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ROLF KEMPER
RECHTSANWALT
Rechtsanwalt
Rolf Kemper
Grolmanstraße 39
10623 Berlin
auch zugelassen beim Kammergericht
FON 030 - 889 20 90
FAX 030 - 889 20 919
MAIL [email protected]
„Die Garantenstellung kommunaler
Mandats- und Entscheidungsträgerinnen und -träger
im Tierschutz“
Vortrag von Rechtsanwalt Rolf Kemper, Berlin
auf der Fortbildungsveranstaltung
„Tierschutzfälle vor Gericht“
am 12. und 26.11.2008 in Wettenberg/Gießen
KEMPER Rechtsanwälte • Grolmanstraße 39 • 10623 Berlin • Fon 030-889 20 90 • Fax 030-889 20 919
1. Einleitung
Dass Amtsveterinärinnen und -veterinäre Garanten im strafrechtlichen Sinne des §13 StGB
für die Unversehrtheit der Tiere sind und ihre Untätigkeit gemäß §17 TierSchG strafbare Tierquälerei oder Tötung durch Unterlassen sein kann1, hat die Diskussion über Vollzugsdefizite
im Veterinärbereich belebt.
Dabei ist aber erneut in den Fokus gerückt, dass Untätigkeit oft Folge unzureichender oder
fehlender personeller und materieller Behördenausstattung ist.2 Kapazitäts- und Ausstattungsmängel vieler Veterinärbehörden scheinen chronisch zu sein.
Strafrechtlich ist aus §§16a i.V.m. Art.20a GG und §1 TierSchG abzuleiten, dass Amtstierärztinnen und -ärzte „Beschützergaranten“ und als solche grundsätzlich verpflichtet sind, immer
auf tierschutzrechtswidrige Handlungen und Zustände zu reagieren. Weil §16a S.1 TierSchG
kein Entschließungsermessen eröffnet, müssen sie immer handeln, wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich Verstöße gegen Tierschutzrecht begangen werden oder drohen.
Sind aber tatsächlich nur Amtsveterinärinnen und -veterinäre Garanten für das Wohlergehen
der Tiere oder auch kommunale Entscheidungs- und Mandatsträger, die die zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung erforderliche Finanzierung und Ausstattung der Veterinärbehörden3 be- und verhindern? Ist strafrechtlich relevant, wenn trotz knapper Kasse der Bau einer
neuen Stadthalle oder Freizeiteinrichtung realisiert, zugleich aber wegen Geldknappheit die
ausreichende Finanzierung der erkennbar unzureichend ausgestatteten Veterinärbehörde unterlassen wird?4
Begehen auch diejenigen Tierquälerei oder Tötung durch Unterlassen im Sinne der §§17
TierSchG i. V. m. 13 StGB, die in kommunalen Verwaltungen und Beschlussorganen unzureichende Finanzierungsentscheidungen treffen oder daran mitwirken und die personelle und
materielle Behördenausstattung zur Durchführung des TierSchG beeinflussen und/oder
bestimmen können?
1
Kemper, NuR 2007, 790 ff.
So bereits Kuhtz, Martina, Möglichkeiten und Probleme beim Vollzug tierschutzrechtlicher Bestimmungen,
Diss. med. vet., Berlin 1998, insbesondere S.41 f.
3
Zum Begriff Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG-Kommentar, 2. Auflage, München 2007, §15 Rz.1.
4
Dieses Beispiel auch bei Pfohl, NJW 1984, 418 (419).
2
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2
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2. Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten
Vor Beantwortung dieser Frage sei kurz wiederholt, warum Amtsträger im Allgemeinen und
Amtstierärztinnen und -ärzte im Besonderen Garanten im Sinne des §13 StGB sind.5
Dabei ist zu betonen, dass deren Garantenstellung derjenigen kommunaler Entscheidungsund Mandatsträger nicht entgegensteht, denn eine Garantenstellung entfällt nicht deshalb,
weil noch andere Garanten existieren.6
2.1. Straftaten i. S. d. §17 TierSchG als unechte Unterlassungsdelikte
Auch Nichtstun kann strafbar sein. Es gibt in Gestalt „echter“ und „unechter“ zwei Arten
strafbarer Unterlassung, wobei Erkennungsmerkmal „echter“ Unterlassungsdelikte ist, dass
die Tat im Gesetz als Unterlassung beschrieben ist. Beispiele sind Nichtanzeige geplanter
Straftaten (§138 StGB) und unterlassene Hilfeleistung (§323c StGB).
Solche „echten“ Unterlassungsdelikte gibt es im Tierschutzstrafrecht aber nicht. §17
TierSchG als tierschutzstrafrechtliche Hauptnorm normiert nur die Strafbarkeit aktiven Verhaltens, nämlich der
- aktiven Tötung von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund und
- aktiven Schmerz- oder Leidenszufügung.
Die Begehung dieser Taten durch Unterlassen ist also nur als „unechte“ Unterlassungstat im
Strafrechtssinne des §13 StGB denkbar. „Unechte“ Unterlassungsdelikte sind Straftaten, deren Begehung durch Unterlassen
- nicht ausdrücklich im Gesetzeswortlaut beschrieben ist,
- sondern aus dem ausdrücklich normierten aktiven Begehungsdelikt abgeleitet wird.
Diese Ableitung regelt §13 StGB. Er definiert die Voraussetzungen strafbarer Untätigkeit.
Unterlassungsstrafbarkeit gemäß §17 TierSchG kommt daher nur in Betracht, wenn zusätzlich
zu dessen Merkmalen auch §13 StGB erfüllt ist. §13 Abs.1 StGB lautet:
„Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß
der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.“
Zentrales aus der Passage „dafür einzustehen hat“ abgeleitetes Tatbestandsmerkmal ist die
„Garantenstellung“. Nur wer Garant ist, kann Straftaten i. S. d. §17 TierSchG durch Nichtstun
begehen.
