Match me if you can

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Match me if you can
Match me if you can
Mathematische Gedanken zur Champions-League-Achtelfinalauslosung
Hans Kiesl
Fußball ist nicht Mathematik
Karl-Heinz Rummenigge, 20071
Am 20. 12. 2012 fand in Nyon die Auslosung zum Achtelfinale in der UEFA-Champions-League statt. Dabei ist
etwas Ungewöhnliches passiert. Am Vortag wurde eine (übliche) Probe des Auslosungsvorgangs durchgeführt,
und ein Fernsehteam filmte zufällig das Ergebnis dieser
Probe. Bei der offiziellen Ziehung wurden genau dieselben acht Partien gezogen wie bei der Probe (wenn auch
in unterschiedlicher Reihenfolge), vgl. Abbildung 1.
Abbildung 1. Ergebnisse der Probeziehung (links) und der tatsächlichen Auslosung (rechts): Dieselben acht Spielpaarungen
wurden gezogen. (Quelle: http://eurosport.yahoo.com/blogs/world-of-sport/
champions-league-draw-exact-same-rehearsal-draw-115551048.html)
Wenn es mit rechten Dingen zuging, ist hier offenbar etwas Unwahrscheinliches passiert. Darüber, wie unwahrscheinlich denn genau, stritten sich in den Medien die
Kommentatoren. Zwar gab es auch Stimmen, die von
Manipulation sprachen (die Ziehungskugeln seien unterschiedlich angewärmt oder magnetisch gewesen, so dass
die Kugeln unterscheidbar waren), aber diese Spekulationen wollen wir hier nicht verfolgen. Stattdessen wollen
wir mit etwas Abstand die genaue Wahrscheinlichkeit für
das Ereignis bestimmen, dass zwei aufeinander folgende
Ziehungen zum selben Ergebnis führen. Dabei zeigt sich,
dass (i) die Zahl der möglichen Auslosungen kleiner ist,
als man vielleicht auf Anhieb denkt, (ii) nicht alle Auslosungen gleich wahrscheinlich sind, weshalb die exakte
Berechnung aufwendig wird und Computerunterstützung
verlangt, und sich (iii) einige elementare Resultate der
Mathematik an dieser Auslosung veranschaulichen lassen.
Fußball ist eben doch (auch) Mathematik.
hatten sich Erst- und Zweitplatzierter für das Achtelfinale qualifiziert. Die 16 Mannschaften, die jetzt zu acht Partien gegeneinander gelost werden sollen, sind also acht
Gruppenerste und acht Gruppenzweite (vgl. Tabelle 1).
Die Auslosung muss nach den Regeln der UEFA folgende
Bedingungen erfüllen:
(1) Gruppenzweite besitzen im Achtelfinale zuerst
Heimrecht.
(2) Jeder Gruppenzweite spielt gegen einen Gruppenersten.
(3) Kein Gruppenzweiter spielt gegen den Ersten derselben Gruppe.
(4) Keine Mannschaft spielt gegen eine andere Mannschaft aus demselben Land.
Der Ziehungsvorgang, der auf traditionelle Weise durchgeführt wird (eine Person zieht sequentiell zufällig Kugeln
aus Töpfen), findet wie folgt statt. Es wird abwechselnd
aus einem Topf mit Gruppenzweiten und einem Topf mit
Gruppenersten gezogen. Im Topf mit den Gruppenzweiten befinden sich jeweils alle Gruppenzweiten, die noch
nicht gezogen wurden. Im Topf mit den Gruppenersten
befinden sich jeweils nur diejenigen noch nicht gezogenen
Gruppenersten, gegen die der soeben gezogene Gruppenzweite nach Regeln (3) und (4) spielen kann und deren Ziehung einen weiteren Ziehungsverlauf, der (3) und
(4) erfüllt, nicht verhindern würde.2
Tabelle 1. Gruppenerste und -zweite nach der Gruppenphase der
Champions League 2012/13
A
B
C
D
E
F
G
H
Gruppenerster
Gruppenzweiter
Paris Saint-Germain FC (FRA)
FC Schalke 04 (GER)
Malaga CF (ESP)
Borussia Dortmund (GER)
Juventus Turin (ITA)
FC Bayern München (GER)
FC Barcelona (ESP)
Manchester United (ENG)
FC Porto (POR)
Arsenal FC (ENG)
AC Milan (ITA)
Real Madrid CF (ESP)
Schachtar Donezk (UKR)
Valencia CF (ESP)
Celtic Glasgow FC (SCO)
Galatasaray A.S. (TUR)
Wie wird die Ziehung durchgeführt?
