SP 38.pmd - Starke Pferde

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SP 38.pmd - Starke Pferde
Im Schatten der Wartburg:
Die Kaltblutzucht
Großenlupnitz/
Pferdehof Gernandt
von Reinhard Scharnhölz, Kerpen
Fotos: Erhard Schroll
Nur wenige Kilometer nordöstlich der Wartburg, der vielleicht markantesten
Burg der Republik, liegt Thüringens größte Kaltblutzuchtstätte: der Pferdehof
Gernandt. Dieses Gestüt, Exkursionsziel der diesjährigen Mitgliederversammlung der IGZ, möchte ich den LeserInnen der STARKE PFERDE vorstellen.
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STARKE PFERDE Nr. 38
Rückblick
schweres Kaltblut von vorn
herein ausschloss.
1949 gab es in Thüringen
8343 eingetragene Stuten der
Rasse Rheinisch-Deutsches
Kaltblut, davon immerhin
1365 Hauptstammbuch- und
3802 Stammbuchstuten. Im
Deckeinsatz waren 153 gekörte Hengste. Entsprechend
der landschaftlichen und klimatischen Gegebenheiten
wurde in Thüringen ein mittelgroßer, wendiger Kaltblüter bester Qualität gezüchtet.
Da in Thüringen gleichzeitig
die Zucht des Schweren
Warmblutpferdes betrieben
wurde, bestand eine deutliche
Konkurrenzsituation, die ein
Zuchtziel Richtung über-
Ab den 1960er Jahren erfolgte ein dramatischer Rückgang
der Zucht, die im Jahre 2004
nur noch 172 eingetragene
Stuten aufwies. Züchterisch
arbeiteten Sachsen und Thüringen schon seit langem eng zusammen, nicht zuletzt bedingt
durch das für beide Freistaaten
zuständige Landgestüt Moritzburg. Somit war es nur folgerichtig, dass sich die beiden
Verbände 2005 zum Pferdezuchtverband Sachsen-Thüringen e.V. vereinigten. Bei diesem Verband sind 319 Stuten
und 32 gekörte Hengste (Zahlen von 2004) eingetragen.
Die Kaltblutzucht in
Großenlupnitz
Die Kaltblutzucht des heutigen Pferdehofes Gernandt
wurde 1978 in der damaligen
LPG (T) Nessetal mit dem
Kauf von zehn dreijährigen
Stuten der Rasse RheinischDeutsches Kaltblut begründet
(Elmi, Filine, Kamelia, Anneliese, Teerose, Amelia, Zelle,
Torelia, Filicia u. Torel). Diese Stuten wurden von der
LPG Kammerforst erworben
und stammten sämtlich von
Elicius, b., geb. 1957. Zu diesen Stuten gesellten sich später noch vier Töchter (Filonda, Ultrone, Elone u. Amanda) des Rondo, b., geb. 1971.
Die LPG Nessetal bestand
aus zwei Betriebszweigen:
Tierzucht/Tierproduktion (T)
und Pflanzenproduktion (P).
Den Pferden der LPG Nessetal (T) stellte die LPG Nessetal (P), die über eine Gesamtfläche von 3.500 ha verfügte, bestimmte zum Ackerbau weniger geeignete Teilflächen zur Verfügung.
Heike Gernandt: Herrin über die Kalblüter
Nach der „Wende“ 1989/90
wurde die LPG Nessetal liquidiert, es bildete sich die
Agrargenossenschaft
Großenlupnitz, in die die früheren Grundeigentümer (vor
der Zwangskollektivierung)
eine Fläche von insgesamt
1.200 ha Wiesen- und Ackerflächen einbrachten. Produktionsschwerpunkte der jetzigen Agrargenossenschaft sind
Milch (450 bis 500 Kopf
Milchvieh), Futter- und Getreidebau.
Gunder Gernandt mit einem seiner Hengste.
Heute mehr im Hintergrund: Otto Wiener,
Mitbegründer der LPG Nessetal.
Otto Wiener und Jörgen Paul
begründeten die Kaltblutzucht in der LPG Nessetal,
schufen durch gezielte Auslese einen qualitätsvollen Stutenstamm, der von der neu
gegründeten Agrargenossenschaft Großenlupnitz übernommen wurde. Bis zu seinem frühzeitigen Tod im Jahre 2004 war Jörgen Paul Leiter der Agrargenossenschaft,
damit auch Chef der Kaltblutzucht.