5
6
Kemper, NuR 2007, 790 ff.
Roxin, Strafrecht AT II, München 2003, §32 Rz.103; Winkelbauer, NStZ 1986, 151.
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2.2. Kategorien der Garantenstellungen
Es gibt anerkannte Garantenkategorien, die vor allem auch die Strafgerichte und insbesondere
der BGH ausdrücklich anerkennen oder jedenfalls ständig anwenden. Begründung und Kategorisierung dieser Garantenstellungen erfolgen heute überwiegend nach der Funktion der Garantenpflichten. Die „Funktionentheorie“ 7 als heute herrschende Betrachtungsweise differenziert dabei zwei Garantenkategorien, nämlich:
-
Schutzpflichten bzw. Pflichten zum Schutz bestimmter Rechtsgüter
(sog. Obhuts- und Beschützergaranten) und
-
Überwachungspflichten bzw. Verantwortlichkeit für eine bestimmte Gefahrenquelle
(sog. Sicherungs- uns Überwachungsgaranten).
Beiden werden konkrete Garantenstellungen zugeordnet.
2.3. Amtsträger-Garantenstellung im Allgemeinen
Eine solche Garantenstellung ist die stark durch BGH-Judikatur geprägte AmtsträgerGarantenstellung. Aber nicht nur die Rechtsprechung8, auch die Literatur9 erkennt diese
Amtsträger-Garantenstellung heute grundsätzlich an.10 Ihre Entwicklung beschleunigte sich
nach Einführung umweltstrafrechtlicher Normen (§§324 ff.) ins StGB.11 Sie wird abgeleitet
aus der gesetzlichen Pflicht des Amtsträgers, Gesetzesverstöße abzuwenden.12 Dabei resultiert
die persönliche Pflicht des einzelnen Amtsträgers auf entsprechender Pflicht der Behörde, für
7
Schünemann, Grund und Grenzen unechter Unterlassungsdelikte, 1971, 160 ff.; Stree, in: Schönke/Schröder,
StGB-Kommentar, 27. Auflage, München 2007, §13 Rz.9 ff.
8
BGHSt 14, 284; 15, 18 (22); 37, 106; 38, 325; 38, 388; 42, 82; 43, 85; NJW 1955, 192; NJW 1982, 1327; NJW
1987, 199; NJW 1989, 914; NJW 1992, 122; NStZ 2000, 147; OLG Frankfurt, NJW 1987, 2753; OLG Köln,
NJW 1988, 2119; OLG Stuttgart, NStZ 1989, 122; BayObLG, NuR 1996, 637; OLG Oldenburg, NStZ 1997,
238; OLG Stuttgart, NJW 1998, 3131; LG Bremen, NStZ 1982, 164; LG Osnabrück, NStZ 1996, 437; AG Öhringen, NJW 1976, 580; AG Hechingen; NJW 1976, 1222; vgl. auch die Strafverfolgungsbehörden: StA Mannheim, NJW 1976, 585; GenStA Hamm; NStZ 1984, 219; StA Celle, NJW 1988, 2394.
9
Amtsträger-Garantenstellung bejahen u.a. Bringewat, NJW 1997, 440; Cramer/Heine, in: Schönke-Schröder,
StGB-Kommentar, 27. Auflage. München 2007, Vor §324 Rz.29 ff.; Heinrich, Strafrecht AT II, Rz.948; Krey,
Strafrecht AT II, 2.Auflage, Stuttgart 2005, Rz.336 (für Strafverfolgungsbehörden); Meinberg, NJW 1986, 2220;
Möhrenschläger, NuR 1983, 212; Otto, Jura 1991, 308;, Stree, aaO. (Fn.7) §13 Rz.31; Winkelbauer, NStZ 1986,
151; wenngleich viele Entscheidungen ablehnend auch Ranft, JZ 1987, 908 (916).
10
Ellbogen/Stage, JA 2005, 353; Esser, JURA 2004, 273; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG-Kommentar, aaO.
(Fn.3), §17 Rz.3; Hohmann, NuR 1991, 8; Horn, Eckhard, NJW 1981, 10; ders., NuR 1988, 63; Horn/Hoyer, JZ
1991, 703; Iburg, NuR 2001, 77; Kluge, TierSchG-Kommentar, Stuttgart 2002, §17 Rz.100 ff.; Laubenthal, JuS
1993, 907; Meinberg, NuR 1986, 52; Mitsch, NStZ 1993, 384; Möhrenschläger; NStZ 1982, 165; ders., NuR
1983, 212; ders., WuV 84, 57; Müller, Wolf, UPR 1990, 367; Otto, JURA 1991, 308; ders./Brammsen, JURA
1985, 592; Pfohl, NJW 1994, 418; Ranft, JZ 1987, 908; Rogall, Die Strafbarkeit von Amtsträgern im Umweltbereich, 1991; Roxin, aaO. (Fn.6); Rudolphi, JR 1987, 336; NStZ 1991, 361; Sangenstedt, Garantenstellung und
Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989; Schall, NJW 1990, 1263; Seier, JA 1985, 23; Winkelbauer, JZ 1986,
1119.
11
Durch das am 1.7.1980 in Kraft getretene 18. StrafÄndG.
12
Deshalb hat der BGH die Garantenpflicht von Strafvollzugbeamten, Straftaten in der Vollzugsanstalt anzuzeigen, mit der Begründung verneint, Strafverfolgung sei nicht ihre amtliche Aufgabe (vgl. BGHSt 43, 82 (84 f.).