Wie viele Ziehungsergebnisse sind möglich?
Die Regeln, die sich die UEFA für die Achtelfinalauslosung
gesetzt hat, sind etwas komplexer, als es viele Ad-hocKommentatoren realisiert hatten. Die 16 Mannschaften,
die für das Achtelfinale qualifiziert sind, haben zuvor in
acht verschiedenen Gruppen gespielt. Aus jeder Gruppe
84
FOKUS
Würden nur die Bedingungen (1) und (2) vorausgesetzt,
gäbe es offenbar 8! · 8! = 1625702400 Ziehungen mit
Berücksichtigung der Ziehungsreihenfolge der acht Partien und 8! = 40320 verschiedene Achtelfinals (d.h. ohne
DOI 10.1515/dmvm-2013-0034
FC Porto (POR)
●
● Paris Saint-Germain FC (FRA)
Arsenal FC (ENG)
●
● FC Schalke 04 (GER)
AC Milan (ITA)
●
● Malaga CF (ESP)
Real Madrid CF (ESP)
●
● Borussia Dortmund (GER)
FC Schachtar Donezk (UKR)
●
● Juventus Turin (ITA)
Valencia CF (ESP)
●
● FC Bayern München (GER)
Celtic Glasgow FC (SCO)
●
● FC Barcelona (ESP)
Galatasaray Istanbul AS (TUR)
●
● Manchester United (ENG)
Abbildung 2. Die Auslosung als bipartiter Graph. Kanten existieren zwischen Mannschaften, die nach den Regeln gegeneinander gelost werden
können. Rote Kanten symbolisieren das tatsächliche Ziehungsergebnis.
MDMV 21 / 2013 | 84–88
Mathematische Software liefert uns das Ergebnis für die
Matrix aus Abbildung 3: perm(A) = 5463. Es gibt also 5463 mögliche Auslosungen, wenn die Reihenfolge
der Ziehungen unberücksichtigt bleibt, und 8! · 5463 =
220268160 Ziehungen mit Reihenfolge. Im konkreten Fall
stimmten die Auslosungsergebnisse bei Probe und tatsächlicher Ziehung in den Partien, aber nicht in der Reihenfolge der Ziehung überein, daher ist für uns die Zahl
5463 relevant.
⎛
Porto
0
⎜ 1
Arsenal
⎜
⎜ 1
Milan
⎜
⎜ 1
Real
A=⎜
⎜ 1
Donezk
⎜
⎜ 1
Valencia
⎜
⎝ 1
Celtic
Galatasaray
1
ManU
Abbildung 3. Die Auslosung als binäre Matrix A. Die roten Einträge
symbolisieren das tatsächliche Ziehungsergebnis.
Barcelona
Für den bipartiten Graphen aus Abbildung 2 kann man
eine binäre Matrix A = (aij ) definieren mit aij = 1 genau dann, wenn der i -te Gruppenzweite gegen den j -ten
wobei Sn die symmetrische Gruppe vom Grad n, also die
Menge der Permutationen der Zahlen 1, 2, ... , n symbolisiert.
