014_Head1_James Gortner_korr•.indd

Transcription

014_Head1_James Gortner_korr•.indd
014 HEADS
James Gortner
TEXT & FOTO Eva Türbl
Künstler
TALES FROM THE DARKSIDE. James Gortner in
seinem Atelier – irgendwo zwischen Himmel
und Hölle.
1977
James Gortner wird in Orange County, Kalifornien, geboren und wächst
in L.A. auf. Sobald er einen Pinsel
halten kann, fängt er an zu malen.
1993
Mit 16 beschließt er, mit der Kunst
aufzuhören. „Sie war einfach aus
meinem Leben verschwunden.“ Er
studiert Internationales Management
in Hawaii und Beijing – weil er etwas
lernen wollte, was er nicht konnte.
2001–2004
Er rührt keinen Pinsel an, bis 2001
ein enger Freund ums Leben kommt.
„Ich wollte seiner Mutter einen Brief
schreiben, aber das fühlte sich falsch
an. Da hab’ ich sein Porträt gemalt.“
2004 gibt er sich das Versprechen,
ausschließlich von seiner Kunst zu le-
ben, packt seine Existenz in ein paar
Mülltüten und wohnt ab jetzt in seinem 1963er Chevy in Venice Beach.
2005
James zieht nach New York und
stößt beim Joggen auf ein Crackhaus auf der Central Avenue. Er verbringt den Winter dort, um an seinen
„Darkside Portraits“ zu arbeiten und
begräbt sein Handy auf dem Friedhof
– lebendig, wie er betont. „Ich mochte die Idee, dass der Untergrund
hören kann, wie ich Lou Reeds ,A
Perfect Day‘ auf dem Klavier spiele,
immer wenn jemand anruft.“
2007
James Gortner pendelt zwischen
seinem Apartment in der Lower East
Side und seinem Atelier im Crackhaus
in Darkside. Ende September startet
seine Ausstellung in der pool gallery
in Berlin (www.pool-gallery.com).
Gortner erhofft sich davon einen
„Berlin-Bonus“, der auch auf seine
Reputation in New York ausstrahlen
könnte. Im selben Monat ist er außerdem in der japanischen „GQ“ zu
sehen – nicht als Künstler, sondern
zur Abwechslung als Model. 2008
wird er mit zwei Freunden mit dem
Pferd quer durch China reiten.
„ALLES IST DAS, WOZU DU ES MACHST“
MANCHMAL BRAUCHT KUNST EBEN EXTREME UMSTÄNDE. EIN ALTES CRACKHAUS NEBEN EINEM FRIEDHOF BEISPIELSWEISE.
WARUM DAS SO IST? WEIL DER MALER JAMES GORTNER EIN JUNKIE IST – SÜCHTIG NACH LEBENSERFAHRUNG.
„Das ist mein geheimes Atelier“, sagt James Gortner und deutet auf den winzigen freien Platz inmitten von Gerümpel aus alten Kleidern und kaputtem
Spielzeug, das sich in dem verfallenen Crackhaus in Darkside, einem kubanischen Problemviertel beim alten Friedhof in Brooklyn, auf dem Boden stapelt.
„Nicht mal meine Freunde kennen diesen Ort, geschweige denn meine Bilder.“
Über unfertige Arbeit spricht man nicht, „weil die besten Dinge im Verborgenen
entstehen“. James spielt Platten, Cat Stevens, und freut sich. Einfach so, oder
vielleicht, weil er heute eine graue und eine schwarze Socke anhat. Nein, er
lebe nicht mehr hier, nur einen Winter lang – der war „saukalt“, aber gut, um
Vertrauen zu schaffen. Einige Hausbewohner fanden es komisch, wussten
nicht so recht, was er, der weiß und nicht auf Crack war, hier wollte: „Aber
meine neuen Freunde stellten nicht viele Fragen.“ Er war einer von ihnen, obdachlos, aß in Suppenküchen und teilte die Armeedecken in der zugigen Ruine.
Das schweißte zusammen. Und ermöglichte ihm die Perspektive von innen.
James kennt sie alle: die Aidskranken, Prostituierten und Drogendealer, die im
Crackhaus ein- und ausgehen und die er in den letzten zwei Jahren in farbenfrohen Bildern auf Patchwork-Leinwänden festgehalten hat. Zum Beispiel Lisa,
eine Ex-Marine, die weinte, als sie ihr Bild sah, oder Brenda, die Hausbesitzerin,
mit ihrer Kristallkugel, die ihm so viel Gutes prophezeit hat. Darkside kann sehr
bunt sein, es steckt viel Magie in der Nachbarschaft – genau wie in James’ Bildern. Trotzdem ist die dunkle Seite allgegenwärtig. Sie liegt in den Geschichten
hinter der Leinwand und in subtilen Details. Die „Darkside Portraits“ waren ein
Experiment, für die Menschen im Viertel und auch für James selbst. „Ich glaube
daran, dass alles das ist, wozu du es machst. Dieser Ort kann der beste Platz
der Erde sein, aber auch der schlimmste. Ich wollte diese Theorie an mir selbst
testen. Wie man so klischeehaft sagt: ‚You gotta make it heaven or hell.‘“