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die er tätig und deren Erfüllung seine Dienstaufgabe ist. Eine persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit als Garant trifft einen Amtsträger also deshalb als individuelle Pflicht, weil er
die Dienstpflicht zur Wahrnehmung seines Amtes hat und in diesem Rahmen verpflichtet ist,
für die Erfüllung der damit verbundenen Handlungsgebote zu sorgen und Gesetzesverstöße
abzuwenden.13
Eine behördliche Schutzpflicht besteht dort, wo ein Gesetz eine solche Schutzpflicht und damit ein Wächteramt des Staates konstituiert.14 Staatliches Wächteramt und daraus abgeleitete
Dienstpflicht, Gesetzesverstöße zu verhüten, verdichten sich für den Amtsträger zu einem
Handlungsgebot. Soweit er zuständig ist und ihm Mittel zur Beseitigung von Gesetzesverstößen zur Verfügung stehen, muss er davon auch Gebrauch machen. Ermessen hat er nur, wo
ihm eine Norm Entschließungsermessen einräumt. Wo keine differenzierende Beurteilung in
Betracht kommt, hat er rechtlich keinen Handlungsspielraum.
Einschlägige Strafurteile behandeln Fallkonstellationen, die auch in der tierschutzrechtlichen
Praxis vorkommen, nämlich vor allem
- Erteilung fehlerhafter Erlaubnisse,15
- pflichtwidriges Nichteinschreiten gegen rechtswidrige Umweltbeeinträchtigungen
Dritter und
- Aufrechterhaltung rechtswidriger Erlaubnisse.
Strafgerichte haben Garantenstellungen von Amtsträgern in unterschiedlichen Funktionen in
unterschiedlichen Verwaltungs-(rechts-)bereichen bestätigt, z. B.:
- 1981 eines Leiters des Wasserwirtschaftsamts für die Reinhaltung der Wasserstraße16
- 1986 eines Ordnungsamtsleiters für die Verfolgung der Prostitution17
- 1987 eines Wasserrechtsdezernten für die Gewässerreinhaltung18
- 1988 zweier für den Abwasserbereich zuständiger Kommunalbediensteter19
- 1991 eines technischen Betriebsleiters im Abfallbereich für Grundwasserreinhaltung20
- 1992 eines hessischen Bürgermeisters für die Abwasserbeseitigung21
- 1992 eines Schutzpolizeibeamten für die Verhinderung von Prostitution22
- 1993 eines Bediensteten einer Landesanstalt für Umwelt für die Richtigkeit seiner
fachlichen Stellungnahme gegenüber der Genehmigungsbehörde23
- 1996 einer Sozialarbeiterin für die Unversehrtheit des behördlich betreuten Kindes24
- 1998 eines Mitarbeiters eines Jugendamts für körperliche Unversehrtheit des Kindes25
13
Bringewat, NJW 1997, 440.
OLG Stuttgart, NJW 1998, 3131 (3132); OLG Oldenburg, NStZ 1997, 238.
15
Bei Erteilung fehlerhafter, also rechtswidriger Erlaubnisse liegt der Schwerpunkt des Strafbarkeitsvorwurfs
nicht auf der Unterlassung rechtmäßiger Versagung der Erlaubnis, sondern auf der Aktivität und bestraft die
herrschende Meinung den Amtsträger als mittelbaren Täter.
16
LG Bremen, NStZ 1982, 164 (mit Anm. Möhrenschläger). Das Urteil gilt als erstes nach Inkrafttreten des 18.
StrÄndG die Garantenstellung eines Amtsträgers bestätigendes Strafurteil; das LG sah §34 StGB als erfüllt an).
17
BGH, JR 1987, 335 = NJW 1987, 199.
18
OLG Frankfurt, NJW 1987, 2753 (2757).
19
OLG Köln, NJW 1988, 2119 (abl. Anm. Hange, NStZ 1989, 122).
20
BGH, NJW 1992, 122.
21
BGHSt 38, 325.
22
BGHSt 38, 388 (grundsätzliche Bejahung der Garantenstellung, aber Verneinung tatbestandsmäßigen Verhaltens wegen außerdienstlicher Kenntniserlangung).
23
NJW 1994, 670 = BGHSt 39, 386 (bestätigt durch BVerfG, NJW 1995, 186).
24
OLG Oldenburg, NStZ 1997, 238; LG Bremen, NStZ 1996, 437.
25
OLG Stuttgart, NJW 1998, 3131.
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-
1999 zweier Polizeibeamter auch bei außerdienstlicher Kenntniserlangung von Vermögensdelikten, wenn die Straftat während der Dienstausübung fortwirkt26.
Der BGH hat insbesondere per Urteil v. 19.8.199227 seine Herleitung der Garantenstellung
eines hessischen Bürgermeisters wie folgt detailliert begründet:
„Für diese Unterlassung muss er strafrechtlich einstehen. Im Rahmen des §324 Abs.1 StGB
besteht strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht nur für positives Tun, sondern auch für Unterlassen (…).
Dabei bedarf es in diesem Zusammenhang keiner Erörterung der Voraussetzungen, unter denen Amtsträger allgemein für die Abwendung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs strafrechtlich
haften (…).
Nach dem zu beurteilenden Sachverhalt steht allein zur Entscheidung, ob der Bürgermeister
einer hessischen Gemeinde für Gewässerverunreinigungen im Rahmen der Abwasserbeseitigung als Garant strafrechtlich haftet. Das ist zu bejahen. Er nimmt eine Garantenstellung ein,
kraft derer ihn die Verpflichtung trifft, rechtswidrige Gewässerverunreinigungen abzuwenden,
die dadurch entstehen, dass ortsansässige Grundstückseigentümer nicht vorgeklärte Abwässer der Ortskanalisation zuführen und damit den Vorfluter verschmutzen. Grund dieser Garantenstellung ist eine entsprechende Pflicht der Gemeinde, deren Erfüllung dem Bürgermeister
zufolge seiner dienstlichen Aufgaben als Amtsträger der Gemeinde obliegt. (…)
Die Pflicht der Gemeinde, im Bereich der ihr zugewiesenen Abwasserbeseitigung dafür zu
sorgen, dass Gewässerverunreinigungen unterbleiben, reicht dabei soweit, wie die verunreinigenden Einwirkungen auf das Gewässer verwaltungsrechtlich unstatthaft, also nicht durch eine entsprechende Erlaubnis der Wasserbehörde gedeckt sind. (…)
Angesichts dieser Rechtslage verdichtete sich die allgemeine Pflicht der Gemeinde, Gewässerverunreinigungen zu verhüten, hier für die Stadt zu einem Handlungsgebot (...)