Bayern
Bedingung (4) macht die Berechnung noch ein Stück
komplizierter. Derartige Zuordnungsprobleme sind aber
Standardfragen in der Graphentheorie. Machen wir
aus dem Auslosungsproblem ein Matching-Problem (im
wahrsten Wortsinn). Ein bipartiter Graph besteht aus
zwei disjunkten Knotenmengen Z und E und einer Menge K von Kanten, die jeweils einen Knoten aus beiden
Knotenmengen verbinden. Ein vollständiges Matching in
diesem Graphen ist eine Teilmenge V von K mit der Eigenschaft, dass jeder Knoten aus Z Endpunkt einer Kante
aus V ist und verschiedene Kanten aus V keinen Endpunkt gemeinsam haben. Wenn Z und E jeweils n Elemente enthalten, besteht V also aus n Kanten und verbindet die Knoten aus Z und E paarweise. Dem Auslosungsproblem kann man den bipartiten Graphen in Abbildung 2 zuordnen; jeder Gruppenzweite ist mit jedem
Gruppenersten verbunden, gegen den er nach Regeln
(2)–(4) spielen darf. Ein vollständiges Matching in diesem
Graphen entspricht also einer zulässigen Achtelfinalauslosung.
ai ,σ(i )
σ∈Sn i =1
Turin
Für n = 8 ergeben sich daraus D(8) = 14388 verschiedene Achtelfinals und 8! · 14388 = 580124160 verschiedene
Ziehungen mit Beachtung der Reihenfolge.
n
Dortmund
.
perm(A) =
Malaga
k=0
n!
Die Zahl der vollständigen Matchings entspricht dann der
Permanente der Matrix A. Allgemein ist die Permanente
einer quadratischen Matrix A = (aij ) mit jeweils n Zeilen
und Spalten definiert durch
Schalke
D(n) = n! ·
n
(−1)k
Gruppenersten nach Regeln (2)–(4) spielen darf (vgl. Abbildung 3).
Paris
Berücksichtigung der Ziehungsreihenfolge). Wird zusätzlich Bedingung (3) vorausgesetzt, ist die Zahl der möglichen Achtelfinals (ohne Beachtung der Ziehungsreihenfolge) die Zahl der fixpunktfreien Permutationen der natürlichen Zahlen 1, 2,. . . , 8 (so genannte DerangementZahl D(8)), die man z. B. mit der Einschluss-AusschlussFormel bestimmen kann. Allgemein gilt:
1
0
1
1
1
1
1
1
1
1
0
0
1
0
1
1
1
1
1
0
1
1
1
1
1
1
0
1
0
1
1
1
1
1
1
1
1
0
1
1
1
1
1
0
1
0
0
1
1
0
1
1
1
1
1
0
FOKUS
⎞
⎟
⎟
⎟
⎟
⎟
⎟
⎟
⎟
⎟
⎟
⎠
85
Gibt es immer eine zulässige Ziehung?
Halten wir hier kurz inne und fragen uns, ob es denn
in der Zukunft passieren könnte, dass die Regeln (2)–
(4) zu restriktiv sind, d. h. dass keine Auslosung möglich
ist, die alle Regeln erfüllt. Die Antwort darauf erhalten
wir durch den Satz von Hall, in der Literatur auch Heiratssatz genannt (eine Bezeichnung, die etwas veraltet
erscheint, weil sie von der Annahme ausgeht, dass eine
Ehe immer aus einem Mann und einer Frau besteht; für
unseren Spezialfall wollen wir ihn daher Auslosungssatz
nennen). Für jeden Zweitplatzierten z sei E (z) die Menge aller Erstplatzierten, gegen die z nach Regeln (2)-(4)
spielen darf. Für jede Teilmenge M aus den 8 Zweitplat
zierten sei E (M) = z∈M E (z) die Menge aller Erstplatzierten, gegen die mindestens ein Zweitplatzierter aus M
spielen darf. Damit eine regelkonforme Auslosung möglich ist, muss E (M) natürlich immer mindestens so viele
Elemente enthalten wie M . Der Auslosungssatz besagt,
dass dies auch eine hinreichende Bedingung ist:
Auslosungssatz (Hall3 ): Eine regelkonforme Achtelfinalauslosung ist genau dann möglich, wenn |M| ≤ |E (M)|
für jede Teilmenge M von Zweitplatzierten gilt.
