Umberto Eco`s Semiotik in Der Name der Rose
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Umberto Eco`s Semiotik in Der Name der Rose
Kurs: Allgemeine Einführung in die Sprachwissenschaft Dozent: Dr Firmin Ahoua Semester.: SS 2003 Typ: Bachelor Linguistik Umberto Eco’s Semiotik in Der Name der Rose Jens Peter Fischer Inhaltsverzeichnis: A Einleitung B Die Theorie: Ecos Semiotik B.1 B.2 B.3 B.4 B.5 C Ecos Intention Eine einfache Definition von Zeichen Arten von Zeichen Genauere Untersuchung des Wesens von Zeichen Die Rolle der Interpretation und das offene Kunstwerk Die Praxis: Ecos Umsetzung in Der Name der Rose C.1 C.2 C.3 C.4 C.5 C.6 Der Roman Allgemein Eine Detektivgeschichte Ein Pferd lehrt die Semiotik Falsche und absichtlich falsche Zeichen Zeichen und Interpretation Die Essenz: Die Rolle von Zeichen D Fazit E Bibliographie A Einleitung Umberto Eco beeindruckt als Wissenschaftler durch eine erstaunliche Vielzahl an Gebieten, auf denen er sich zu Wort gemeldet hat. Dies beginnt bei mittelalterlicher Philosophie und Ästhetik, geht über Literatur- und Kunsttheorie, ein Gebiet, auf dem Eco durch seine Idee des offenen Kunstwerks, das vielerlei verschiedene Interpretationen zulässt, bekannt geworden ist, und führt bis hin zur Kulturtheorie und Erkenntnisforschung. Eco überraschte 1980 durch seine Entscheidung, mit Der Name der Rose nach zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen einen Roman zu veröffentlichen. Dem folgten im Laufe der Jahre noch drei weitere Novellen. Was verbindet alle diese verschiedenen Bereiche seines Schaffens? Welcher rote Faden lässt sich feststellen? In allen von Ecos Arbeiten findet sich die Semiotik, also die Zeichenlehre, wieder. Ihr widmete er lange Jahre seines Lebens, und sie benutzt er als Erklärungsgrundlage für seine anderen Werke (Beispiele hierfür sind sein Werk Die Grenzen der Interpretation, in dem er eine Theorie der Interpretationssemantik konstituiert und seine zeichentheoretische Begründung der Kulturwissenschaft, die er rechtfertigt mit den Worten „Der Mensch ist ein symbolisches Wesen“.). Eco hat auch eine eigenständige Theorie der Semiotik aufgestellt, zuerst 1968 in La struttura assente (Die abwesende Struktur). 1976 erschien mit A Theory of Semiotics eine überarbeitete Version seiner Theorie, diesmal auf Englisch. Wie alle seiner Arbeiten irgendwie mit der Semiotik verankert sind, findet sich ebenso auch eine Verbindung zur seinen Romanen. Eco gelangte zu der Erkenntnis, dass man auch „von dem erzählen muss, von dem man theoretisch spricht“. In seinen verschiedenen Novellen finden sich praktische Anwendungen und Darlegungen der Problemstellungen, mit denen er sich in der Theorie befasst hat. So findet sich in Der Name der Rose eine Umsetzung seiner Theorie der Zeichen. Im folgenden werde ich untersuchen, wie Eco die Semiotik in diesem Roman dargestellt hat. Zuerst werde ich kurz Ecos eigene Theories zur Semiotik und die Grundlagen, die er übernommen hat, darstellen, wozu ich hauptsächlich sein Werk A Theory of Semiotics zugrunde legen werde, da es vier Jahre vor Der Name der Rose erschienen ist und deshalb für den Roman am relevantesten sein dürfte. Danach werde ich überprüfen, wie diese Ideen in Der Name der Rose umgesetzt wurden und bewerten, in wie weit Eco sein Ziel der praktischen Darstellung erreicht hat. B Die Theorie: Ecos Semiotik B.1 Ecos Intention Wie Umberto Eco in seiner Einleitung zu A Theory of Semiotics klarmacht, ist das Ziel seiner Forschungen zur Semiotik „a unified approach to every phenomenon of signification and/or communication“ (S.3). Diese einheitliche Herangehensweise soll so unterschiedliche Phänomene wie den