„Max Beckmann malt die Apokalypse des Johannes“

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„Max Beckmann malt die Apokalypse des Johannes“
„Max Beckmann malt die Apokalypse des Johannes“
Predigt zum Ewigkeitssonntag 2007
über die Offenbarung des Johannes
St. Jacobikirche Göttingen am 25.11.2007
1. Zu Besuch bei Max Beckmann
5. Apokalyptische Zeiten
Als der Maler Max Beckmann am 2. April 1941 die Tür
seiner Amsterdamer Mansardenwohnung öffnete, stand
Besuch vor der Tür, unerwarteter Besuch aus der
Heimat. Ein Freund aus Frankfurt brachte ihm eine
Nachricht. Vermögende Freunde hatten einen Auftrag
für ihn: „Zeichne uns einen Bilderzyklus zur Apokalypse,
zur Offenbarung des Johannes“ Im 2. Jahr des Krieges,
im 4. Jahr des Amsterdamer Exils war diese Nachricht
für Max Beckmann wie ein Lebensnot wendender
„Tropfen Sauerstoff“.
Am 22. August 1941 schreibt Beckmann in sein
Tagebuch: Apo angefangen. So nennt er die
Offenbarung des Johannes. Und in den folgenden
Wochen
und
Monaten
immer
wieder
kurze
Tagebucheinträge:
28. August Etwas an Apo – Ein bisschen depressiv. – 6.
Oktober An Apo (gearbeitet) – viel, vielleicht unnötige
Sorge. – 10. November Den Engel gemacht zu Apo. 11.
November Wieder Apo. – Später herumgelaufen –
schlechtes Wetter.
Während Beckmann an seinem Apokalypse-zyklus sitzt,
beginnt im Oktober 1941 der Bau des Vernichtungslagers in Auschwitz.
13. November: Apo – müde – deprimé – kalt. 7. Dezember An der Apo – trüber Sonntag.
Während Beckmann in Amsterdam an der Apokalypse
sitzt, beschließen sie in Berlin-Wannsee die Endlösung
der Judenfrage, und vor Moskau bringt der russische
Winter den deutschen Angriff auf die Sowjetunion zum
Stillstand.
2. Weihnachtstag: Apo Endspurt. - Sonntag nach
Weihnachten: Endgültig Apo – Gott sei Dank!
Derweil läuft im Frühjahr 1942 die Massenmordfabrik in
Auschwitz an.
13. April 1942 Apo koloriert. Scheußlicher Montag.
Derweil beginnen die deutschen Truppen den Kampf
um Stalingrad.
17. Juni 42 Quappi (Beckmann Freundin) brachte Apo
nach den Haag. Und von den Haag wurden Beckmanns
Bilder zur Apokalypse heimlich nach Frankfurt
geschmuggelt.
2. Flucht nach Amsterdam
Denn in den Jahren seit 1933 war die Luft für ihn immer
dünner geworden. Die nationalsozialistische Kunstpolitik
hatte den Maler systematisch ins Abseits geschoben.
Sie hatten ihn als entarteten Künstler diffamiert und
seine Bilder aus deutschen Museen entfernt. Einige
davon waren in der Propaganda-Ausstellung „Entartete
Kunst“ zur Schau gestellt worden. Darum hatte er
Deutschland verlassen und sich in Amsterdam
niedergelassen. Doch auch dort konnte er, zumal nach
der Besetzung der Niederlande durch die deutschen
Truppen im Mai 1940, nur noch im Verborgenen malen
und zeichnen. Kaum noch Aufträge, kaum noch
Honorare. Auf den Straßen Amsterdams überall
deutsche Uniformen. Die Luft zum Atmen war für Max
Beckmann immer dünner geworden.
3. Der Auftrag
So war der Besuch des Freundes aus Frankfurt
Beckmann hoch willkommen, ein „Tropfen Sauerstoff“:
Sie haben ihn nicht vergessen. Sie haben einen
heimlichen Auftrag für ihn: „Mach für uns einen
Bilderzyklus zur Apokalypse des Johannes“.
4. Beckmann liest die Apokalypse
Beckmann war nie in einer verbindlichen Weise gläubig
oder gar kirchlich gewesen. Trotzdem hatte er schon
häufiger biblische Motive gemalt. Aber die Offenbarung
des
Johannes?
Dieses
Buch
mit
seinen
sprichwörtlichen sieben Siegeln, mit seinen wirren
Visionen, Krieg der Sterne, teuflische Drachen und
abenteuerliche Engel, Posaunen und Zornesschalen,
Weltgericht und Weltuntergang?
Max Beckmann nimmt den Auftrag an, und in diesem
Sommer 1941 sitzt er oft in seiner Mansardenwohnung
und liest die Bibel: die Offenbarung des Johannes. Ein
Buch voller Bilder, wie geschaffen für einen Maler, der
in Worten Bilder sieht. Das Buch des Sehers Johannes,
verbannt auf die Insel Patmos, wie geschaffen für einen,
der im Exil ist, ein Buch voller Chaos und Katastrophen,
wie geschaffen für Menschen, die umringt sind,
umlagert, bedrängt von Chaos und Katastrophen des
Kriegs.
