Erasmusz – Erfahrungsbericht King`s College London
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Erasmusz – Erfahrungsbericht King`s College London
Florian Kowalik Erasmus 2012/2013 Erasmusz – Erfahrungsbericht King’s College London Florian Kowalik ([email protected]) 1. Einleitung Ich kann mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, einen Bericht, der mit etwas Glück sogar ein paar Leser findet, ganz ambitioniert mit einem Zitat zu öffnen, auch wenn diese kühne Vorgehensweise leicht über das Ziel hinausschießen mag. Das Thema ist es in meinen Augen allemal wert; ein Erasmusjahr am renommierten King’s College im Herzen einer der großartigsten und aufregendsten Metropolen der Welt: London! Das zurückliegende Jahr in Großbritanniens geschichtsträchtiger Hauptstadt war die bisher spannendste und lehrreichste Zeit meines Lebens voller neuer Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man ein Zitat spielerisch leicht und nicht plump und gewollt in einen Text einarbeitet. Daher mache ich es plump und gewollt. Hier kommt es also: “When a man1 is tired of London, he is tired of life; for there is in London all that live can afford”.2 Es gibt unzählige berühmtere Zitate von bekannteren Menschen und doch gibt es nicht viele, die ich im Moment, nach einem Studienjahr in dieser großartigen Stadt, bereitwilliger unterschreiben würde. Londons kulturelles, sportliches und freizeitliches Angebot ist so reichhaltig, dass man es auch in 9 Erasmusmonaten unter allergrößten Anstrengungen im Bereich der Freizeitgestaltung nicht annährend auszuschöpfen vermag. Die schiere Anzahl an Konzerten, Festen, Märkten, Museen, Ausstellungen, Theatervorstellungen, Filmpremieren, Sportveranstaltungen und 1000 anderen Dingen, die mir ganz bestimmt entgangen sind ist überwältigend. Und auch das Studieren am King’s ist nicht ohne Reiz. Aber nach diesem euphorischen Rundumschlag mal schön geordnet der Reihe nach. Man hat ja schließlich was gelernt in 6 Semestern Jura auch wenn es dieser unstrukturierten Einleitung kaum anzumerken ist. 2. Studium 1 Im Zuge der aktuellen „Herr Professorin Debatte“ (siehe neue Hochschulverfassung der Uni Leipzig) liegt es mir besonders am Herzen, darauf hinzuweisen, dass „man“ auch als „woman“ und „he“ auch als „she“ gelesen werden kann. 2 Samuel Johnson 1 Florian Kowalik Erasmus 2012/2013 Das „Studiergefühl“ in England ist vollkommen anders als in Deutschland. Deshalb waren die zwei Semester am King’s für mich mehr als eine nötige Auszeit vom deutschen Studium. Sie wurden zu einer merklichen Zäsur, da es mir nicht nur so vorkam als würde ich was anderes studieren sondern vielmehr als täte ich was anderes als studieren oder zumindest als studierte ich anders als zuvor. Zunächst einmal ist die Struktur der einzelnen Module im Grundsatz schon mit dem deutschen Studienaufbau vergleichbar. Pro Fach (man wählt vier Fächer) gibt es zwei einstündige Vorlesungen wöchentlich bei denen keine Anwesenheitspflicht herrscht, ein „tutorial“ (20 Studenten) pro Woche mit grundsätzlicher Anwesenheitspflicht in dem der Stoff der Vorlesungen nachbereitet wird -vergleichbar mit unseren AGs - und alle vier Wochen ein zweistündiges „seminar“, in dem tiefergehende rechtlich-moralische, rechtspolitische oder rechtshistorische Themen vorlesungsbegleitend in kleinem Kreis von höchstens 9 Studenten diskutiert werden. Auch hier ist Anwesenheit grundsätzlich Pflicht. Anwesenheitsplicht bedeutet, dass das dritte NichtErscheinen vom Tutor oder Seminarleiter der Uni bekannt gemacht werden muss woraufhin weitere Schritte eingeleitet werden. Da ich niemanden kenne, bei dem so etwas passiert ist, kann ich nicht sagen, wie etwaige Sanktionen aussehen. Mein Rat: einfach hingehen, der Zeitaufwand ist sehr gering (14 Stunden in der Woche). Und wenn man einmal fehlt geht die Welt auch nicht unter. Wer tatsächlich in mehreren Modulen 3 Mal oder häufiger fehlt kann von sich auch wirklich nicht behaupten, einen halbwegs seriösen Aufwand betrieben zu haben. Pro Fach müssen im Jahr 2-3 etwa fünfseitige Übungsessays geschrieben werden, die nicht absolut