täglichen Sprachgebrauch, die Entwicklung von Codes, Kommunikationsverhalten und das Benutzen von Zeichen zur Definition von Zuständen erklären. Es ist Ecos Absicht, den Zuständigkeitsbereich der Semiotik als dermaßen weitläufig zu definieren, sagt er doch, „the whole of culture should be studied as [...] a phenomenon based on signification systems“ (Theory, S.22). Die Semiotik soll also eine vollständige Beschreibung aller Bestandteile einer Kultur leisten. Hier finden wir auch eine mögliche Erklärung der weitgestreuten Forschungsfelder Ecos: Seine Semiotik lässt sich auf die gesamte Kultur anwenden, also kann er sie benutzen, um jeden beliebigen Teil von ihr zu untersuchen. B.2 Eine einfache Definition von Zeichen Um eine einfache, kurze Definition von Zeichen zu geben, legt Eco klassische Definitionsversuche zugrunde und entwickelt diese weiter. Saussure definiert Zeichen als Mittel der Kommunikation, die zwischen zwei Menschen stattfindet. Diese Definition hält Eco für zu eingeschränkt, gibt sie doch vor, dass Zeichen nur von Menschen erzeugt werden können. Nach Pierce ist ein Zeichen “something which stands to somebody for something in some respect or capacity” (Theory, S.15). Diese Definition erscheint Eco passender, so kommt er über sie zu seiner eigenen: „A sign is everything with can be taken as significantly substituting for something else” (Theory, S.16). Als Ergänzung fügt Eco noch Morris’ Erkenntnis hinzu, dass ein Zeichen immer nur ein Zeichen ist, weil es von einem Interpretierenden als solches verstanden wird. Die Position des Interpretierenden hat Eco noch häufiger beschäftigt. B.3 Arten von Zeichen Pierce’s klassische Unterscheidung der Arten von Zeichen sieht drei verschiedene Kategorien vor: Das Ikon, das die Eigenschaften dessen, auf das es verweist, imitiert, also in einem oder mehreren Aspekten Ähnlichkeit zu ihm aufweist (so wie z.B. ein Porträt einer bekannten Persönlichkeit auf ebendiese verweist) Den Index, der nicht das, aus das er verweist, imitiert, der aber trotzdem eine direkte Verbindung dazu hat (so wie z.B. Rauch auf Feuer verweist) Das Symbol, das rein arbiträr (willkürlich) gewählt ist und nur aufgrund von Konventionen auf etwas verweist (so wie z.B. ein STOP-Schild im Verkehr) Eco stimmt zu, dass diese Unterscheidung eingängig ist und Sinn macht. Für normale Zwecke ist sie gut anwendbar. Ecos Theorie sieht aber etwas anders aus, er bezeichnet die Verwendung von Ikonen und Indexen als „naive notion“ (Theory, S. 178) an. Auch bei diesen beiden Typen von Zeichen besteht eine Konvention. Eco zitiert Morris’ These, dass ein Zeichen in dem Maße ikonisch ist, in dem es dem von ihm bezeichneten ähnelt. Eco entlarvt diese Aussage als Tautologie, da ja die Ikonität der Ähnlichkeit entspricht, und sagt weiter, dass ein perfektes ikonisches Zeichen kein Zeichen mehr wäre sondern das Bezeichnete selber, da es ja jede von dessen Eigenschaften auch besäße. Weiterhin ist ja ein ikonisches Zeichen nicht Zeichen, weil es aus den gleichen Materialien wie sein Bezeichnendes besteht, sondern, weil es diesem ähnelt in der Art, wie es von uns wahrgenommen wird. Eco sagt, dies stimmt nur so lange, wie wir die Wahrnehmung als ganzes Betrachten, sobald man genauer hinblickt, verbleicht diese Eigenschaft. Indexes haben in ihrer Beziehung zu ihrem Bezeichneten den gleichen Charakter. Somit gibt es in Eco’s Theorie keine Ikone und Indexe mehr, stattdessen Grade von „similarity“ (Theory, S. 195). Deshalb ist für ihn jedes Zeichen symbolisch (Theory, S.192, 216). B.4 Genauere Untersuchung des Wesens von Zeichen Zeichenbasierte Vorgänge werden nach Eco von der Semiotik als Kommunikationsprozesse