JAMIAN JULIANO-VILLANI Tanya Leighton Berlin Dominikus Müller
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JAMIAN JULIANO-VILLANI Tanya Leighton Berlin Dominikus Müller
REVIEWS er scheint aus dem Bild herauszublicken – keck, ganz als wüsste er, dass er bei der Selbstbefriedigung beobachtet wird; es scheint ihm zu gefallen (Green Marina). Und so geht’s munter weiter. Es fällt auf, dass die vordergründige Groteske und sexuelle Brutalität der Bilder Juliano-Villanis nur einen Teil der Faszination ausmachen. Der andere findet sich in der Art und Weise, wie man als Betrachter zum Komplizen eines (vermeintlich?) polymorph-perversen Genießens gemacht wird. Bei Substance Free beispielsweise blickt man in die wässrigen Augen eines blonden, nackten Mädchens, dessen Mund von einem grotesk hineingepasteten Oberkiefer bestimmt wird. Behaarte Hände kommen von vorne ins Bild (also wieder vom Standpunkt des Betrachters). Die Fingerhaltung lässt darauf schließen, dass diese Hände in der Vorlage vielleicht ein Blatt Papier hielten. Aber weil das Blatt nicht mehr da ist, sieht es ein bisschen so aus, als ob diese haarigen Pranken an den Nippeln des weinenden Mädchens drehen würden. Das fühlt sich gleich mehrfach – nicht nur perspektivisch – falsch an. Verloren zwischen den collagierten Ebenen, gefangen in Blickachsen. Wieder draußen vor der Tür blickt man nun durch die Augen des Orcaman hinein, statt sich von ihm angucken zu lassen. Die Illusion des unschuldigen, distanzierten Blicks, der einem voll und ganz gehört, bleibt die einzig wirkliche Perversion. JAMIAN JULIANO-VILLANI Tanya Leighton Berlin Dominikus Müller Schon von der Straße aus wird man der ersten Arbeit von Jamian Juliano-Villani gewahr: Treudoof grinst einen das bläuliche Comic-Tiergesicht des Orcaman (alle Arbeiten 2015) an, eine Intarsien-Glasarbeit, die im Fenster der Galerie Tanya Leighton präsentiert wird. Nudge the Judge ist Juliano-Villanis erste Soloausstellung in Europa – und man bekommt hier das zu sehen, was die New Yorker Malerin in den letzten zwei bis drei Jahren zu einer Art Signature-Style entwickelt hat: Collagen, die alle möglichen Bilder – Comic-Motive, Abseitiges aus dem Internet, FetischElemente, kunsthistorische Referenzen – zu meist grotesk-düsteren und multiperspektivischen Bildräumen vereinen, bevölkert von diversen Fantasiewesen. Der Pressetext zur Ausstellung führt Mondrian, Patrick Caulfield, George Ault, die Trickfilme von Ralph Bakshi oder die Zeichnungen des MAD-Karikaturisten Mort Drucker als mögliche Bezugsgrößen auf. Ich muss eher an die Malereiversion von Ryan Trecartins Verkleidungsexzessen denken oder aber an düstere Wiedergänger von Jeff Koons’ ultrapräzisen Monsterleinwänden, in denen sich Spielzeug, Erotik und Geld auf perfid-reflexive Art und Weise kreuzen (und auf denen sich, ähnlich wie bei JulianoVillani, die Motive im zersplitterten Kaleidoskop aus Vorder- und Hintergrundelementen auflösen). Und so ist es auch mit der Niedlichkeit des Orca-Manns vorbei, sobald man den Ausstellungsraum betritt. Auf den acht mit Acryl bemalten Leinwänden finden sich weit weniger nette Motive (mit Ausnahme vielleicht von Storm Ram, dem Bild einer mit mehreren Cartoon-Elementen und blauen Flächen durchschossenen Comic-Eule). Für The Entertainer hat Juliano-Villani eine aufblasbare Fetischpuppe gemalt. Auf dem Gummimaskenkopf sitzt eine blonde Engelslöckchen-Perücke. Diese Figur sitzt am Klavier, wirft den Oberkörper zurück und wirkt so, als würde sie singen – dabei kann sie ihren runden Gummischmollmund gar nicht schließen, auch wenn sie wollte. Oben ohne und Strapse tragend steht auf