Die Mittel dazu standen ihr zu Gebote. Sie konnte die Pflichtigen durch Verwaltungsverfügung
(…) auffordern, die sofortige Vollziehung anordnen und sodann die Vollstreckung betreiben
(…). Sie war verpflichtet, von dieser Möglichkeit erforderlichenfalls auch Gebrauch zu machen. Einen Ermessenspielraum hatte sie insoweit nicht. Ein Entschließungsermessen stand ihr
nicht zu (…).
Den Angeklagten traf hierfür die strafrechtliche Verantwortlichkeit als Garant, da diese Stellung in seiner Person begründet war. Als Bürgermeister oblag ihm die Dienstpflicht zur Wahrnehmung seines Amtes und damit zugleich die Verpflichtung, für die Erfüllung des Handlungsgebotes zu sorgen, dass die Stadt zu befolgen hatte (…).
Die dazu notwendigen Maßnahmen fielen in seine Zuständigkeit. (…)
Die Rechtslage war eindeutig (…).
Eine differenzierende Beurteilung (…) kam nicht in Betracht. Die Stadt hatte rechtlich keinen
Handlungsspielraum (…).
Die dem Angeklagten danach obliegende Garantiepflicht umfasste (…) nicht nur das Gebot,
gegen Grundstückseigentümer vorzugehen (…). Vielmehr war er (…) auch dazu verpflichtet,
sie zu ermitteln. Denn seine Garantiepflicht leitete sich ab aus der entsprechenden Verpflichtung der Stadt, die er als deren Bürgermeister wahrzunehmen hatte (…).“
Zur Herleitung der Amtsträger-Garantenstellung entschied der BGH später, die Pflicht eines
Polizeibeamten zur Verhinderung von Straftaten diene jedenfalls auch dem Zweck,
„das von dem jeweiligen Straftatbestand geschützte Rechtsgut vor der ihm konkret drohenden
Gefahr zu bewahren (…). Beide Schutzzwecke – Verhinderung oder Beseitigung normwidriger
Zustände im Interesse der Allgemeinheit und Sicherung von Individualrechtsgütern im Interesse des einzelnen – sind untrennbar miteinander verbunden. Die Aufgabe, den einzelnen Bürger vor Straftaten zu schützen, ist damit nicht nur Reflex- oder Nebenwirkung einer Berufspflicht anderen Inhaltes (…), sondern sie ist wesentlicher Bestandteil der Berufspflicht des Polizeibeamten (…). Dies ergibt sich schon daraus, dass der Bürger Träger öffentlicher Rechte
26
27
BGH, NStZ 2000, 147.
BGHSt 32, 325 (Unterstreichungen durch den Verfasser).
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gegen den Staat ist. Somit hat er Anspruch darauf, dass die Polizei zum Schutze seiner
Rechtsgüter eingreift.“28
3. Garantenstellung kommunaler Entscheidungs- und Mandatsträger
Im Zusammenhang mit Behördenausstattung und -finanzierung kommen nur Entscheidungsund Mandatsträger als Garanten in Betracht, die die Aufgabe und Kompetenz haben, hierüber
(mit) zu bestimmen. Nur solche Akteure können Garant(en) für zur veterinärbehördlichen
Aufgabenerledigung ausreichende Behördenausstattung sein. Dies lenkt den Blick auf die an
der Prozedur zur Aufstellung des Kommunalhaushalts Beteiligten.
Am Prozess kommunaler und kreislicher Haushaltsplanung beteiligte Akteure sind
- Kämmerer,
- Behörden- bzw. Ämtervertreter,
- Beschlussgremien, also Gemeinde- bzw. Stadtrat auf der einen und Kreistag auf der
anderen Seite,
- Mitglieder dieser Beschlussgremien,
- Oberbürgermeister bzw. Kreisausschuss als Behörde und Person(en),
- last not least die Aufsichtsbehörde.
3.1. Haushaltsprozedur
Den zentralen Prozess der Haushaltswirtschaft und -gestaltung, also die Aufstellung des
Haushaltsplans, und die beteiligten Akteure regeln für hessische29
- Kommunen die §§92 ff. Gemeindeordnung (HGO) und
- Kreise der §52 Landkreisordnung (HKO) insbesondere per Verweisung auf die §§92
ff. HGO.
Die §§92 ff. HGO kodifizieren also die gesetzlichen Anforderungen an die Haushaltswirtschaft sowohl der Kommunen als auch der Landkreise.
Gemäß §97 HGO stellt der Gemeindevorstand den Entwurf der Haushaltssatzung fest und legt
ihn der Gemeindevertretung vor. Ist ein Beigeordneter für`s Finanzwesen bestellt, dann bereitet gemäß §97 Abs.1 S.2 HGO er den Entwurf vor. Beides gilt gemäß §52 HKO für die Kreisebene entsprechend.
Gemäß §97 Abs.3 HGO berät und beschließt die Gemeindevertretung die Haushaltssatzung.
Auf Kreisebene ist gemäß §8 HKO der Kreistag
„das oberste Organ des Landkreises; er trifft die wichtigen Entscheidungen und überwacht die
gesamte Verwaltung. Die laufende Verwaltung besorgt der Kreisausschuss“.
28
BGHSt 38, 388 (Unterstreichungen durch den Verfasser).