untersucht. Ein Kommunikationsprozess ist dabei als ein Signal, dass von einem Sender über einen Kanal an einen Empfänger geschickt wird, definiert. Hinter jedem dieser Prozesse steht ein Zeichenprozess. Dabei holt Eco zu mehreren Erläuterungen aus, die dieses Modell exakter definieren. Der Sender braucht nicht menschlich zu sein (hier führt Eco seine Kritik an Saussures’ Definition von Zeichen weiter aus); wenn das Signal den menschlichen Konventionen entspricht, kann der Empfänger es trotzdem erhalten und verstehen. Mögliche Zeichen, die durch diese Erweiterung der Definition mitaufgenommen werden, sind z.B. physikalische Ereignisse oder auch unintentionales Verhalten (denn Saussure ging davon aus, dass der Sender ein Signal schicken will). Aus der Sicht des Senders besteht ein Zeichenprozess auch, wenn der Empfänger das Zeichen nicht wahrnimmt oder nicht interpretiert. Dies ist allerdings nur eine theoretische Überlegung, denn natürlich hat das Zeichen dann den vom Sender beabsichtigten Zweck verloren. Ein Zeichen besteht auch, wenn das, auf das es verweist, nicht existiert, es braucht sozusagen „nicht wahr zu sein“. Eco merkt dies in dem etwas ironisch klingenden Kommentar „semiotics is in principle the discipline studying everything which can be used in order to lie” (Theory, S.7) an. B.5 Die Rolle der Interpretation und das offene Kunstwerk Wie oben schon erwähnt, hat Eco dem Element des Interpretierenden besondere Aufmerksamkeit gegeben. Ebenso haben wir bereits gesehen, dass Eco Morris insoweit zustimmt, dass ein Zeichen immer erst dann zu einem wird, wenn es auch interpretiert wird. Eco geht jedoch noch weiter und argumentiert für die Rolle der Interpretierenden in der Kunst. Seine Ästhetiktheorie, die er 1962 in seinem Buch Das offene Kunstwerk erstmals dargestellt hat, besagt, dass ein Kunstwerk mehrdeutig sein sollte, und in seiner Konzeption die unterschiedlichen Interpretationen verschiedener Beobachter miteinbeziehen muss. So entsteht das Kunstwerk im Moment seiner Rezeption immer wieder neu. C Die Praxis: Ecos Umsetzung in Der Name der Rose C.1 Der Roman Allgemein Der Name der Rose als Roman funktioniert auf vielen Ebenen. Eco greift darin unter anderem auf seine Arbeiten über mittelalterliche Philosophie und Ästhetik zurück, was ihm ermöglicht, die theologischen Diskussionen und der unterschiedlichen Ideologien jener Tage, in denen die Geschichte angesiedelt ist (des vierzehnten Jahrhunderts), überzeugend wiederzugeben. Neben Thomas von Aquin werden auch der Mathematiker Roger Bacon und William von Ockham im Hintergrund angesiedelt. Diese beiden Denkerpersönlichkeiten stellen schon eine Verbindung zur Semiotik in Der Name der Rose her. Die erste Begegnung mit der Zeichenlehre hat der Leser im Prolog, wo der Erzähler des Romans sagt, man müsse die getreulichen Zeichen [der Welt] entziffern (S.17). Dann erklärt er seine Absicht, Zeichen von Zeichen an den Leser weiterzugeben. Um Zeichen und Zeichen von Zeichen geht es in Der Name der Rose auf drei verschiedenen Ebenen. Erstens besteht natürlich der gesamte Roman aus Zeichen. Einmal, weil zwischen dem Autor und dem Leser auch eine zeichenbasierte Kommunikation stattfindet (Man stellt fest, das Lesen selbst ist ein solcher Prozess: Der Sender (Autor) gibt ein Signal (Zeichen) über einen Kanal (die geschriebene Sprache) an einen Empfänger (Leser) ). Weiterhin sind natürlich die Geschehnisse in der Welt, die in der Geschichte erschaffen wird, wie unsere Realität aufgrund von Zeichen beschreibbar (Was, wie in B.1 erklärt, Eco’s Intention nahe kommt). Dies sind allerdings Ebenen, die nicht nur in Der Name der Rose, sondern in jedem Roman