Stone Love eine traurig guckende Frau mit Delfinkopf in der Küche, umgeben von allerlei Putzutensilien. Aus dem Putzeimer dampft warmes Wasser und die traurigen, tiefliegenden Augen blicken über die Schulter Richtung Betrachter, als käme der gerade nach Hause und öffnete die Tür. Unweigerlich findet man sich in der Rolle des patriarchalischen Ehemanns wieder, der seine Delfinfrau zu Hause den Abwasch machen lässt. Auf der anderen Seite des Raums liegt ein Formschnittheckenmensch hinter einem Baumstamm mit Vogel-Strauß-Klauen-Wurzeln im Gras und fummelt an sich selbst herum. Auch The first work by Jamian Juliano-Villani can already be seen from the street: the bluish comic animal face of the Orcaman (all works 2015) grins out at the viewer in an endearing, dopey way. The stained-glass work is installed in the window of the Tanya Leighton Gallery, which presents Juliano-Villani’s first solo exhibition in Europe. Nudge the Judge brings together what the New York-based painter has developed into a kind of signature style over the past two or three years: collages combining all kinds of images – from comic motifs and obscure things found on the Internet to fetish elements and art historical references – to form dark, grotesque pictorial spaces populated by a variety of fantastical creatures. The press release mentions Piet Mondrian, Patrick Caulfield, George Ault, the animations of Ralph Bakshi, and the drawings of the MAD caricaturist Mort Drucker as potential references. I think more of a painted version of Ryan Trecartin’s costumed excesses, or sinister echoes of Jeff Koons’s ultraprecise monster canvases in which toys, erotica and money merge in a perfidious, reflexive way (and in which, similarly to Juliano-Villani, the motifs dissolve into a fragmented kaleidoscope of foreground and background elements). The cuteness of the Orcaman turns sour as soon as one enters the exhibition space. On the eight canvases painted in acrylic, there are motifs that are far less innocent 1 Jamian Juliano-Villani Green Marina, 2015 Acrylic on canvas 1 × 1.2 m 2 Jamian Juliano-Villani Stone Love, 2015 Acrylic on canvas 76 × 61 cm 1 130 F R I E Z E d /e N O . 2 2 FRIEZE, December-February 2015/2016 DEZEMBER 2015 – FEBRUAR 2016 REVIEWS JOS DE GRUYTER & HARALD THYS, STEFAN VERCAMMEN Dold Projects St. Georgen Saim Demircan 2 (with the exception, perhaps, of Storm Ram, an image of a cartoon owl perforated by blue shapes and cartoon elements). For The Entertainer, Juliano-Villani painted a (female) blow-up doll: an angelic curly blond wig sits atop her rubber head. The figure is seated at a piano with her shoulders thrown back; she seems to be singing, although she wouldn’t be able to close her pouting rubber mouth, even if she wanted to. In Stone Love, a topless woman with a dolphin’s head gazes sadly over her shoulder as she stands in a kitchen wearing garter belts, surrounded by various cleaning utensils. Steam rises from a bucket of hot water as her despondent eyes look in the direction of someone who has perhaps just come home. One inadvertently finds oneself in the role of the patriarchal husband, who lets his dolphin wife stay home to do the dishes. On the other side of the room is Green Marina, a topiary figure reclining behind a tree trunk with ostrich-claw-roots, playing with its genitals. He, too, seems to be gazing out of the picture – cheekily, as though he knew he were being observed masturbating – he seems to like it. F R I E Z E d /e N O . 