Pferdehof
Gernandt
Verantwortlich für die
Großenlupnitzer Kaltblutzucht war Gunder Gernandt,
Dipl. Agraringenieur für Pferdezucht, der wie seine Frau
Heike, ebenfalls Dipl. Agraringenieur, ab 1982 in der LPG
Nessetal (T) beschäftigt war.
Seit Jahrzehnten mit der Praxis von Pferdezucht und –haltung bestens vertraut, übernahmen die Gernandts 2002
die Pferdezucht der Agrargenossenschaft Großenlupnitz,
die sich von diesem Betriebszweig trennen wollte. Wobei
der Ausdruck „übernahmen“
ein wenig die Tatsachen verschleiert. Gingen die Pferde
seinerzeit ohne Entgelt von
der LPG in den Besitz der
Agrargenossenschaft über, so
musste der Pferdehof
Gernandt den Bestand käuflich erwerben. Sicherlich ein
risikoreiches Unterfangen,
das ohne die immense Pferdepassion der gesamten Fa-
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Jungstuten
milie und engagierter freiwilliger Helfer kaum Aussicht
auf Erfolg gehabt hätte.
Noch bis zum letzten Jahr
betätigte sich Herr Wiener (s.
o.), exzellenter Pferdepraktiker trotz seines hohen Alters
– er wird in diesem Jahr 83 –
im Betrieb, stand den
Gernandts mit Rat und Tat zur
Seite.
Großenlupnitz sowie außerhalb in umgebauten Gebäuden
der ehemaligen LPG. Es ist
beabsichtigt – die Umbaumaßnahmen sind in vollem
Gange – die gesamte Pferdehaltung in den Außenbereich
zu verlegen. Dies wird die
Bewirtschaftung des Betriebes auf Dauer wesentlich erleichtern.
Gegenwärtig betreibt der
Pferdehof Gernandt die Pferdezucht auf einer Fläche von
85 ha, wobei neben Rheinisch-Deutschem Kaltblut
noch Warmblut und Shetland
gezüchtet und gehalten werden. Die Stallungen befinden
sich derzeit noch im Ort
Neben der Zucht und Aufzucht
von
Pferden,
insbesondere von Junghengsten, bildet die Ausbildung von
Pferden eine wesentliche
Rolle. Hierzu zählt auch die
Vorbereitung für die offizielle Stutenleistungsprüfung
(Zuchtrichtung Ziehen), die
seit 2002 auf dem Pferdehof
stattfindet. An der Stutenleistungsprüfung nehmen jährlich
zwischen zehn und 18 Kaltblutstuten teil.
Der Pferdehof Gernandt ist
Ausbildungsbetrieb für Pferdezucht und Haltung, wobei
auf zusätzliche Ausbildung im
Fahren und auch Reiten Gewicht gelegt wird. Kremserfahrten mit Pferden des eigenen Bestandes sowie Haltung
von Pensionspferden tragen
positiv zum Betriebsergebnis
bei.
Bei bestimmten Arbeiten,
insbesondere bei der Raufutterbergung wird die Unterstützung der Agrargenossenschaft in Anspruch genommen.
Pferdefreundliche
Haltung
giebigen Weidegang und
reichliche Versorgung mit
Raufutter guter Qualität.
Wenn irgend möglich, erhalten die Pferde auch in strengen Wintern täglich
Auslauf im Freien, um Abhärtung und widerstandsfähiges
Beinwerk zu fördern.
Die Haltung von Stuten und
Jungpferden in größeren
Gruppen fördert das Sozialverhalten bei Pferden gleich
welcher Rasse, wie langjährige Erfahrungen zeigen. Derartig sozialisierte Pferde entwickeln sich besser, zeigen
weniger Verhaltensabweichungen, sind im Umgang mit
Menschen angenehmer. Dies
gilt insbesondere für Junghengste, für die die Gruppenaufzucht letztlich ein MUSS
ist.