zeichenbasiert funktionieren. Zweitens steht im Mittelpunkt der Handlung eine mittelalterliche Detektivgeschichte, in der sich einer der Hauptcharaktere mit der Deutung von Zeichen beschäftigen muss. Dabei erschafft Eco eine exzellente Analogie zwischen dem Nachspüren von Zeichen eines Detektivs und unserem allgemeinen Umgang mit Zeichen (oder vielmehr zeigt uns der Detektiv, wie man die Zeichen der Welt deuten sollte). Drittens hat Eco auch wörtliche Niederschriften seiner Semiotik in den Roman integriert. Dabei ist es vor allem der scharfsinnige Bruder William, der mehrmals seinen Novizen Adson zur Semiotik belehrt. Im Folgenden sollen daher zuerst das detektivische Rätsel und dann die von den Charakteren des Buches zur Zeichenlehre gemachten Ausführungen näher untersucht werden. C.2 Eine Detektivgeschichte Eine Detektivgeschichte ist ein treffliches Beispiel für Wahrnehmung von Zeichen. Dies hat Umberto Eco schon in seiner Theory of Semiotics als Verdeutlichung eingebracht: Er unterscheidet verschiedene Wahrnehmungsformen von Zeichen und sagte bezüglich der recognition of clues: „One isolates certain objects [...] left by someone on the spot where he did something, so that by their actual presence the agent can be inferred. […] Thus if at the scene of a murder I find a dental plate I may presume that, if not the murderer, at any rate someone who has no more natural teeth has been there.”(S.223) Wie also hätte er diesen Aspekt der Semiotik in Der Name der Rose besser erläutern können als durch eine Detektivgeschichte? Es ist Bruder William von Baskerville (Die Anspielung in diesem Namen lässt sich kaum übersehen: Der Hund von Baskerville ist eine der Geschichten vom berühmten Detektiv Sherlock Holmes), der versucht, durch Zeichendeutungen eine Reihe mysteriöser Mordfälle in einer Abtei in Norditalien aufzuklären. Eco etabliert eine Analogie zwischen Zeichen und Spuren. Die beiden Begriffe werden im gleichen Kontext benutzt, sie unterscheiden sich lediglich darin, dass Zeichen sich meist auf abstrakte Konzepte beziehen und Spuren auf konkrete Objekte. So entdeckt William im Verlauf der Ermittlungen Spuren im Schnee. Für ihn ist die Schneefläche, auf der sie sich befinden, ein Pergament. Später bedenkt er jedoch, jemand könne sie auch als falsches Zeichen dort hinlassen haben. Währen der sieben Tage seiner Nachforschungen wertet William eine große Zahl an Spuren (oder Zeichen) aus. Neben dem Interpretieren ist dabei das Herausfiltern von nicht relevanten Spuren seine wichtigste Aufgabe. Zum Ziel führt ihn dabei nur die Verbindung von mehreren Zeichen, denn, wie Eco schon vier Jahre zuvor in seiner Theory of Semiotics erklärt hat, „as a matter of fact [...] their [the clue’s] interpretation is frequently a matter of complex inference rather than of sign-function recognition.“(S.224) (Dann fügt er noch hinzu, dass es dies ist, was Kriminalgeschichten spannend macht.). C.3 Ein Pferd lehrt die Semiotik Das erste Beispiel einer direkten wörtlichen Darlegung der Zeichentheorie findet der Leser gleich am Anfang der Erzählung, wo Bruder William und sein Novize sich der Abtei, in der die Handlung angesiedelt ist, nähern, und William plötzlich entgegenkommenden Mönchen erklärt, dass ein von ihnen gesuchtes Pferd des Abtes vor kurzem an jenem Wege vorbeigekommen ist. Als sein Novize ihn verblüfft fragt, wie er denn davon wissen konnte, antwortet er: „Am Kreuzweg zeichneten sich im frischen Schnee sehr klar die Hufspuren eines Pferdes ab, die auf den Seitenpfad zu unserer Linken wiesen. Schön geformt und in gleichen Abständen voneinander, lehrten sie uns, dass der Huf klein und rund war und der Galopp mit großer Regelmäßigkeit, woraus sich auf die Natur des Pferdes schließen ließ und dass es nicht aufgeregt rannte wie ein scheuendes Tier. An der Stelle, wo die Pinien eine Art natürliches Dach bildeten, waren einige Zweige frisch abgeknickt, genau in fünf Fuß Höhe. An einem der Maulbeersträucher – dort, wo das Tier kehrtgemacht haben musste, um den rechten Seitenpfad einzuschlagen mit stolzem Schwung seines prächtigen Schweifes – befanden sich zwischen den Dornen noch ein paar tiefschwarze Strähnen [...]