2 2 And so things go their merry way. It’s remarkable that the ostensibly grotesque quality and sexual brutality of Juliano-Villani’s paintings only make up one part of their fascination; the other part lies in the way the viewer becomes an accomplice to a (supposedly) polymorphous-perverse pleasure. In Substance Free, for instance, the viewer looks into the tear-filled eyes of a nude blonde girl whose mouth has been taken over by a grotesquely pasted-on upper jaw. Hairy hands enter the picture from the front (in other words, once again from the viewer’s perspective). The position of the fingers suggests that, in the original image, these hands may have held a sheet of paper. But because the sheet is no longer there, it looks a bit as though these hairy paws were tweaking the crying girl’s nipples. This feels wrong in so many ways, not merely in terms of perspective. Lost between the collaged planes, trapped in twisted sight lines. Back outside, one gazes through the eyes of the Orcaman to the interior, instead of letting him look back. The illusion of the innocent, distanced gaze that belongs entirely to us remains the only true perversion. Translated by Andrea Scrima DECEMBER 2015 – FEBRUARY 2016 131 Dold Projects – von Martin Dold betrieben und von den Künstlerinnen und Künstlern Taslima Ahmed, Manuel Gnam und Benjamin Saurer beraten –, hat sich mit seinen letzten Shows von einem Ausstellungsraum für Ahmeds, Gnams und Saurers eigene Arbeiten zu einem Raum gemausert, in dem das Prinzip kreativer Freiheit in einer von Künstlern initiierten Projektkultur unter digitalen Vorzeichen ausgelotet wird. Angesichts des Standorts im SchwarzwaldStädtchen St. Georgen muss man dabei wohl eher von einem virtuellen als einem tatsächlich physisch anwesenden Publikum ausgehen. Die letzte Ausstellung dort, Dan Mitchells und John Russells Black Forest Magic, schien zu suggerieren, dass gerade die unkonventionelle Lage den eigentlichen Rahmen für das Programm von Dold Projects abgibt. Ich war also neugierig, endlich dort vorbeizuschauen und eine Antwort auf die Frage zu erhalten: Warum überhaupt – bei allem Respekt – einen Austellungsraum am Ende der Welt? Auch bei O! Eichhörnchen du bist so schön aber warum bisst du mich?, der Ausstellung des Künstlerduos Jos de Gruyter & Harald Thys in Zusammenarbeit mit ihrem belgischen Kollegen Stefan Vercammen, wird deutlich, welche Freiheiten eine Ausstellung an der Peripherie zulässt. Nicht zuletzt wurde das in der perversen und aberwitzigen Art und Weise deutlich, wie sich die ausgestellten Werke hier mit „deutscher Identität“ ebenso auseinandersetzen, wie mit dem Zusammenhang von sexueller Sublimierung, Unterdrückung, Naturempfindsamkeit und pornografischem Kitsch. In De Gruyter & Thys’ Stop-MotionFilm Triumph des Willens (2015) sitzt eine grob gebaute Figur mit einem verfilzten und behaarten Polystyren-Kopf in einem nicht näher definierten Raum und masturbiert zu einem unregelmäßig einsetzenden Soundtrack aus Horst-Wessel-Propaganda-Liedern. Der Film scheint nahelegen zu wollen, dass die Militärparaden und Szenen aus Triumph des Willens einmal da draußen stattfanden: Mehrere andere Charaktere treten auf und ab und glotzen aus einem Fenster. Die ungelenken Gesten einer der Figuren könnte man für angedeutete Hitlergrüße halten. Vielleicht hat man es hier ja mit so etwas wie der parodistischen Künstler-Version von Wilhelm Reichs Annahme zu tun, dass Nationalsozialismus und die Unterdrückung der Sexualität zusammenhängen? Im Film triumphiert der Wille tatsächlich, allerdings indem er monumentale Propaganda mit pubertärer Mentalität unterwandert. Triumph des Willens mag spitzbübisch und jugendlich wirken, und doch sind sich die Künstler spürbar im Klaren darüber, was sie