Die Zuchterfolge
Die bewährte Zuchtstute Annegret v. Fänger, u.a. Thüringer Siegerstute 1996
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Seit Begründung der Kaltblutzucht im Jahre 1978 wurde
und wird auf eine möglichst
natürliche Aufzucht der Pferde größter Wert gelegt. Gruppenhaltung sowohl bei den
Stuten als auch bei den Jungpferden ist die Regel. Bei der
Fütterung wird besonderer
Schwerpunkt gelegt auf aus-
Von den insgesamt 14 Stuten,
die von der damaligen LPG
(T) Nessetal zum Aufbau der
Kaltblutzucht erworben wurden, erwiesen sich fünf als
Begründerinnen von eigenen
Stutenlinien: Teerose, Kamelia, Zelle, Ultrone und die
noch lebende Anneliese. Eine
weitere Stutenlinie geht auf
die 1978 geborene RondoTochter Tara zurück.
Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass Goßenlupnitz seit 1980 eine der erfolgreichsten Zuchtstätten des
Rheinisch-Deutschen Kaltblutpferdes ist. Insgesamt 40
Hengste, die in Großenlupnitz aufgezogen und vorbereitet wurden, erhielten von
1980 bis 2006 (Frühjahr) ein
positives Körurteil. 30 dieser
Hengste stammten aus eigener Zucht, zehn wurden als
Absetzer zugekauft. Eine Bilanz, die ihresgleichen sucht!
Diese Hengste hatten maßgeblichen Einfluss auf die
Zucht der DDR und – nach
1989 – der gesamten Bundesrepublik.
Einige Hengste mit unüblichem Lebensweg sollen namentlich aufgeführt werden:
Elbgang, in Polen geboren
und in Großenlupnitz aufgezogen, wurde in Polen gekört
und erzeugte als Landbeschäler in Ketrzyn (Rastenburg)
gute Nachkommenschaft.
Nach Mecklenburg verkauft
wurde er u.a. Vater des Hengstes Ernst, der die Rappzucht
von O. Peters, Gransee, nachhaltig beeinflusste.
Eberhard II (v. Ebro a.d. Zelle v. Elicius), langjähriger
Beschäler in Redefin, ist
dadurch interessant, dass sein
im Rheinland gekörter Sohn
Elanus seit 2002 in Lack/Polen als Landbeschäler wirkt.
Orloff (v. Ofus a.d. Ulricke v.
Elias) wurde in Westfalen
gekört, gelangte in den Bayerischen Wald und wurde –
dort von Dr. Görbert „entdeckt“- erfolgreicher Moritzburger Landbeschäler.
Ulano (v. Uwe a.d. Konstanze v. Eicho) sammelte seine
ersten Erfahrungen als Beschäler auf der Insel Rügen
und kehrte dann nach Großenlupnitz zurück, wo er einige
Jahre im Deckeinsatz war. Es
folgte mehrjähriger Zuchteinsatz in Hessen, bevor er ab
2005 als Moritzburger Landbeschäler seinen Dienst in
Sachsen aufnahm. Ulano war
übrigens der 30. Hengst, der
für Großenlupnitz ein positives Körurteil erzielte.
*
Elias (v. Elbrus a.d. Uwine v.
Uwe I), geb. 1980 in der LPG
Thomas Müntzer/Bockelnhagen, wurde in Großenlupnitz
aufgezogen und hat als Moritzburger Landbeschäler beste Nachzucht gezeugt. Auf der
2. Bundeskaltblutschau 1993
wurde er ehrenvoller Reservesieger.
Rh.-Dt. Hengst Eckstein v. Elegant, geb. 1997
Neuzugang „Elmar“, Sohn von Eckstein und 2. Reservesieger der
Körung in Krumke 2005.
Famulus (v. Fänger a.d. Annika v. Ofus), geb. 1993 in
Großenlupnitz, belegte als
Moritzburger Landbeschäler
einen hervorragenden 3. Platz
auf der 3. Bundeskaltblutschau 1997.
Elmar (v. Eckstein a.d. Ellen
v. Eldor), geb. 2003 auf dem
Pferdehof Gernandt, wurde
hoch verdient 2. Reservesieger der 1. Mitteldeutschen
Kaltblutkörung 2005 in
Krumke.
Aufwachsen in der Herde:
Junghengste in Großenlupnitz
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Für überragende züchterische
Leistung wurde der Agrargenossenschaft Großenlupnitz
im Jahre 2002 der Staatsehrenpreis des Freistaates Thüringen verliehen.
Soweit diese keineswegs
vollständige Übersicht.
*
Auch der bewährte Landbeschäler Udo steht in diesem Jahr in Großenlupnitz.
Eine der Großenlupnitzer Stuten bedarf noch besonderer
Erwähnung:
Anneliese, Rsch., geb. 1975
v. Elicius a.d. Anette v. Timor.