Nach den aktuellen Regeln der UEFA können aus jedem
Land höchstens vier Mannschaften an der Champions
League teilnehmen und damit auch höchstens so viele ins
Achtelfinale gelangen. Für jeden Zweitplatzierten gibt es
daher mindestens vier Gruppenerste, gegen die er spielen darf, also ist |M| ≤ |E (M)| für |M| ≤ 4 erfüllt. Eine
analoge Überlegung zeigt, dass ein Erstplatzierter gegen
höchstens vier Zweitplatzierte nicht gelost werden darf.
Wenn also |M| > 4 ist, gibt es für jeden Erstplatzierten
e immer einen Zweitplatzierten z ∈ M mit e ∈ E (z), so
dass dann |E (M)| = 8 ist und |M| ≤ |E (M)| ebenfalls erfüllt ist. Somit folgt aus dem Satz von Hall, dass es mit den
aktuellen Regeln immer eine gültige Achtelfinalauslosung
geben wird.
Wie (un-)wahrscheinlich war die Dopplung?
Nun aber zurück zur Ausgangsfrage. Wie wahrscheinlich war es, dass bei zwei hintereinander folgenden Ziehungen dasselbe Ergebnis erzielt wird? Eine naheliegende Antwort ist: 1/5463. Sie stimmt aber nur unter zwei
Voraussetzungen: (a) die Ziehungen sind unabhängig voneinander und (b) jede mögliche Ziehung hat die gleiche
Wahrscheinlichkeit.
Dass (a) vorliegt, können wir annehmen, jedenfalls wenn
wir Manipulationen seitens der UEFA ausschließen (wenn
wir das nicht tun, ist jede Wahrscheinlichkeitsberechnung
natürlich hinfällig). Dass (b) ebenfalls vorliegt, scheint zunächst plausibel, ist aber falsch, wie ein einfaches Argument zeigt: Bei der sequentiellen Auslosung wird stets
aus Töpfen gezogen, die höchstens acht Kugeln enthalten.
86
FOKUS
Abbildung 4. Histogramm der Wahrscheinlichkeiten der 5463 möglichen Achtelfinals mit Mittelwert 1/5463 (blaue Linie) und der Wahrscheinlichkeit des tatsächlichen Ziehungsergebnisses (0,018134 %,
rote Linie)
Die Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Auslosung
1
unter Beachtung der Reihenfolge ist dann p = 16
i =1 ki ,
wobei ki die Zahl der Kugeln im Topf beim i -ten Zug ist.
Da stets ki ≤ 8 gilt, kann der größte Primfaktor im Nenner von p höchstens 7 sein. Die Wahrscheinlichkeit für
eine bestimmte Auslosung ohne Beachtung der Reihenfolge ist die Summe von 8! derartigen Wahrscheinlichkeiten, in deren Hauptnenner weiterhin der größte Primfaktor höchstens 7 ist. Wenn alle Auslosungen gleichwahrscheinlich wären, müsste sich für jede Auslosung eine
Wahrscheinlichkeit von 1/5463 ergeben, aber da 5463
einen Primfaktor größer als 7 hat (5463 = 32 · 607), kann
keine mögliche Auslosung die Wahrscheinlichkeit 1/5463
besitzen.
Man kann sich aber leicht überzeugen, dass 1/5463 eine
untere Schranke für die gesuchte Wahrscheinlichkeit ist.
