Verbandspräsident und schwingt sich – offenbar nicht ungern oder gar gezwungen – zum „Chorführer“ und „Einüber des Ausschlusses“ (Werner Mittenzwei) auf. Die inzwischen veröffentlichten Protokolle 8 der damaligen Versammlung der Berliner Sektion des Schriftstellerverbandes sowie das faktenreiche, wenngleich subjektiv eingefärbte Werk „Die Intellektuellen“ 9 des ehemaligen DDR-Literaturwissenschaftlers und Akademiemitglieds Werner Mittenzwei bieten ein ausgezeichnetes Kontextmaterial für diese filmische Dokumentation, auch wenn dies hier aus Platzgründen nicht ausführlich dargestellt werden kann. Hermann Kant jedenfalls gefällt sich sichtlich als wortgewandter Vollstrecker, der die bereits feststehenden Beschlüsse des Gremiums durchaus elegant und eloquent zu bemänteln sucht. Freunde macht er sich damit auf keiner Seite; selbst die Staatsmacht, der „Apparat“, bewertet Kant als nicht zuverlässig genug, wie Mittenzwei zu berichten weiß 10. „Vielleicht den schlimmsten Fehler seines Lebens“ nennt der Filmkommentar die Rolle, die Kant beim Rauswurf der neun Kollegen aus dem Verband spielt. Wie eine Farce klingt Honeckers etwa zeitgleich abgegebene Versicherung: „Im Kunstleben unserer sozialistischen Gesellschaft hat jeder Schriftsteller Platz und Raum, der mit seinem Werk dem Frie- den, dem Humanismus, der Demokratie, der antiimperialistischen Solidarität und dem realen Sozialismus verpflichtet ist.“ 11 Und Joachim Walther, seinerzeit unter den immerhin rund 60 Gegenstimmen des Verfahrens, urteilt später: „Die Ausschlüsse, die Ruhe schaffen sollten, erzeugten allerdings ein Echo, das den errungenen Sieg der Kulturfunktionäre in einen weiteren ihrer Pyrrhussiege verwandelte.“ 12 Werner Mittenzwei sieht in Kants Verhalten auf diesem Tribunal sogar eine gewisse Tragik, da dieser wohl erwartet habe, durch eine hartes, kompromissloses Durchgreifen einerseits dem Verband insgesamt und seinen treuen Schriftstellern Vorteile und Freiräume verschaffen und zugleich mit sprachlichem Schliff sein eigenes Gesicht wahren zu können, doch: „Was sich Kant erhoffte, trat nicht ein.“ 13 Zwischen Konfrontation und Kompromiss Zu einer direkten und aufschlussreichen Auseinandersetzung kommt es während dieser Sitzung zwischen Stefan Heym (Jg. 1913), Stephan Hermlin (Jg. 1915) und Hermann Kant beim Thema persönliche Vergangenheit. Kant wirft zunächst Heym vor, sich in Bezug auf seine Zeit in den USA (der Jude Heym war nach der Machtergreifung Hitlers in die USA emigriert und hatte in US-Uniform als Presseoffizier an der Befreiung Deutschlands teilgenommen) widersprüchlich geäußert zu haben. Darauf reagiert Heym so: „Wer in der falschen Uniform, unter dem falschen Abzeichen, in ein falsches Lager geriet, sollte lieber nicht gegen jene zu Felde ziehen, die damals in der richtigen Uniform, auf der richtigen Seite, für die richtige Sache kämpften.“ Hermann Kant erwidert: „Ich muss mich eines bestimmten Stücks meiner Vergangenheit schämen. Für die vier Wochen, in denen ich 6 Soldat gewesen bin, muss ich mich schämen. Und ich kann dazu nur sagen, ich habe es bei der Scham nicht gelassen.“ Hermlin, um ausgleichende Sachlichkeit bemüht, gibt zu bedenken: „Ich möchte meinen Freund Heym daran erinnern, dass er und ich und andere, die damals gegen Hitler standen, täglich an Menschen wie meinen Freund Hermann Kant dachten, wie wir sie retten, wie wir sie auf unsere Seite bringen könnten ... Menschen wie Hermann Kant haben uns nicht enttäuscht, sie haben unserem Kampf überhaupt erst einen Sinn gegeben.“ 14 1977 war Kants dritter, viel beachteter Roman „Der Aufenthalt“ erschienen, in dem er – projiziert auf den Ich-Erzähler Mark Niebuhr – die Erfahrungen seiner vierjährigen Kriegsgefangenschaft in Polen literarisiert. Die differenzierte Figurenzeichnung des Romans bricht mit manchen Klischees der antifaschistischen Literatur früherer Jahre; Werner Mittenzwei bescheinigt Kant, mit diesem Buch habe „er sich den Respekt auch seiner westlichen Kritiker“ 15 erworben. In der Dokumentation bieten Ausschnitte aus der erfolgreichen Verfilmung des Romans (DEFA 1983) einen quasi biografischen Zugang zu einer Lebensprägung, die manche spätere Entscheidung und Haltung Kants verständlich werden lässt. „... da musste mir keiner irgendwas verordnen“, sagt Kant selbst über diese wegweisende Erfahrung im Interview, und die subjektive Ehrlichkeit ist spürbar, wenn er über den Sozialismus made in GDR reflektiert, „es musste versucht werden!