“ (S.34-35) So zeigt Bruder William, wie man aus einer großen Zahl von Zeichen durch complex inference, wie Eco es in der Theory of Semiotics nannte, zu einer erstaunlichen Erkenntnis kommt. Später erläutert William seinem Novizen aus theoretischerer Sicht den Vorgang. Die Spuren, so sagt er, haben zunächst nur ganz allgemein von Pferden gesprochen. Allerdings sagt er, dass Pferdespuren „an diesem Ort und zu dieser Stunde des Tages“ ihn lehrten, „dass zumindest eins von allen denkbaren Pferden dort vorbeigekommen sein musste“(S.40). So wusste William also, dass dort ein Pferd vorbeigekommen war. Die Ideen, mit denen er sich dies Vorstellte, sagt er, waren aber so lange reine Zeichen, bis er das Pferd zum ersten mal selbst erblickte. Dies zeigt, dass Menschen Zeichen solange benutzen, wie sie zu den Dingen selbst, auf die Zeichen ja deuten, keinen Zugang haben. Später erklärt William weiter, dass er aufgrund der Zeichen, die er auf jenem Weg, auf dem sich das ganze zugetragen hatte, mehrere Hypothesen entwickelt hatte, was geschehen sein könnte. In dem Moment, in dem er den Suchtrupp sah, wusste er, dass die Hypothese des entlaufenen Pferdes die richtige war. Die Zeichen waren korrekt gedeutet. C.4 Falsche und absichtlich falsche Zeichen Welche Rolle hat der Interpretierende bei der Deutung von Zeichen? Wie in B.5 schon dargestellt, meint Eco, dass sie erst dadurch Bedeutung erhalten, dass sie gedeutet werden. In Der Name der Rose zeigt er dies am Beispiel von Büchern. „Das Wohl eines Buches besteht darin, gelesen zu werden“ (S.506), erklärt Bruder William und führt dann weiter aus, dass Bücher aus Zeichen bestehen, die wiederum von anderen Zeichen reden. Diese anderen Zeichen reden dann vom Wirklichen. Ohne jemanden, der das Buch liest, funktioniert ein Buch natürlich nicht, denn Zeichen müssen ja immer für jemanden für etwas stehen. Das Beispiel des Buches verdeutlicht hervorragend, warum Zeichen immer gedeutet werden müssen, um etwas zu bedeuten. Zeichen müssen, wie Eco schon in der Theory of Semiotics erklärt hat, nicht unbedingt auf etwas tatsächliches verweisen. Ein Beispiel, das dies verdeutlichen kann, findet sich in Der Name der Rose, als der Novize Adson seinen Meister nach der Existenz von Einhörnern fragt. Bruder William weist darauf hin, dass Einhörner wahrscheinlich „eine Erfindung heidnischer Fabeldichter“ (S.404) sind. Der Novize zeigt sich enttäuscht, deshalb erklärt der Meister: „Das Einhorn, wie es in diesen Büchern hier dargestellt wird, enthält eine moralische oder allegorische oder symbolische Wahrheit“ (S.405). Er fügt noch hinzu, dass die Einhörner theoretisch existieren könnten, dass also die Bücher, die von ihnen erzählen, „wenn nicht von wirklichen, so doch von möglichen Wesen künden“. Auf etwas real existierendes verweist das Zeichen „Einhorn“ also nicht, sondern nur darauf, dass jemand diesen Begriff (dieses Zeichen) erfunden haben muss (möglicherweise jene heidnischen Dichter). Dann erklärt William, wie genau diese Referenz funktioniert: „Die Idee ist ein Zeichen der Dinge, und das Bild ist ein Zeichen der Idee.