Mindestens strukturell gelten die folgenden Ausführungen für alle Bundesländer. Tierschutz – konkret die
Überwachung und Durchsetzung der Einhaltung des Tierschutzgesetzes auch und insbesondere durch Anordnung von Maßnahmen nach §16a TSchG – obliegt in Hessen gemäß §4 Abs.2 Satz 2 HKO i. V. m. §1 Abs.1 des
„Gesetzes zum Vollzug von Aufgaben auf den Gebieten des Veterinärwesens, der Lebensmittelüberwachung und
des Verbraucherschutzes“ v. 21.3.2005 den Landkreisen und kreisfreien Städten als Auftragsangelegenheit i. S.
d. §4 Abs.2 Satz 1 HKO, §4 Satz 1 HGO. Tierschutz ist grundsätzlich Pflichtaufgabe der Landkreise bzw. kreisfreien Städte. Zuständig sind gemäß §1 Abs.1 Satz 1 Landrat bzw. Oberbürgermeister als Behörde.
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Die Haushaltssatzung ist jährlich aufzustellende Pflichtsatzung. Gemeinde- bzw. Kreisvertretung müssen also eine Haushaltssatzung beschließen. Deren Kernstück30 weil Grundlage der
Haushaltswirtschaft ist der Haushaltsplan. Seine Mindestinhalte sind vor allem alle voraussichtlich eingehenden Einnahmen und Ausgaben und alle notwendigen Kredit- und Verpflichtungsermächtigungen (§94 HGO).
HGO/HKO regeln die Prozedur der Aufstellung eines Kommunalhaushalts allerdings nicht
allzu detailliert. Der tatsächliche Ablauf ist vielmehr praktische Folge gesetzlicher Zielvorgaben: der Kommunalhaushalt muss Mindestinhalte aufweisen, die den materiellen Anforderungen der allgemeinen Haushaltsgrundsätze entsprechen müssen. Produkt der Haushaltsplanung
muss ein rechtmäßiger Haushalt sein. Die Erreichung dieser als Rechtmäßigkeitsanforderungen ausgebildeten Zielvorgaben setzt vor allem strukturierte Informationsbeschaffung voraus.
Haushaltsplanung kann nur bekannten und entsprechend den Grundsätzen begründeten Bedarf
erfassen. Dazu müssen die zu finanzierenden Ämter und Stellen ihren tatsächlichen Bedarf
fordern und begründen. Auch jede Veterinärbehörde muss ihren tatsächlichen Finanzbedarf
ermitteln bzw. prognostizieren und auch anmelden.
Die als Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Kommunalhaushalts ausgestalteten gesetzlichen
Zielvorgaben haben also einen tradierten Ablauf der Haushaltsplanung hervorgebracht. Als
Standardelement des praktischen Ablaufs der Haushalts(plan)-aufstellung beschreibt die
kommunalwissenschaftliche Literatur31 – mit mal mehr und mal weniger starker Betonung,
aber durchweg einhellig – als eine kaum besser als durch den Begriff „Bargaining“ zu beschreibende Verhandlungspraxis. Bedarfsermittlung folgt demnach nicht allein objektiven,
sondern einem Bündel von Faktoren und Einflüssen, zu denen sicher auch der Bedarf, aber
nicht zuletzt selbst Faktoren wie das Verhandlungsgeschick des Bedarfsanmelders gehört.
Folge ist, dass nicht nur objektiv-sachliche Faktoren wie insbesondere der tatsächliche Mittelbedarf den Inhalt des Haushaltsplans bestimmen32 und die Realität der Haushaltsplanung –
gelinde gesagt – nicht immer allein objektiv bedarfsbestimmt, sondern auch subjektiv interessengeleitet ist. Für den Bedarf der Veterinärbehörde besteht also Gefahr, dass die Höhe der
veranschlagten Mittel hinter dem objektiv begründeten und angemeldeten Maß zurückbleiben
kann. Die Praxis belegt, dass dies nicht selten sogar die Regel ist.
Kommunen wie Kreise müssen ihre Haushaltswirtschaft und – als deren Resultat – Haushaltsplanung im Ergebnis aber so durchführen und festlegen, dass stetige Erfüllung aller Aufgaben gesichert ist.33 Dies folgt aus den durch Grundgesetz, Landesverfassung und letztlich
Kommunalrecht, also §92 HGO bzw. §52 HKO, konkretisierten Haushaltsmaximen.
30
Seewald, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Heidelberg 2003, Rz.316.
Z.B. Nassmacher, Hiltrud/Nassmacher, Karl-Heinz, Kommunalpolitik in Deutschland, Opladen 1999, S.338
ff.; Hucke, in: Wollmann, Hellmut/Roth, Roland, Kommunalpolitik, Opladen1999, S.649 ff.;
32
So zitieren Naßmacher/Naßmacher, aaO., S.338 ff. die berühmte Wendung von Schauerte, Haushaltsrecht und
Haushaltspraxis der Gemeinden, Bonn 1975: „Häufig wird die Meinung vertreten, man müsse bei den Anmeldungen zum Haushaltsplan das Doppelte fordern, um letztlich die Hälfte davon tatsächlich zu bekommen.“ und
fügen hinzu: „Zweifellos wurde vielfach nach dieser Methode vorgegangen“. Zur Vereinbarkeit des Ehrenamts
mit den Anforderungen eines großstädtischen Stadtrats vgl. den Beitrag des Frankfurter Stadtverordneten Berkemeier, in: Wollmann, Hellmut/Roth, Roland, Kommunalpolitik, Opladen1999, S.67 ff.: „Eine solche Arbeit
ehrenamtlich, ohne Hilfsmittel und Hilfskräfte auszuführen heißt ständig den kommunalpolitischen Artisten zu
spielen, dem das Netz verweigert wird.“ (aaO., S.70).
33
Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Auflage, Baden-Baden 1997, Rz.658; Seewald, aaO. (Fn.30), Rz.315.
31
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Zu den Haushaltsmaximen gehören u. a. Stetigkeit im Sinne von Dauerhaftigkeit und Vollständigkeit des Haushalts34 im Sinne von Erfassung aller zu erledigenden Aufgaben und des
gesamten zu deren Erledigung nötigen Aufwands.