Sei dazu (p1 , p2 , ... p5463 ) der Vektor der Wahrscheinlichkeiten für die 5463 möglichen Achtelfinals. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei zwei unabhängigen Ziehungen
dasselbe Achtelfinale gezogen wird, ist dann pdoppel =
5463 2
i =1 pi .
Für die empirische Varianz sp2 der pi gilt:
0≤
sp2
5463
1 2
=
pi −
5463
i =1
1
p
=
−
5463 doppel
5463
1 pi
5463
2
i =1
1
5463
2
1
und daraus folgt sofort pdoppel ≥ 5463
(mit Gleichheit genau dann, wenn alle pi identisch wären, was in unserem
Fall nicht sein kann).
Weiter kommen wir jetzt nur, wenn wir den Rechner eine vollständige Enumeration aller 220268160 möglichen
Ziehungsvorgänge erzeugen lassen und daraus die Wahrscheinlichkeiten der 5463 möglichen Achtelfinalauslosungen bestimmen. Abbildung 4 zeigt ein Histogramm der
sich ergebenden Wahrscheinlichkeiten.4 Man erkennt,
dass die absoluten Abweichungen der Wahrscheinlichkeiten nicht sehr groß sind. Der Mittelwert der Wahrscheinlichkeiten ist 1/5463 = 0, 018305%; die unwahrMDMV 21 / 2013 | 84–88
Zurücklegen, aber ohne weitere Restriktionen gezogen. Sobald zwei Mannschaften gegeneinander gelost
werden, die nach Regeln (3) oder (4) nicht gegeneinander spielen dürfen, wird der Ziehungsvorgang abgebrochen, für ungültig erklärt, und es wird wieder von
vorne (mit allen 16 Kugeln in den Töpfen) begonnen.
Das Verfahren wird solange wiederholt, bis eine regelkonforme Ziehung erhalten wird. Auf diese Weise
erhält man tatsächlich identische Wahrscheinlichkeiten
für jede zulässige Auslosung.
Leider liegt ein Nachteil auf der Hand: die Zahl der abgebrochenen Versuche kann beliebig groß werden. Von
allen möglichen 1625702400 Ziehungen sind nur 8! ·
5463 zulässig, also nur ein Anteil von rund 13,5 %. Die
Zahl der nötigen Ziehungsversuche ist dann geometrisch verteilt mit Parameter 13,5 %, der Erwartungswert der nötigen Ziehungsversuche ist also größer als
7. (Allerdings könnte eine längere Auslosungsprozedur
mit Werbeunterbrechungen zusätzliches Geld für die
UEFA einbringen; ein Argument, dem man sich in Nyon normalerweise nicht verschließt.)
scheinlichste bzw. wahrscheinlichste Auslosung besitzt eine Wahrscheinlichkeit von 0,015323 % bzw. 0,021176 %.
Als Antwort auf unsere Ausgangsfrage ergibt sich
pdoppel =
5463
pi2 = 0, 018366%;
i =1
die Näherung 1/5463 ist also schon sehr gut. Es bleibt
dabei: Es war sehr ungewöhnlich, was da passiert ist. Natürlich kann man noch das Argument vorbringen, dass es
ja nicht nur eine Probeauslosung und auch schon viele
Auslosungen in anderen Jahren und in anderen Fußballverbänden gab, und die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann irgendwo einmal eine solche Dopplung passiert,
größer ist. Trotzdem darf man sich auch als abgeklärter
Mathematiker darüber wundern, wie der Zufall hier regiert hat. (Man denke auch an die Praxis in vielen empirischen Studien, Nullhypothesen schon bei p-Werten von
1 % zu verwerfen.)
Könnten und sollten alle Ziehungen
gleichwahrscheinlich sein?
Nach dieser Betrachtung kann man sich noch die Frage
stellen, ob man nicht durch Änderung des Ziehungsvorgangs hätte erreichen können, dass alle Auslosungen a
priori gleichwahrscheinlich sind. Dafür gäbe es in der Tat
mehrere Möglichkeiten.