“ (S.406). Somit ist das Bild das Zeichen eines Zeichens. Durch dieses Bild kann man also, wenn schon nicht den Körper selbst (also ein tatsächlich existierendes Einhorn), dann zumindest die Idee konstruieren, die jemand anders von diesem Körper (dem Einhorn) hatte. Ein zweites Beispiel zeigt, dass Zeichen auch absichtlich falsch sein können. Ein unbekannter Mörder hat die Leiche eines seiner Opfer in einem unscheinbaren Teil der Abtei abgelegt. Bruder William denkt, dass der Täter damit von der Bibliothek, den Ort um den sich die Handlung der Geschichte dreht, ablenken will. Er stell dazu fest, „dass es auch Zeichen gibt, die nur scheinbar etwas bedeuten, in Wahrheit aber ganz sinnlos sind“ (S.138). Eco weist, wie schon in seiner Theory darauf hin, dass Zeichen es ihrem Sender ermöglichen, absichtlich falsche Referenzen zu erschaffen. C.5 Zeichen und Interpretation Ein weiterer Aspekt, in dem Zeichen falsch sein können, liegt bei dem Interpretierenden, der bei der von Eco sogenannten complex inference auch Fehler machen kann. Dann hat er Zeichen miteinander verbunden, die nur scheinbar zusammengehören. So glaubt Bruder William, dass die Morde in der Abtei nach dem Vorbild der Wahrsagungen der Offenbarung des Johannes geschehen. Dies folgert er zum einen daraus, dass sich bei jedem der Morde eine der dort gemachten Prophezeiungen erfüllen, zum anderen aus den wirren Reden eines alten Mönches. Diese komplexe Inferenz erweist sich als falsch, denn die Morde geschehen unabhängig voneinander. Dieser Fehler hätte die Auflösung des Falls verhindern sollen. Gleichzeitig stellt aber auch Williams Gegenspieler diesen Zusammenhang her interpretiert ihn als göttliche Fügung. So glauben beide Seiten an ein falsches Muster in den Zeichen und Williams Interpretation ist am Ende wieder richtig. Entsprechend überrascht ist William, als er diesen Zusammenhang schließlich entdeckt. Er erkennt, dass er eine Ordnung in der Welt gesucht hat, die es nicht gibt. Er folgert daraus, dass „die einzigen Wahrheiten, die etwas taugen, [...] Werkzeuge [sind], die man nach Gebrauch wegwirft“ (S.626). Warum haben sich die Zeichen in diesem Beispiel als unzuverlässig erwiesen? Eco glaubt (und da weicht er von Pierce’s Einteilung von Zeichen ab), dass alle Zeichen im Grunde doch symbolisch sind, allerdings zu unterschiedlichen Graden. Symbolische Zeichen sind rein arbiträr, also willkürlich gewählt. Sie werden nicht von Naturgesetzen bestimmt und bilden das, auf was sie verweisen, auch nicht in sich ab, sondern sind durch Konventionen bestimmt. Ein anderer Fall von arbiträren Zeichen ist die Sprache. Worte sind weder unmittelbar mit ihrem Bezeichneten verbunden, noch bilden sie es ab (ein Grenzfall ist hierbei die Lautmalerei). So sagt auch William: „[...] die Namen, mit denen die Menschen die Begriffe bezeichnen, [sind] in der verschiedenen Ländern sehr verschieden, und gleich für alle sind nur die Begriffe als Zeichen der Dinge.“ (S.453) Weiterhin kann auch ein Sprachzeichen auf verschiedene Bedeutungen hinweisen, wie es Adson erlebt, als er sich beim Liebesakt an Worte aus seiner geistlichen Ausbildung erinnert: „Allmählich stiegen andere Worte in meinem Innern auf [...] die gewiß zu anderen Zwecker gesprochen waren, die mir jedoch wie ein Wunder im Einklang zu stehen schienen mit der Lust jenes Augenblicks[...]