Zwar misslingt die vollständige Berücksichtigung aller Mittelanforderungen, wo die Finanzmittel nicht ausreichen. Ein Defizit entbindet jedoch nicht von der Pflicht zur Erledigung der
Aufgabenlast, sondern verpflichtet zur Entscheidung darüber, auf die Erledigung welcher
Aufgaben verzichtet werden kann. Maßstäbe sind Bedeutung und Dringlichkeit der Aufgaben.
Dabei gebührt Pflichtaufgaben der Vorrang vor freiwilligen.
§92 Abs.1 Satz 1 HGO i. V. m. §52 Abs.1 HKO verpflichten, Haushaltswirtschaft so zu planen und führen, dass stetige Aufgabenerfüllung gesichert ist. Damit geht die Verpflichtung
einher, die Haushaltswirtschaft an die Aufgabenerfüllung anzupassen. Sie ist so zu gestalten,
dass freiwillige und Pflichtaufgaben auf Dauer optimal erledigt werden können.35 Gemeinden
und Kreise müssen also mit Rücksicht auf Art und Umfang (Aufwand) ihnen obliegender
Pflichtaufgaben ordnungsgemäß haushalten. Dies bedeutet, dass sie im Haushaltsplan die finanziellen Mittel bereitstellen müssen, die erforderlich sind, um die Aufgabe optimal erfüllen
zu können. Unterfinanzierung des Veterinärwesens verstößt gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Haushaltswirtschaft.
Erhält eine Veterinärbehörde nicht die tatsächlich objektiv erforderliche Ausstattung, verstoßen die Haushaltsverantwortlichen sowohl gegen Haushaltsgrundsätze wie auch ihre primäre
Amtspflicht, einen ordnungsgemäßen Haushalt aufzustellen. Denn der Haushaltsplan ist wegen Unterfinanzierung des Veterinärwesens fehlerhaft.
3.2. Akteure
3.2.1. Veterinärwesen
Amtsträger können nur im Rahmen örtlicher und sachlicher Zuständigkeit Garanten sein.36
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Tierschutzgesetzes bestimmt Landesrecht37, denn
§15 TierSchG kann mangels Bundeskompetenz zum Erlass von Verfahrensrecht keine Behördenzuständigkeiten vorgeben. Dies ist Ländersache.
Hessen hat diese Zuständigkeit im Zuge der letzten großen Kommunalreform durch das per
Art.2 des „Gesetz zur Kommunalisierung des Landrats sowie des Oberbürgermeisters als Behörden der Landesverwaltung“38 eingeführte „Gesetz zum Vollzug von Aufgaben des Veterinärwesens, der Lebensmittelüberwachung und des Verbraucherschutzes“ neu geregelt. Gemäß
dessen §1 Abs.1 sind in den
- drei Landkreisen Darmstadt, Kassel und Gießen die Landräte und
34
Seewald, aaO. (Fn.30), Rz.332.
Gern, aaO. (Fn.33), Rz.658.
36
Statt aller: BGHSt 38, 388 (390).
37
Für Hessen siehe oben Fußnote 30 und sogleich.
38
Vom 21.3.2005, GVBl. I. S.229.
35
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- kreisfreien Städten die Oberbürgermeister
auf der unteren Verwaltungsebene als Behörden für den Vollzug des Veterinärwesens zuständig, soweit andere Vorschriften nicht Abweichendes regeln. Solche abweichenden und anderweitige Zuständigkeiten anordnenden Regelungen enthält für einzelne im TierSchG geregelten Entscheidungen und Tätigkeiten die „Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet
des Tierschutzrechts“.39 Abgesehen von diesen Sonderzuständigkeiten sind in Hessen für die
Durchführung des TierSchG also die Landkreise und Oberbürgermeister der kreisfreien Städte
als Behörden zuständig.
3.2.2. Mitglieder von Beschlussorganen
Dafür, auch Mitglieder von Beschlussorganen wie Stadtrat/Gemeindevertretung und Kreistag
grundsätzlich als mögliche Träger einer Garantenstellung anzusehen, sprechen Erkenntnisse
aus dem Haftungsrecht. Danach sind Stadtverordnete und Kreistagsmitglieder „Beamte“ im
haftungsrechtlichen Sinne des §839 Abs.1 BGB und tragen persönliche Verantwortung für
Richtigkeit und Rechtmäßigkeit unter ihrer Mitwirkung gefasster Beschlüsse.40 Der BGH hat
Anforderungen an Fachlichkeit, Sachgerechtigkeit und Richtigkeit der Entscheidungen von
Mitgliedern kommunaler Vertretungsorgane klar und strikt formuliert:
„Die an der Beschlußfassung beteiligten Ratsmitglieder und die mit der Vorbereitung des
Plans befaßten Bediensteten der Beklagten haben insoweit auch fahrlässig gehandelt.
Für die Verschuldensfrage kommt es auf die Kenntnisse und Einsichten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind, nicht auf die Fähigkeiten,
über die der Beamte tatsächlich verfügt. Jeder Beamte muß die zur Führung seines Amtes
notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen (…). Für die
Mitglieder kommunaler Vertretungskörperschaften gelten keine milderen Sorgfaltsmaßstäbe.
Im sozialen Rechtsstaat kann der Bürger auch von Gemeinde- und Stadträten erwarten, daß
sie bei ihrer Amtstätigkeit den nach §276 BGB zu verlangenden Standard der verkehrserforderlichen Sorgfalt einhalten.