“ Möglichkeiten des Einsatzes im Unterricht Die Dokumentation kann thematisch in unterschiedlichen Unterrichtszusammenhängen der Fächer Deutsch, Geschichte, Politik/Gesellschaftskunde oder Ethik – vor allem wohl in der gymnasialen Oberstufe – eingesetzt werden. Da der Film Fragen und Probleme aufwirft, ohne eindimensionale Lösungen zu liefern, bietet es sich methodisch an, ihn in Einführungs-, Motivationsund Informationsphasen zu nutzen, die Raum für individuelle Meinungsbildung und Diskussion lassen. Ansätze für den Unterricht können sein: · Die Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Frage, ob und wie sich politisches Engagement und künstlerisches Schaffen vereinbaren lassen. Dazu können verschiedene Beispiele aus der Geschichte und der Gegenwart recherchiert und verglichen werden, insbesondere auch jene Fälle, in denen sich Künstler durch Diktaturen missbrauchen und instrumentalisieren ließen (stalinistische Heroisierung, faschistische Ästhetik usw.). Was könnte man unter einer „Verantwortung des Künstlers in seiner Zeit“ verstehen? · Die vertiefende Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Film erwähnt oder verweist auf Ereignisse, Personen, Kunstwerke, die sich schwerlich aus dem Film allein erschließen. Während oder nach der Erstrezeption des Films sollten die Schülerinnen und Schüler deshalb einen Katalog der zu klärenden Punkte aufstellen. Diese könnten dann arbeitsteilig abgearbeitet und im Unterricht vorgestellt werden. Geeignete Kontextmaterialien lassen sich dafür unschwer finden bzw. bereitstellen. Mit den gewonnenen 7 · Der methodisch interessante Vergleich von literarischem Text und seiner Verfilmung. Dazu bietet sich vor allem „Der Aufenthalt“ an; eventuell kann auch „Die Aula“ (Vergleich Roman – Bühnenfassung) genutzt werden. Erkenntnissen kann eine vertiefende Rezeption des Films erfolgen, wobei ggf. nach der Erstrezeption abgegebene spontane Wertungen überprüft werden können. · Der Zugang zur Literatur Hermann Kants im Kontext deutschsprachiger Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kants literarische Bedeutung sollte an Hand von Auszügen aus „Die Aula“ oder „Der Aufenthalt“ sowie unter Berücksichtigung zeitgenössischer Rezensionen und reflektierender Aussagen über die Texte bzw. den Autor (Reich-Ranicki, Mittenzwei, de Bruyn ...) thematisiert werden. Eventuell könnte auch eine der kürzeren Erzählungen aus den Bänden „Ein bisschen Südsee“ oder „Der dritte Nagel“ komplett gelesen werden. Insbesondere die Analyse der literarischen und stilistischen Mittel (Erzählsituationen, Zeitkonstruktionen, Satire, Ironie) ermöglicht Vergleiche mit zeitnah entstandenen epischen Werken der deutschsprachigen Literatur. Ein Lektüretipp, der in der Dokumentation unerwähnt blieb, der aber gerade heute im schwierigen Prozess des zusammenwachsenden Europa interessant sein könnte: „Die Summe“ (Berlin 1987). · Die Rezeption der Dokumentation unter formal-ästhetischen, mediengestalterischen und -erzieherischen Gesichtspunkten. Welche filmischen Mittel setzt Leonore Brandt ein, wie kombiniert sie Bild und Text, welche Ebenen werden montiert, was zeigt uns die Kamera und aus welcher Perspektive? Welche möglichen Subtexte sind dem Film eingeschrieben, welche Absicht verfolgt die Filmemacherin, was erwartet der Film vom Rezipienten? Die Beschäftigung mit dem Autor, dem Funktionär, dem Menschen Hermann Kant im Unterricht könnte eine Möglichkeit sein, Marcel Reich-Ranickis Fazit am Ende der Dokumentation zu entsprechen: „Eigentlich war er nie langweilig, eigentlich hat er immer Witz und Temperament gehabt, und dafür sollten wir ihm heute danken!