– Man könnte mit mathematischer Software eine ganze
Zufallszahl zwischen 1 und 5463 (mit diskreter Gleichverteilung) ziehen lassen. Nachteil: das Verfahren wäre
intransparent (wer kann überprüfen, ob das Computerprogramm nicht manipuliert wurde?).
– Man kann aus einem Topf mit 5463 Kugeln, die den
möglichen Auslosungen eindeutig zugeordnet sind, genau eine auswählen. Das wäre transparent, aber unpraktikabel, weil der Spannungscharakter einer sequentiellen Auslosung verloren ginge.
– Möglich wäre außerdem die Verwerfungsmethode: Aus
den beiden Töpfen mit allen Gruppenzweiten und allen Gruppenersten wird abwechselnd eine Kugel ohne
Natürlich kann man auch grundsätzlich in Zweifel ziehen, dass gleiche Wahrscheinlichkeiten für alle Auslosungen erstrebenswert sind. Entscheidender für die Chancengleichheit ist doch, inwieweit sich für ein beliebiges
Team die Wahrscheinlichkeiten, einen seiner möglichen
Gegner zugelost zu bekommen, unterscheiden. Im idealen Fall sollte für jede Mannschaft jeder mögliche Gegner
gleichwahrscheinlich sein. Dies war aufgrund der Regeln
(2)–(4) aber ausgeschlossen; beispielsweise hatten Barcelona fünf und Porto sieben mögliche Gegner, aber die Partie Porto-Barcelona kann ja nicht gleichzeitig mit Wahrscheinlichkeit 1/5 und 1/7 gezogen werden. Zählt man
für jedes Paar aus Gruppenzweitem und Gruppenerstem
aus, bei welchem Anteil der 5463 möglichen Auslosungen
dieses Paar aufeinandertrifft, erhält man Tabelle 2.
Tabelle 3 enthält für jedes Paar aus Gruppenzweitem und
Gruppenerstem die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Paar
im Achtelfinale aufeinandertrifft. Man sieht deutlich, dass
die potentiellen Gegner einer bestimmten Mannschaft
keineswegs alle gleichwahrscheinlich waren. Für den FC
Porto war z.B. Malaga als Gegner wesentlich wahrscheinlicher als Schalke 04. Diese Ungleichheit liegt aber nicht
Tabelle 2. Anteil in Prozent aller möglichen Achtelfinals, bei denen ein bestimmtes Paar aus Zweit- und Erstplatzierten zueinander gelost wird
(rote Einträge markieren das tatsächliche Ziehungsergebnis).
Paris
Porto
Arsenal
Milan
Real
Donezk
Valencia
Celtic
Galatasaray
13,051
14,479
18,396
11,679
18,396
12,356
11,642
MDMV 21 / 2013 | 84–88
Schalke
Malaga
Dortmund
Turin
Bayern
Barcelona
ManU
11,642
18,964
22,222
12,374
14,168
15,541
13,344
15,138
12,374
14,168
15,541
19,550
12,612
18,250
21,252
23,192
13,051
14,681
18,781
11,825
18,781
12,521
11,770
21,765
19,312
20,135
19,367
12,612
19,550
13,198
12,557
21,765
14,479
13,509
13,198
12,557
18,708
16,566
21,508
13,253
21,508
14,113
18,598
FOKUS
87
Tabelle 3. Wahrscheinlichkeiten in Prozent für jedes Paar aus Zweit- und Erstplatzierten, im Achtelfinale gegeneinander gelost zu werden (rote
Einträge markieren das tatsächliche Ziehungsergebnis).