(…)
Die Mitglieder von Ratsgremien müssen sich auf ihre Entschließungen sorgfältig vorbereiten
und, soweit ihnen die eigene Sachkunde fehlt, den Rat der Verwaltung oder die Empfehlung
von sonstigen Fachbehörden einholen bzw. notfalls sogar außerhalb der Verwaltung stehende
Sachverständige zuziehen (…).“41
Schon per Urt. v. 29.10.1987 hat der BGH zum Verschulden von Ratsmitgliedern, die das
kommunale Einvernehmen mit einem Bauvorhaben gemäß §36 BBauG unter Abweichung
von Stellungnahmen zuständiger Fachbehörden rechtswidrig verweigert haben, festgestellt:42
„Unter diesen Umständen hätte der Gemeinderat der Beklagten nicht von der Stellungnahme
der zuständigen Behörden abweichen dürfen, ohne weitere Ermittlungen anzustellen und sich
fachlich beraten zu lassen.“
Mitglieder kommunaler Kollektivorgane dürfen also nicht nach kommunalpolitischem Gusto,
sondern müssen nach sach- und fachlichen Gesichtspunkte entscheiden. Dies gilt zumindest
39
Vom 24.5.2007, GVBl. I, S.307.
BGH, NJW 2000, 427 (428, 430) m.w.N.; Dolderer, BauR 2000, 491 ff.; für das in den Neuen Bundesländern
geltende DDR-Staatshaftungsgesetz: Balus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht – Das Recht der öffentlichen Ersatzleistungen, Heidelberg 2005, Rz.200.
41
BGHZ 106, 323 (329 f.) (Unterstreichungen durch den Verfasser); fast wortgleich zuvor BGH NVwZ 1986,
504 (505).
42
BGH, Urt. v. 29.10.1987 - III ZR 251/86 - (zitiert nach juris)
40
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für ihr Abstimmungsverhalten in Bezug auf gesetzlich normierte Entscheidungsgegenstände.
Insoweit dürfen sie sich nicht an politisch oder sonst außerrechtlich motivierter Willensbildung ausrichten, sondern nur an den sach- und fachlichen Vorgaben des Fachgebiets, dem der
Entscheidungsgegenstand zuzurechnen ist. Dabei liegt nahe, dem vorbereitenden Votum der
Fachämter der eigenen Verwaltung zu folgen, denn auch diese sind nach dem Gesetzmäßigkeitsprinzip zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtet. Dies schließt zwar insbesondere im Ermessensbereich nicht aus, dass Mitglieder eines kommunalen Beschlussorgans von fachbehördlichen Voten und Entscheidungsvorschlägen oder dem Rat eingeschalteter Berater abweichen. Doch müssen sie sich dabei im formal- und materiellrechtlich vorgegebenen Rahmen halten und dies – wo erforderlich – durch Einschaltung eigener Berater gewährleisten.
3.3. Schutzpflicht
Eine Amtsträger-Garantenstellung setzt allerdings eine Schutzpflicht des Amtsträgers für bestimmte Rechtsgüter voraus. Deshalb kann auch die Annahme einer Garantenpflicht im Zusammenhang mit zur dauerhaften und ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung ausreichenden
Behördenausstattung und -finanzierung nur Entscheidungs- und Mandatsträgern obliegen,
denen positives Recht eine solche Schutzpflicht auferlegt.
Damit rückt die essentielle Bedeutung der Haushaltswirtschaft für die Aufgabenerledigung
bzw. allgemeiner formuliert die existentielle Bedeutung der Finanzierung/Finanzierbarkeit für
die Realisierbarkeit einer Aufgabe in den Mittelpunkt: sie ist conditio sine qua non. Erfüllung
kommunaler Aufgaben und deren Finanzierung sind untrennbar verbunden, weil die tatsächliche Erledigung einer Aufgabe ohne personelle und materielle Ausstattung unmöglich ist.
Verantwortlichkeit beschränkt sich jedoch nicht auf bloße Unterfinanzierung und den damit
verbundenen Verstoß gegen Haushaltsgrundsätze. Sie endet deshalb auch nicht mit Aufstellung und Beschluss eines fehlerhaften Haushaltsplans bzw. einer fehlerhaften Haushaltssatzung. Denn die Erfüllung der Verpflichtung aus §92 HGO i.V.m. §52 HKO ist kein Selbstzweck. Der Haushaltsplan muss nicht um seiner selbst Willen ordnungsgemäß sein. Ordnungsgemäße Haushaltswirtschaft soll vielmehr – wie der Wortlaut des §92 HGO unterstreicht – ordnungsgemäße Erfüllung der kommunalen Aufgaben gewährleisten.
Die Organisationsstruktur der Verwaltung – etwa Trennung der Zuständigkeiten durch Schaffung von Ämtern, Abteilungen und Referaten wie Schatzamt / Kämmerei einerseits und Veterinär- oder Ordnungsamt andererseits, ändert an dieser Aufgabenzuständigkeit der Gebietskörperschaft nichts. Es bleibt dabei, dass Landkreisen und Kommunen43 in Gestalt der Aufgabe „Tierschutz“ die Sorge für das Wohlbefinden der Tiere anvertraut ist.
Materielle Aufgabe „Tierschutz“, für die i.d.R. das Veterinäramt zuständig ist, und die Aufgabe „Finanzierung des Tierschutzes“, die aufgrund haushaltsrechtlicher Verfahrensvorschriften sowohl in der Zuständigkeit des Kämmerers (Amtsträger, verantwortlich für Entwurf des
Haushaltsplans) als auch des Kreistags bzw. Gemeinderats44 (Mandatsträger, zuständig für
Beschluss des Haushalts) liegt, sind untrennbar miteinander verbunden.
43
44
Für Hessen siehe oben Fußnote 30 sowie 3.2.1.
Für Hessen siehe oben Fußnote 30 sowie 3.2.1.