Anneliese ist „der letzte Mohikaner“, sprich die einzige
noch lebende der Stammstuten. Auf Grund ihres hohen
Alters nicht mehr zuchtaktiv,
übt sie dennoch wichtige
Funktion in der Stutenherde
aus: Sie ist ruhender Pol, damit „geistig-moralischer“
Stützpunkt gerade für die
Youngster in der Gruppe.
Deckhengste
Der 2001 geborene braune Hengst Vladimir von Verdun.
Selbstverständlich errangen
auch die in Großenlupnitz
geborenen Stuten bedeutende
Erfolge auf Zuchtschauen.
Stellvertretend für viele seien erwähnt:
Annegret (v. Fänger a.d. Anett
v. Smart II), geb. 1993, wurde
Thüringer Siegerstute 1996
und Siegerstute ihrer Klasse
auf der 3. Bundeskaltblutschau 1997.
Anett (v. Smart II a.d. Anneliese v. Elicius) geb. 1985,
wurde 1988 Siegerstute der
DDR und auf der Bundeskaltblutschau 1997 Zweitplatzierte ihrer Altersklasse.
Terry (v. Onix a.d. Tanka v.
Smart II), geb. 1993, wurde
Siegerstute auf der Thüringer
Landestierschau 1996 sowie
Reservesiegerin der Elitestutenschau (hinter Anngret).
Tanka (v. Smart II a.d. Tara v.
Rondo) errang auf der 4. Bundeskaltblutschau 2001 als älteste Stute in ihrer Klasse
den 3. Platz.
Anke (v. Elias a.d. Annegret v.
Fänger) wurde 2002 Reservesiegerin der Elitestutenschau.
Aletta (Erik-Fänger) wurde
Reservesiegerin der Elite
2005, während
Awena (Ulano-Fänder) Siegerstute der Elitestutenschau
2005 wurde.
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Zu einem ordentlichen Kaltblutzuchtbetrieb mit zurzeit
20 Mutterstuten gehört natürlich auch die Haltung von
Deckhengsten, wobei sowohl
Landbeschäler aus Moritzburg als auch Hengste im Besitz des Pferdehofs Gernandt
eigenen und fremden Stuten
zur Verfügung stehen.
Das Hengstangebot für 2006
besteht aus den Landbeschälern
Udo, F., geb. 1994,
v. Uwe a.d. Tussy v. Pulver
Pesedo, b., geb. 1987,
v. Pulver a.d. Alma v. Ebro
sowie den eigenen Hengsten
Eckstein, Bsch., geb.1997
(Elegant-Erhardt)
Emir, Bsch., geb. 2000
(Erik-Eldo)
Enno II, b., geb. 2000
(Emmanuel-Berthold)
Vladimir, b., geb. 2001
(Verdun-Erlkönig)
Elmar, Bsch., geb. 2003
(Eckstein-Eldor).
Eine umfangreiche Palette
von Kaltblutbeschälern, die
ausreichende Linienvielfalt
präsentieren. Abgerundet wird
die Hengstriege durch den
gekörten Shetlandhengst Farbenfroh, der seinem Namen
alle Ehre macht.
Schlussbetrachtung
Es bedarf einer gehörigen
Menge Muts, großer Tatkraft
und ausgeprägter Zuversicht,
um mit Kaltblutpferden einen
eigenen Betrieb zu gründen.
Diesen Schritt trotz angespannter Gesamtwirtschaftslage der Bundesrepublik unternommen zu haben, verdient großen Respekt, aber
nicht nur Respekt sondern
auch Dank: denn ohne das
Engagement von Heike und
Gunder Gernandt sowie ihrer
passionierten Helfer wären
die Früchte 30jähriger Zuchtarbeit in alle Winde zerstreut
worden.
Abschließend noch ein Tipp:
Wer auf der Suche nach guten Kaltblutpferden auch weitere Wege nicht scheut, sollte bei seiner Routenplanung
den Pferdehof Gernandt nicht
vergessen.
Internetadresse:
www.pferdehof-gernandt.de
Jung und alt
Fast 30 Jahre Altersunterschied
spiegeln sich auch in den Gesichtern wider.
links unten: ein Jährlingsstute aus
der aktuellen Herde.
unten: Anneliese, die einzige noch
lebende Stammstute der
Großenlupnitzer Kaltblutzucht.