Paris
Porto
Arsenal
Milan
Real
Donezk
Valencia
Celtic
Galatasaray
13,383
14,378
18,352
11,696
18,352
12,152
11,687
Schalke
Malaga
Dortmund
Turin
Bayern
Barcelona
ManU
11,695
18,856
21,671
12,208
14,202
15,474
13,437
15,538
12,208
14,202
15,474
20,132
12,427
18,293
21,004
23,462
13,303
14,624
18,699
11,898
18,699
12,365
12,021
21,570
19,389
20,889
19,194
an der fehlenden Gleichwahrscheinlichkeit der Auslosungen, da sie ja auch in Tabelle 2 deutlich vorhanden ist (diese Wahrscheinlichkeiten hätten sich ergeben, wenn jede
Auslosung die Wahrscheinlichkeit 1/5463 gehabt hätte).
Als Maß für die Abweichung von der absoluten Chancengleichheit könnte man abschließend die Standardabweichung aller paarweisen Wahrscheinlichkeiten betrachten: je größer dieser Wert, desto ungleicher die
Wahrscheinlichkeiten für die unterschiedlichen Gegner.
Berechnet man aus Tabelle 2 und Tabelle 3 jeweils die
Standardabweichung aus allen Einträgen (ohne Berücksichtigung der Nullelemente), ergeben sich die Werte
0,03541 und 0,03539. Die tatsächliche Auslosungsprozedur führt also zwar zu unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Achtelfinals, reduziert aber
sogar (leicht) die ungleichen Wahrscheinlichkeiten für die
einzelnen Gegner. Es gibt somit kein Argument, das aktuelle Ziehungsverfahren zugunsten einer Gleichverteilung
der möglichen Auslosungen zu ändern.
12,427
20,132
13,141
12,416
21,570
14,229
13,657
13,141
12,416
18,631
16,589
21,247
13,531
21,247
14,082
18,610
Prof. Dr. Hans Kiesl, Fakultät Informatik und Mathematik, Hochschule Regensburg, Postfach 12 03 27, 93025 Regensburg
[email protected]
Hans Kiesl (geb. 1969) studierte Mathematik in
Erlangen, wo er u. a. noch bei Konrad Jacobs
Kombinatorik lernen durfte. Nach Promotion
zum Dr. rer. pol. im Bereich Statistik (Universität Bamberg, 2002) war er beim Statistischen
Bundesamt (Wiesbaden) und beim Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Nürnberg)
beschäftigt. Seit 2010 lehrt er Mathematik und Statistik an der
Hochschule Regensburg. Seine Forschungsinteressen liegen in den
Bereichen Stichprobenverfahren und statistisches Matching. Zudem
hofft er (ziemlich aussichtslos) darauf, dass der 1. FC Nürnberg einmal im Achtelfinale der Champions League gezogen wird.
Anmerkungen
1. Wohl als kleinen Seitenhieb gegen den damaligen Trainer
von Bayern München, Ottmar Hitzfeld, der einst Mathematik
im Lehramtsstudium belegt hatte.
2. Das hört sich etwas kompliziert an. Ein einfaches Beispiel:
Nehmen wir an, es befinden sich im Lauf der Ziehung nur noch
Malaga und Dortmund im Topf der Gruppenersten und Madrid und Glasgow im Topf der Gruppenzweiten. Wird dann der
Gruppenzweite Glasgow gezogen, darf dieser zwar nach Regeln
(3)–(4) sowohl gegen Malaga als auch gegen Dortmund spielen.
Würde aber Dortmund als Gegner gezogen, blieben Malaga und
Madrid übrig, die nach Regel (4) aber nicht gegeneinander gelost
werden dürfen. Somit darf der Topf, aus dem der Gegner von
Glasgow gezogen wird, nur aus Malaga bestehen.
3. Zum Beweis siehe z. B. Aigner, M, Ziegler, G. (2004): Proofs
from THE BOOK, 3rd edition, Springer, S. 154.
4. Die Rechnungen wurden mit der Statistik-Software R durchgeführt.
88
FOKUS
MDMV 21 / 2013 | 84–88

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