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Daher ist der für die Finanzierung einer Aufgabe zuständige Entscheidungs- oder Mandatsträger auch und zugleich für das Rechtsgut verantwortlich, um dessentwillen die materielle Aufgabe zu erfüllen ist. Kämmerei und Kreistag bzw. Stadtrat sind aufgrund Haushaltsrecht für
die Finanzierung aller Aufgaben des Kreises bzw. der Gemeinde, also auch des Veterinärwesens, zuständig und somit für das Wohlbefinden der Tiere verantwortlich. Da behördliche
Aufgabenerfüllung ohne Finanzierung unmöglich ist, obliegt nicht nur dem Veterinäramt der
Tierschutz, sondern gleichermaßen „vorgeschaltet“ den für den Haushalt verantwortlichen
Ämtern und Organen, also
- Kämmerei und
- Kreistag bzw. Gemeinderat
- Landrat bzw. Oberbürgermeister als Verwaltungsspitze.
Die persönliche Pflicht des einzelnen Amtsträgers, z. B. des Kämmerers, beruht auf entsprechender Pflicht der Behörde „Landrat“ bzw. „Oberbürgermeister“, für die er tätig wird. Diese
behördliche Schutzpflicht des Landrats bzw. Oberbürgermeisters als Behörde zu Gunsten des
Wohlbefindens der Tiere folgt aus §16a TierSchG i.V.m. (in Hessen) §1 Abs.1 des Gesetzes
zum Vollzug von Aufgaben auf den Gebieten des Veterinärwesens, der Lebensmittelüberwachung und des Verbraucherschutzes. Aufgrund der dargestellten Untrennbarkeit von Aufgabe
und Finanzierung beginnt die Erfüllung der Aufgabe „Tierschutz“, für die die Behörde „Landrat“ bzw. „Oberbürgermeister“ zuständig ist, also mit der Bereitstellung der finanziellen Mittel im Haushaltsplan.
Der Kämmerer hat als Amtsträger persönlich die Dienstpflicht zur Wahrnehmung seines Amtes und zur Erfüllung der damit verbundenen Aufgaben (= Tierschutz durch Bereitstellung
ausreichender finanzieller Mittel für das Veterinäramt). Ihm obliegt also das Handlungsgebot,
entsprechend dem Bedarf ausreichende Mittel im Haushaltsplan vorzuhalten. Unterlässt er
dies, verletzt er nicht nur seine haushaltsrechtlichen Amtspflichten, sondern zugleich die ihm
bezüglich des Tierschutzes obliegende Garantenpflicht, die Tiere durch ausreichende Finanzierung des Veterinäramts zu schützen.
Der BGH hat in haftungsrechtlicher Judikatur untersucht, ob Ratsmitglieder und Bedienstete
Anlass hatten, eine fundierte Meinung zu bilden. Dazu der BGH:
„… festgestellt, daß bestimmte namentlich bezeichnete Ratsmitglieder und Bedienstete der
Beklagten genügend tatsächliche Anhaltspunkte hatten, aus denen sie – auch nach ihrem
damaligen Wissens- und Erkenntnisstand – Rückschlüsse auf die von der ehemaligen Deponie ausgehenden Gesundheitsgefährdungen hätten ziehen müssen.“45
Diese Garantenpflicht besteht jedenfalls dann, wenn aufgrund objektiver Umstände eine
chronische Unterfinanzierung bekannt ist bzw. hätte sein müssen. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn Tatsachen bekannt sind oder sich aufdrängen, die zu tierschutzrechtlichen
Maßnahmen, insbesondere Anordnungen gem. §16a TSchG verpflichten und sich die Erforderlichkeit vermehrten Einschreitens zu einem Dauerzustand entwickelt. Hierzu sind Zukunftsprognosen etwa auf Basis vergangener Entwicklungen zu erstellen und insbesondere
der vom Veterinäramt angemeldete Bedarf zu prüfen.
Konsequenz ist, dass Entscheidungs- und Mandats- als Amtsträger eine Garantenstellung innehaben und Verantwortung dafür tragen, dass das Wächteramt auch wahrgenommen wird.
Sie sind mithin grundsätzlich verpflicht, tätig zu werden und die Finanzierung des Veterinärwesens durch entsprechende Haushaltsplanung sicher zu stellen.
45
BGHZ 106, 323 (330) (Unterstreichungen durch den Verfasser).
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5. Zusammenfassung
Für die Haushaltswirtschaft zuständige kommunale Entscheidungs- und Mandatsträger tragen
eine Ausstattungsverantwortung und sind – in Hessen durch §92 HGO bzw. §52 HKO i. V.
m. §92 HGO – verpflichtet, die Kommunalwirtschaft so zu gestalten, dass stetige und vollständige Aufgabenerledigung sichergestellt ist. Dies gilt besonders für die Ausstattung zur
Erledigung kommunaler Pflichtaufgaben.
Wegen der essentiellen Bedeutung der Finanzierung für die Erledigung einer Aufgabe konstituiert Kommunalhaushaltsrecht nicht nur eine gesetzliche Pflicht zur ordnungsgemäßen
Haushaltsplanung, sondern erstreckt die Haushaltsverantwortlichkeit über die Richtigkeit und
Rechtmäßigkeit des Haushalts selbst hinaus auch auf die Gewährleistung der materiellen Voraussetzungen der Aufgabenerledigung.
Haushaltsplanung muss vollständig sein und die Erledigung kommunaler Pflichtaufgaben
ermöglichen. Insbesondere chronische Unterfinanzierung von Veterinärbehörden widerspricht
dem. Bleiben kommunale Entscheidungs- und Mandatsträger untätig, obwohl ihnen Anhaltspunkte dafür bekannt sein müssen, dass Veterinärbehörden und dort tätige Veterinärinnen und
Veterinäre zur Erfüllung ihrer Aufgaben als „Beschützergaranten“ unzureichend ausgestattet
sind und deshalb nicht gegen Tierschutzrechtsverletzungen einschreiten können, kommt
grundsätzlich in Betracht, dass sie durch Verletzung des Haushaltsrechts Straftaten i. S. d.
§17 TierSchG durch Unterlassen begehen.
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