zwingend sind aber „highly recommended“. Zur Übung sollte man sie schon im Eigeninteresse schreiben, da sich die Endnote immerhin zu 30% aus einem fünfseitigen Essay und zu 70% aus dem „written exam“ zusammensetzt. Gerade am Anfang des Aufenthalts heißt es daher Schreibpraxis sammeln. Durch das Essay-Schreiben habe ich recht schnell sehr große sprachliche Fortschritte gemacht. Ob man den letzten Essay im zweiten Semester auch unbedingt noch mitschreibt, oder lieber schon anfängt den Lernstoff zu wiederholen, kann spontan entschieden werden. Die englischen Erstsemesterstudenten können gar nicht genug schreiben, da es bei ihnen noch darum geht, die Technik zu erlernen, einen quasiwissenschaftlichen Text zu schreiben. Durch unsere Hausarbeitenpraxis im deutschen Studium besteht dieses Problem nicht. An die leicht veränderte Zitierweise gewöhnt man sich schnell, sodass die Essays vor allem dazu dienen, sich sprachlich weiterzuentwickeln. Ich verrate ein Geheimnis: Ich habe den jeweils letzten freiwilligen Aufsatz nicht mehr 2 Florian Kowalik Erasmus 2012/2013 mitgeschrieben, weil ich glaubte genug Übung zu haben und war sehr zufrieden mit den Ergebnissen meiner Essays im „final exam“. Nun zum Studiergefühl. Wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um nichts weiter als um meine persönlichen Eindrücke handelt. Mir kam es so vor, als seien die englischen Studenten deutlich unselbständiger im Denken und Lernen als ich es aus Deutschland gewohnt war, was für Studenten, die bereits 4 Semester oder mehr in Heidelberg hinter sich haben, ein immens großer Vorteil ist. Es gibt Leselisten, die von Woche zu Woche zu bewältigen sind, die Lehrbücher werden recht unzweideutig von den Professoren vorgegeben und die Tutoren stellen öfter selbst angefertigte Skripten online. Im Allgemeinen ist die Betreuung der Studenten viel stärker ausgeprägt als an deutschen Universitäten. So bekommt z.B. jeder Student am Anfang des Semesters einen Vertrauenstutor zur Seite gestellt, der bei Problemen aller Art behilflich sein kann. Die Versorgung mit Unterrichtsmaterial und hilfreichen Klausurtipps lässt keine Wünsche offen und erinnert mehr an die Schule als an eine Universität nach deutschen Standards. Das führt dazu, dass die Studenten weniger mitdenken, alles was der Professor erzählt wörtlich mitschreiben anstatt sinnvoll Schwerpunkte zu setzen und sich den Inhalt von Gesetzestexten lieber erzählen lassen statt selbst nachzulesen. Wer halbwegs mit dem Gesetz umzugehen weiß oder überhaupt auf die Idee kommt mal nachzuschlagen kann schon dadurch bei Professoren und Tutoren punkten und ist auch bei Klausuren klar im Vorteil. Die Lehr- und Lerngeschwindigkeit erschien mir dadurch relativ langsam und auch ohne unmenschlich hohen Aufwand gut zu meistern. Dennoch sollte nicht der Eindruck entstehen, man müsste überhaupt nichts tun. Ich habe mich mit vielen Freunden und Bekannten unterhalten, die ebenfalls ein Erasmusjahr gemacht haben und kann sagen, dass ein Jahr am King’s dem herkömmlichen Erasmus-Klischee nicht entspricht. Auch wenn es durch die an englischen Universitäten stark verbreitete Servicementalität des Lehrkörpers leicht ist, den Überblick über den Lernstoff zu bewahren, muss dieser Stoff trotzdem noch bewältigt werden. Es ist höchst unangenehm, nicht auf Tutorien oder Seminare vorbereitet zu sein und im Tutorium nur mitzuschwimmen oder gar völlig abzutauchen. Mir ist das im Laufe eines Jahres selbstverständlich auch ab und an passiert und ich kann nur sagen, es gibt Schöneres. Darüber hinaus ist das Diskussionsniveau gerade in den „seminars“ ziemlich hoch. Nur zurücklehnen, London genießen und Pubs testen wird als Strategie also fehlschlagen, wenn am Ende ein halbwegs respektabler Abschluss herausspringen soll. Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass weder Professoren noch Tutoren wissen, wer Erasmus- und wer 3 Florian Kowalik Erasmus 2012/2013 regulärer LLB-Student ist. Es gibt keinen Erasmuszweig, keine extra-Vorlesungen und keine Behandlung mit Samthandschuhen. Die Anforderungen sind für alle gleich. Das gilt auch für die anonymisierten Klausuren, auf deren Deckblatt nur die Studentennummer zu schreiben ist. Stichwort Abschluss: Als Erasmusstudent erhält man am Ende des Jahres ein „Certificate of Legal Studies“, ein gut aussehendes und jeden Lebenslauf zierendes Abschlusszeugnis. Mit 40% im Schnitt in allen vier Fächern zusammengerechnet erreicht man ein „pass“, sprich man besteht. Das sollte locker zu machen sein, da selbst 50% noch als eher mager gilt. Der durchschnittliche Student erreicht um die 60%. 60% bis 69% gilt als gut, ein sogenanntes „upper second“. Erhält man diese Note als Erasmusstudent bekommt mein ein Certificate „with merit“. Ab 70% schließt man mit „first class honours“ ab und gehört in Jura je nach Jahrgang etwa zu den besten 10-15%. In diesem Fall bekommt der erfolgreiche Erasmusstudent ein Certificate „with distinction“. Ich selbst habe während des Semesters ein bisschen weniger gemacht als in Heidelberg aber schon fast alles Erforderliche gelesen und mit gesunder Ernsthaftigkeit studiert, es aber in keinster Weise übertrieben. Das Jahr kam mir einigermaßen entspannt vor und es blieb viel Zeit für London und Großbritannien. Pro Klausur habe ich 4 Tage gelernt, also gute 2 Wochen insgesamt und ein Essay hat mich 7 Tage gekostet, bei 4 Essays waren das also arbeitsame 4 Wochen. Ab Ende März bis Anfang Mai sind keine Univeranstaltungen mehr, sodass man einen guten Monat Zeit bekommt, um die Essays zu schreiben. Die 4 Klausuren sind dann meistens für Mitte Mai angesetzt, sodass nach fertiggestellten Essays sofort weitergelernt werden muss/sollte. Mit meinem Lernaufwand, der verglichen mit anderen im soliden Mittelfeld lag (es gibt Leute, die die Essays in jeweils 3 Tagen durchgejagt haben und dementsprechend mehr Zeit für die Klausurvorbereitung hatten) habe ich mit „distinction“, also der Bestnote bestanden und dabei sogar Strafrecht noch ziemlich in den Sand gesetzt. Das traue ich jedem Heidelberger Studenten mit der Erfahrung von mindestens 4 Semestern deutschem Jurastudium auf alle Fälle zu. Ein letztes Wort zu meiner Fächerwahl. Ich hatte european law, criminal law, law of contract und public law. Alle vier Module sind “first year courses”. Andere Erasmusstudenten am King’s hatten überwiegend zumindest ein “second year” oder “third year module” gewählt und waren mit dieser Wahl zum großen Teil sehr zufrieden. Favoriten waren hier „Jurisprudence“ (Rechtsphilosophie), „Tort“ (Deliktsrecht), „media law“ und „competition law“. Meine Überlegung hinter der Wahl von vier Erstsemesterkursen ist schnell erklärt. Wenn ich schon nicht das reguläre dreijährige LLB-Programm mache, wollte ich zumindest 4 Florian Kowalik Erasmus 2012/2013 die Grundlagen des englischen Rechts kohärent studieren und behaupten können, ich habe einen „1/3 Bachelor of Law“. Darüber hinaus wollte ich nicht nur viel über englisches Recht, sondern auch über England bzw. Großbritannien an sich lernen und nichts eignet sich besser als die drei originär englischen und eben nicht internationalen Rechtsgebiete public, contract und criminal law. Im Nachhinein hat sich meine Kombination für mich in jeder Hinsicht als Volltreffer erwiesen und ich kann diesen Ansatz guten Gewissens empfehlen. 3. Wohnen Das Wohnen in London ist teuer. Damit verrate ich hoffentlich kein Geheimnis. Zum privaten Markt kann leider überhaupt nichts sagen, da ich von Anfang an einen Wohnheimsplatz sicher hatte und mich daher nicht weitergehend zu informieren brauchte. Mit den Wohnheimen funktioniert es so, dass das King’s nach erfolgreicher Bewerbung eine Wohnheimsliste zuschickt und man als Student eine Präferenzliste erstellen muss in der man die verfügbaren Wohnheime von Platz 1 bis (ich glaube) 16 anordnet. Ich habe im Wolfson House in Southwark gleich neben der berühmte Tower Bridge gewohnt. Die Lage top, das Zimmer ein …. So schlimm wie man den Satz intuitiv beenden möchte, war es vielleicht nicht, aber wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich es kaum länger als 9 Monate dort ausgehalten und ich bin wirklich nicht verwöhnt. Das Haus war insgesamt schmuddelig, der Geruch