“ 8 Herausgabe FWU Institut für Film und Bild, 2003 Produktion Studio DD im Auftrag des mdr, 2001 Archivmaterial Progress Film Verleih: Der Aufenthalt, DEFA 1983 (Ausschnitte) Henschel-Schauspiel-Theater Verlag = Die Aula (Ausschnitte aus Theateraufführung) Die Wiedergabe der Lesung aus H. Kant: Ein bisschen Südsee sowie die Abbildung der Kant’schen Buchausgaben erfolgte mit freundlicher Genehmigung der Rütten & Loening Berlin GmbH, 2002 Ausschnitte aus Produktionen des DFF, lizensiert durch Deutsches Rundfunkarchiv. Buch und Regie Leonore Brandt Kamera Till Ludwig Begleitkarte Paul Bartsch Bildnachweis Aufbau Verlag / Foto: Günter Prust, Berlin Pädagogische Referentin im FWU Annegert Böhm Nur Bildstellen/Medienzentren: öV zulässig © 2003 FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht gemeinnützige GmbH Geiselgasteig Bavariafilmplatz 3 D-82031 Grünwald Telefon (0 89) 64 97-1 Telefax (0 89) 64 97-240 E-Mail [email protected] Internet http://www.fwu.de 2’3/0703 ARS Fußnoten 1 Günter de Bruyn: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 232. 2 Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 – 2000, Verlag Faber & Faber, Leipzig 2001, S. 315. 3 Walter Ulbricht: Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der SED. Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 112. 4 Walter Ulbricht: Probleme des Perspektivplanes bis 1970. Referat auf der 11. Tagung des ZK der SED, 15.18.12.1965, Dietz Verlag Berlin, 1966, S. 109. 5 Erich Honecker: Bericht des Politbüros an die 11. Tagung des ZK der SED, ebenda, S. 56. 6 Direktive des IX. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft in der DDR in den Jahren 1976 – 1980. Dietz Verlag, Berlin 1976, S. 112. 7 Erich Honecker: Aus dem Gruß des ZK der SED an den Schriftstellerkongress. In: Neues Deutschland vom 29.05.1978. 8 „So, los, abstimmen!“ DER SPIEGEL 51/1990, S. 108ff, sowie: Joachim Walther: Das Tribunal. In: DER SPIEGEL 52/1990, S. 148ff. 9 Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. A.a.O.; hier insbesondere das Kapitel „Zwei Taktiken auf einem Tribunal“, S. 310ff. 10 Vgl. ebenda, S. 318. 11 Unerschütterliches Bündnis zwischen Partei und Kulturschaffenden. Beratung Erich Honeckers mit Kultur- und Kunstschaffenden der DDR am 22. Juni 1979, Berlin 1979, S. 52f. 12 Joachim Walther: Das Tribunal. In: DER SPIEGEL 52/1990, S. 13 Werner Mittenzwei, a.a.O., S. 317. 14 Alle Zitate aus: DER SPIEGEL 51/1990. 15 Werner Mittenzwei; a.a.O., S. 315. ® FWU – Literatur und Theater VHS 42 02884 30 min, Farbe FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht gemeinnützige GmbH Geiselgasteig Bavariafilmplatz 3 D-82031 Grünwald Telefon (0 89) 64 97-1 Telefax (0 89) 64 97-240 E-Mail [email protected] Internet http://www.fwu.de zentrale Sammelnummern für unseren Vertrieb: Telefon (0 89) 64 97-4 44 Telefax (0 89) 64 97-240 E-Mail [email protected] Gefeiert und verdammt – Der Schriftsteller Hermann Kant Der Schriftsteller Hermann Kant, jahrelang Vorsitzender des DDR Schriftstellerverbandes und Autor eindringlicher Romane, die sich mit der Zeit des zweiten Weltkriegs und mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR auseinandersetzen, gibt hier Auskunft über sein Selbstverständnis, seine Ideale, bzw. die Kompromisse, die er damit geschlossen hat, sowie seine literarische Tätigkeit. Ein Schwerpunkt des vorliegenden Videos behandelt eines seiner am häufigsten gelesenen Werke, den Roman „Der Aufenthalt“. Aus der bekannten Verfilmung dieses Werks sind umfangreiche Ausschnitte enthalten. Schlagwörter DDR, DDR-Literatur, Hermann Kant Deutsch Literaturgeschichte • 20. Jahrhundert Literatur • Epik, Adaption als Verfilmung Literatursoziologie Allgemeinbildende Schule (8-13) Berufliche Bildung GEMA Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten. Keine unerlaubte Vervielfältigung, Vermietung, Aufführung, Sendung! Freigegeben o. A. gemäß § 7 JÖSchG FSK