6. Beckmann und die Krone des Lebens
Teilweise wirken sie wild und durcheinander,
Beckmanns Bilder, und es braucht Zeit sich einzusehen.
Andere aber sind anrührend einfach. Dies zum Beispiel:
„Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des
Lebens geben.“
Ein Selbstportrait: Max Beckmann liegt wie tot auf dem
Boden, das Gesicht zum Betrachter des Bildes, die
Hände auf dem Bauch zusammengelegt, wie tot.
Rechts am Bildrand: eine zähnebleckende, grinsende
Fratze, sie zeigt mit dem Finger auf den am Boden
liegenden Beckmann. Der verfemte Maler im
Amsterdamer Exil, todmüde. Aber direkt vor ihm liegt
eine Krone bereit: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich
dir die Krone des Lebens geben.“
7. Das Lamm, das Buch & die Kerze
Beckmann malt eine großartige Thronsaalvision, ein
wunderbares Lamm. Der Maler scheint Seite an Seite
neben dem Seher Johannes gestanden zu haben und
er zeichnet das Lamm, ganz einfach: Die Seitenansicht
eines Lammes, der Strick, mit dem es zur Schlachtung
geführt wurde, liegt noch um den Hals. Auf dem Kopf
sieben Zacken, wie ein Hörner-Kamm: Dieses
geschlachtete Lamm ist nicht schwächlich. Es hat eine
eigene Stärke und Würde.
Und im Gesicht des Lammes ein großes Auge und –
unscheinbar, rundum sechs kleine Augen. Durchblick
hat das Lamm, Rundum-Blick, Vorsicht und Rücksicht.
Und das eine große Auge schaut dich an, geradewegs
in die Augen. Das Lamm sieht mich und dich an. Und
vor ihm liegt „das Buch“, das Buch mit den sieben
Siegeln, aufgeschlagen. Und daneben eine brennende
Kerze.
8. Vom Mansardenfenster aus:
Apokalyptische Reiter & Kerze
Einfach und unmittelbar nähert sich Max Beckmann den
Visionen der Offenbarung. Er selbst wird zum Seher
und ist mitten drin in den Träumen und Visionen des
Johannes. Im nächsten Bild zeichnet er die
apokalyptischen Reiter, die Unheil über die Erde
bringen. Er malt sie, wie sie vor dem Fenster seines
Mansardenzimmers vorbei reiten. Draußen vor seinem
Fenster toben Chaos und Katastrophen. Und Max
Beckmann stellt eine Kerze in dieses Fenster, nichts
weiter.
Eine Kerze gegen die Angst, gegen die Traurigkeit,
gegen die Einsamkeit und Isolation, gegen das Chaos
in Europa und um ihn herum, eine Kerze auf der
Fensterbank seiner Mansarde.
9. Die Kerzen für unsere Verstorbenen
Nur eine Kerze, aber sie bestärkt Max Beckmann darin,
dass Chaos und Angst einmal ein Ende haben werden.
Erlösung! Nur eine Kerze, wie hier vorne im
Kerzenkessel, oder ab nächsten Sonntag am
Adventskranz– eine Kerze gegen die Angst und das
Chaos, eine Kerze für die Sehnsucht. Wer weiß?
Vielleicht sind auch die mitgenommen aus dem
Thronsaal Gottes.
10. Engel mit dem Taschentuch & Bullauge
mit Morgenstern
Und ganz zum Schluss, eines der letzten BeckmannBilder zur Apokalypse, Kapitel 21. Sie halten es in den
Händen, als Postkarte. „Und Gott wird abwischen alle
Tränen von ihren Augen ...“. Wieder liegt Max
Beckmann, wie auf dem ersten Bild. Ein Engel beugt
sich über ihn mit einem Taschentuch. „Und Gott wird
abwischen alle Tränen von ihren Augen …“
(leises Einsetzen der Orgel mit dem Choral „Wie schön
leuchtet der Morgenstern“) Im Hintergrund das Bullauge
eines Schiffes, und durch dieses Fenster siehst Du
ganz anderes als aus dem Amsterdamer Mansardenfenster. Da siehst Du, wenn Deine Tränen abgewischt
sind, im engen Ausschnitt eines Bullauges die Weite
des Meeres, am Horizont eine Stadt, ein goldrosa
Himmel, Morgendämmerung, und am Himmel: der
Morgenstern. Amen.
Pastor Harald Storz
Nach der Predigt, übergehend aus dem Orgelchoral
„Wie schön leuchtet der Morgenstern“ als Predigtlied
das andere Lied des Liederdichters Philipp Nicolai:
„Gloria sei dir gesungen
mit Menschen und mit Engelszungen“