auf den Fluren muffig, die Dusche angeschimmelt, die Zimmer klein (8m²) und das Mobiliar gefühlt aus den 60ern. Dennoch lebt nicht jeder 9 Monate in London und wenn es ein Opfer gab, was ich bereit war, für die grandiose Lage zu bringen, dann war es der Wohnkomfort. Viel nützen euch diese Informationen allerdings nicht, da es ohnehin stark vom Zufall abhängt, welches Wohnheim man bekommt. Das Wolfson House war z.B. erst Nummer 7 auf meiner Liste. Selbst wenn ihr jetzt gewarnt seid, könnt ihr dort also trotzdem landen. In dem Fall gilt: freut euch trotzdem auf London und ansonsten Augen zu und durch. Überleben lässt es sich! 4. Leben in London Über das Leben in London im Allgemeinen werde ich nicht ein Wort verlieren außer, dass es genau wie das Wohnen auch sehr teuer ist. Ich habe ca. 250€ mehr gebraucht als in Heidelberg. Über das Leben in London im Speziellen werde ich schon ein paar Worte verlieren. Ich hatte in London die aufregendste, abwechslungsreichste und spannendste Zeit meines Lebens und das liegt zu einem großen Teil an London selbst. Ich bin großer Fußballfan und da hat die Stadt mit 6 Erstligisten und unzähligen weiteren Traditionsvereinen und schönen Stadien auch 5 Florian Kowalik Erasmus 2012/2013 in unteren Ligen viel zu bieten. Highlight in fußballerischer Hinsicht war für mich der Besuch des Länderspiels England gegen ConfedCup-Sieger Brasilien mit allen großen oder zukünftigen Stars im Wembley. Auch andere Stadien waren vor mir nicht sicher. So war ich z.B. bei Chelsea, Fulham, West Ham, Millwall und dem AFC Wimbledon (zugegeben, Wimbledon, so klangvoll der Name durchs Tennis auch ist, ist schon sehr unterklassiger Fußball und nur was für den harten Kern). Weitere sportliche Highlights waren der Besuch eines NBA Spiels (Basketball) in der 0²Arena zwischen den New York Knicks und den Detroit Pistons und das Rugby-Länderspiel zwischen England und Südafrika im legendärsten Rugby-Ground der Welt, dem Twickenham Stadium, vor 84.000 Zuschauern. Sollte der Eindruck entstanden sein, ich hätte nur Sport geguckt, möchte ich dem auf der Stelle entgegenwirken. Ich war obendrein noch in den Musicals „Wicked“, „Lion King“, „Phantom of the Opera“ und „Les Miserables“ und kann alle vier nur in den höchsten Tönen loben. Sollte das Geld nur für eines reichen, empfehle ich ohne zu Zögern „Les Miserables“ das in seiner Londoner Version nicht ohne Grund das am längste aufgeführte Musical der Welt ist. Dazu kamen ein Besuch beim alljährlichen London Marathon (leider war ich zu der Zeit verletzt und konnte nicht selber teilnehmen) und ein eher betrübtes Ereignis, die Beerdigung von Iron Lady Margareth Thatcher samt Trauermarsch vom Parliament Square über den Strand (dort liegt übrigens in höchst prominenter Lage das King’s) bis hin zur St. Paul’s Cathedral. Die Geburt der Nummer 3 der Thronfolge, George, habe ich leider knapp verpasst, dafür war ich fast über die gesamte Schwangerschaftsspanne von Kate anwesend. Auch eine spannende Zeit! Neben London hab ich auch versucht, Großbritannien zu erkunden und bin gerade im ersten Semester viel gereist. Je näher die Prüfungen rücken, desto schwerer wird es, etwas zu unternehmen. Daher mein Tipp: mit dem Reisen und Erkunden so früh wie möglich anfangen. Ich war in Brighton, Dover, Oxford, Cambridge, Bath, Stonehenge, Canterbury, Windsor, Eton, Dublin und Cardiff und kann all diese Reiseziele empfehlen. Was ich leider zeitlich nicht mehr hinbekommen habe, war ein Trip nach Schottland. Das würde ich auf jeden Fall verwirklichen, wenn ich alles noch einmal machen dürfte. 5. Fazit 6 Florian Kowalik Erasmus 2012/2013 Nach dem Jahr in London bin ich wieder hochmotiviert in Heidelberg weiterzustudieren und gehe das neue Semester erfrischt, fit voller neuer Impulse und mit ganz viel Vorfreude an. Allein dafür hat sich das Erasmusjahr gelohnt! Wer hungrig auf London geworden ist, meinen Bericht aber unzulänglich findet, kann mich gerne privat kontaktieren und speziellere Fragen stellen. Ich freue mich, wenn ich weiterhelfen kann und ermutige nochmal zur Bewerbung! Mit den besten Grüßen Florian 7