“. (S.315) Der arbiträre Charakter von Zeichen tritt auch in einer Szene zutage, in der der Abt des Klosters von der metaphorischen Bedeutung von Edelsteinen spricht. Diese Bedeutungen sind je nach Region und Gruppe, die sie verwendet unterschiedlich. So ist „der Amethyst ein Spiegel der Demut“ (S.570), in anderem Zusammenhang jedoch „mit seinem Schillern von Rosa zu Blau [Metapher] für die Liebe zu Gott“ (S.571). Der Sardonyx ist einmal „Zeichen des Märtyrertums“ (S.570), ein anderes Mal steht er „für die Stille des jungfräulichen Lebens“ (S.570). Auch hier müssen wir von symbolischen Zeichen sprechen. C.6 Die Essenz: Die Rolle von Zeichen Wir erfahren in Der Name der Rose also eine Menge über Zeichen, zum Beispiel dass Zeichen eine Erkenntnishilfe der Menschen sind, dass sie nur Bedeutung erhalten dadurch, dass sie gedeutet werden, dass aber auch genauso aus einem Zeichen mehrere Interpretationen entstehen können, und dass nicht zwangsweise die Interpretation hervorgeht, die den Empfänger zum Sender des Zeichens führt. Neben diesen Tatsachenaufnahmen erzählt der Roman aber auch als ganzes von der Semiotik: „Ich habe niemals an der Wahrheit der Zeichen gezweifelt, Adson, sie sind das einzige, was der Mensch hat, um sich in der Welt zurechtzufinden.“ (S.625) Diese Worte sind Bruder Williams Fazit, nachdem er schließlich seinen Kriminalfall aufgeklärt hat. Auf was für eine Wahrheit spielt Eco hier an? In seinem Glauben, dass Zeichen eine bestimmte Ordnung haben, wurde William, wie in C.5 gezeigt, enttäuscht. So spielt William vielleicht auf eine grundliegendere Wahrheit an, eine, die Ecos eigener Perspektive auf Zeichen näher kommt: Die Wahrheit der Existenz von Zeichen: Es gibt sie, sie sind Werkzeug der Menschen, und sie bestehen dafür, von Menschen gedeutet zu werden. D Fazit Die Analyse der Semiotik in Ecos Roman lässt keinen Zweifel daran, dass der Autor selbst an die Wahrheit der Zeichen glaubt. Eco inszeniert liebevoll und authentisch eine komplexe Detektivgeschichte, wohlportioniert in kleinen Stücken über den ganzen Roman verteilt gibt er die Lehre von den Zeichen auch direkt an den Leser weiter. Von der Erkenntnis, die ihn dazu brachte, in seinem ersten Roman der Semiotik eine Hauptrolle zu geben, wurde in der Einleitung schon berichtet: „Man muss auch von dem erzählen, von dem man theoretisch spricht“. Darin spiegelt sich eine wichtige Aufgabe jedes Wissenschaftlers wieder: Den oft stark theoretischen Sachverhalt, mit dem er sich beschäftigt hat, jenes Gebiet, auf dem er durch Forschung zum Experten aufgestiegen ist, anderen zu Erklären. So ist es unerlässlich, dieses Wissen an andere Wissenschaftler weiterzugeben. Besonders zeichnen sich aber die aus, die in der Lage sind, ihre Wissenschaft auch an Laien weiterzugeben. Nach dem ich selbst Der Name der Rose gelesen habe, bin ich überzeugt, dass auch Umberto Eco zu diesen Wissenschaftlern gehört. Der Roman wird viele Leser noch einige Zeit nachdem sie ihn wieder zur Seite gelegt haben beschäftigen. Nicht nur aufgrund der intensiven, mühelos in ihren Bann ziehenden Schilderungen des mittelalterlichen Lebens und Denkens, sondern auch, weil die Erkenntnisse über Zeichen sich durch die Gespräche Williams mit seinem Novizen ihren Weg in die Gedanken des Lesers gefunden haben. So ist es gut vorstellbar (und aus eigener Erfahrung empirisch belegbar), dass viele während des Lesens von Der Name der Rose oder auch erst Monate später plötzlich zu einer Einsicht über die Welt der Zeichen gelangen. Womit Umberto Eco tatsächlich ein großes Ziel erreicht hat. E Bibliographie Eco, Umberto A Theory of Semiotics. Indiana University Press, 1976 Eco, Umberto Der Name der Rose. Milano: Gruppo Editoriale Fabbri-Bompiani, 1980 Mersch, Dieter (Hrsg) Zeichen über Zeichen: Texte zur Semiotik von Charles Sanders Peirce bis zu Umberto Eco und Jacques Derrida München: Dt. Taschenbuch-Verlag, 1998 Müller, Horst M. (Hrsg) Arbeitsbuch Linguistik Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh, 2002 Schalk, Helge Eco Online http://www.teamup.de/EcoOnline/index.html, 24.6.2003